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HOFFEN AUF FRITZI MASSARY

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Zurück ins Metropol-Theater im September 1932.

Mit mir ist nicht zu spaßen … Ich werde das Kind schon schaukeln … nehme die Sache selbst in die Hand, ich rette das Vaterland, singt Massary. Die Sache, die man Liebe nennt, ob einst, ob jetzt … wird überschätzt. Die ganze große Leidenschaft – la grande passion –, wenn’s auch mitunter Freuden schafft, was hat man schon davon?

Operetten wie Eine Frau, die weiß, was sie will brauchen ein Chanson, das der Hauptfigur auf den Leib geschrieben ist und dem Publikum noch Tage und Wochen im Kopf nachklingt. Fritzi Massary singt:

Was so die Gesellschaft redet zwischen Lunch und Dinner nachmittags bei Five o’clock von Madame X und Madame U. Am besten ist’s, man hörte den Leuten gar nicht zu! ‚Die hat ihren Mann betrogen, die ist dem Chauffeur gewogen.‘ Und man urteilt ganz en bloc: ‚Mit Mister Z ist sie intim, er hat mit ihr etwas und sie hat was mit ihm.‘ Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben, kein Verhältnis haben, kein Verhältnis haben? Ist sie hübsch, wird man sagen: ‚Na die muss doch eins haben, ’s wär zu dumm!‘ Na, und wenn man schon so redet und sie hat keins, na dann ist es doch viel besser gleich, sie hat eins! Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben? Können Sie mir sagen: Warum? Man lacht diskret und maliziös, und so entsteht die ganze Chronique scandaleuse!

Scheinbar eine Luxus-Sorge in der Metropole der schreienden Gegensätze, aber überall nachgesungen in Berlin. Obwohl die für Herbst 1932 angekündigte Mode extrem lange und eng geschnittene Damenmäntel mit Pelzbesatz am Hals und kleinem Hütchen vorsieht, preisen die Zeitungen Mittel gegen Magerkeit an: „Von den Männern bewundert – weil sie schön ist. Vor kurzem war sie noch mager, zeigte zu viel Knochen statt gesunden glatten Fleisches und war noch blass dazu. Sie nahm ‚Eta-Tragol-Bonbons‘.“ Mit denen lasse sich „das Körpergewicht in einigen Wochen um 10 bis 30 Pfund erhöhen“: „Die unschönen Knochenvorsprünge an Wangen und Schultern schwinden.“24 Als Schönheitsideal gilt ein absichtlich sehr schmal geschminkter Mund, vielleicht weil dies die Augen größer erscheinen lässt.

Das werden Fritz und Alfred kaum noch wahrnehmen, bei ihnen geht es ums Ganze. Mit Pfändungen und Schulden sind sie mittlerweile so übel dran, dass ein Großerfolg allein nicht reicht – sie brauchen pro Spielzeit deren drei.

Zwei haben sie in diesem bitteren Sommer bereits.

Am 19. August 1932 hatte im Theater des Westens das Singspiel Dreimäderlhaus (1916) über den Komponisten Franz Schubert Premiere. „Ein umjubelter Sänger wie Richard Tauber tritt in der Maske des Meisters auf, stellt ihn respektvoll dar, der Operettenform überlegen. Taubers Beliebtheit, seine bemerkenswerte Leistung holen die Verbrauchtheit des Dreimäderlhauses auf. Bei einem Höchstgrad sommerlicher Temperatur musste der Künstler jede Gesangsnummer, jedes Duett wiederholen.“25 „Gitta Alpár warf aus der Direktions-Loge, in der übrigens Fritz Rotter fehlte, dem großen Kollegen Blumen zu“26, das Dreimäderlhaus „trägt der Direktion Rotter und den Sängern den erhofften Erfolg ein“.27

Den zweiten Erfolg haben sie drei Tage später errungen, am 22. August 1932, mit Gitta Alpár im Admiralspalast in der Uraufführung von Katharina. Eine russische Ballade unter Alfreds Regie. „Eine Premiere mit Siedetemperatur des Beifalls“28, „das Publikum ist hingerissen“ – „so bedeutet die Katharina die völlige Abkehr von einem Operettenschema, das schon zur Landplage geworden war“.29

In der linken Rangloge zeigten sich beide, Fritz und Alfred Rotter, vor Aufführungsbeginn, und zwar mit den Schauspielstars Grete Mosheim und Oskar Homolka, „und grüßen die Abgesandten der Filmindustrie“, die „Platz genommen haben“.30

„Trotz Hitze nahm der Jubel unbeschreibliche Formen an. Wer war da? Ist das noch Gegenwart? Sind wir nicht am Ende um ein Jahrzehnt zurückverschlagen? Eine Welt stürzt zusammen, eine Zeit gebiert unter Qualen eine neue Welt – und in der Friedrichstraße, im Berlin von 1932, findet eine Premiere mit einem Gepränge statt, das man nicht fassen kann. Verstopft ist die breite Passage in den Theaterhof von neugierigen Menschen, blockiert ist der ganze Stadtteil bis Unter den Linden von Autos. In der Pause eilt alles aus der Hitze des Parketts auf den luftigen Hof; es ist ein Kommen und Sich-Begegnen, einer riesigen Familie gleich. Groß angezogene Frauen stoßen auf hemdsärmelige Gestalten. In der ersten Reihe der General von Schleicher neben dem Reichskanzler von Papen, der sicherlich beschließt, auch die nächsten vier Alpár-Premieren als Kanzler erleben zu wollen.“31

Wer das liest, kann nicht ahnen, dass vier Monate später, am 17. November 1932, Papen zum Rücktritt gezwungen und Schleicher die Kanzlerschaft übernehmen wird. Doch auch Schleicher entgeht dem Sturz nicht. „Papen wollte seine Rache an Schleicher nehmen, was ihm unter den obwaltenden Verhältnissen nur mit Hitler gelingen konnte.“32 Die vor Intrigen strotzende Operette Katharina sieht sich von der Gegenwart schon bald überholt.

Deutliche Vorbehalte gegenüber der Aufführung äußert Herbert Jhering, der den Rotter-Brüdern kaum etwas durchgehen lässt. Lob hat er nur für den Star dieses Abends übrig: „Gitta Alpár hat in ihrer Stimme jenes erregende Fluidum, das Menschen hinreißt, jenen sinnlichen Glanz, der Tausende berauscht. Sie tritt auf und beherrscht Bühne und Zuschauerraum. […] Niemand kann der Direktion Rotter nachsagen, dass sie das Publikum nicht kenne, dass sie vom Erfolg nichts verstände. Diesmal hat sie sich geirrt. Selbst wenn man sich ganz auf das Genre einstellt, das im Admiralspalast gepflegt wird, war die Operette schlecht.“33

Nun hängt alles am dritten Wurf, somit an Fritzi Massary im Metropol-Theater. Massary ist gerade fünfzig geworden, lässt aber das Publikum über ihr Alter rätseln. Verheiratet ist sie mit dem ihr an Ruhm und Wirkung in nichts nachstehenden Schauspieler Max Pallenberg. Ihr Erfolg würde den Bestand der Rotterbühnen für die kommenden Monate sichern – wenigstens bis Dezember 1932. Dann müssten drei weitere Reißer her – so steht, mitten in der Weltwirtschaftskrise, die Wette.

Am Morgen nach der Uraufführung von Eine Frau, die weiß, was sie will heißt es: „Fritzi Massary spielt wieder Operette, spielt wieder eine Frau von Format, die weiß, was sie will, die kann, was sie will. Energiegeladen steht sie auf der Szene. Man hört die Funken knistern. Achtung, Hochspannung, Lebensgefahr!“34 Von „zärtlichen und witzigen Chansons“ ist die Rede, an denen Massary „ihre noch immer unerreichte Vortragskunst bekunden“ kann. Diese Chansons „sind die Höhepunkte des Abends, von denen das Publikum nicht herunterwill. Man hört jedes einzelne zwei-, drei-, viermal und hat noch immer nicht genug.“35

Die Frau, die weiß, was sie will wird Massary noch vier Monate lang en suite bis Ende Dezember geben. Selbst Herbert Jhering, hartnäckigster Kritiker der Brüder Rotter, weil er zeitkritische Gegenwartsschauspiele bevorzugt und in den Rotterbühnen nur ein Merkmal der „Geschäftsbetriebsamkeit“ sieht, urteilt beinahe enthusiastisch: Fritzi Massary vertrete „einen Typus, den es in Deutschland nur selten gegeben hat: den Typus der großen Dame, der großen Primadonna“. „Ihre Kunst ist absolute Schauspielkunst, die auf den Tonfall an sich, auf die Geste als solche gestellt ist. Fritzi Massary ist die große Ausnahme, die die Regel bestätigt. Sie kann mondäne Rollen spielen in einer Zeit, in der das alte Gesellschaftsstück sich erledigt.“36

Früher hat die Presse die Rotters wegen der Claqueure verspottet, die mit ihrem übertriebenen Applaus Begeisterung vorgetäuscht haben. Nun brauchen sie das nicht mehr: Der „Jubel“, „der die Massary umtost […], ist keine Claque; das ist die Stimme des Volkes, das einer Darstellerin huldigt, die in ihrer Art nicht ihresgleichen hat.“37 Und es heißt: „Gemäß dem faustischen Grundsatz ‚Ihr müsst es dreimal sagen‘ hat die Direktion Rotter nach dem Tauber- und Alpár-Theater nun auch die Massary-Bühne und damit zum dritten (und unwiderruflich letzten) Male die neue Operettensaison eröffnet.“38 Die Hoffnung erfüllt sich, die beiden Brüder können sich im Sommer 1932 noch einmal retten, bekommen Luft.

„Die kleinere, dickere Hälfte heißt Fritz, die andere Alfred“, scherzt die Zeitschrift Querschnitt einmal über sie. „Beide zusammengelegt, ergeben einen Leib und eine Seele.“39

Fritz und Alfred Rotter

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