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(2) Schlag fürs Leben: ein fast tödlicher Autounfall

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Ein Winterabend Ende Januar 1992. Ich fahre bei einbrechender Dämmerung von Weilheim (Oberbayern) in Richtung Starnberg. Als ich dabei nach links zum Ammerseegebiet abbiegen will und mich bereits mit geringer Geschwindigkeit auf der Abbiegespur befinde, taucht plötzlich wie ein Gespenst ein weißer VW-Bus vor mir aus dem Nebel auf. Der Fahrer des mit neun Mann besetzten Fahrzeugs hat mich anscheinend nicht gesehen und verbotenerweise auf der abschüssigen Straße mit hoher Geschwindigkeit zum Überholvorgang angesetzt. Mir stockt der Atem.

Jetzt geht alles sehr schnell und gleichzeitig wiederum sehr langsam – wie in Zeitlupe. Menschen mit einer Nahtoderfahrung haben hinterher schon oft von solchen Phänomen berichtet, nämlich, dass die chronologische und die subjektiv empfundene Zeit vollkommen auseinanderfliegen können. Anscheinend nimmt unser Gehirn in seinen beiden Hälften in einer lebensbedrohlichen Situation wie dieser die Vorgänge mit einem sehr unterschiedlichen Zeitgefühl wahr.

Ich kann mich selbst beobachten, wie ich zu beten anfange, weil es für mich aufgrund meiner geringen Autogeschwindigkeit und der berühmten Schrecksekunde keine Möglichkeit mehr gibt, auf der äußeren Ebene noch irgendwie zu reagieren. Ich bin anscheinend nur noch Beobachter von Ereignissen, die mir soeben widerfahren und denen ich unausweichlich ausgeliefert bin: Ich kann plötzlich den Fahrer des VW ganz nahe vor mir sehen, sein Oberkörper nimmt trotz des Nebels äußerst klare Konturen an. Ich weiß wie ganz selbstverständlich, dass dies nun vielleicht mein Ende sein könnte und ich dagegen nichts, aber auch gar nichts mehr tun kann. Ich habe es einfach zu akzeptieren, was jetzt gleich geschehen würde: Wird mich der andere Fahrer mit seinem viel größeren Auto umbringen?

Zu meinem Erstaunen und in einem extremen Gefühl von Präsenz stelle ich nun fest, dass ich innerlich alles ganz ruhig annehmen will, egal was es sein würde. Noch nie hatte ich bisher solch eine Gelassenheit und so eine tiefe Zustimmung zu meinem Schicksal erlebt. Ich bin in diesem unendlich langen Moment, der auf der äußeren Zeitebene womöglich höchstens ein bis zwei Sekunden dauert, vollkommen mit mir und meiner Bestimmung im Einklang. Vielleicht weiß etwas in mir, dass alles so geplant ist, dass alles so kommen muss und dass alles in Ordnung ist. Auf einer rationalen Ebene kann man dies nicht mehr verstehen. Aber ich bin eben schlagartig in eine andere Wirklichkeitsebene in und um mich herum hineingeraten, von der ich bis zu diesem Moment keine Ahnung hatte.

Der Aufprall kommt

Ebenfalls wie in Zeitlupe kann ich nun sehen, wie der Fahrer, der frontal auf mich zu kommt und sich mittlerweile sehr dicht vor meine Windschutzscheibe befindet, das Steuer im letzten Moment nach links herum reißt. Dies kommt mir sehr sinnlos vor, denn dieser Versuch kann nach meiner Meinung nichts mehr ausrichten. Gleich muss der Aufprall kommen. Und er kommt mit einer ungeheuren Wucht.

Das Manöver mit dem Lenkrad hat doch noch etwas bewirkt. Denn der VW-Bus prallt jetzt nicht mehr frontal auf mein Auto, was vermutlich meinen sicheren Tod bedeutet hätte, sondern in einem leichten Winkel. Der ganze Frontteil meines Autos wird dabei auf der Beifahrerseite fast bis auf die Höhe der Windschutzscheibe eingedrückt. Ich spüre – als ein nun aber nicht mehr unbeteiligter Beobachter – wie eine alles vernichtende Todesenergie in mich hineinfährt und für eine sehr intensiv wahrnehmbare längere Zeit in mir stecken bleibt, während sich mein Auto zu drehen beginnt. Ich fühle meinen Tod ganz nah.

Unmittelbar nach dem Aufprall kommt das Leben wieder in Gang. Als erstes darf ich die lebensrettende Wirkung des Sicherheitsgurtes spüren, der mit voller Kraft gegen meinen nach vorne Richtung Lenkrad und Scheibe fliegenden Brustkorb drückt. Ich erlebe es als beglückendes Gefühl, dass der Gurt den jetzt auftretenden Kräften standhält. Irgendwie bin ich stolz darauf und unwahrscheinlich dankbar, dass dieser „Diener“ namens Sicherheitsgurt, als den ich ihn jetzt ganz elementar wie eine eigenständige Person wahrnehmen kann, seinen Job für mich so gut macht. Selten habe ich meinen Oberkörper so intensiv und schwer erlebt wie in diesem Moment.

Nach etwa 90 Grad Drehung nach rechts fliegt mir die Brille vom Gesicht – sie wird mir wie von magischer Hand heruntergerissen. Nach etwa 180 Grad wird die ganze Windschutzscheibe nach draußen geworfen und fliegt Richtung Straße davon. Nach einer weiteren Rechtsdrehung von nun mittlerweile insgesamt 270 Grad kommt das Auto schließlich quer zur Fahrbahn zum Stehen und die tödliche Energie wird wie durch ein Wunder wieder aus dem Wagen und vor allem aus meinem Körper gezogen.

Ich habe überlebt

Ich fühle mich so, als ob soeben eine mächtige Sturmflut über mich hinweggefegt wäre und ich wie durch einen glücklichen Zufall noch lebe. Der VW ist auf der rechten Seite an meinem Auto vorbei geschrammt und kommt nach etwa 40 Metern zum Stehen. Das andere Fahrzeug, das er auf der Straße bereits überholt hatte, kann gerade noch ca. zwei Meter vor meinem Auto abbremsen, sonst hätte es den nächsten Aufprall geben.

Es dauert noch eine geraume Zeit, bis meine rationale, linkshirnige Wahrnehmung wieder einsetzt. Was kann ich nun sehen? Die Kühlerhaube ragt senkrecht nach oben und es steigt Rauch auf. Jetzt erlebe ich zum ersten Mal während des ganzen Geschehens Panik. Mit Mühe lässt sich der Sicherheitsgurt öffnen, ich stoße die stark verbeulte Fahrertür auf und bewege mich nach draußen. Ich habe Angst, dass vielleicht der Benzintank explodieren könnte. Durch den Unfall ist offenbar auch der Kühler zerstört worden, der deshalb so dampft und den „Rauch“ erzeugt. Aber das kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Mein Auto hat einen Totalschaden erlitten, die Beifahrerseite ist völlig eingedrückt worden und der Rahmen des ganzen Fahrzeugs hat sich durch den Aufprall vollkommen verzogen. Irgend etwas in mir glaubt zunächst, stark bleiben zu müssen. Ich sehe in der Ferne den Fahrer des den Unfall verursachenden Autos ziemlich bedröppelt auf der Straße herumstehen. Wahrscheinlich hat er einen Schock erlitten.

Nach kurzer Zeit taucht die Polizei auf und fragt mich, ob ich verletzt sei. Nun erst löst sich meine Anspannung und ich beginne hemmungslos zu weinen. Ich habe das Gefühl, dass es mir den Boden unter meinen Füßen wegzieht und ich verlange nach einem Krankenwagen. Bei einer Röntgenuntersuchung im Krankenhaus stellt sich dann heraus, dass zwar mein Brustkorb durch das Anschlagen meines Sicherheitsgurtes leicht gequetscht worden ist und ich anfangs deswegen Atemnot verspürte, dass mir bei dem Unfall jedoch wie durch ein Wunder anscheinend nichts Ernstliches passiert ist. Weil die Straße feucht war, haben bei dem Zusammenstoß die Räder nachgegeben und waren über den Straßenbelag geschlittert. Außerdem wurde die gewaltige Energie des Aufpralls durch die Drehung meines Autos abgeleitet, das heißt in Rotationsenergie und Reibungsarbeit umgewandelt und dadurch schließlich über die Reifen an den Boden abgegeben. Ich habe unwahrscheinliches Glück gehabt.

Ein bewegender Traum im Krankenhaus

Im Krankenbett schlafe ich schnell vor Erschöpfung ein. Mitten in der Nacht werde ich wieder wach und ich weine erneut – diesmal vor lauter Glück. Meine beiden verstorbenen Großmütter sind mir soeben im Traum erschienen und haben mir versichert, dass sie bei dem Unfall auf mich aufgepasst hätten und dass ich mir deshalb keine Sorgen machen müsse. Alles sei gut. Ich fühle mich abgrundtief geborgen wie noch nie zuvor und diese Grundstimmung hält auch über den Traum hinaus an. Muss man erst so einen Unfall haben, um solche Gefühle erleben zu dürfen? Meine beiden Ahninnen, mit denen ich ja als Kind real sehr viel zu tun gehabt hatte, haben mir jedoch auch einen klaren Auftrag mitgegeben, der sinngemäß etwa so lautet: „Wachse und gehe allein! Du kannst gehen, du musst gehen und du darfst gehen!“

Bereits am nächsten Vormittag darf ich das Krankenhaus wieder verlassen. Zwei Tage später beginne ich, alle Erlebnisse in Zusammenhang mit diesem Unfall in mein Tagebuch aufzuschreiben – auch diesen Auftrag. Seinen Sinn und seine konkrete Bedeutung für mich kann ich aber acht Jahre lang nicht verstehen. Was haben meine beiden Großmütter wohl damit gemeint? Worin soll denn dieses „wachsen und gehen – allein“ bestehen? Hat dies vielleicht mit meinem zukünftigen Lebensweg zu tun? Oder soll ich eine ganz andere Richtung in meinem Leben einschlagen, die dann außer mir niemand mehr verstehen kann? Der überraschende Kontakt zu meinen Omas, den ich durch den Unfall bekommen habe, bleibt jedoch auf lebendige Weise bestehen.

Eine bis dahin unbekannte innere Türe in mir ist durch den heftigen körperlichen Aufprall aufgestoßen worden: Ich habe zum ersten Mal in eine andere, unsichtbare, aber für mein Empfinden sehr reale Wirklichkeitsebene geblickt, die ich deshalb nicht bezweifele, weil ich sie bei dem Unfall so wesentlich, klar und überzeugend erlebt habe. Außerdem bin ich dem Tod sehr nahe gewesen und daher sehr dankbar, überhaupt noch am Leben zu sein. Das ganze Geschehen ist für mich zu einem Einweihungsakt – zu einer Initiation – in eine ganz andere, tiefere, geistige, mir bisher unbekannte Welt geworden. Erst Jahre später werde ich in diesem meinen Empfinden durch das Lesen von Berichten über außerkörperliche Wahrnehmungen, Nahtoderfahrungen, schamanische Reisen usw. bestätigt und bestärkt.

Der Unfall hat mir also nicht nur auf der physischen Ebene den bisher stärksten Schlag meines Lebens verpasst. Auch durch meine Seele ist anscheinend dabei ein kräftiger Ruck gegangen. Dies alles kann ich aber damals noch nicht verstehen und deuten. Ein „Damaskuserlebnis“11 wie beim die Christen verfolgenden Saulus, der auf dem Weg nach Damaskus durch einen Sturz vom Pferd und durch seine Begegnung mit dem auferstandenen Christus zum Paulus wird, bleibt zunächst aus. Als Paulus wird er zum größten Vorkämpfer und erfolgreichsten Apostel für Christus. Bei mir bleibt der Unfall scheinbar zunächst ganz ohne Folgen. Doch wie sich bald herausstellt, wurde nicht nur mein Auto beim Unfall gedreht; auch mein ganzes Weltbild und die Sicht auf die Wirklichkeit beginnen zu „rutschen“ und sich immer mehr zu „drehen“.

Zunächst ist dies jedoch kaum zu erkennen, denn reflexhaft halte ich auch nach dem Unfall an meinem gewohnten naturwissenschaftlichen Weltbild fest, obwohl ich bei dem Auto-Crash eine starke Erschütterung erfahren habe – ganz wörtlich im Außen, aber anscheinend auch im Inneren. Da ich damals geistig noch so sehr auf mein naturwissenschaftliches Weltbild fixiert und irgendwie ein „harter Hund“ bin, braucht es weitere schmerzhafte Schläge und totale Grenzerfahrungen mit der Schulmedizin, bis ich bereit bin, mein Denken und meine Einstellung zur Wirklichkeit, zur Medizin, zu Gott und der Welt zu verändern. Und diese Schläge lassen nicht lange auf sich warten. Wie sich bald herausstellt, war der Unfall wohl kein Zufall, sondern erst der Beginn einer ganz neuen Entwicklung...

Heilung - Plädoyer für eine integrative Medizin

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