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Dr. Anton Seidl fuhr die schmale, in Serpentinen den Berghang hinaufführende Straße mit geradezu halsbrecherischem Tempo entlang. Es war Samstag Mittag. Veronika hatte etwas herumgemeckert, als er ihr offenbart hatte, dass er das Wochenende im Ferienhaus verbringen wollte. Schließlich war er sogar das Risiko eingegangen, ihr anzubieten, ihn doch zu begleiten. Das hatte sie während ihrer bislang vierjährigen Ehe nur ein einziges Mal getan und sich dabei schrecklich gelangweilt. Bergwandern und die stundenlange Angelei im nahegelegenen See - das war alles nicht ihr Fall. Ihrer dialektbeladenen, sich eher erdverbunden anhörenden Sprache zum Trotz war sie doch ganz eindeutig eine Stadtpflanze und kein Landei.

Aber Anton Seidl brauchte ab und zu diese Einsamkeit und Ruhe hier oben.

Er erinnerte sich noch ganz genau, wie er das Haus zum ersten Mal gesehen hatte. Er war auf dem Weg zu einem Kunden gewesen, dessen Viehbestand er mit einem Koffer voller wachstumsfördernder Mittel versorgt hatte. Für viele der Bergbauern war die Situation prekär. Mit den großen Agrarfabriken andernorts konnten sie nicht mithalten, weder im Preis noch in der Menge. So mussten die Tiere eben schneller wachsen und dabei immer noch nach Möglichkeit den Eindruck machen, als ob sie unter glücklichen Umständen ihr kurzes leben gefristet hatten. Verluste waren tabu. Es wurde gespritzt, was das Zeug hielt, beziehungsweise der Koffer des Hormon-Dealers hergab.

Von einem seiner Kunden, dem Wendinger-Klaus, dem einer der größten Höfe in der Umgebung gehörte, hatte Seidl seinerzeit den Tipp bekommen, sich das Haus mal anzusehen. Es hatte kurz vor der Zwangsversteigerung gestanden. Den Preis, den Seidl dafür hatte ausgeben müssen, war geradezu lächerlich, wenn man bedachte, dass die Gegend touristisch gut erschlossen war.

Seidl hing seinen Gedanken nach, blickte zwischendurch immer wieder nervös auf die Uhr.

Er hatte einen Plan.

Einen Plan, der mit Tom Dremmlers Tod enden würde. Aber bevor er das Ferienhaus erreichte, gab es noch einiges, was Seidl vorzubereiten hatte.

Plötzlich musste Seidl mit aller Gewalt in die Bremse seines champagnerfarbenen Mercedes SLK treten. Die Reifen quietschten. Von der Seite ergoss sich ein Strom von hunderten von Schafleibern auf die Fahrbahn. Sie blökten durcheinander. Einige wichen vor dem SLK erschrocken zurück und stießen dabei ihre Artgenossen um. Ein Chaos entstand. Mittendrin, wie ein Fels in der Brandung, stand der Schäfer mit hochrotem Kopf und wütendem Gesicht.

Er nahm seinen Filzhut ab, knitterte ihn in der Faust zusammen und brüllte Seidl wütend an. Da der Tierarzt das Verdeck seines SLK auf Grund des sonnigen Frühlingswetters zurückgeklappt hatte, konnte er jedes Wort verstehen. Und das, obwohl ein Hirtenhund andauernd dazwischen bellte.

"Mei, was fällt Ihnen ein! Kruzifix noch einmal! Wie kann einer nur so narrisch sein und net aufpasssen, was über die Straße herüberkommt!"

"Hätten Sie nicht aufpassen können!", rief Seidl zurück.

Er kannte den Hirten.

Corbinian Anzengruber hieß er und war in der gesamten Gegend als eine Art Faktotum bekannt. Allerdings auch als Verbreiter von Neuigkeiten und Gerüchten.

Das hat mir gerade noch gefehlt, dass mir der über den Weg läuft!, ging es Seidl ärgerlich durch den Kopf. Dieser Quasselkopf würde überall herumerzählen, dass der allseits bekannte Tierarzt mal wieder in der Gegend war und das Wochenende in seinem Ferienhaus verbrachte.

Einige Sekunden lang dachte Seidl darüber nach, ob er das ganze Unternehmen nicht abblasen sollte.

Er dachte an die Polizei, an die Fragen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn...

Nein, du stehst das jetzt durch!, forderte er sich dann selbst auf. So etwas wie absolute Sicherheit gibt es nicht, Anton Seidl! Auch für dich nicht! Du musst das Risiko eingehen, wenn du nicht sehenden Auges in den Abgrund springen willst!

"Geht das nicht ein bisschen schneller?", schrie Seidl dem Hirten dann entgegen.

Dann hupte er, worauf die Schafe aufgeregt blökten und der Hirtenhund sich in seiner bis dahin unumstrittenen Autorität bedroht fühlte.

"Ja, ist dieser großkopferte Herr Veterinär jetzt vielleicht vollkommen narrisch geworden?", brüllte der Anzengruber jetzt zurück. "Macht mir die Tiere auch noch verrückt!"

"Ich hab's eilig!"

"Mei, das dauert halt ein bisserl!"

Fast eine Viertelstunde dauerte es, bis alle Tiere endlich über die Straße gelangt waren.

Seidl ließ den Motor des SLK aufheulen und brauste davon. Wenig später erreichte er das schmucke Holzblockhaus. Er parkte den SLK und stieg aus.

Tief sog er die klare Bergluft in sich auf. Man hatte eine fantastische Aussicht von hier aus. Reste des Morgennebels hingen noch über dem leuchtend blauen See, auf den man von hier aus eine vollkommen freie Sicht hatte.

Ein Ort wie aus dem Paradies, dachte Seidl. Aus meinem Paradies. Und davon wird mir niemand etwas wegnehmen.

Er sah kurz auf die Uhr (er wusste selbst nicht mehr, zum wievielten Mal an diesem Tag schon) und griff dann zum Handy.

Das große Buch der Berg-Krimis Dezember 2019

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