Читать книгу Wut und Wellen - Peter Gerdes - Страница 17
12.
Оглавление»Weitergehen.« Lüppo Buss verschränkte die Arme und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass seine Unterarmmuskeln hervorquollen wie Schiffstaue. Seine Mundwinkel senkten sich, als wären sie neugierig auf diesen Anblick. »Weitergehen, verdammt!«
Das angeschnauzte Touristenpärchen machte einen synchronen Satz nach hinten und trollte sich, ebenso erschrocken wie verständnislos.
»Mensch, Lüppo, übertreib’s nicht«, zischte Insa Ukena ihm zu, ohne die Lippen zu bewegen. »Das hier ist immer noch eine Urlaubsinsel und kein Kriegsschauplatz.«
»Ach ja? Mehr Bomben gehen an einem Tag in Bagdad auch nicht hoch. Jedenfalls meistens.« Er warf seinen Kopf in den Nacken und reckte das Kinn. Inselpolizist Lüppo Buss bei der Pflichterfüllung, beim weisungsgemäßen Verscheuchen von Schaulustigen. Wieder einmal. Wenn das kein Fotomotiv war! Wo war jetzt dieser Godehau? Immerhin knipsten ein paar Feriengäste. Aus gebührender Entfernung.
»Was meinst du, was los ist, wenn die ihre Handyfilmchen von dir als Kinderschreck direkt an de Beer schicken, verbunden mit einer fetten Dienstaufsichtsbeschwerde?«, warnte Insa Ukena. »So etwas könnte er jetzt am wenigsten brauchen, und das würde er dich auch ganz schön spüren lassen.«
»Dedo de Beer.« Der Inselpolizist spuckte den verhassten Namen förmlich aus, Silbe für Silbe. »Der interessiert sich doch einen Dreck für uns. Vor allem für mich! Guck dir doch an, wie er uns einsetzt. Schon wieder Tatortsicherung! Ist das eine Art? Zeugt das von Respekt? Ganz im Gegenteil, das weißt du doch selber.« Trotzdem ließ Lüppo Buss ein wenig Luft ab und lockerte seine bedrohliche Armschranke. »Sind wir nicht die einzigen Polizeibeamten auf der ganzen Insel, die überhaupt nicht in die Ermittlungen einbezogen werden? Und das, obwohl wir uns hier am besten auskennen? Nach dem zweiten Anschlag in kürzester Zeit steppt hier doch endgültig der Bär. Und de Beer braucht jeden Mann, das heißt, er braucht auch uns! Und was ist? Platzordner dürfen wir spielen. Das sagt doch wohl alles über diesen Mann.«
Insa Ukena fixierte ihren Kollegen und stemmte beide Hände in die Hüften: »In Wahrheit sagt es nur etwas über dich aus! Wenn du dich nicht so stieselig anstellen würdest, wenn du nur etwas kooperativer wärst, dann würde man uns vielleicht auch mehr in eines der Teams einbeziehen. Aber so abweisend, wie du dich aufführst, erscheint das doch von vornherein zwecklos! Also lässt man dich lieber außen vor, lässt dich Tätigkeiten verrichten, bei denen du nicht nerven kannst.« Sie schluckte: »Und mich immer gleich mit. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?«
Lüppo Buss öffnete den Mund, aber schloss ihn gleich wieder. Brennende Röte stieg ihm in die Wangen. Hatte seine Kollegin etwa recht? War er, war sein eigenes Benehmen wirklich schuld an seiner momentanen Außenseitersituation? Und hatte er in seiner gedankenlosen Ichbezogenheit wirklich übersehen, dass er seine Kollegin mit in die dienstliche Isolation gezogen hatte? War er, knapp zusammengefasst, wirklich der Stinkstiefel, als den sie ihn soeben bezeichnet hatte, durch die Blume natürlich, aber doch unmissverständlich?
Er schaute Insa an. Auch sie war leicht rot im Gesicht, aber ihre Miene war entschieden. Sie meinte, was sie gesagt hatte.
Lüppo Buss dachte an das Gespräch, das er am Mittag mit diesem Marian Godehau geführt hatte. Informationsgrundlage für das versprochene Porträt. Der Journalist hatte sich im Knurrhahn mit ihm getroffen und während des Essens – zweimal Kutterscholle, sehr lecker – ein paar Notizen auf seinen Block gekritzelt. Dann hatte er noch zwei Fotos geschossen und sich nach einem Handygespräch eilig verabschiedet. Ohne zu bezahlen, wie der Inselpolizist wenig später vom Wirt erfuhr. Zähneknirschend hatte er die Zeche mit übernommen, aus Sorge, Godehau sonst zu verärgern.
Was für eine Meinung hatte der Journalist wohl von ihm? Und was würde morgen über ihn in der Zeitung stehen?
Lüppo Buss wurde bewusst, dass er Insa Ukena sekundenlang angestarrt hatte, ohne sie zu sehen, geschweige denn auf ihre Worte zu reagieren. Sie wandte sich ab und verschränkte ihrerseits die Arme. Na toll, jetzt war sie endgültig sauer auf ihn.
Die Menge der Schaulustigen war derweil weiter angewachsen und drängte wieder näher heran. Eine füllige Dame, die in verschiedenen Rottönen leuchtete, stellte sich auf die Zehenspitzen, um nur ja nichts zu verpassen. Lüppo Buss erkannte sie sofort und schaltete wieder um auf grimmig. Die Marmeladentante mit ihrer Vergiftungstheorie und ihrem undichten Gatten! Die hatte ihm gerade noch gefehlt.
Ein vierschrötiger, etwa 50-jähriger Mann mit einem Rucksack über der Schulter drängte die Frau rüde beiseite und baute sich mit wichtiger Miene vor dem Inselpolizisten auf. »Moin, Lüppo! Muss ich meinen Ausweis zücken, oder lässt du mich auch so durch?«
Lüppo Buss tippte sich grüßend an den Mützenschirm. »Weder noch«, erwiderte er bedauernd. »Absolut kein Durchgang hier, nicht einmal für die Presse.« Er grinste: »Und für Aushilfsschreiberlinge wie dich schon gar nicht. Was machst du überhaupt hier? Warum kommt denn dein neuer Chef aus der großen Stadt nicht selbst?«
Der Vierschrötige, dessen Dreitagebart mindestens eine Woche alt war, winkte ab. »Lass mal stecken. Mein Chef, der hat gerade ein gaaanz wichtiges Kaffeetrinken, das hätte er nicht einmal abgesagt, wenn die halbe Insel in Flammen stünde. Jedenfalls klang er so. Tja, jetzt bin ich also hier der wichtige Paparazzo. Und muss nicht in der Gegend rumstehen wie ein Hiwi – ganz im Gegensatz zu dir.« Er wandte Lüppo Buss, der an dieser Kröte zu schlucken hatte, den Rücken zu und begrüßte Insa Ukena. »Und? Wie beurteilt ihr Kriminalisten die Lage? Haben wir es hier mit der jüngsten Aktion von Al-Qaida zu tun?«
Die Oberkommissarin lachte. »Auch nicht wahrscheinlicher als irische Protestanten oder baskische Katholiken, Keno! Tatsache ist, wir haben noch nicht die leiseste Ahnung, wer hinter den beiden Anschlägen steckt.« Sie senkte die Stimme: »Aber das hast du im Zweifelsfall nicht von mir, klar?«
»Sonnenklar.« Keno Gautier, freier Mitarbeiter des Inselboten, zwinkerte der Polizistin verschwörerisch zu. »Auf jeden Fall sind hier aber Profis am Werk, oder? Ich meine, zwei Sprengungen, meine Fresse! Das erfordert Sachverstand. Und Verbindungen, um an die notwendigen Materialien zu kommen. Das waren doch sicher organisierte Spezialisten.«
Insa Ukena schüttelte lächelnd den Kopf. »Was du dir so vorstellst! Nee, Keno, so hoch hängt das vielleicht gar nicht. Im Hotel heute früh, das waren Propangas und Schwarzpulver, und so etwas ist ziemlich leicht zu besorgen beziehungsweise anzumischen. Und das hier …« Sie schaute sich um. Alles starrte auf das Ferienhaus, in dessen Dach ein riesiges Loch klaffte, und Lüppo Buss war eindeutig mit sich selbst beschäftigt. »Das war ebenfalls Propangas. Eine ganze Flasche! Jemand hat eine Glühbirne im ersten Stock präpariert, also das Glas entfernt, ohne den Glühfaden zu beschädigen, und dann das Gas ausströmen lassen«, erklärte sie mit gedämpfter Stimme. »Als die Gäste eintrafen und das Licht anknipsen wollten, erfolgte die Explosion. Derselbe Trick kam auch heute früh zur Anwendung. Ganz simpel, oder? Dazu brauchst du keine Russenmafia.«
Keno Gautier guckte richtig enttäuscht. Offenbar hatte er mit einer anderen Auskunft gerechnet. »Aber Know-how brauchst du schon«, erwiderte er. »Gab es denn Opfer?«
»Ein Verletzter«, antwortete die Oberkommissarin. »Der Feriengast, der den Schalter betätigt hat. Mittlere Verbrennungen. Müsste schon per Flieger unterwegs zum Festland sein, ins Krankenhaus.« Natürlich war sie zu solchen Auskünften überhaupt nicht befugt, und das war ihr auch klar. Aber da die Ermittlungsgruppe aus Wittmund so tat, als gehöre sie, Insa Ukena, nicht dazu, hatte sie beschlossen, auch ihrerseits so zu tun. Manchmal, dachte sie, kann ich nämlich auch ganz schön stieselig sein. Wie um das zu bekräftigen, ergänzte sie: »Es handelt sich übrigens um den Vater von Jannik Bartels, unserem neuen Koch.«
»Ach.« Keno Gautier rieb sich das kantige Kinn, dass die Bartstoppeln knisterten. »Dann war die Familie Bartels in beiden Fällen das Ziel der Anschläge! Warum denn das? Weiß man schon einen möglichen Grund?«
»Gar nichts weiß man, das sagte ich doch schon.« Jetzt ärgerte sich Insa Ukena doch über ihre eigene Geschwätzigkeit. Natürlich war auch ihr nicht entgangen, dass die Opfer der beiden Explosionen Vater und Sohn waren. Aber waren sie auch tatsächlich die Ziele gewesen? Dass Jannik Bartels heute früh als Erster den präparierten Kühlschrank öffnen würde, konnte doch niemand wissen. Niemand außer Thormählen, dem Hotelbesitzer, der den kleinen Koch zum Frühdienst eingeteilt hatte. Und wer konnte ahnen, dass Bartels Senior heute anreisen und ausgerechnet hier Quartier nehmen würde?
Hm. Jannik, klar. Und der Vermieter natürlich.
Insa Ukena stupste Lüppo Buss an, der leicht zusammenzuckte. »Wem gehört das Ferienhaus hier eigentlich?«
»Dies hier?« Der Oberkommissar musste sich kurz besinnen. »Einem gewissen Overbeck, Thomas Overbeck. Wohnt irgendwo auf dem Festland. Musste ihn mal anrufen, weil hier eingebrochen worden war, vor zwei oder drei Monaten. Ich glaube, der ist nicht einmal hergekommen. Warum fragst du?«
»Nur so.« Insa Ukena zuckte die Achseln. Der Name sagte ihr nichts.
Keno Gautier entfernte sich seitlich, die Digitalkamera in Vorhalte, auf der Suche nach dem optimalen Winkel zum Motiv, dem Haus mit dem Krater im Dach. Lüppo Buss und Insa Ukena blickten ihm nach. »Was findest du eigentlich an diesem Typ, dass du so angeregt mit ihm plauderst?«, fragte der Inselpolizist abfällig. »Ziemlich abgerissene Erscheinung, wenn du mich fragst. Noch ein Fleck mehr auf dem Hemd, und er könnte als Penner durchgehen.«
»Was willst du? Ist doch ein netter Kerl«, protestierte Insa Ukena. »Und ’ne arme Socke außerdem. Schlägt sich mit allerhand Gelegenheitsarbeiten durch. Dass Marian Godehau ihn für den Inselboten schreiben lässt, ist für ihn bestimmt ein Geschenk des Himmels. Und es beweist ja auch, dass Keno ganz schön was auf dem Kasten hat.«
Lüppo Buss schnaubte leise; seine Meinung von journalistischer Intelligenz war nicht sonderlich hoch angesetzt. Er hatte schon seinen Mund zu einer weiteren abfälligen Bemerkung geöffnet, als er plötzlich innehielt. »Siehst du den da?«, fragte er leise.
Insa Ukenas Blick war dem ihres Kollegen gefolgt. Keno Gautier hatte sich gerade an einem alten Mann mit Schiffermütze vorbeigedrängt, der leicht gebückt in der Menge stand, auf einen stabilen Stock gestützt, das kantige Kinn vorgestreckt und den faltigen, zahnlosen Mund zu einem Lächeln verzogen. »Meinst du den Methusalem?«, fragte sie ebenso leise zurück.
»Ja, genau. Das ist doch einer von dieser Viererbande, du weißt doch, einer von den vier alten Säcken, die immer am Bahnhof hocken und über die Touristen herziehen. Hat doch gerade erst in der Zeitung gestanden.«
»Stimmt.« Insa Ukena nickte. »Und?«
»Na, guck ihn dir doch an!« Der Inselpolizist musste sich sehr beherrschen, um nicht mit dem Finger auf den alten Mann zu zeigen. »Steht da, glotzt das zerstörte Haus an und grinst.«
»Na und? Die halbe Insel steht hier und glotzt«, sagte Insa Ukena ungerührt. »Von den geschmähten Touristen ganz zu schweigen. Denen wird hier doch mal richtig was geboten.«
»Stimmt«, sagte Lüppo Buss. »Sie stehen und glotzen. Aber grinsen sie etwa?«
Die Oberkommissarin starrte ihren Kollegen einen Moment lang mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Du meinst …« Dann wandte sie ihren Blick ab, zurück zu dem Punkt, wo der alte Mann gestanden hatte.
Er war verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt.
»Wie macht man den Touristen Langeoog madig?«, murmelte Lüppo Buss. »Eine Explosion in einem Hotel, eine zweite in einem Ferienhaus. So dass man sich nirgends mehr sicher fühlen kann. Wo geht die nächste hoch? Im Haus der Insel, während eines Konzerts oder einer Lesung?«
»Da wohl kaum«, erwiderte Insa Ukena nachdenklich, »da hat doch Dedo de Beer sein Hauptquartier aufgeschlagen, mitsamt seinem Gefolge. Dort wimmelt es nur so von Polizei.«
»Na und? Dann fliegt als Nächstes eben eine Pension in die Luft. Oder ein Restaurant. Oder ein paar Strandkörbe gehen in Flammen auf.« Der Inselpolizist redete sich regelrecht in Hitze. »Wenn die vier alten Miesepeter tatsächlich hinter diesen beiden Attentaten stecken, dann lassen sie es damit bestimmt noch nicht gut sein. Läuft doch prächtig für sie!« Er ballte die Fäuste: »Ich möchte nur zu gerne wissen, wo sie beim nächsten Mal zuschlagen.«
»Warum? Um es brühwarm dem Ermittlungsleiter zu erzählen?«, fragte Insa Ukena.
Ihr Kollege verschränkte wieder seine muskulösen Arme. »Noch wissen wir ja gar nichts. Gibt nichts zu berichten. Denk’ ja gar nicht dran. Ich mach mich doch nicht lächerlich.«
Wenn er nur wüsste, wie lächerlich er jetzt gerade aussieht, dachte Insa Ukena. Irgendwann sage ich ihm das mal. Aber nicht jetzt. »Weißt du«, sagte sie stattdessen, »es muss ja nicht unbedingt eine Bombe sein.«
»Was? Du meinst, der nächste Anschlag könnte …«
»Der nächste Anschlag«, unterbrach ihn die Oberkommissarin, »könnte doch bereits geschehen sein.«
Sie schwiegen beide, und sie konnte sehen, wie es in ihm arbeitete.
Dann sagte er: »Du hast recht. Ich sollte diese Marmelade doch einschicken. Zur Laboruntersuchung.«
»Nicht mehr nötig«, sagte sie. »Habe ich schon erledigt.«