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Reden und reden und doch stumm wie ein Fisch im Aquarium.

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Nicht dass Sie nichts mehr sagen würden: Aber Sie sagen nur noch das, was andere auch sagen. Oder was andere hören wollen. Oder wovon Sie meinen, dass andere es hören wollen. Oder nur noch das, worüber Sie nicht lange nachdenken müssen, weil Ihnen dazu die Zeit fehlt. Sie reden und reden und sind doch stumm wie ein Fisch im Aquarium, der nur noch von Glasscheibe zu Glasscheibe schwimmt. Um Sie herum ist jedoch alles so schnell in Bewegung und hält Ihre Aufmerksamkeit so gefangen, dass Sie gar nicht bemerken, wie Sie verstummen. Vielleicht macht sich nur ein merkwürdiges, dumpfes Gefühl breit. Oder der Gedanke »Irgendetwas fehlt in meinem Leben«.

Unterschätzen Sie nicht, was das für Ihr Leben bedeutet – die australische Autorin Bronnie Ware hat in ihrem sehr beeindruckenden Buch über Gespräche mit todkranken Menschen einen Punkt formuliert, den Sterbende am Ende ihres Lebens besonders bereuen: »Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben.«

Wenn Sie Ihr eigenes Leben aber nicht leben, vergessen Sie, dass Sie überhaupt so etwas wie eine Stimme haben. Eine innere Stimme, die Sie als Person ausmacht. Sie vergessen ebenso, dass Sie den Mut haben könnten, diese innere Stimme laut werden zu lassen und dem Ausdruck zu verleihen, was sie Ihnen sagt. Das Ergebnis ist ein sich selbst verstärkender Teufelskreis: Je seltener Sie Ihrer inneren Stimme Gehör verschaffen, desto weniger merken Sie, dass Sie eine haben. Und je öfter Sie vergessen, dass Sie eine haben, desto ratloser stehen Sie vor den einfachsten Entscheidungen. Sie werden von Ihrer Umwelt gelebt, anstatt dass Sie Ihre Umwelt aktiv gestalten. Sie fühlen sich halt- und orientierungslos. Der InputVirus hat sie zusammen mit dem Instant-Virus in eine Art Tornado geschleudert.

Dieser Tornado, das ist der ganz »normale« Alltag, in dem Sie den Fokus verlieren, sich vom Horizont ablenken lassen, auf den Sie in Ihrem Leben doch eigentlich zusteuern wollen. Stattdessen: Verantwortung für die Kinder, den Partner, das Haus und den Hund, Stress im Büro mit 128 Mails pro Tag, 56 Rückrufbitten, Kundenbeschwerden, Diskussionen mit Mitarbeitern, Meetings, To-dos, verpassten Deadlines. Und Hobbys, Rechnungen, Briefe, längst überfällige Einkäufe … Nach und nach verbringen Sie immer weniger Zeit mit den Veränderungen, die Sie wirklich nach vorne bringen sollten. Und zack! – schon sind drei Monate vergangen, ohne dass Sie sich endlich mehr bewegt, nach einem neuen Job recherchiert oder sich mehr Zeit für Ihren Partner genommen hätten.

Es scheint, als gäbe es kein Entrinnen vor diesem Tornado. Doch so ist es nicht!

Selbst schuld (I)

Als ich Gerd, einen befreundeten Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, frage, ob wir uns Samstag auf eine Runde Fitness im Studio treffen wollen, höre ich am Telefon, dass er stutzt. Zwei, drei Sekunden sagt er gar nichts. Dann fragt er vorsichtig nach:

»Meinst du diesen Samstag?«

»Ja«, sage ich und schaue leicht irritiert in den Kalender. Gibt es ein wichtiges Ereignis, das ich übersehen habe? Gerds Geburtstag? Champions-League-Finale?

»Mann, wie machst du das, dass du immer so spontan Zeit hast? Ich bin schon wieder so was von dicht! Jedes Wochenende ist gerade verplant!«

Unter der Woche hat Gerd auch selten Zeit, darum habe ich schon den Samstag vorgeschlagen.

»Machst du gerade eine Fortbildung an den Wochenenden, Gerd?«

»Haha! Schön wär’s«, lacht er herzhaft. »Nee, da sind lauter Familienevents. Kindergeburtstag, Judiths Eltern im Allgäu besuchen, hier ’ne Feier, dort ’ne Feier, einmal im Monat die Pokerrunde mit den Jungs, dann noch ein schon ewig geplantes Wellness-Wochenende im Schwarzwald und so weiter und so fort. Eigentlich total schön, aber alles ein bisschen viel gerade. Aber ja, Fitness mit dir ist überfällig. Wie wäre es am 25. Juli?«

Ich schaue in den Kalender: Das ist in zwölf Wochen! Sprachlos versinke ich in Gedanken.

»Peter, bist du noch da?«

»Hm, hm«, gebe ich ein Zeichen, während mein Kopf Gedankenschleife um Gedankenschleife dreht.

»Und was denkst du?«

Stille.

Ich weiß es nicht. Ich bin sprachlos. Das Einzige, was ich zu Gerd sagen kann, ist: »Lass mich mal eben überlegen …«

Menschen wie mein Kumpel Gerd führen mir immer wieder vor Augen: Der Tornado ist zu einem großen Teil hausgemacht. Das eine ist, in der Firma viel zu tun zu haben – und vom Input-Virus dominiert zu werden. Das andere ist, die Wochenenden so stark zu verplanen, dass selbst die Freizeit keine frei gestaltbare Zeit mehr ist, sondern ein Erfüllen von sozialen und gesellschaftlichen Verpflichtungen. Doch wozu dieser Freizeitstress?

Ja, wir haben in Deutschland einen sehr hohen Lebensstandard erreicht, den wir natürlich beibehalten wollten. Um Errungenschaften wie Rechtssicherheit, Sozialstaat etc. aufrechtzuerhalten und um gleichzeitig mit dem Wettbewerb mitzuhalten, wächst auch der Leistungsdruck in der Wirtschaft. Je fetter der Dienstwagen, desto höher die Firmenkosten. Je höher die Kosten, desto höher der erforderliche Umsatz. Und je ambitionierter die Umsatzziele, desto größer die Hektik. Mitarbeiter hetzen ihren Aufgaben hinterher, um mehr Ergebnisse in der gleichen Zeit zu erzielen.

Mut braucht eine Stimme

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