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So ein neues Boot war wie eine neue Freundin, dachte Waldemar Wallmann. Jünger. Glatter. Schlanker. Und mit mehr Pfeffer im Arsch. Ein heißes Teil eben. Etwas, woran man sich aufgeilen und womit man schön angeben konnte. Ach ja, so ein neues Boot, das brauchte man nun mal von Zeit zu Zeit als richtiger Mann. Genauso wie eine neue Freundin eben.

Schade eigentlich, dass er momentan gerade keine hatte. Sonst hätte er der jetzt das neue Schmuckstück zeigen können. Die scharfe Sechszylindermaschine mit Z-Drive, die aus dem trailerbaren Daycruiser einen echten Donnerbolzen machte. Den angesagten Navigationscomputer, der auf seinem coolen Flachbildschirm jederzeit anzeigte, wo auf der Ems man sich gerade befand. Das konnte man zwar auch mit bloßem Auge sehen, aber davon verstanden Schnecken ja sowieso nichts. Schnecken pflegten von so etwas schwer beeindruckt zu sein, und dann konnte man ihnen die schmucke kleine Kajüte näherbringen, um sie auf dem blitzschnell aufklappbaren Dinettenbett gleich mal zu vernaschen. Und ihnen anschließend zu zeigen, wo die Kombüse war.

Ach ja, so ein neues Boot war wirklich eine feine Sache.

Wallmann parkte seinen BMW-Roadster vor dem Haupttor der Marina, schaltete die Scheinwerfer ab und stieg aus. Bequem war er ja nicht, dieser flache kleine Sportwagen. Immerhin maß Wallmann einen Meter 90, und sein Gewicht bewegte sich eingangs der stattlichen Dreistelligkeit. Andererseits war solch eine Karre doch immer noch ein erstklassiger Büchsenöffner. Gerade jetzt, da alle Bemühungen, seine Ex zur Rückkehr zu ihm zu bewegen, noch nicht zum Erfolg geführt hatten. Da brauchte man schon mal eine kleine Zwischenmahlzeit zur Überbrückung. So als Mann.

Vielleicht stoße ich den Roadster doch demnächst ab, überlegte Wallmann, während er über den nächtlich ruhigen Campingplatz hinunter zu den Anlegern schlurfte. Kauf’ mir stattdessen einen fetten Geländewagen, so einen richtigen SUV-Boliden. Pfeif doch auf Spritverbrauch! Oder eventuell diesen Super-Bulli, wie Paul einen hat, voll aufgemotzt, mit allem Schnick und Schnack. Sogar Kühlschrank und überall Getränkehalter. Und hinten drin ein Doppelbett.

Jetzt aber ging Wallmann erst einmal nach seinem Boot sehen. Etwas spät war es zwar dafür, aber früher hatte er beim besten Willen nicht gekonnt. Das Geschäft brummte, und er kam mit seinen Terminen kaum noch nach. Irgendwoher musste das Geld für sein schönes Spielzeug schließlich kommen. Und wenn man ein neues Spielzeug hatte, dann wollte man es auch immer mal wieder in die Hand nehmen, ganz egal, wie spät es war. So ein neues Boot war eben wirklich wie eine neue Freundin.

Das Hafenbecken der Marina Bingum öffnete sich vor ihm wie ein tiefes, dunkles Loch, ringsherum von Deichen eingefriedet, die nur eine schmale seitliche Zufahrt ließen. Bei Niedrigwasser war das hier der reinste Schlickpfuhl, und Wallmann hasste den Gedanken, dass seine kostspielige Neuerwerbung einen Großteil des Tages in einem schmierigen Schlammbett lag, nutzlos wie ein Kurschatten in der Fangopackung. Ein Boot, so fand er, musste jederzeit für ihn bereit und verfügbar sein. Genau wie eine Freundin eben. Aber einen besseren Liegeplatz gab es im näheren Umkreis von Leer nicht. Klar, auch im Stadthafen oder am Kanal in Oldersum lagen Jachten. Aber die waren hinter Schleusen gefangen, die nur zu bestimmten Zeiten und mit langwierigen Manövern zu passieren waren. Auch nicht gerade der Inbegriff von Freiheit. Also Bingum.

Vorsichtig tastete er sich den schrägen Verbindungssteg hinab zu den Schwimmstegen. Die düstere Wasserfläche des windgeschützten Beckens lag da wie ein Spiegel aus schimmerndem Öl, nahezu unbewegt bis auf ein paar winzige ringförmige Wellen, die gelegentlich die unwirkliche Ruhe durchbrachen. Irgendwo bewegte sich jemand auf einem der Boote, vermutlich ein Eigner, der an Bord übernachtete. Was ja nicht unbedingt schlafen bedeuten musste. Wallmann lachte leise vor sich hin.

Auch der Schwimmsteg schickte kleine Wellenringe aus, als er unter Wallmanns Gewicht tiefer eintauchte. Bis zur Box seines neuen Bootes waren es nur ein paar Schritte. Ihm fiel ein, dass er der Neuerwerbung noch gar keinen Namen gegeben hatte. War auch nicht so wichtig, fand er. Gewöhnlich hießen seine Boote Diana, nicht etwa nach dieser toten englischen Prinzessin, sondern nach der römischen Göttin der Jagd. Von der hatte er mal eine geile Abbildung in einem alten Sagenbuch gefunden, damals, als er noch Bücher gelesen, sich aber schon für Frauen interessiert hatte. Ein guter Name, fand Wallmann. Der hatte für seine früheren Boote getaugt, warum also nicht auch für das neue? Seine Freundinnen nannte er schließlich auch alle »Schneckchen«.

Da lag es, sein neues Boot, glatt und weiß und glänzend. Wallmann griff nach der verchromten Bugreling, während er den Stichsteg betrat. Und spürte, dass sich sein Boot bewegte. Ganz leicht nur, aber eindeutig. Kleine, ruckartige Bewegungen, die nur entstehen konnten, wenn jemand an Bord sein Gewicht verlagerte.

Wallmann knurrte. »Wer, zum Teufel … He, raus da!« Der kann was erleben, dachte er. Angst hatte er keine. Wer sein Geld mit der Vermittlung von Leiharbeitern verdiente, dem durfte vor körperlichen Auseinandersetzungen nicht bange sein. Wallmann wusste, was in seinen Ärmeln steckte. Und dass er sich darauf verlassen konnte.

Er spürte, wie das kalte Relingsrohr in seiner Handfläche zum Stillstand kam. Dann ruckte es dermaßen hart, dass es Wallmann fast aus dem Gleichgewicht gerissen hätte. Im nächsten Moment huschte ein Schatten aus der offenen Plicht und landete weiter vorne auf dem schwimmenden Stichsteg, der schwingend nachgab. Das Boot, jetzt ohne Last, holte zur anderen Seite aus. Diesmal verlor Wallmann tatsächlich die Balance. Instinktiv ließ er sich nach hinten fallen, auf den Mittelsteg, um nicht ins schlickige Wasser zu stürzen.

Einen Wimpernschlag später war der Schatten über ihm. Ein Eiszapfen schien sich in Wallmanns Brust zu bohren. Noch einer. Und noch einer. Fassungslos starrte er auf die ausholenden Bewegungen des Angreifers, die gegen den dunklen, wolkenverhangenen Himmel nur schemenhaft zu erkennen waren. Wieder und wieder stach die dunkle Gestalt auf ihn ein. Erst spürte Wallmann nur harte Schläge, hörte, wie etwas knirschend zerriss. Dann spürte er auch wütenden Schmerz.

Ein Irrer, dachte Wallmann. Das ist ein Irrer. Ein Gedanke, der keinen Trost bot.

Jetzt ließ der Angreifer von ihm ab, richtete sich auf. Wallmann versuchte Luft zu holen. Jetzt erst spürte er die Tiefe der Stiche. Er wollte schreien, aber das ging nicht, und es dauerte einen Augenblick, bis er merkte, dass die röchelnden Geräusche, die er vernahm, von ihm selbst stammten.

Der Angreifer gab keinen Ton von sich. Wieder holte er aus, diesmal mit dem Fuß. Wuchtige Tritte trafen Wallmanns Körper, die Hüfte, die Nierengegend, die Rippen. Was will der denn noch, was will denn der, dachte Wallmann. Er kann doch alles haben, mein Geld, mein Boot, meinen Wagen, alles. Soll er sich doch alles nehmen. Was will denn der?

Die Tritte hörten auf. Jetzt bückte sich die Gestalt. Wallmann spürte Hände, fühlte, wie sein schwerer Körper seitlich angehoben und auf den Bauch gerollt wurde. Der Schmerz wurde von Sekunde zu Sekunde höllischer. Wallmann stöhnte laut.

Noch eine halbe Drehung. Eine Metallkante. Dann ein kurzer Fall, ein Klatschen. Kühle umschloss ihn, als sein Körper im Emswasser versank. Von unten konnte Wallmann sehen, wie sich der Wasserspiegel über ihm wieder glättete, bis auf ein paar kleine Wellen, die sich ringförmig ausbreiteten. Dunkle Schlieren strebten der Oberfläche zu. Das muss mein Blut sein, dachte Wallmann, ehe er zu denken aufhörte.

Ein Bett aus Schlick nahm seinen toten Körper auf.

Wut und Wellen

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