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„AM EVEREST HATTE ICH MEHR ANGST ALS BEI ALLEN SPÄTEREN EXPEDITIONEN“

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Du hast selbst davon gesprochen, Peter, dass ihr am Everest noch Lausbuben wart. Meinst du damit, dass ihr so frech wart, ihn ohne Sauerstoff anzugehen?

Na ja, freche Ideen hatten wir öfter. Ich hatte eine freche Idee, als ich 1967 zum ersten Mal am Montblanc war und auf dem schwierigsten Weg, über den Frêneypfeiler, auf den Gipfel kletterte. Reinhold und ich hatten eine freche Idee, als wir 1974 die Eiger-Nordwand in einem Tag machen wollten und letztendlich knapp zehn Stunden gebraucht haben. Wir waren frech, als wir im Winter in die Bonattiroute am Matterhorn einstiegen. Wir waren immer frech. Und Gott sei Dank waren wir frech, denn diese Frechheit – das war keine dumme Frechheit, sondern eine Frechheit, die auf unserer Leistungsfähigkeit beruhte. Und letzten Endes war diese Frechheit dann auch am Everest vorhanden. Aber mit den Lausbuben meine ich etwas anderes. Im Grunde genommen kann ich da aber nur für mich selbst sprechen. Für mich war der Everest überhaupt die erste große Expedition. Natürlich, es gab 1975 den Hidden Peak mit Reinhold, es gab 1977 unseren Versuch am Dhaulagiri, aber trotzdem war ich sozusagen ein Anfänger, hatte im Höhenbergsteigen noch zu wenig Routine. Körperlich war ich lange nicht so gut beieinander wie am Hidden Peak oder bei späteren Achttausendern. Und psychisch – ich war jung verheiratet, hatte eine sehr starke Bindung zu Regina, unser Sohn Christian war gerade mal 14 Monate alt. Ich war nicht voll konzentriert auf den Berg. Nicht hundertprozentig. Wir waren Lausbuben, weil wir viele Fehler gemacht haben, es noch nicht besser wussten.


1974 gelang Peter Habeler und Reinhold Messner die viel beachtete erste Durchsteigung der Eiger-Nordwand an einem Tag. Im Bild Reinhold Messner am „Zerschrundenen Pfeiler“.


Nach ihrer sensationellen, nur zehnstündigen Durchsteigung der gefürchteten „Mordwand“ werden die Helden an der Kleinen Scheidegg von Clint Eastwood (links) und Heidi Brühl gefeiert.

Welche Fehler waren das?

Wir nahmen zum Beispiel im Basislager Schlaftabletten. Jeden Abend ein Valium, damit wir schlafen konnten – furchtbar. Dann machten Reinhold und ich einmal einen Erkundungsgang durch den Khumbu-Eisbruch hinauf ins Tal des Schweigens, wo das Vorgeschobene Basislager aufgebaut werden sollte. Am Vortag, in Lager 1, hatte ich den ganzen Abend gesungen, so gut waren wir drauf. Doch das Wetter wurde schlecht. Es kam Sturm auf. Eine furchtbare Nacht – wir mussten das Zelt mit Eisschrauben befestigen und hielten die ganze Nacht die Zeltstangen fest. Wenn der Wind uns das Zelt zerrissen hätte, wären wir wahrscheinlich gestorben. Dieses Erlebnis hat mir irgendwo einen Knick gegeben, und das hat Reinhold auch gemerkt. Aber es hat dann ja trotzdem funktioniert.

Ihr hattet eigentlich mehr Glück als Verstand – kann man das so sagen?

Nein, mehr Glück als Verstand hatte ich nicht. Am Everest hatte ich eher zu viel Verstand, konnte die Bedenken nicht loslassen. Daher kam auch mein zögerliches Verhalten, das für Reinhold mit Recht zum Problem wurde. Sonst bin ich immer gelaufen wie eine Rakete, aber am Everest hat es mich hin und her geworfen. Am Everest hatte ich mehr Angst als bei allen späteren Expeditionen, auch viel mehr Angst als am Hidden Peak. Ich habe noch deutlich diesen fürchterlichen Lärm in Erinnerung, wenn der Wind sich oben in der Südwestwand bricht und dann durch das Western Cwm herausschießt. Herunten meint man, da fährt ein Zug vorbei. Wenn ich im Basislager saß, machte mich dieses Geräusch total nervös. Ich muss dem Reinhold wirklich danken, dass er die Geduld mit mir nicht verloren hat. Er hat mich dann tatsächlich wieder so weit motiviert, dass ich gesagt habe, so, und jetzt packen wir’s, jetzt ziehen wir’s durch.

Wie kam es überhaupt dazu, dass ihr gemeinsam unterwegs wart?

Seit wann kanntet ihr euch?

Wir haben uns im Februar 1966 das erste Mal getroffen, anlässlich einer Winterbegehung des „Pilastro“ am Zweiten Südwandpfeiler der Tofana di Rozes. Ich kletterte mit Horst Fankhauser. Sepp Mayerl, mit dem ich oft unterwegs war und von dem ich sehr viel lernte, brachte noch zwei Freunde mit: Gernot Röhr und eben Reinhold Messner. Das war unsere erste gemeinsame Tour.

Aber es ging dann gleich weiter, eine Woche später waren Horst und ich am Südpfeiler der Maukspitze und haben die zweite Winterbegehung gemacht. Wir waren da ja wie die Wilden. Anfang März stiegen wir in die Bonattiroute in der Matterhorn-Nordwand ein, Sepp Mayerl, Gernot Röhr, Reinhold und ich. Die Verhältnisse waren schlecht, es gab einen Wettersturz, wir mussten nach der „Traversata degli Angeli“ einen abenteuerlichen Rückzug antreten.


Bereits um die Mittagszeit war der berüchtigte „Götterquergang“ erreicht.


In der Matterhorn-Nordwand

Wenn ihr damals so viel unterwegs wart, wie seid ihr denn jeweils hingekommen? Von Mayrhofen nach Zermatt, das ist doch kein Katzensprung.

Wir reisten fast immer mit dem Motorrad an. Zuerst fuhren wir zu zweit auf der Maschine von Horsts Vater, dann konnte ich die Puch 175 von meinem Nachbarn Hans Lottersberger nehmen. Aber die ging nur 80 Stundenkilometer – das ging dann ganz schön lang bis in die Dolomiten, auf der alten Bundesstraße, die Autobahn gab es damals noch nicht. Am schlimmsten war es, wenn es dann auch noch geregnet hat. Aber so waren wir wenigstens mobil. Das Motorrad war schon besser als das Fahrrad. Der Buhl musste noch bis zum Badile strampeln.

Ab 1966 hast du dann viele schwierige Routen mit Reinhold Messner begangen.

Ja, wir ergänzten uns perfekt, waren beide sicher und schnell. Es dauerte allerdings bis zum Sommer 1974, bis wir die Matterhorn-Nordwand ein zweites Mal versuchten, auf der Schmidführe. Der Fels war komplett vereist, dann kam auch noch ein Gewitter. Aber wir haben es geschafft. In mein Tourenbuch schrieb ich damals: „Nur mit Reinhold lässt sich so etwas machen. Alle Partner, die ich jemals zuvor hatte, verblassen neben ihm.“

In dieser Zeit habt ihr auch eure ersten Expeditionserfahrungen gemacht. 1969 wart ihr in den peruanischen Anden, in der Ostwand des Yerupaja, allerdings ohne Gipfelerfolg. Im Sommer 1975 seid ihr dann zu eurer ersten Himalaja-Expedition mit dem Ziel Hidden Peak aufgebrochen. Wie entstand diese Idee?

Reinhold hatte damals Kontakt mit Walter Bonatti. Dessen Erstbesteigung des Gasherbrum IV zusammen mit Carlo Mauri hatte ihn sehr beeindruckt. Die war 1958. Und 1957 am Broad Peak, das war ja auch nur eine vierköpfige Expedition: Buhl, Schmuck, Wintersteller und Diemberger. Das war dann in unseren Köpfen: ein Achttausender zu zweit. Und das haben wir dann durchgezogen. Wir haben einfach gewusst, dass wir etwas Neues tun wollen. Mit sieben oder acht Trägern marschierten wir ins Basislager, entlohnten sie, die liefen dann wieder zurück, und wir haben diese sehr elegante Geschichte am Hidden Peak gemacht.

Etwas Neues – damit meinst du den Alpinstil an den Achttausendern?

Ja, Alpinstil in einer Zweiermannschaft. Wir haben alles, was wir in der Nordwestwand des Hidden Peak gebraucht haben, vom Basislager mitgenommen und haben zwischen 6000 und 6100 Metern unser Lager 1 aufgestellt, direkt am Fuß dieser großen, sehr steilen Flanke, die praktisch bis zum Gipfel hinaufzieht. Es war klar, dass wir in dieser Flanke nicht sichern konnten, wir mussten sie seilfrei durchsteigen. Mit einem weiteren Zwischenlager auf 7100 Metern zogen wir dann zum Gipfel, in einer atemberaubenden Ausgesetztheit. In dieser Flanke pfeift es hinunter; wenn du da fliegst, bist du hin. Und wir hatten ja doch einiges im Rucksack: Zelt, Schlafsäcke, Kocher, Proviant, ein 20-Meter-Seil für den Notfall. Oben war es windstill, herrlichstes Wetter, gar nicht mal so kalt, vielleicht hatte es 12, 13 Grad minus, und ich saß da auf meinem ersten Himalaja-Gipfel und war einfach wahnsinnig beeindruckt.

Absteigen musstet ihr dann auch wieder über diese steile Flanke?

Von 8000 bis auf 6000 Meter hinunter mussten wir fast alles mit dem Gesicht zur Wand absteigen. Die Flanke war vielleicht 48, 50 Grad steil. Ich habe dann allerdings den Reinhold noch erschreckt – mir war mein Rucksack zu schwer, und weil die Flanke nach unten auf den Gletscher flach auslief, habe ich ihn einfach hinunterrutschen lassen. Reinhold war weit unter mir, außerhalb der Falllinie des Rucksacks, aber trotzdem ist er im ersten Moment erschrocken, weil er dachte, ich sei gestürzt. Unten konnte ich den Rucksack unversehrt wieder aufsetzen.

Das Ziel ist der Gipfel

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