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6. Gefälligkeit und Rechtsgeschäft

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Rechtsgeschäfte sind von Geschäften unterhalb der Ebene des Rechts, den sog. reinen Gefälligkeiten, abzugrenzen.[60] Alltäglich ist der persönliche Austausch auf gesellschaftlicher Ebene, der zwar in Form des Rechtsgeschäfts vorgenommen werden könnte, aber nicht wird. Es fehlt üblicherweise am Willen, sich rechtlich zu binden (z.B. Lottospielgemeinschaft,[61] Einladung zum Essen, Winkzeichen zum Herausfahren aus einer Parklücke,[62] kostenlose Mitnahme im Pkw[63]). Ein erkennbarer Rechtsbindungswille wird über Indizien bestimmt, wie z.B. die erkennbare wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, den Wert der anvertrauten Rechtsgüter, die in Anspruch genommene Sachkunde,[64] die Zumutbarkeit im Hinblick auf das Schadensrisiko und ein mögliches Eigeninteresse des Leistenden.[65] Maßgebend ist bei der Abgrenzung zwischen einer Willenserklärung und einer Gefälligkeitserklärung eine Auslegung analog §§ 133, 157 BGB (objektiver Empfängerhorizont!).[66] Fehlt es an einem erkennbaren Rechtsbindungswillen, so ist der objektive Tatbestand einer Willenserklärung zu verneinen.

Die Abgrenzungsprobleme zwischen der reinen Gefälligkeit, den Gefälligkeitsverhältnissen und den Gefälligkeitsverträgen (Schenkung [§ 516 BGB], Leihe [§ 598 BGB], unentgeltliche Verwahrung [§ 688 BGB], Auftrag [§ 662 BGB, mit Einschränkung des § 670 BGB]) sind für Haftungsfragen von Bedeutung. Anders als bei den echten Gefälligkeitsverträgen ist die Haftung bei den Gefälligkeitsverhältnissen und der reinen Gefälligkeit nicht gesetzlich geregelt. Mangels erkennbaren Rechtsbindungswillens existieren bei der reinen Gefälligkeit weder vertragliche Primär- noch Sekundärpflichten, wohl aber verbleibt es bei der Schadenshaftung nach Deliktsrecht. Eine Haftung wegen einer Schutzpflichtverletzung (§§ 280 I, 241 II BGB) kommt dagegen nur ausnahmsweise in Betracht.[67]

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Probleme tauchen hinsichtlich der Reichweite der Haftung auf, so z.B. ob der Gast auf Schadensersatz haftet, wenn er ein Glas Rotwein umwirft und dabei das Tischtuch des Gastgebers und das Hosenbein des neben ihm sitzenden Gastes verunreinigt.

Eine Lösung der Problematik besteht darin, eine konkludente vertragliche Haftungsmilderung anzunehmen. Doch fehlt bei reinen Gefälligkeiten gerade eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung und regelmäßig der Wille, eine Haftungsmilderung zu vereinbaren. Deshalb bleibt nur die Annahme einer gesetzlichen Haftungsmilderung.[68] Da das BGB in § 521 BGB (Schenkung), § 599 BGB (Leihe) und 690 BGB (unentgeltliche Verwahrung) Haftungsmilderungen für bestimmte unentgeltliche Rechtsverhältnisse gewährt, sind diese Milderungen auch für Deliktsansprüche zu gewähren, wenn es sich um Schädigungen bei unverbindlichen Gefälligkeiten handelt.

Die Annahme einer gesetzlichen Haftungsmilderung ist nicht unproblematisch. Die gesetzlichen Haftungsmilderungen gelten nur für den Schenker (§ 521 BGB), den Verleiher (§ 599 BGB) und den unentgeltlichen Verwahrer (§ 690 BGB). Bei auftragsähnlichen Dienstleistungen soll keine Haftungsmilderung eingreifen, weil auch das Auftragsrecht keine derartige gesetzliche Regelung kennt. Der Geschäftsführer ohne Auftrag haftet nur milder, wenn die Geschäftsführung eine dringende Gefahr abwenden sollte (§ 680 BGB).

Nach einer anderen Ansicht ist danach zu differenzieren, welcher Art die gefälligkeitshalber gewährte Leistung ist.[69] Bei einem deutlichen Überwiegen des haftungsrechtlich privilegierten Teils soll die Haftungsmilderung auch auf die übrigen Teile erstreckt werden. Die Zufallsergebnisse, die daraus entstehen, lassen sich aber nicht rechtfertigen. Falls eine Einordnung der gewährten Leistung nicht eindeutig möglich ist, wird man es bei der nach geltendem Recht vollen Deliktshaftung belassen müssen.

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Fall 8:

A bat seinen Nachbarn B, während eines Kuraufenthalts sein Haus zu versorgen und den Garten zu bewässern. Am 10. Juni bewässerte B den Nachbargarten mit einem an eine Außenzapfstelle des Hauses montierten Wasserschlauch. Anschließend drehte er die am Schlauch befindliche Spritze zu, stellte aber nicht die Wasserzufuhr zum Schlauch ab. In der Nacht vom 10. auf den 11. Juni löste sich der weiter unter Wasserdruck stehende Schlauch aus der Spritze. In der Folge trat aus dem Schlauch eine erhebliche Menge Leitungswasser aus, lief in das Gebäude des A und führte im Untergeschoss zu Schäden. B ist für Schäden bei Nachbarschaftshilfe und Gefälligkeitshandlungen privat haftpflichtversichert. Der Privathaftpflichtversicherer hat allerdings eine Regulierung abgelehnt. Hat A gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz?[70]

Lösung:

I. A könnte gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280 I, 241 II BGB wegen einer Schutzpflichtverletzung aus einem Auftrag (§ 662 BGB) haben. Fraglich ist, ob A und B eine unentgeltliche Übernahme der Gartenbewässerung vertraglich vereinbart haben oder lediglich von einem reinen Gefälligkeitsverhältnis (unter Nachbarn) auszugehen ist. Im Wege der Auslegung ist aus der Perspektive eines objektiven Empfängers (analog §§ 133, 157 BGB) zu entscheiden, ob die Parteien einen erkennbaren Rechtsbindungswillen hatten. Indizien dafür sind die erkennbare wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, der Wert der anvertrauten Rechtsgüter, die in Anspruch genommene Sachkunde, die Zumutbarkeit im Hinblick auf das Schadensrisiko und ein mögliches Eigeninteresse des Leistenden. Besondere Risiken (etwa für besonders wertvolle Pflanzen) übernahm B mit der Gartenbewässerung nicht. Vielmehr handelte es sich bei dieser Nachbarschaftshilfe um eine übliche soziale Gepflogenheit, bei der B weder eine eigene Sachkunde einbrachte noch ein Eigeninteresse verfolgte. Es ist von einer reinen Gefälligkeit auszugehen. Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch scheidet daher aus.

II. Ein Anspruch nach §§ 280 I, 311 II Nr. 3, 241 II BGB setzt einen ähnlichen geschäftlichen Kontakt voraus. An einer Rechtsgeschäftsähnlichkeit fehlt es aber gerade bei der reinen Gefälligkeit und Nachbarschaftshilfe des B, bei der es sich um einen bloßen sozialen Kontakt handelt.

III. In Betracht kommt ferner ein Anspruch gemäß §§ 280 I, 241 II BGB wegen einer Pflichtverletzung im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 677 BGB). B handelte jedoch aus Gefälligkeit und damit nicht ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung im Sinne des § 677 BGB. Im Übrigen würde eine derartige Haftungskonstruktion die Wertungen aus dem Vertragsrecht hinsichtlich einer gerechten Risikoverteilung konterkarieren.

IV. Eine Haftung könnte sich aber aus § 823 I BGB ergeben. B hat es unterlassen, nach dem Bewässern des Gartens den Außenwasserhahn abzudrehen. Aufgrund dieses vorangegangenen Tuns (Aufdrehen des Hahns und Gießen) bestand für ihn eine Rechtspflicht zum Handeln, nämlich die Wasserzufuhr zum Schlauch wieder abzustellen. Infolge des Versäumnisses des B baute sich der Wasserdruck auf; der Schlauch löste sich aus der Spritze und aus dem Schlauch trat eine erhebliche Menge Leitungswasser aus. So kam es zu Schäden im Untergeschoss des Gebäudes, mithin zu einer Verletzung des Eigentums des A. Dies geschah rechtswidrig und aus Unachtsamkeit (d.h. Fahrlässigkeit, § 276 II BGB) des B. Demnach besteht eine Haftung des B aus § 823 I BGB.

Fraglich ist aber, ob bei reinen Gefälligkeiten für eine Haftungsprivilegierung (Haftung nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit bzw. nur für diligentia quam in suis, § 277 BGB) analog §§ 521, 599, 690 BGB zu votieren ist. Gegen eine solche Privilegierung spricht, dass das Gesetz derartige Haftungsprivilegien nur vereinzelt und nicht für alle unentgeltlichen Rechtsverhältnisse vorsieht. Es handelt sich daher um keinen allgemeinen Rechtsgedanken (siehe nur die fehlende Bestimmung im Auftragsrecht).

A und B müssten somit einen Haftungsverzicht oder eine Haftungsbeschränkung vereinbart haben. Ausdrücklich geschah dies nicht. Fraglich ist, ob diese Vereinbarung ggf. konkludent erfolgte oder im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) anzunehmen ist. Dagegen spricht, dass es sich um eine künstliche Konstruktion bzw. eine Willensfiktion handelt, die rein ergebnisorientiert ausfällt. Grundsätzlich setzt die Annahme einer Haftungsprivilegierung voraus, dass „der Schädiger, wäre die Rechtslage vorher zur Sprache gekommen, einen Haftungsverzicht gefordert und sich der Geschädigte dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung billigerweise nicht hätte versagen können.“[71] In casu war B für Schäden bei Nachbarschaftshilfe und Gefälligkeitshandlungen privat haftpflichtversichert. Dies spricht regelmäßig gegen die Annahme einer Haftungsbeschränkung, die in einem derartigen Fall nur dem Versicherer des Schädigers zugutekäme und bei einer bestehenden Gebäudeversicherung zu Lasten des Versicherers des Geschädigten ausschlagen würde. Um mögliche Entlastungen von Versicherern geht es den Parteien redlicherweise nicht. Das Bewässern eines Gartens durch den Nachbarn ist zudem keine besonders gefahrgeneigte Tätigkeit, sodass das bestehende Haftungsrisiko für B hinnehmbar bleibt. A und B haben keine Haftungsprivilegierung vereinbart. A hat daher gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB.

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