Читать книгу Gottfried - Peter Houska - Страница 5
3
ОглавлениеDer nächste Bus kam. Nach Gottfrieds Geschmack war er zwar noch immer zu voll, aber wollte er vor Einbruch der Nacht mit seinem Umzug fertig sein, musste er nun einsteigen. Auf die Idee, ein Taxi zu nehmen, kommt ein Gott wohl nicht so schnell. Er bugsierte sein schweres Gepäck an einen freien Platz in der Mitte des Fahrzeugs und stellte sich schützend davor. Der Bus fuhr mit einem Ruck an und Gottfried landete auf dem Schoß einer älteren Dame, auf dem schon ihr Hündchen saß. Es gab ein fürchterliches Gejaule und einen entsetzten Aufschrei von der Dame. Gottfried hatte keine Ahnung, wie man sich in einer solchen Situation verhalten sollte, so brachte er nuschelnd hervor: „Gott sei Dank ist es kein Kind.“ Die Dame fing daraufhin fürchterlich zu keifen an, stieß irgendetwas von Tierarztrechnung hervor, dabei hatte sie eine unglaublich feuchte Aussprache, dass ihm übel wurde. Gerade als sie handgreiflich gegen den armen Gottfried vorgehen wollte hielt der Bus, sodass er flüchten konnte.
Das Unternehmen Umzug ließ sich ja gut an!
Er war jetzt an einer Haltestelle, die schon recht nahe der Stadtmitte war. Diese Leute, dies Unmasse von Menschen, Gottfried schwitzte noch mehr. Und es kamen immer mehr Leute zu dieser Haltestelle. War das denn die einzige Haltestelle dieser Stadt? Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. In diesem Augenblick versuchte sich ein kleiner Ganove mit einem seiner Koffer aus dem Staub zu machen, ließ es wegen des Gewichtes bei dem Versuch, konnte es sich aber nicht verkneifen Gottfried wegen seines blöden Lächelns eine Reinzuhauen. In seiner Welt hätte HANN diesen Idioten augenblicklich wegen Gotteslästerung lebenslang in die Erzminen verbannt. So aber begnügte er sich mit einem, teils erstaunten, teils tadelnden Blick, ehe sich der Ganove davonmachte. Diese kleine Szene zeigt schon, dass Gottfried kein besonders origineller Gott ist, wenigstens in dieser Hinsicht nicht - Verbannung in die Erzminen! Na, wenigstens kein Todesurteil. Aber wo, oder in welchem Universum ist es Voraussetzung, dass ein Gott originell sein muss. Nein, es schien sogar eine hervorragende Eigenschaft von Göttern zu sein, sich endlos zu wiederholen.
Gottfrieds Blick blieb an einem Schild an einem Haus gegenüber der Haltestelle hängen. Es dauerte eine Weile, ehe er begriff, dass er nicht mehr weiterfahren musste.
Pension Schönblick konnte er lesen, sein zukünftiges Heim, wenn er seine Mutter recht verstanden hatte. Wie war wohl das Schöne beschaffen, auf das er blicken sollte? Die Bushaltestelle? Er packte also seine Koffer und überquerte schnaufend die Straße. Im Eingangsbereich roch es nach Zigarrenrauch. Als Gottfried an der Rezeption vorbei wollte, tauchte hinter Empfangstresen eine massige Gestalt aus dem Halbdunklen auf und rief: „Halt! Stehen geblieben! Wo wollen Sie hin?“ Neonlicht ging an. Gottfried erschrak. Der schnauzbärtige, große Mann sah ihn zunächst misstrauisch, dann ungläubig an. „Äh...für mich ist...äh, für mich ist ein Zimmer hier reserviert worden“, stotterte Gottfried. Der Mann sah noch ungläubiger drein, knurrte dann aber doch: „Hat man einen Namen?“ „HANN“, entfleuchte es Gottfried. „Hann“, grunzte der Mann, „soll das eine Name sein?“ Gottfried bemerkte seine Selbstentblößung. „Gottfried“, berichtigte er sich. „Der Vorname, oder der Nachname?“ wollte der Schnauzer wissen.
„Äh...der...der Vorname.“
„Meine Zeit ist begrenzt, den Nachnamen, wenn ich bitten darf.“
Gottfried dachte scharf nach, holte endlich seinen längst abgelaufenen Personalausweis hervor.
„Kreeter...äh...Gottfried Kreeter.“
„Gottlob, ich habe schon befürchtet, wir kriegen es bis Weihnachten nicht mehr hin“, sagte der Mann und sah in einem Buch nach. Danach griff er nach einem Schlüssel, behielt ihn aber fest in der Hand, um Gottfried noch einmal eingehend zu mustern. Endlich händigte ihn ihm der Mann widerwillig aus. „Frühstück von sieben bis zehn, keine Weiber oder Stricher. Auf dem Zimmer wird nicht gekocht, alles klar? Wie ich sehe, bleiben Sie länger - drei Monatsmieten im Voraus, aber nur weil’s Sie sind.“ Gottfried fischte ein Bündel Banknoten aus der Brieftasche, die seine Mutter ihm zusätzlich mitgegeben hatte - fürs erste. Der Mann griff sich das Bündel, ehe Gottfried piep sagen konnte, nahm einige an sich und gab ihm den Rest zurück. „Zweiter Stock, rechts“, sagte der Zerberus und da Gottfried stehen blieb: „Sonst noch was?“ „Was ist das Schöne, auf das man blicken kann?“ fragte Gottfried nun selbstbewusster. „Das Schöne, wie?“ sang der Klotz, „Mann, das Schönste, was wir hier haben, ist die Baustelle hinten raus.“
Kein Fahrstuhl. Gottfried ächzte die alten Holztreppen hinauf. Er war sein Lebtag lang in keiner Pension gewesen und fand das Zimmer recht feudal. Es war ziemlich groß, aber nicht so hoch, wie die Räume zu Hause. Es gab eine Dusche mit Toilette, einen geräumigen Schrank, eine Couch mit einem Glastisch und zwei Sesseln, einen Schreibtisch und ein französisches Bett nebst passendem Tischchen. Es war hell, aber, wie er sogleich feststellte, laut - die Baustelle. Als erstes schob er den Schreibtisch vors Fenster, das er ohnehin nie öffnen würde, dann packte er seine Kladden und Zeichenblöcke aus den Koffern und ordnete sie nach einem ausgeklügelten System in den Schrank. Nachdem er dies erledigt hatte setzte er sich schweratmend auf die Couch.
Gottfried hatte eine Eigenschaft, um die ihn viele Zeitgenossen beneidet hätten. Er war immer völlig sorglos gewesen und war es auch jetzt. Warum sollte sich ein Gott wohl auch Sorgen machen?
Er hatte sich nicht gesorgt, als in seiner Mutter damals ganz zart der Verdacht aufkeimte, dass es mit seinem Genie vielleicht doch nicht so weit her sein könnte, und ihm nach und nach ihre Aufmerksamkeit entzog.
Es begann damit, dass sie ihm schon vor der Grundschule Rechnen, Lesen und Schreiben beibringen wollte. War es doch möglich, dass in Götti bereits Ideen schlummerten, die zu Papier gebracht werden wollten, je früher desto besser. Wie war es denn mit Mozart gewesen? Sie hatte ihm also Buchstaben, arabische und römische Ziffern vorgezeichnet und erwartete, dass er sich mit glühendem Eifer und voller Ungeduld daran machte, sie formvollendet nachzuzeichnen.
Sie sah ihn bereits komplizierte mathematische Gleichungen lösen, elegante, kluge Sätze voller Esprit niederschreiben.
Der kleine Götti aber hatte seinen eigenen Kopf. Die Buchstaben sahen nur sehr entfernt nach einem A oder C oder W aus. Zu ihrem Leidwesen musste Maria Kreeter feststellen, dass ihr Götti einen fatalen Hang hatte, alles und jedes zu verschnörkeln, zu verdrehen, auf den Kopf zu stellen, oder gar völlig anders darzustellen. Sie wurde manchmal sehr streng zu ihm. Götti verschloss seine winzige Schnute und brachte ein Ungeheuer aufs Papier, groß und furchterregend. Sollte er rechnen, bedeckte er ganze Seiten mit undefinierbaren, abstrakten Gebilden und murmelte dabei unverständliches Zeug. Sie schimpfte mit ihm, schlug ihm auf die Stummelhändchen, nichts half. Schließlich tröstete sie sich damit, dass es der Schule gewiss gelingen werde, sein Genie ans Tageslicht zu fördern. Gleichzeitig aber hatte sie auch wieder Angst vor dieser Institution - der schlechte Einfluss der Mitschüler! Noch etwas machte ihr zu schaffen in jenen Tagen - sein Aussehen. Gemeinhin sagt man ja, dass aus den hässlichsten Babys die hübschesten Kinder, die schönsten jungen Menschen werden. Bei ihrem Götti schien aber eher das Gegenteil der Fall zu sein. Immer wieder musste sie sich einreden: (manchmal laut) „Das wächst sich aus, das wächst sich aus.“
Ja, damals war der Keim zu seiner Gottwerdung gelegt worden. Damals, als er während der langen Stunden, die seine Mutter fort war, mit einer Taschenlampe durch die Kellergewölbe gestreift war. Stundenlang konnte er im schwachen Licht die grob verputzten Wände anstarren. Teilweise war der Putz abgeblättert und hatte seltsame, tierähnliche Formen erzeugt, die nackten, grobgehauenen Natursteine blickten durch. Manchmal erweiterte er die Löcher im Putz, was sehr leicht ging, und schuf damit die Umrisse von allerlei Getier, von merkwürdigen Landschaften, Stadtansichten, bizarren Pflanzen. Einmal fand er in einem der Kellerräume eine rostige Hellebarde mit wurmstichigem Schaft, die vielleicht einmal das Entree der alten Villa geschmückt hatte. Diese alte Waffe wurde für ihn ein heiliger Gegenstand, vergleichbar etwa mit einem Bischofsstab. Aber es gab auch andere interessante Dinge hier in der Unterwelt - Spinnen zum Beispiel. Sie wurden seine Lieblingstiere, die er manchmal mit Fliegen und Schmetterlingen fütterte, die er im Garten fing. Wieder oben in seinem Zimmer malte er sie und ihre Netze in unzähligen kühnen Variationen. Gottfried erinnerte sich genau an den Tag, als er seiner Mutter stolz ein paar von diesen Zeichnungen zeigte, erinnerte sich an ihr entsetztes Gesicht und wie sie voller Abscheu seine Werke, die Gelungensten übrigens, wie er fand, kurzerhand zerriss. Seit diesem Tag hatte sie endgültig bei ihm verspielt.