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Gerade im Umfeld von Lebensentscheidungen wütet der Tornado heftig.

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Gerade im Umfeld von Lebensentscheidungen wütet der Tornado heftig. Und besonders dort werden wir Opfer des Instant-Virus. Denn wenn eine Mitarbeiterin den Kinderwunsch auf später verschiebt, um ihre Karrierechancen zu nutzen, findet sie gar keine Zeit, ihren eigenen Lebensweg zu verfolgen. Für Kinder braucht es auch den richtigen Partner. Aber für Dating und Flirten ist – der Karriere sei Dank – gerade keine Zeit. Erst muss sie noch all das Wichtige erledigen, bevor sie sich der Partnersuche und möglichen Kindern widmet. Wenn sie dann mit 45 immer noch keinen Partner an ihrer Seite hat – oder alle Zeugungsversuche missglückt sind –, schlägt die harte Realität zu. Wir haben eben keine Sicherheit, dass alles so kommt, wie wir es planen. In unserer von der Natur bereinigten Kunstwelt voller Hightech und Wissenschaft vergessen wir gerne, dass wir trotz allen Fortschritts (noch) nicht alles kontrollieren und beeinflussen können.

Völlig verblendet durch Instant- und Input-Virus und den wilden Tornado um uns herum drehen wir an den falschen Schrauben. Das ist, als würden Sie in Ihrem Wohnzimmer sitzen und bemerken, dass es durch das Dach tropft. Schnell stellen Sie einen Eimer hin, um das Wasser aufzufangen, und tauschen diesen stündlich gegen einen leeren aus – statt das Loch im Dach zu reparieren. All die wunderbaren Errungenschaften unserer modernen Konsum- und Technikwelt werden Ihnen nicht helfen können, Ihre Zeitverschwendung einzudämmen. Denn um aus Ihrer Zeit eine erfüllte Zeit zu machen, brauchen Sie eine neue Sichtweise.

Auch wenn es sich für Sie oft anders anfühlt: Wie Sie auf den Druck reagieren, der auf Ihnen lastet, entscheidet niemand anderer als Sie. Nur Sie selbst bestimmen, wie Sie sich verhalten und was Sie tun. Und vor allem: wie Sie leben wollen.

Ich bestimme selbst!

München, ein Mittwochabend. Ich sitze im Taxi auf dem Weg von einer Konferenz mit Finanzvorständen. Ich habe dort einen Vortrag gehalten darüber, wie Unternehmen noch schneller erfolgreich werden können. Alle haben hoch konzentriert zugehört. Hinterher bin ich mit einigen ins Gespräch gekommen. Sie haben mir erzählt, dass sie sich nach mehr Fokus und Wirksamkeit sehnen. Ich habe gespürt, wie sehr sie im Tornado stecken: Sie kontrollierten ständig mitten im hektischen Stimmengewirr den Maileingang auf ihren Smartphones und erledigten Rückrufe. Dann stopften sie viel zu hastig die kleinen Häppchen vom Buffet in sich hinein, bevor sie sich zum nächsten Termin verabschiedeten.

So ein Tag zehrt auch an meinen Reserven. Die Technik war mitten im Vortrag ausgefallen. So musste ich den Raum ohne Mikro beschallen. Nach diesem Kraftakt für meine Stimmbänder freue ich mich auf einen Moment der Ruhe und falle erschöpft ins Taxi. Sehne mich nach zu Hause, nach einer Umarmung meiner Frau und ein bisschen sportlichem Gerangel mit meinem Sohn.

Mein Taxifahrer wirft mir im Rückspiegel einen freundlichen Blick zu – schon beim Einsteigen ist mir seine warme Stimme aufgefallen und seine heiter-gelassene Ausstrahlung. Ich bin neugierig und stecke mein Telefon wieder in die Tasche. Wir unterhalten uns, obwohl meine Stimme schon etwas heiser ist. Ich erfahre, dass er Syrer ist, seit vielen Jahren in Deutschland lebt und dieses Jahr bereits siebzig wird. Aber er arbeitet noch immer. Weil die Rente nicht reicht.

Mit siebzig noch Taxifahrer? Ich frage ihn: »Und – sind Sie glücklich?« Er zögert keinen Moment und antwortet mit einem Funkeln in den Augen: »Aber ja!« Ich will wissen, was für ihn Glück bedeutet. Er nennt, ohne zu zögern, drei Aspekte: Er führt eine gute Ehe, seine Familie ist gesund – und er ist finanziell unabhängig. Der letzte Punkt lässt mich stutzen: »Wie meinen Sie das? Sie sagten doch gerade, dass Sie zu wenig Rente bekommen …«

Er lächelt und erklärt es mir mit ruhigen Worten. Er meint »finanziell unabhängig« nicht im Sinne von »reich«. Nein, das ist er nun wirklich nicht. Er hat harte Zeiten hinter sich und es gibt gute und weniger gute Tage. Aber, hey, er ist sein eigener Boss, er kann selbst bestimmen: »Ich fahre mein eigenes Taxi – das ist meine Firma! Ich bestimme selbst, wann und wie lange ich fahre. Ich bin der Herr meiner Zeit!« Wie er das so erzählt, wirkt er nicht naiv und weltfremd, sondern klar und geerdet. Und ganz und gar nicht hektisch. Mir fällt auf, dass er der erste entspannt wirkende Mensch ist, der mir heute über den Weg gelaufen ist.

Welch ein Kontrast! Ein einfacher Taxifahrer strahlt mehr Selbstbestimmtheit aus als Menschen, in deren Händen die Verantwortung für millionenschwere Budgets und Tausende von Mitarbeitern liegt. Ist das Rezept so einfach? Wissen, was einem wichtig ist, sein Leben und seine Zeit darauf ausrichten – und schon bin ich glücklich?

Mut braucht eine Stimme

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