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Pures Glück der Einsamkeit

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Über Nacht findet der Regen kein Ende. Ich schlafe unruhig, obwohl ich das Fenster in meinem niedrigen Zimmer schon früh geschlossen habe. Doch der Lärm der tosenden Wassermassen lässt mich lange nicht zur Ruhe kommen.

Müde sitzen wir in der Küche um den gusseisernen Ofen. Es gibt heißes Wasser, ein gekochtes Ei und Reis vom Vortag. Der hart gestampfte Lehmboden strahlt etwas Wärme aus, die Feuchtigkeit in unserer Kleidung bleibt.

Gegen Mitternacht, so erzählt Sunita, seien tatsächlich zwei Einheimische den Berg heruntergekommen. Sie haben die kritische Lage bestätigt: Gleich an drei Stellen sind Brücken weggespült worden und ein Umweg ist kaum möglich. Fest steht, dass der Aufstieg lange nicht mehr machbar sein wird, jedenfalls zu lang für uns. Auch Sunita rät zum Aufbruch, und sie hat ihr ganzes Leben am tobenden Sulighat verbracht. Es bleibe nur die Möglichkeit, den Aufstieg ins Upper Dolpo über die Alternativroute von Tarakot zu versuchen. Ein Umweg, der mindestens drei Wandertage mehr bedeutet.

Ihre Einschätzung bestätigt nur meine Entscheidung, die ich in der Nacht getroffen habe. Als sich auch die Träger bereit erklären, weiter bei uns zu bleiben, gibt es keinen Grund, länger zu warten.

Gegen acht Uhr beginnt der Abstieg. Die Zahl der kleineren Erdrutsche hat im Vergleich zum Vortag deutlich zugenommen. Immer wieder müssen wir ausweichen, um Geröll- und Schlammmassen zu umgehen. Und die »Waschmaschine« Sulighat läuft weiterhin auf höchster Stufe. Der Pegelstand ist über Nacht nochmals angestiegen.

Im tristen Ortszentrum von Dunai, das wir bereits nach gut zwei Stunden durchqueren, reihen sich Gemüsestände, Krämerläden und Friseurstuben aneinander. Uns reicht ein kurzer Stopp in einer heruntergekommenen Teestube. Wenig später setzen wir unseren Weg Richtung Osten fort, kommen schnell voran, sehen aber gegen Mittag schwarze Wolken aufziehen. Dass der Himmel seine Pforten wieder öffnet, stört uns nicht, denn die Kleidung ist noch vom Vortag durchnässt. Das Tal verengt sich, immer steiler werden die Felswände und der Himmel über uns wird immer schmaler. Die drückende Schwüle macht jeden Schritt zur Mühsal, obwohl wir eine Höhe von knapp 2200 Metern erreicht haben. Der Monsun zeigt sich weiterhin von seiner stürmischen Seite. Als der Trail direkt am Ufer des Thuli Beri entlangführt, kommen wir kaum noch voran – bis schließlich ein Weiterkommen unmöglich ist.

Unsere Träger setzen die Lasten auf einem Felsvorsprung ab und diskutieren in ihrem Dialekt lautstark und kontrovers. Ich verstehe kein Wort, doch ihre Mienen verraten, dass Gefahr im Verzug ist. »Einer von uns wird durch den Fluss bis hinter den nächsten Felsvorsprung waten und die Höhe des Wasserstandes prüfen«, erklärt ihr Anführer.

Ich stimme dem Vorschlag zu, denn es bietet sich keine Alternative. Es droht erneut ein Abbruch des Aufstiegs. Der erste Erkundungsgang endet ernüchternd. Sehr reißend sei das Wasser und der unebene Untergrund fast zu unsicher. »Wir würden es trotzdem versuchen, aber du entscheidest«, lautet ihr Kompromiss.

»Los, wir gehen weiter«, antworte ich spontan und überspiele mit der schnellen Antwort meine Unsicherheit. Ein Fehltritt, da gibt es keinen Zweifel, hätte fatale Folgen. Wir müssen uns so eng wie möglich an die Felswand drängen und dürfen auf keinen Fall in den Sog zur Flussmitte geraten, wo die Wassermassen in rasender Geschwindigkeit ins Tal rauschen. Ich warne Samdup und Tsering also, vorsichtig zu sein, und Tsering gesteht leise: »Ich kann nicht schwimmen.«

Zunächst bringen die Träger das Gepäck sicher auf eine etwa 200 Meter entfernte Kiesbank. Dann nehmen sie Tsering an die Hand. »Mach dir keine Sorgen wegen dem Schwimmen, es würde dir hier auch nicht helfen«, flüstere ich als die Gruppe startet und schnell bis knapp unter Brusthöhe im Wasser des Thuli Bheri versinkt.

Der stille Samdup Gurung, dessen Ruhe ich in diesem Moment bewundere, folgt dem Quartett, ich bilde den Schluss. Schritt für Schritt tasten wir uns vorwärts. Vor einem Felsvorsprung, der weiter in den Fluss hineinragt, verlangsamt sich das Tempo. Als Samdup aus meinem Blickfeld verschwindet, bin ich für einen Moment mit dem Fluss allein. Ich schaue talabwärts, wo sich die Wellen aus dunkelgrauem, schlammigem Wasser überschlagen und die Gischt die Sicht trübt. Dass meine Hand blutet, merke ich erst, als ich die gefährlichste Stelle langsam vorantastend passiert habe und mich allmählich der sichereren, felsigen Insel am Rande des Thuli Bheri nähere, wo sich eine durchnässte Tsering und die anderen bereits in Sicherheit befinden.

100.000 Schritte zum Glück

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