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7.

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Jannik Bartels war im Stress. Wieder einmal zu spät aus dem Bett gekommen. Seine Zeit war der Abend, dann lief er zu großer Form auf. Nicht der Morgen, den hasste er. Darum war er ja auch Koch geworden und nicht Bäcker. Eilig warf er die Schwingtüren der Hotelküche beiseite, nahm die Kurve zu eng und rammte sich die scharfe Ecke des Metallschranks in den Oberschenkel. Aufjaulend vor Schmerz und Wut, trat er nach dem Ding. Zu spät fiel ihm ein, dass er offene Sandalen trug. Jetzt tat ihm auch noch der rechte große Onkel verteufelt weh.

»Gemeinheit!«, zischte er durch die Zähne. Tränen rannen ihm über die Wangen. »So eine Gemeinheit. Blöder Mistkerl.«

Klar, dass sein Chef sauer auf ihn war. Dessen Boot war weg, ausgerechnet zu Saisonbeginn, und er, Jannik Bartels, trug daran die Schuld. Aber erstens nicht alleine, denn die anderen hatten ja ebenso wenig aufgepasst wie er. Und zweitens war sein Chef doch versichert! In Kürze würde die Versicherung zahlen, und zwar den Neuwert, das hatte Thormählen schon stolz verkündet. Dann würde er sich ein noch moderneres und noch stärker motorisiertes Boot kaufen. Na also, dachte der junge Koch, dann sollte der Typ mir doch eher dankbar sein. Aber was ist? Nichts ist. Stattdessen teilt er mich hier im Hotel zum Frühstücksdienst ein, weil jemand krank geworden ist. Dabei hätte ich doch eigentlich heute frei. Morgen ist Eröffnung der Weißen Düne, das ist mein Ding, dafür hat man mich angeheuert, dafür habe ich tagelang geschuftet, um alles vorzubereiten.

Heute, am Freitag, hatte er sich ausruhen wollen. Ruhe vor dem großen Ansturm. Stattdessen durfte er hier das Büffet bestücken, Eier kochen und Wurstscheiben aufreihen. Zur Strafe. Obwohl das meilenweit unter seiner Würde war. Oder gerade deshalb.

Er ließ seinen Blick durch den weitläufigen Frühstückssaal schweifen. Wenigstens war alles schon ordentlich eingedeckt. Der Insulaner war beileibe kein kleines Hotel, und es war annähernd ausgebucht. Ab 7.30 Uhr würde hier der Bär steppen. Hoffentlich fehlte dann nicht noch jemand aus der Saisonkräftecrew, dachte Jannik Bartels, sonst musste er womöglich noch Kaffee- und Teekännchen an die Tische bringen! Ihm reichte schon die Aussicht, Rührei und gebratenen Speck en masse produzieren und in die Rechauds schaufeln zu müssen. Genau diese Art Küchenbulle hatte er nie werden wollen. Und war es ja glücklicherweise auch nicht geworden.

Genau genommen war er Thormählen dankbar, dass der Vertrauen in ihn investiert und ihn zum Chefkoch eines solchen Nobelprojektes gemacht hatte. Klar, dabei hatte er auch eine Menge Geld gespart, denn Jannik Bartels’ Gehaltsvorstellungen waren naturgemäß moderat. Aber wenn er es hier schaffte, wenn er und seine Speisekarte bei den Gästen ankamen, dann war es schon bald aus mit der Bescheidenheit. Das stand für ihn fest. Auch wenn er es natürlich eisern für sich behielt.

Er rechnete sich gute Chancen aus. Er hatte bei wahren Künstlern gelernt, Meisterköchen der regionalen wie der internationalen Küche, hatte alles absorbiert, was es über Ingredienzien, Kombinationen und kulinarische Kreationen zu wissen gab. Sein gutes Gespür für Frische und Qualität hatte ihm viel Lob eingetragen, sein unbekümmerter Wagemut bei unkonventionellen Zusammenstellungen sogar Respekt. Seine Prüfer schließlich hatte er bereits mit einem simplen Zwiebel-Ananas-Salat in Verzückung versetzt. Um sie dann mit jedem weiteren Gang eines ausgefuchsten Menüs noch mehr zu verblüffen und zu begeistern.

Für die Weiße Düne hatte er sich eine todsichere Marschroute überlegt. Gerichte mit norddeutschen Wurzeln, aber nach internationalem Standard, wiedererkennbar und doch überraschend. Kess, aber niemanden verschreckend. Pfiffig und trotzdem großzügig. Und natürlich basierend auf dem, was gute Küche in Wahrheit ausmachte: erstklassigen, frischen Zutaten.

Das war zugleich sein einziges echtes Problem. Hier auf der Insel gab es keinen Großmarkt, durch den man frühmorgens schlendern und sich die besten Stücke heraussuchen konnte. Hier wurde man beliefert, und man konnte nur hoffen, dass man auch wirklich das bekam, was man geordert hatte, nämlich erste Qualität. Aber einer wie Jannik Bartels war umtriebig, kannte Gott und die Welt. Und natürlich auch gute Lieferanten. Also konnte er auch in diesem Punkt einigermaßen zuversichtlich sein.

So. Was fehlte noch? Knusprige Brötchen verbreiteten angenehmen Duft, der sich schon bald mit dem von frisch gebrühtem Kaffee mischen und für gute Frühstücksatmosphäre sorgen würde. Tee war in olfaktorischer Hinsicht ja eher enttäuschend, verbreitete höchsten den Geruch von feuchtem Heu. Käse, Wurst und Schinken lagen ordentlich und in ausreichender Menge unter ihren transparenten Abdeckungen, die Säfte waren bereitgestellt, Müsli, Joghurt und Cornflakes platziert, die Rechauds und das heiße Wasser für die Früchtetees blubberten vor sich hin, Milch, Kakao … fehlte noch etwas, oder konnte er sich jetzt der Produktion von »Frühstück englisch« zuwenden?

Halt – frische Früchte! Fast hätte er die vergessen. Er wusste, dass Ananas-, Mango- und Melonenscheiben und allerhand anderes Zeugs vorbereitet und in Folien gehüllt in einem der großen Kühlschränke bereitlagen. Nur musste er sie schleunigst herausholen und anrichten, damit den Gästen nachher nicht vor Kälte die Zähne wehtaten.

Welcher Kühlschrank mochte es sein? Vermutlich der, an dem er noch nicht gewesen war. Schwungvoll riss Jannik Bartels die große Tür auf.

Das Kühlschranklicht blitzte auf. Dann fauchte es laut. Merkwürdig, dachte der junge Koch. Er dachte es in einen Feuerball hinein, der sich ihm entgegenblähte und ihm mit feuriger Zunge übers Gesicht leckte.

Jannik Bartels war nie bei der Bundeswehr gewesen. Aber oft im Kino. Er ging in die Knie, holte Schwung und sprang seitlich weg. Sein Körper rutschte über den glatten Kachelboden, bis er mit dem Kopf gegen die Schwingtüren knallte. Dann brach hinter ihm endgültig die Hölle los.

Wut und Wellen

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