Читать книгу Gottfried - Peter Houska - Страница 8
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ОглавлениеWäre Gottfried nicht von Natur aus Frühaufsteher (im Gegensatz zu seiner Mutter) gewesen, so wäre er spätestens um sieben Uhr durch den Baumaschinenlärm erwacht. Wie immer kitzelte er sich noch liegend mit hochgereckten Armen mit den Fingern kurz die Innenseiten seiner Handflächen. Das war seine Art von Frühgymnastik und machte ihn hellwach. Dann ging er ans Fenster und betrachtete eine Weile das nicht gerade emsige Treiben der Bauarbeiter. Dabei strich er sich mit der Rechten übers Gesicht, Bartstoppeln waren kaum zu spüren, was bei seinem spärlichen Bartwuchs nicht weiter verwunderlich war. Trotzdem war er ein wenig enttäuscht. In Gedanken an die Erlebnisse des Knechtes vor dem gestrigen Einschlafen macht er sich auf den Weg zum Frühstücksraum. Unten an der Treppe schien der Schnauzbärtige bereits auf ihn gewartet zu haben.
„Hmpf, hmpf, hmpf“, machte er, „begibt sich ein Herr so zum Frühstück?“ Da erst wurde Gottfried gewahr, dass er gewohnheitsmäßig noch immer im Schlafanzug und barfuss war. Wortlos kehrte er um. In seinem Zimmer spritzte er sich einige Tropfen kalten Wassers ins Gesicht, zog sich Hemd, Jeans und ein Paar Slipper an, um den zweiten Versuch zu starten. „Na also, “ grunzte der Zerberus, als Gottfried ihn wieder passierte.
Der Frühstücksraum war in altrosa gehalten, aber mit modernen Möbeln versehen. Gottfried stand längere Zeit unschlüssig an der Tür herum, war nicht sicher, welchen Platz er wählen sollte. Er hatte freie Auswahl, entweder war er der einzige Gast dieses Hauses, oder die übrigen Gäste waren Spätaufsteher und hatten sich an den frühmorgendlichen Lärm bereits gewöhnt. Schließlich entschied er sich für einen Tisch, der offensichtlich nur für zwei Personen bestimmt war. Einfacher war die Sache am Buffet. Er nahm ein großes Glas Milch, zwei Brötchen, eine Scheibe, Wurst ein zwei Scheiben Käse, die aussahen wie gelbe Papierstücke.
Während er ohne große Begeisterung vor sich hinkaute, sah er sich wieder als Knecht.
Man befand sich mitten in der Dschum-bah-Ernte.
Dschum-bah war ein Halmgewächs, an dessen oberen Ende schwarze, kleine, kirschartige Früchte hingen, deren getrocknetes, gemahlenes Fleisch die Grundsubstanz eines Fladenbrotes war, welches eines der Grundnahrungsmittel seines Volkes war. Wie üblich herrschte während der Erntezeit eine brütende Hitze, und Gottfried spürte noch den Schweiß, der ihm während der Arbeit in Bächen vom Körper geflossen war. Zwar hatten sie bereits einfache Mähmaschinen zur Verfügung, trotzdem waren die Arbeit des Aufladens und die andauernde Korrektur der Maschine anstrengend. Gottfried sah sich, nur mit einem Schurz bekleidet, schweißglänzend die Garben der Frucht auf einen großen Wagen laden. Der Aufseher trieb die Knechte an. Man wollte die gute Ernte noch vor dem alljährlichen, zwölftägigen Dauerregen in der Scheuer haben.
Plötzlich merkte Gottfried, dass jemand an seinem Tisch stand und ihn ausdauernd anstarrte. Er blickte irritiert zu einer älteren Dame auf. Sie sagte nichts, starrte ihn nur böse an. Er sagte ebenfalls nichts und blickte sie weiter verständnislos an. Endlich entfernte sie sich, stieß aber dabei aus: „So ein Rüpel, nimmt mir einfach meinen Stammplatz!“ Gottfried störte das wenig, er kaute weiter an seinem Brötchen und trank seine Milch.
Der Knecht, in dessen Körper Gottfried bei seinem Volk gewesen war, war noch ziemlich jung, er nahm sich vor, sich nach einer anderen Arbeit umzusehen. Ja, er dachte sogar daran, noch eine richtige Karriere zu machen, vielleicht sogar in der Hauptstadt. Gottfried überlegte gerade, ob er ihm so eine Karriere schenken sollte, als ihm jemand eine Zeitung unter die Nase hielt. „Wenn Sie möchten, ich habe sie bereits gelesen.“ Gottfried blickte in das freundliche Gesicht eines jungen Mannes. „Prinz ist mein Name, Gregor Prinz“, stellte er sich vor. „Ich lese keine Zeitung“, verwies ihn Gottfried und senkte seinen Blick wieder nach innen.
Es stimmte, er las weder Zeitungen, noch irgendwelche Magazine, hörte kaum Radio, und dass es Fernsehen gab, hatte er fast vergessen. Weder wusste er genau, wer gerade an der Regierung war, noch kannte er sich in der europäischen Politik aus. Hätte er nur die Namen der Präsidenten von drei verschiedenen Ländern nennen sollen, wäre er in arge Verlegenheit geraten. Er war weder informiert über die großen Verbrechen unserer Zeit, noch über Entdeckungen oder soziale Veränderungen, kurz, er war ein ziemlich perfekter Ignorant, wenn man das von einem Gott behaupten darf.
Als er auf dem Flur zu seinem Zimmer war, sah er eine fremdländisch aussehende Frau mit einem Staubsauger hantieren. Gab es in seiner Welt Putzfrauen? Sicherlich gab es dort keine Staubsauger. Mit seiner Art von Mona-Lisa-Lächeln erinnerte sich Gottfried daran, wie ihn seine Mutter einige Male zur Mithilfe im Haushalt anhalten wollte. Dabei hatte er sich dermaßen ungeschickt angestellt, dass sie es bald aufgab. Hätte sie ihn nur einmal beim Fliegenfangen beobachten können, wären ihr sicher die Augen aus dem Kopf gefallen, so gewandt gingen seine kurzen Händchen dabei vor.
Wie hatte klein Gottfrieds Tagesablauf eigentlich vor diesem Tag ausgesehen, ehe er seine wahre Berufung erkannte?