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Der Gastarbeiter

Drei Monate nach Eingang der ersten Unterhaltszahlung traf ein Brief von meinem Vater für mich ein. Er bestand aus vier oder sechs Zeilen, war mit unsicherer Hand und in schlechtem Deutsch geschrieben. Er wohne nach wie vor in Fürth, schrieb er, und wolle mich gerne kennenlernen.

Ich fand seinen Vorschlag seltsam, nach so vielen Jahren. Andererseits dachte ich, dass er sich vielleicht nicht getraut hatte, Kontakt zu mir aufzunehmen. Ich wusste ja nicht, wie es damals zwischen ihm und meiner Mutter gelaufen war. Möglicherweise fühlte er sich noch immer verletzt.

Ich schrieb zurück, worauf er ein Treffen in der Bar eines exklusiven und zentral gelegenen Hotels in Nürnberg vorschlug. Im damals schicksten Hotel überhaupt, was mich wunderte. Ob er mir damit imponieren wollte?

Ich dachte nicht weiter darüber nach, war aber ziemlich aufgeregt, als ich zum verabredeten Zeitpunkt die Hotelbar betrat. Es befanden sich kaum Leute dort, und ich lief direkt auf den Mann zu, den ich am Tresen entdeckte. Was mir sofort auffiel: Er hatte sich mit seinem Äußeren Mühe gegeben, trug Anzug und Krawatte und wirkte gepflegt. Dass er mich umarmen wollte, ignorierte ich und reichte ihm die Hand. Was wir zu trinken bestellten? Keine Ahnung.

In meiner Erinnerung versuchte mein Vater, das Gespräch ziemlich schnell auf „früher“ zu bringen. Doch ich wollte nicht zulassen, dass er über meine Mutter zu schimpfen begann. Offen gesagt, war ich auch nicht an der Vergangenheit interessiert. Ich saß einem mir fremden Menschen gegenüber und wollte keine Vertraulichkeiten austauschen, vorläufig jedenfalls. Ich wollte wissen, wer er ist, was er zu sagen hat und wie ernst es ihm mit unserem Kennenlernen war.

Wir verbrachten eine Stunde zusammen. Eine Stunde, von der mir kaum etwas in Erinnerung geblieben ist, außer der Erkenntnis, dass mir im Leben nichts fehlte.

Einige Monate später ließ ich seine monatliche Unterhaltszahlung zurückgehen. Ich hatte sie ein Jahr lang bezogen, jetzt brauchte ich das Geld nicht mehr.

Kontakt pflegten wir keinen.

Erst viele Jahre später glaubte meine damalige Lebensgefährtin, meinen Vater (vom Gefühl her sah ich ihn lediglich als meinen Erzeuger an) und mich unbedingt noch einmal zusammenbringen zu müssen. Sie war mit einem Türken liiert gewesen, hatte von ihm einen Sohn und sprach fließend Türkisch. Doch das zweite Treffen hätten mein Vater und ich uns sparen können.

Wir trafen uns in einem Dönerladen. Ich war mittlerweile beruflich erfolgreich und fuhr mit meinem Porsche 911 vor, einem Cabriolet, das ich mir gerade gekauft hatte.

Die Begrüßung verlief sachlich. Wir redeten Small Talk. Plötzlich fragte er mich, ob ich verheiratet sei.

Ich verneinte.

Daraufhin betrachtete er mich kritisch, ja geradezu vorwurfsvoll. Ob ich denn nichts aus meinem Leben machen wolle?

Ich konnte mit der Frage wenig anfangen und zuckte mit den Schultern.

Nun, ob ich nicht eine türkische Frau heiraten wolle?

Mir gingen in dem Moment viele Dinge durch den Kopf, angefangen von meinem mittlerweile beruflichen Erfolg in der Finanzdienstleistungsbranche, meinem neuen, nicht gerade preiswerten Auto, bis hin zu meiner deutschen Freundin, die sich mit der türkischen Mentalität auskannte, sich in seiner Sprache mit ihm unterhalten und das Treffen organisiert hatte.

Was also sollte das Gerede? Was wollte dieser Mann von mir?

Ich brach unsere Unterhaltung ziemlich schnell ab. Mir fehlte das richtige Vokabular. Und die nicht gerade freundlichen Sätze und Wörter, die sich auf meine Zunge drängten, hielt ich mühsam zurück.

Dreizehn Jahre später, im Jahr 2019, ergab sich eine dritte Begegnung. Mein Vater hatte erfahren, dass mir ein Gebäude gehörte, in dem sich ein Restaurant mit Café befand. Ich hatte beides verpachtet, was er nicht wusste. Jedenfalls hoffte er, mich oder meine Mutter, die in der Nähe wohnte, dort anzutreffen. Tatsächlich suchte meine Mutter das Café aufgrund familiärer Verbindungen manchmal auf, und so kam es zu einem zufälligen Treffen. Keine Ahnung, wie dieses verlief, doch er bat sie, einen Termin zwischen ihm und mir zu vereinbaren. Und ja, sie sollte unbedingt mit dabei sein.

Ich war nicht scharf auf eine erneute Begegnung, verweigerte mich aber auch nicht. So kam es, dass mein Vater und meine Mutter mich an einem Sonntagnachmittag besuchten.

Wenn mich jemand gefragt hätte, wie ich wohne, so hätte ich gesagt: „Na ja, ganz normal halt.“ Doch das stimmte wahrscheinlich nicht, weil das moderne Ambiente und die exklusive Ausstattung dann doch über dem Durchschnitt lagen. Mein Vater jedenfalls fühlte sich vom ersten Moment an sichtlich unwohl, das sah ich ihm an. Ich weiß bis heute nicht, was er von mir wollte. Zu einem lockeren Gespräch kam es nicht, vielmehr wirkte alles ziemlich unterkühlt.

Bevor er sich verabschiedete, machte meine Freundin, die mit dabei war, ein Foto von meiner Mutter, meinem Vater und mir, und ich dachte: Okay, das Foto hast du jedenfalls. Zum Schluss bat er um meine Handynummer, die ich ihm gab. Er wollte am nächsten Tag nach Izmir fliegen, wo er wohl mehrere Häuser besaß.

Er hätte fragen können, ob ich nicht mal in die Türkei mitkommen will, ging mir durch den Kopf, als ich ihm zum Abschied die Hand reichte. Doch er fragte nicht und er meldete sich auch nicht per Handy bei mir.

Es gab dann noch eine seltsame Situation, einige Monate später. Ich arbeitete im Büro gerade an einem Konzept für einen neuen Kunden. Meine Sekretärin betrat das Zimmer und sagte, wobei sie erschrocken wirkte: „Herr Götz, im Empfang ist ein älterer Herr mit einem Stock, der schaut aus wie ein Türke und fragt nach einem Peter. Der murmelt so komisch vor sich hin. Ich verstehe ihn kaum.“

Das ist mein Vater, dachte ich, und erinnerte mich, dass er sich bereits bei unserer letzten Begegnung auf einen Stock gestützt hatte.

Ich wollte nicht wissen, was er von mir wollte. Offen gesagt, interessierte es mich nicht. Ich überlegte kurz und sagte dann: „Schicken Sie ihn weg. Sagen Sie, ich bin in einer Besprechung.“

Die letzte Szene, wie soll ich sie beschreiben? Schön wäre für den Leser oder die Leserin, wenn die Geschichte einen herzerwärmenden Ausgang fände, mit Gefühlen, Hoffnung und allem Drum und Dran. Doch hier muss ich leider enttäuschen. Ganz ehrlich, ich war froh, als er weg war, wirklich froh! Denn mir war klar, wir würden uns nie wieder begegnen.

Was ich von ihm weiß? Er kam in den 1960er Jahren als türkischer Gastarbeiter nach Deutschland. Mit fünfundzwanzig Jahren wurde er durch einen Unfall berufsunfähig und erhält seitdem eine Berufsunfähigkeitsrente. Die Rente ermöglichte es ihm, nie wieder arbeiten zu müssen. Er ist mit einer Türkin verheiratet, hat mehrere Kinder und lebt in Fürth und Izmir.

Aus der Gosse in den Porsche

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