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AKT I


„SCHAIE & SIMONSON, HERREN- UND KNABEN-KONFEKTION“

Das Todesdatum der Mutter von Alfred und Fritz ist nicht bekannt, doch sie ist schon nicht mehr am Leben, als am 20. September 1923 auch der Vater, Hermann (Heymann genannt) Schaie, stirbt. Sein Grab liegt auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. Er hinterlässt ihnen sowie den zwei jüngeren Schwestern Lucie und Ella ein beachtliches Vermögen.

Heymann Schaie wird am 12. März 1856 in Inowracław geboren; das einstige „a“ der mittleren Silbe wandelt sich später zu einem „o“. Das heute polnische Inowrocław gehört damals, nach der durch nichts zu rechtfertigenden Aufteilung Polens von 1795, zur preußischen Provinz Posen, Regierungsbezirk Bromberg. Es ist eine stark jüdisch geprägte Stadt, von ihren Bewohnern wird sie auf Jiddisch Lesla oder auch Leslau genannt. 1805 werden 996 „jüdische Seelen“ und 1011 christliche gezählt. Ab 1904 heißt die Stadt Hohensalza.

1884 wird ein Schriftstück in eine Kugel gelegt und auf der Synagoge der Stadt angebracht. Der Inhalt: Die jüdische Gemeinde hier sei „eine uralte, die nach Jahrhunderten zählt“ – so schildern es 1907 die Autoren Aron Heppner und Isaac Herzberg. „Auch bei den Juden in Hohensalza hatte seit etwa 1774 deutsche Sitte und deutsche Bildung immer mehr Geltung erlangt, so dass bald darauf die polnische fast ganz verdrängt wurde“1 – das sei ihnen von polnischen Aufständischen, die die Herrschaft Preußens ablehnten, übelgenommen worden.

Die Kaufleute der Stadt, darunter auch der junge und noch ledige Heymann, fahren zur Messe in Frankfurt am Main und nach Leipzig. Vor allem Michael Levy (1807–1879) hat die Stadt viel zu verdanken: Durch Bohrungen auf eigene Rechnung entdeckt er in Inowracław ein mächtiges Steinsalzlager – das wird „seiner Vaterstadt eine Quelle reichen Segens“. „Als die Regierung ihn für seine Bemühungen und Ausgaben entschädigen wollte, lehnte er jede Vergütung, jede Dankesbezeugung ab. Die Straße aber, in der das Steinsalzlager in den Tiefen der Erde ruht, erhielt auf Beschluss der Stadtverwaltung für ewige Zeiten den Namen Michael-Levy-Straße.“2 Doch die Geschichte kennt keine Ewigkeiten. Die Erinnerung an diese einst blühende Zeit und an diese Straße wird während der deutschen Besatzung ausgelöscht.

Heymann Schaie übersiedelt noch als lediger Mann im November 1879 nach Leipzig – gewiss hat er in seiner alten Heimat vorher noch am 30. Januar 1879 den verstorbenen Salzentdecker Michael Levy mit zu Grabe getragen.

Leipzig hat sich lange Zeit gegenüber Juden sehr feindlich gezeigt. Sie wurden nur zur Leipziger Messe zugelassen, ansonsten hat sich die lokale Wirtschaftselite gegen die Ansiedlung jüdischer Familien gesperrt. Doch eine neue Zeit bricht an, die Türen werden etwas weiter aufgestoßen. Sein Herren-Garderobe-Geschäft en gros (Herrenmode-Großhandel) in der Reichsstraße 41 ermöglicht Heymann am 9. November 1885 die Heirat mit Emilie Simonson. Da alle Familienalben verloren sind, wissen wir nur ihr Geburtsdatum: 7. Juni 1866. Sie arbeitet sicherlich im Geschäft mit. Unter dem Namen Heymann Schaie steht die Firma seit 1880 im Handelsregister. Und sie floriert offenbar. Am 14. November 1886 kommt Alfred und am 3. September 1888 Fritz zur Welt.

Mit den ein- und dreijährigen Söhnen zieht die Familie Schaie schließlich 1889 von Leipzig nach Berlin, wo die beiden Töchter Lucie (1892) und Ella (1894) geboren werden. Schaie & Simonson, Herren- und Knaben-Konfektion, en gros – unter diesem Namen findet die Firma zuerst Räumlichkeiten im ersten Stock des Gebäudes Kaiser-Wilhelm-Straße 27. Gewohnt wird direkt eine Etage darüber. Siegmund Simonson, Bruder von Emilie und Onkel von Fritz und Alfred, ist Mitinhaber. Ab 1896 sind Firma und Wohnung getrennt, was auch die Geschichte eines Aufstiegs dokumentiert: Das Geschäft befindet sich in der Poststraße 29, im ersten Stock, und die Familie zieht zunächst in die Claudiusstraße 11, dann 1898 in die Burgstraße 31, 1910 schließlich in die Mommsenstraße 48, unweit des Kurfürstendamms. Im Jahr 1921 ist der fünfundsechzigjährige Vater als „Rentier“ im Berliner Adressbuch verzeichnet.

ZERFETZTE RECLAMHEFTE UNTER DER SCHULBANK

Über Kindheit und erste Schulzeit der beiden Brüder in Berlin ist nur wenig bekannt. Mindestens Fritz lernt eine Zeit lang Klavier. Er wird als „hilfsbereit und gütig“ beschrieben.3 In einem Lebenslauf von 1917 erwähnt Fritz Rotter, dass er das Sophien-Gymnasium4 besucht hat – es befindet sich in Berlin-Mitte, an der Weinmeisterstraße 15. Aus diesem Gymnasium sei schon „mancher besessene Theatermann“ hervorgegangen, „man braucht dabei nur den Namen Ernst Lubitsch zu nennen“5 – vier Jahre jünger als Fritz. Die Backsteinfassade der Schule zieren Rundbögen. Passend zu den goldenen Antikengestalten unter dem tempelartigen Dachvorsprung gibt es zehn Wochenstunden Latein und sechs Stunden Griechisch, aber nur etwa drei Stunden Rechnen oder Mathematik. Im Fach Deutsch wird auswendig gelernt – Poetisches und Prosaisches – und mit Aufsätzen das Erzählen und Beschreiben geübt. Immerhin steht auch Französisch auf dem Lehrplan. Die Decke im Durchgang von der Straße zum Hof besteht aus gekachelten, spitz zulaufenden Gewölben. An den Wänden sind Terrakotta-Reliefs eingelassen, auf denen sich Jünglinge als Maler und Bildhauer betätigen und Nacktheit zeigen. Nackt stellen sich auch abgebildete Engel dar, und es gibt Liebesszenen unter jungen Männern. Ein Junge ist in Ekstase dargestellt, als könne er fliegen. Das lässt offenbar den Jüngeren, Fritz, nicht ganz gleichgültig, wie sich zeigen wird.

Fritz und Alfred Rotter

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