Читать книгу Gottfried - Peter Houska - Страница 4
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ОглавлениеGottfried war mit dem Makel der unehelichen Geburt behaftet, was ihm aber nie zum Nachteil gereichte. Einen Vater hatte er auch nie vermisst. Der Vater fehlt einem doch nur, wenn man weiß, dass es überhaupt einen Vater gibt. Außerdem konnte er sich unmöglich vorstellen, dass seine Mutter Dinge tat, wie dieses Mädchen ihm erzählt hatte, das heimlich zu ihm in den Garten gekommen war. Mir nichts, dir nichts hatte ihm diese frühreife Zwölfjährige (er war damals elf) mit tückischem Lächeln erklärt, wie Kinder „gemacht“ werden. Gottfried war abwechselnd blass und rot geworden. Die Göre wollte daraufhin mit ihm Doktor spielen, hatte ihm Ihrs gezeigt, wollte dann auch Seins sehen. Dabei hatte er sich dermaßen dämlich angestellt, dass das Mädchen schrill lachend aus dem Garten geflohen war. Der kleine Gottfried hatte lange verzweifelt herumgestanden. Aus so einem Schlitz sollte er gekommen sein? Vorher sollte ein fremder Mann seinen Pippi in den Schlitz von Mama gesteckt haben, um dann etwas in seine Mama hineinzuspritzen - ekelhaft! Das konnte nie und nimmer sein. Nein, wenn er schon aus seiner Mama gekommen war, dann höchstens durch ihren Bauchnabel. Den hatte er einmal zu Gesicht bekommen und fand ihn schön und aufregend. Außerdem hatte das liebe Jesulein, von dem seine Mutter manchmal sprach, auch keinen echten Vater gehabt. Von da an hielt sich Gottfried, wenn überhaupt, für eine Jungfrauengeburt. Falls sein Vater existierte, dann äußerte sich das höchstens in Form von Schecks, die in unregelmäßigen Abständen mit der Post kamen. Die Unregelmäßigkeit schien aber durch ihre Höhe wieder wettgemacht zu werden, denn bisweilen stieß seine Mutter beim Lesen dieser kleinen Papierdinger entzückte Rufe aus. (Oh, lá lá, oder: Du lieber Himmel, was ist er wieder generös) Das verunglückte Doktorspiel war und blieb für ihn in der Hinsicht übrigens die einzige Begegnung mit dem anderen Geschlecht.
Maria Kreeter hatte nie mit ihrem kleinen Jungen über den Vater gesprochen. Außerdem war sie am Anfang, wie so viele Mütter, von der Gewissheit besessen, ihr Sohn sei etwas ganz Besonderes, etwas, das man vom gemeinen Volk fernhalten müsse, etwas, dessen Genie man unbedingt fördern müsse. Daher hielt sie ihren kleinen Götti (wie er diesen albernen Kosenamen gehasst hatte) von gleichaltrigen Spielkameraden fern. Auch den Kindergarten hielt Maria Kreeter für eine Institution, in der man seinem Genius nur Schaden zufügen würde. Sie überhäufte ihn mit teuren Bilderbüchern, Kunstbänden, Atlanten, naturwissenschaftlichen Bildwerken. Auf dem Grammophon, ein Gerät von Braun, im Volksmund seinerzeit „Schneewittchensarg“ genannt, spielte sie ihm jede Menge klassischer Musik vor. Bach, Beethoven, Mozart, Scarlatti, Götti saß brav auf seinem Stuhl, schloss wie seine Mutter beim Hören die Augen und lauschte auf den Schlag seines Herzens. Vor dem Schlafengehen las sie ihm anstelle von Märchen, Gedichte von Goethe, Schiller und Rilke vor. Zu der Zeit fingen Gottfrieds Augen an, sich zu verschleiern, zu verdunkeln, sich ganz nach innen zu richten. Von all den Büchern schien er sich vor allem für die Atlanten und sonst nur für den Globus zu interessieren. Später blätterte er auch oft in Kunstbänden über Michelangelo und Dürer. Während seine Mutter ihn abends mit Gedichten traktierte, blickte er durch ihren sich bewegenden Mund und sah fremde Landschaften mit merkwürdigen Tieren, und alles bewegte sich im sprachlichen Rhythmus ihres Gedichtvortrags. Gottfried versuchte diese Dinge festzuhalten, sie zu manifestieren, so fing er zu zeichnen und zu malen an. Tagsüber blieb sich Gottfried in dem abgeschlossenen Haus die meiste Zeit selbst überlassen. Einmal, es dämmerte bereits, entdeckte er in seinem Zimmer eine Stelle, an der die alte Tapete eingerissen war. Wie er so darauf starrte, nahm dieser Einriss die Form eines stierähnlichen Tieres an. Gottfried griff zu seinen Stiften und zeichnete die Umrisse nach. Erstaunt über das gelungene Werk, malte er es mit Buntstiften aus und sah, dass es gut war. Nun gab es kein Halten mehr, auch das altmodische Blumenmuster der Tapete inspirierte ihn, und als seine Mutter nach Hause kam, bevölkerte eine üppige Fauna und Flora die halbe Wand. Maria Kreeter war über das Werk ihres Sprösslings ganz und gar nicht erbaut. „Narrenhände beschmutzen Bücher, Tisch und Wände“, schalt sie und schlug ihm auf die Händchen. Gottfried war entsetzt, sprach drei Tage lang nicht mit seiner Mutter, setzte aber sein Werk unverdrossen fort. Da Maria Kreeter einsah, dass sie mit Wut und Strafe nicht weiterkam, besorgte sie ihm schließlich resigniert Zeichenblöcke. In seinem Wahn hätte Götti am Ende das ganze Haus zugeschmiert, vermutete sie. Zeichnen, malen! Dabei war sie sich doch so sicher, dass in Götti ein naturwissenschaftliches Genie steckte.