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Rebell auf ganzer Linie

In der Grundschule waren meine Noten wegen der zahlreichen Umzüge und Schulwechsel eine einzige Katastrophe, und ich musste jedes Mal um meine Versetzung bangen. Trotz der widrigen Umstände schaffte ich es in die Hauptschule. Und gerade dann wurde meiner Oma für sich und ihre Familie vom Sozialamt eine komfortablere Sozialwohnung zugewiesen. Eigentlich super, doch leider zwei Kilometer von unserem ursprünglichen Bezirk entfernt.

Für mich bedeutete das eine sehr, sehr schlechte Nachricht, denn den Bezirk zu wechseln hieß zwangsläufig, eine andere Schule zu besuchen. Aber was sage ich, ein erneuter Wechsel wäre einem Weltuntergang gleichgekommen, wo ich doch endlich Freunde gefunden hatte, von denen ich mich keinesfalls trennen wollte.

Zum Glück erkannte eine Lehrerin den vermeintlichen Weltuntergang und setzte sich für mich ein: „Der Junge würde jetzt zum sechsten Mal die Schule wechseln, das können wir ihm nicht zumuten!“ Ich bekam eine Ausnahmegenehmigung und durfte bleiben.

Ich war mittlerweile zwölf Jahre alt und ging in die sechste Klasse. An meinem grundsätzlichen Desinteresse an allem, was Schule betraf, hatte sich trotz der guten Nachricht nichts geändert. Ich besaß keinerlei Ehrgeiz, die Noten waren mir egal, und wenn die Lehrer wie bekloppt auf mich einredeten, schaltete ich auf Durchzug.

Kurz vor der Versetzung in die siebte Klasse gab es gewisse Umstrukturierungen, mit dem für mich positiven Ergebnis, dass ich beim Hauptkern der Schüler bleiben durfte. Ich schien eine Glücksphase erwischt zu haben, denn es sollte so weitergehen. Wir bekamen einen neuen Lehrer!

Ganz klar, die Tatsache, dass uns Herr K., ein sportlich dynamischer und noch relativ junger Mann, ab sofort unterrichtete, hätte auch schiefgehen können. Man sieht einem Menschen ja nicht gleich an, ob er gute Nerven hat und in der Lage ist, mit einer Horde „hoffnungsloser Fälle“, wie wir es immer wieder zu hören bekamen, umzugehen. An der Inflation schlechter Noten war schon so mancher gescheitert. Und nicht jeder hatte den Nerv, ohne Tobsuchtsanfall und Schlüsselbundwerfen eine doppelte Schulstunde durchzustehen.

Herr K. ließ sich nicht provozieren. Er begegnete uns … nein, nicht auf Augenhöhe, doch er versetzte sich in unser Sozialgefüge und drückte mit seiner Körpersprache aus: Ich bin einer von euch! Er war ein cooler Typ, der unsere Sprache sprach, zuhören konnte und es verstand, an unsere Ehre zu appellieren, anstatt zu maßregeln. Er gab uns die Richtung vor.

Ich schreibe das aus heutiger Sicht, denn damals provozierte ich ihn zunächst genauso wie die zahlreichen Lehrer zuvor – dreist, anmaßend und mit absolutem Selbstverständnis.

So kam es, dass er mir zweimal eine knallte. Es sprach für ihn, dass ich mich anschließend bei ihm für meine Provokation entschuldigte. Er hatte ja gar nicht anders gekonnt, als gegen mich Hand anzulegen. Das zu erkennen, so weit hatte mich seine soziale Kompetenz, die er uns immer wieder versuchte in Diskussionen zu vermitteln, längst gebracht.

Ich nahm vieles an, was er vorschlug und uns beibrachte. Vor allem begann ich, mich zu Hause hinzusetzen und die Schulbücher nicht nur lustlos durchzublättern, sondern darin zu lesen. Ach, was sage ich. Ich meldete mich in der Stadtbücherei an und lieh mir Bücher aus. Es gefiel mir plötzlich, in den Schriften Worte zu entdecken, die ich vorher noch nie gehört hatte. Wenn ich dann noch den Sachverhalt begriff und im Schulunterricht Fragen richtig beantworten konnte, war ich stolz auf mich. Das feuerte meine Lernfreude an. Plötzlich fand ich es cool, meine Noten zu verbessern. In vielen Fächern arbeitete ich mich von einer Fünf langsam nach oben und war erst zufrieden, wenn eine Eins im Zeugnis stand. Deutsch schien allerdings immer noch ein Problemfach zu sein, mit der Rechtschreibung tat ich mich schwer – und schließlich meine Schrift. Nicht gerade selten stand unter einem Aufsatz: Thema erfasst = Eins, Schrift = Sechs. Der Notendurschnitt lag dann bei Drei. Im Englischen lief es ähnlich. Das Versäumte konnte ich einfach nicht mehr aufholen. In Mathe, meinem mittlerweile Lieblingsfach, in Geschichte, Physik, Biologie … stand ich bald durchweg auf Eins. Was meine Oma dazu sagte? „Tja, ich hab ja immer gesagt, aus dem Jungen wird was!“ Und in Gedanken fügte sie wohl an: Weil er bei mir lebt. Dabei rollte sie das R und sprach das T wie ein D aus.

Meine Mutter schob meine positive Entwicklung den „guten Genen“ zu. Eine freundliche Formulierung, wenn auch der Notendurchschnitt meiner Schwester dagegensprach. War demnach nur ich von den günstigen Erbfaktoren betroffen?

Heute kann ich sagen, dass die Gene keinerlei Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes haben, was Studien belegen. Vielmehr spielen alle erdenklichen Einflüsse und Erfahrungen eine Rolle. Meine Mutter fand zudem, dass es ihre „gute Erziehung“ gewesen sei.

Ich lass dass mal so stehen, denn die Aussage widerlegt sich von selbst. Zu dem Zeitpunkt, als es auf „Erziehung“ angekommen wäre, pflegten wir kaum noch Kontakt. Eigentlich war die Verbindung komplett abgebrochen. Das hatte vielerlei Gründe und lag vielleicht auch an ihrer schwierigen Lebenssituation. Unter anderem hatte sie – mit siebenundzwanzig Jahren noch jung und mit Lust auf ein eigenes Leben – meinen schwerkranken Bruder zu pflegen.

Einmal, im Sommer, waren wir verabredet, um gemeinsam in die Stadt zu gehen: Eis essen, die Sonne genießen, durch Geschäfte bummeln. Ich saß am Küchentisch, wartete und wartete. So eine klassische Situation halt. Onkel Oliver, der mir gegenüber in einer Zeitschrift blätterte, schaute mitleidig zu mir hin. „Ach komm, wir geh’n ins Freibad. Deine Mutter kommt sowieso ned.“

Ich sah ihn giftig an. „Wieso soll die ned kommen? Natürlich kommt die!“ Doch sie kam nicht. Ich reagierte enttäuscht, fühlte mich verletzt und verstand die Welt nicht mehr.

Sollte meine Mutter diesen Abschnitt irgendwann lesen, wird sie sich bestimmt aufregen, weil sie viel lieber an die Highlights in unserem Leben denkt. Sie wird mich tadeln und daran erinnern, dass ich zum Beispiel ein Fahrrad von ihrem neuen Freund geschenkt bekam (vielleicht war das Fahrrad auch von ihr, ich weiß es nicht mehr genau). Das rote BMX 2000 – damals unter Jugendlichen der Hit – war wirklich klasse, und ich habe mich riesig darüber gefreut. Trotzdem hätte ich jenen Sommertag viel lieber gemeinsam mit meiner Mutter verbracht.

Schon möglich, dass die Distanz, die ich anschließend zu ihr aufbaute, ein Schutzwall war. Denn als meine Oma zur Kur musste und dem kranken Opa nicht zugetraut wurde, sich um mich zu kümmern, sollte ich die Zeit bei meiner Mutter verbringen. Das wollte ich aber nicht und setzte durch, beim Opa bleiben zu dürfen. Da es sowieso kaum Regeln für mich gab, lief es gut mit uns. Ja, der Opa machte das super. Und die Oma sah ich längst als meine Mutter an, auch wenn sie nicht so recht glauben wollte, dass meine schulischen Leistungen mit der Motivation eines bestimmten Lehrers zu tun hatte und weniger mit der Tatsache, dass ich unter ihrer Obhut stand. Ich greife jetzt vor, denn ich würde die Hauptschule in allen Fächern mit Eins abschließen, Deutsch und Englisch ausgenommen. Da kam ich von der Drei einfach nicht runter.

Ich weiß jetzt nicht, wie ich fließend den Übergang zum Fußballspielen schaffe, denn ich spielte seit meinem siebten Lebensjahr in einem – meiner Meinung nach und zum damaligen Zeitpunkt – ziemlich „elitären“ Verein. Den hatte ich mir nicht ausgesucht, der lag von zwei Fußballklubs, die infrage gekommen wären, am günstigsten. Während ich das schreibe, muss ich grinsen, denn die Entfernung zum Wohnort betrug immerhin sechs Kilometer, die ich hin und zurück zu Fuß laufen oder mit dem Fahrrad fahren musste. Die Busverbindung war schlecht. Aus meiner Familie konnte mich niemand fahren, und ein Auto besaß meine Oma sowieso nicht.

Onkel Oliver, damals selbst noch nicht erwachsen, erledigte mit mir gemeinsam die Anmeldeformalitäten. Wir bekamen ein Formular in die Hand gedrückt, das meine Oma als Erziehungsberechtigte ausfüllen und unterschreiben musste, und dann ging es auch schon mit dem ersten Training los. Auf den langen Fußmärschen begleitete mich Andi, einer meiner Freunde aus dem gleichen Viertel. Wir gehörten zu den sozial Schwächsten, was auf den ersten Blick nicht weiter auffiel, weil wir Sportkleidung und Schuhe vom Verein gestellt bekamen. Der Unterschied zeigte sich darin, dass die anderen Jungs in dicken Limousinen gebracht und abgeholt wurden, und wir uns – wieder umgezogen – zu Fuß in unseren abgetragenen Klamotten auf den langen Heimweg machen mussten. Keine Ahnung, wie es sich bei Andi verhielt, doch ich trug die alten Sachen meiner Onkel auf, und wenn die Hosen zu weit waren, wurden sie durch improvisierte Gürtel im Hosenbund gehalten.

Was mir noch heute unbegreiflich scheint … kaum ein Elternteil kam auf die Idee, wenn es sein Kind abholte, Andi und mich ein Stück im Auto mitzunehmen oder nach Hause zu fahren. Viele wohnten nur wenige Meter von unserem Viertel entfernt. Und wenn wir dann doch einmal mitfahren durften, scheute derjenige meist den kleinen Umweg und setzte uns an der Hauptstraße ab – und das sogar auch im Winter, wenn es draußen schon finster war, was heutzutage unvorstellbar wäre. Bis auf eine Ausnahme. Der Vater eines guten Freundes brachte uns jedes Mal bis vor die Haustür, obwohl er wegen uns die längste Strecke zurücklegen musste.

Auf dem Fußballfeld geriet ich sofort in Fahrt. Wer mich bewusst anrempelte, den schickte ich zum Teufel. Und wer mit einem absichtlichen Handspiel verhinderte, dass ich in Ballbesitz kam, der konnte was erleben. Verbal. Denn ich schlug niemals zu und versuchte nach wie vor, Schlägereien zu vermeiden.

Eigentlich war ich angetreten, um im Tor zu stehen, doch der Trainer hatte gemeint, einen Torwart sowie einen Ersatzmann hätten sie schon. Wie es denn bei mir als Stürmer aussähe? In der Position wäre ich zwar auf gute Ballvorlagen durch meine Mitspieler angewiesen, um die gegnerische Verteidigung zu überwinden, doch ich könnte durch entsprechende Tore das Spiel und die Dynamik der eigenen Mannschaft aktiv mitentscheiden.

Ja, okay, warum nicht? Mir war es egal.

Zur Probe wurde ich zunächst der zweiten Jugendmannschaft zugeteilt. Wir gewannen das erste Spiel mit 8 zu 2, wovon – nach Vorarbeit durch meine Mitspieler – sechs Tore von mir geschossen wurden. Daraufhin durfte ich in die erste Mannschaft wechseln.

Ich verhielt mich aggressiv, ließ mir nichts gefallen. Nur manchmal schämte ich mich ein wenig, weil mir als Heranwachsender bewusst wurde, wie arm wir zu Hause waren. Die Jungs aus den anderen Familien dagegen schienen wohlhabend bis reich. Computerspiele gab es für mich nicht. Immerhin war ich froh, dass wir einen Fernseher besaßen. Das allererste Fernsehgerät, das meine Oma auf Raten kaufte, wirkt im Rückblick besehen ziemlich skurril auf mich. Obwohl es während meines ersten Aufenthaltes bei ihr geliefert wurde – ich war damals drei oder vier Jahre alt –, erinnere ich mich noch gut daran. Vor allem an das mitgelieferte Geldkästchen, in das wir jeweils eine D-Mark einwerfen mussten, damit es zwei Stunden lief. Einmal im Monat schaute dann jemand vorbei, um es zu leeren, und irgendwann war das Gerät abbezahlt.

Das nachfolgende Schwarz-Weiß-Gerät galt als echte Errungenschaft und wurde erst dann zum Problem, nachdem viele Zuschauer bereits in Farbe guckten und die Programme entsprechend ausgerichtet wurden. Als fußballverrückte Familie waren wir gezwungen, ständig an den Kontrasten herumzutüfteln, um die Trikots und somit die Mannschaften besser zu erkennen. Alles schien weiß-graudunkelgrau. Einzig die während der Spiele bewusst eingesetzten Schwarzweißbälle hoben sich für uns ab. Und wenn von Programm zu Programm umgeschaltet werden musste, wurde ich als lebende Fernbedienung eingesetzt. „Peter, geh mal auf Eins, das Länderspiel beginnt gleich!“ Oder „Peter, mach mal den Kontrast schärfer, man erkennt ja nix.“ Ich stand dann auf und bediente den entsprechenden Knopf. Schließlich waren die Onkel zu Besuch und die wollten den Fußballabend im Kreis der Familie ungestört genießen.

Neben meinem Freund Andi, der mich zum Fußball begleitete und noch heute einer meiner besten Freunde ist, gab es Tom, einen Kumpel aus der gehobenen Mittelschicht, sowie Max, dessen Eltern in meinen Augen sehr reich waren. Milliardäre vielleicht. So zumindest mein kindliches Empfinden. Bei ihm zu Hause zu sein, schüchterte mich ein, und zu mir nahm ich sowieso niemanden mit. Wir gehörten einer anderen Klasse an, das wurde mir schnell klar. Und doch war es auch viele Jahre später niemals mein Bestreben, in eine andere „Schicht“ zu wechseln, viel Geld zu verdienen und der Arbeiterklasse zu entfliehen. Ich wusste, wo ich hingehörte, und fühlte mich den Menschen in meinem Umfeld verbunden. Ich vermisste ja nichts. Als Bub, aus einer sozial schwachen Familie, wurde ich – wie andere Kinder aus ähnlichen Verhältnissen ebenfalls – durch eine Stiftung unterstützt. Jedes Jahr zu Weihnachten bekamen wir jeweils dreihundert D-Mark geschenkt, zur eigenen Verantwortung und um Geschenke für die Familien zu kaufen. Schule und Sportverein taten einiges, um unsere soziale Kompetenz und unser Verantwortungsbewusstsein zu fördern. Gegen die Schule sperrte ich mich lange, und erst der coole Herr K. schaffte es, mich zum Lernen zu motivieren. Dagegen verspürte ich im Sport viel eher Erfolgserlebnisse, weil mein Einsatz für das Team bei jedem Spiel anerkannt und meine Aktivität durch Tore sofort bemerkt wurde. Außerdem konnte ich mich auf dem Fußballplatz abreagieren, durfte wütend und risikobereit sein, so lange es der Mannschaft diente. Der Trainer lobte meine Stärken, schenkte mir Selbstvertrauen und lehrte mich, Respekt vor dem Gegner zu haben.

Ich höre die ganze Zeit nur mit halbem Ohr hin, will sie ignorieren, die innere Stimme, die mir zuraunt, dass ich sie erwähnen muss. Meine leicht kriminelle Phase. Doch ehrlich gesagt möchte ich viel lieber über meine Kumpels schreiben, denn einige Jugendliche aus meinem Viertel drifteten in strafbare Handlungen ab. Alex zum Beispiel, der im wahren Leben anders heißt, fing früh mit kleinen Gaunereien an, die sich mit den Jahren zu ausgebufften Delikten steigerten. Er hatte noch nie gearbeitet und niemals Sozialhilfe beantragt (aus Prinzip nicht, das hätte gegen seine Ehre verstoßen), sondern sich als Kleinkrimineller irgendwie durchs Leben geschlagen. Nach dem ich weiß nicht wievielten Delikt verurteilte ihn ein Richter, Hartz 4 in Anspruch zu nehmen, um ein Grundeinkommen zu haben, sozialversichert zu sein und endlich mit dem Verticken von Drogen aufzuhören. Ja, er wurde geradezu gezwungen, sich dem Sozialstaat nicht mehr zu verweigern, sondern Hilfe anzunehmen.

In die Sache mit dem Klassenausflug war ich nur begrenzt involviert, als Mitwisser sozusagen: Unser Lehrer hatte uns in einer Jugendherberge angemeldet, mitten im Wald. Die Natur mochte ja ganz schön sein, doch wir wollten abends unbedingt Party machen. Leider besaß keiner von uns eine Musikanlage.

Daran dachte ich, als ich frühmorgens mit meinem gepackten Koffer im Bus saß, um meine Mitschüler vor der Schule zu treffen. Noch ziemlich verpeilt, entgingen mir trotzdem nicht die Turbulenzen vor einer dieser kleinen Verkaufsstationen, die es damals noch gab, um seine Bestellung aus dem Katalog abzugeben und bestimme Produkte – meist hochwertige Elektroartikel – zu begutachten.

Was ist da los?, dachte ich und erkannte neben einem Aufgebot an Polizei, dass professionell ein Stück Glas aus der Schaufensterscheibe herausgeschnitten worden war, groß genug, um einen ansehnlichen Artikel zu entwenden. Hatte ich dort gestern nicht eine Stereoanlage gesehen?

Ich weiß nicht, an was genau ich dachte, oder ob ich eigentlich schon wusste, wer für solch einen Coup infrage kommen könnte. Jedenfalls wunderte ich mich kaum, als mich einer meiner Freunde vor der Schule abfing: „Hey Peter“, sagte er mit einem Grinsen, „wir müssen noch schnell zu mir in den Keller. Dort hab ich was, das wir unbedingt mitnehmen müssen.“

Er wohnte nicht weit entfernt und ich trottete ihm, nachdem ich mein Gepäck in der Halle der Schule abgestellt hatte, hinterher. Die nagelneue Stereoanlage, die er mir zeigte, kam mir bekannt vor. Ich stellte keine Fragen, wollte lediglich wissen, wie er und seine Kumpels die Anlage aus dem Fenster bekommen hatten.

„Na, mit Saugnäpfen halt.“

Jetzt musste auch ich grinsen. Allerdings fand ich die Musikanlage optisch seltsam. Oben befand sich ein Plattenspieler, klar. Aber was bedeutete das Fach weiter unten? Mein Freund zuckte die Schultern.

Es gab noch kein Internet, um schnell mal zu googeln, daher mutmaßten wir, dass es sich um einen CD-Player handeln musste. Diese neue Errungenschaft für verbesserten Klang, die sich unter normalen Umständen niemand von uns hätte leisten können.

Die Zeit wurde knapp und wir bepackten uns in Eile mit dem Gerät, inklusive Boxen, die mir verdammt schwer erschienen. Ich sagte nichts, nahm es so hin, allerdings konnte sich unser Lehrer beim Verstauen des Gepäcks eine Bemerkung nicht verkneifen. „Sagt mal, warum sind die Boxen denn so schwer?“

Mein Freund schaute ihn überrascht an: „Tja, des is hald High-Qualidäd.“ Er hatte die Boxen aufgeschraubt und den Hohlraum mit Alkoholflaschen befüllt – für die Party. Ach ja, den Plattenspieler nutzten wir, aber mit dem neumodischen CD-Player konnten wir nichts anfangen. Niemand von uns besaß eine CD, und schon gar nicht hatte jemand eine mitgebracht.

Ein anderer Freund überraschte mich eines Tages mit einem Schlüssel, der jedes Mercedes-Modell entsperren konnte. Ich begleitete ihn, als er an einem Abend mindestens einhundert Autos aufschloss. Ich betone „aufschloss“ und sage nicht, dass er was klaute. Das fällt juristisch nicht unter Einbruch. Das fällt unter „Spaß haben“, oder?

Als weniger spaßig kam die Sache im Supermarkt an. Ich war zehn, vielleicht elf Jahre alt. Und warum es gerade Spielkarten sein mussten, die wir als Clique klauten? Keine Ahnung. Ich trug die damals hippen Hosen, unten zum Zuschnüren und mit seitlichem Lederbesatz, ziemlich cool. Die Karten stopfte ich bequem durch den Hosenbund. Von dort rutschten sie direkt bis zur Wade. Der Kassiererin allerdings konnte ich nichts vormachen. Sie hatte einen scharfen Blick und sagte: „Junge, bleib mal steh’n und leer deine Taschen aus!“

Ich tat so, als sei nix gewesen, zuckte gleichgültig die Schultern und stülpte ohne zu murren die Hosentaschen von links nach rechts.

Die Frau musterte mich irritiert: „Und wo stecken deine Freunde?“

Ich deutete mit einer Hand in eine bestimmte Richtung: „Ach, die sind längst um die Ecke verschwunden.“ Im gleichen Atemzug schrie ich laut: „Haut ab, die haben uns erwischt!“ Ich setzte ebenfalls zum Spurt an, rannte aus dem Laden, meine Kumpels mir nach. Der Spontanklau schien gerade noch mal gut gegangen.

Allerdings verhielt ich mich am nächsten Tag ziemlich naiv. Meine Oma drückte mir einen Einkaufszettel und Geld in die Hand, damit ich in besagtem Supermarkt einkaufen sollte. Ich tat, wie mir geheißen. Wahrscheinlich dachte ich nicht einmal über mögliche Konsequenzen nach. Die Kassiererin jedenfalls erkannte mich sofort wieder und meinte: „Ha, du gehörst doch zu der Clique!“ Mehr musste sie nicht sagen. Ich wusste auch so, wie sie das meinte.

Sie machte keinen Aufstand, rief auch nicht die Polizei, erteilte mir jedoch Hausverbot.

Ich will nicht sagen, dass ich mit dabei war, aber ich wusste zumindest, dass einige meiner Kumpels im Laufe der Zeit Hunderte BMX-Fahrräder zusammengeklaut hatten, diese Kulträder mit relativ niedrigem Rahmen und einem verhältnismäßig hohen Lenker, der sich einmal um sich selbst drehen lässt, um Tricks springen zu können. Technisch gesehen kannte ich mich aus. Ich fuhr ja selbst so ein Rad.

Der Vorfall wurde aufgedeckt und stand in der Presse, weil jemand aus der Gang seine Kumpels verpfiffen hatte. Daraufhin fanden in der Gegend Hausdurchsuchungen statt, auch in dem Haus, in dem ich mit meinen Großeltern sowie zwei weiteren Familien wohnte. Nein, nein, die Polizisten fanden nichts, was dem leitenden Beamten nicht besonders gefiel. Er vermutete … Ach, ist ja auch egal. Jedenfalls konnte keinem etwas nachgewiesen werden und alle Beteiligten kamen mit einem blauen Auge davon.

Aus der Gosse in den Porsche

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