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Lange vor seiner Mutter war er wach, ging in die Küche und setzte die Kaffeemaschine für sie in Gang. Warum er das tat, auch nachdem sie für ihn bedeutungslos geworden war, wusste er nicht, vielleicht die Macht der Gewohnheit. Danach machte er sich ein Marmeladenbrötchen zurecht und aß es mit einem halbem Liter Milch als Gleitmittel. War der Kaffee fertig, füllte er ihn in eine Thermoskanne. Sommers ging er dann in den Garten hinter dem Haus, um Fliegen zu fangen. Die besten Jagdgründe befanden sich an dem alten, bemoosten Brunnen, den seine Mutter zu seinem Schutz mit einer Steinplatte hatte abdecken lassen. Die Platte war ziemlich schwer, trotzdem war es ihm gelungen, sie beiseite zu schieben, um Steine in die Tiefe zu werfen. Dadurch stellte er fest, dass der Brunnen wasserlos war, aber doch recht tief sein musste. Einmal hatte er mit einer Taschenlampe hinuntergeleuchtet. Auf dem Grund hatte er modriges Laub und ein Vogelgerippe erspäht. Nun im Sommer wärmten sich auf der Steinplatte dicke Fliegen, die er mit der Rechten fast immer auf Anhieb erwischte, und zwar so, dass sie noch lebten. Spinnen mögen keine Leichen. Auf seine Linke hatte er sich ein wenig Marmelade gestrichen, auf die er seine Beute vorsichtig mit den Flügeln festklebte. Hatte er seiner Meinung nach genügend gefangen, eilte er in die Kellergewölbe, wo er zuerst seinem Lieblingstier, einer fetten Kreuzspinne, eine Fliege ins Netz setzte. Oh, wie freute es ihn, die dummen Fliegen zappeln zu sehen. Und wie aufregend war es, zu beobachten, wie die Spinne vorsichtig aus ihrem Versteck herauskam, um sich dann blitzschnell auf das Opfer zu stürzen. Insgesamt waren so an die sieben Tiere zu versorgen, die alle einen gutgenährten Eindruck machten. Natürlich gab es in dieser Unterwelt mit dem fahlen Licht noch weitere Spinnen. Die schienen ihm aber wegen ihrer Spillerigkeit nicht förderungswürdig. Manchmal zerstörte er ihre Netze, oder tötete sie sogar mit einem Feuerzeug, wobei er Tag und Stunde ihrer Hinrichtung vorher exakt festlegte. Meistens war dies auch die Stunde der Fütterung. Als er mit seiner Arbeit fertig war, überprüfte er nochmals seine Hausaufgaben, packte seine Siebensachen zusammen und trabte zur Schule, die zum Glück nicht weit entfernt war.

Wenn er wieder von dort zurückkehrte, fand er meist auf dem Küchentisch einen Teller mit erkalteter Suppe vor, die er teilnahmslos in sich hineinschlürfte. Manchmal lag auch ein Zettel daneben, auf den seine Mutter ihm kleine, ihn nicht überfordernde Aufgaben zuteilte. Etwa: Hole ein Weißbrot, oder ein Pfund Zucker, oder gib den Geranien Wasser. Dazu konnte er sich gerade noch herablassen. Anschließend setzte er sich hin und machte sorgfältig seine Hausaufgaben. War dies erledigt, ging es sofort an den Zeichenblock. Unentwegt entwickelte er zeichnend Pflanzen oder Tiere und er ruhte nicht eher, bis das Wesen seiner Vorstellung nach perfekt war. Für den einigermaßen gelungenen Entwurf einer Pflanze oder eines Tieres brauchte es manchmal drei Tage. Hatte das Modell endlich vor seinen Augen Bestand, ging es um die Farbgebung dieser, seiner Schöpfung. Das war wirklich keine leichte Aufgabe, sollte sich seine Kreatur von bekannten Lebensformen einigermaßen unterscheiden. Da er nicht sehr gebildet war, kam es mitunter vor, dass er ein Tier erfand, dass es in dieser Welt bereits gab. Er wusste einfach nichts von dessen Existenz, und schuf es gewissermaßen noch einmal. Durch dieses fortwährende Zeichnen und kolorieren war sein Strich ungemein sicher und kraftvoll geworden, die Farbgebung von sicherem Gespür und Originalität. Hätte ein Fachmann ihm dabei über die Schulter gesehen, wäre er entzückt gewesen über die Anmut und Eleganz, die diese Stummelfinger hervorzauberten. Gegen Abend, wenn Gottfrieds Händchen erlahmten, klappte er die Blöcke zu und verschloss sie sorgfältig in seinem Schrank, dessen Schlüssel er immer bei sich trug. Er hörte dann immer zu derselben Zeit seine Mutter in der Küche herumhantieren. Meist gab es dann irgendwelchen Aufschnitt, eine geräucherte Makrele oder warme Würstchen zum Abendbrot. Gottfried war es völlig gleichgültig, Hauptsache, die Angelegenheit ging schnell über die Bühne. Manchmal, wenn seine Mutter gut gelaunt war, kontrollierte sie dann die Schularbeiten. War alles in Ordnung, was meistens der Fall war, (auch ohne Genie) war er entlassen, ging in den Garten, um für seine Lieblinge das Abendbrot zu jagen. Ehe er anfing, seine heilige Schrift zu entwickeln, ging er dann mit irgendeinem Atlanten ins Bett, während es sich seine Mutter bei dem vollaufgedrehtem Fernseher bequem machte. Vor dem Einschlafen machte er sich bereits Gedanken über weitere staunenswerte Kreaturen, von denen er damals noch nicht ahnte, dass sie einmal seine Welt einmal bewohnen sollten. Später teilte er seine Nachmittage in Zeichenstunden und der Beschäftigung mit seiner Sprache und Schrift ein, verbrachte viel Zeit mit seinem Kalligraphie-Set.

Wie soll man sich diese Sprache, diese Schrift vorstellen? In erster Linie unterschied sich die Sprache von dem gemeinen Kommunikationsmittel in der Lautgebung von emotionalen Wahrnehmungen und Empfindungen. Es gab für bestimmte Erregungsmomente und seelische Zustände eigenartige weiche Zisch- oder Jodellaute, für gewisse Schwingungen des gesamten Soseins pfeifartige Äußerungen, die dargestellt werden wollten. Die Ausdrucksmöglichkeiten, die Gottfried seiner Sprache dafür gab, waren weit differenzierter und vielfältiger als es die diesseitige Sprache bot.

Seine Schrift bestand im Wesentlichen aus Strichen, Doppelstrichen von unterschiedlicher Länge und Dicke - senkrecht, waagerecht, schräglinks, schrägrechts, und jede Veränderung hatte seine besondere Bedeutung. Außerdem spielten Bögen eine große Rolle. Auch wieder verschieden in Dicke, nach oben oder unten geöffnet, in Kreisen unterschiedlichster Größe, darin enthaltenen, kleineren Kreisen. Es gab Schlangenlinien unterschiedlicher Länge, Dicke und Frequenz, desgleichen senkrecht, waagerecht. Und Punkte, ebenfalls in Form und Größe verschieden. Für manche Sätze, die eine ganz besondere, heilige Bedeutung für ihn hatten, gab es verschlungene Ornamente. So bestand später seine gesamte Schöpfungsgeschichte aus dreizehn dieser Ornamente. Alles hatte natürlich in den verschiedensten Kombination wieder seine eigene Bedeutung - man darf sich das Ganze nicht zu simpel vorstellen. Was das metrische System angeht, war es auf die Dreizehn ausgerichtet und drückte sich in Punkten Kreisen und Doppel-Dreifachkreisen aus. Fürs erste sollte das dem Verständnis des Lesers genügen.

Gottfried

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