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Abkühlung und Genuss

Er verspürte den Drang, sich abzukühlen und begab sich zu diesem Zweck zur Toilette. Vorm kleinen Handwaschbecken stehend, brachte er mittels seiner Hände kühles Wasser auf sein Gesicht. Es tat gut und kühlte spürbar. Primär erfuhren Finger, Handflächen und Antlitz eine angenehme Erfrischung. Allerdings nur kurzzeitig und seine Erregung schwand dadurch nicht. Natürlich machten sich die Mädels auf der Damentoilette frisch, nachdem man ihnen den Weg gewiesen hatte. Er hegte massive Zweifel daran, dass deren Taten seinen eigenen nur im Entferntesten glichen. Über ihre Gesprächsthemen hatte er nur vage Vorstellungen, welche mit der Realität sicher nichts gemein hatten. Spät war es nicht, daher startete Hugo, gemeinsam mit Michaela, einen Versuch, Toms Versprechen von vergangener Nacht einzulösen. Eine Eisdiele befand sich fast direkt nebenan. Wundersamerweise hatte diese an jenem warmen Abend noch geöffnet. Nach etwa zehn Minuten kehrte das Paar mit der erfrischenden Abkühlung zurück. So kurz vor Feierabend herrschte nicht viel Betrieb an und in der Eisdiele. Es grenzte an ein Wunder, dass sie dort, so spät, noch leckeres Eis ergatterten. Um dieses nicht schmelzen zu lassen, musste man sich mit dem Verzehr beeilen. Es war recht übersichtlich, was in den Pappbecherchen steckte und mittels kleiner bunter Plastiklöffelchen gelöffelt wurde. Umwelttechnisch betrachtet, eine Katastrophe, aus Genuss-Sicht ein Wahnsinn.

Wobei das Vergnügen für die Jungs, nicht ausschließlich auf den Verzehr von Speiseeis zurückzuführen war. Mindestens genauso, wenn nicht mehr, ergötzten sie sich am Anblick, der eisschleckenden Mädchen. Diesen dabei zuzuschauen, wie sie die kleinen Löffel bearbeiteten, ließ die Phantasie der Männer mit sich durchgehen und diese wohlig erschaudern. Ob sich die Mädels dieser Wirkung bewusst waren, blieb deren Geheimnis. Zum Eisverzehr mussten sie sich vor die Disco begeben, denn mit dem süß-klebrigen Eis wollte man Michaela und Hugo nicht hineinlassen. Er kostete bei ihr und sie bei ihm. Seltsamerweise mundete ihm ihr Eis besser, als jenes in seinem Becher. War dies nicht grundsätzlich so, dass das Gras überall grüner und schmackhafter war, als auf der eigenen Weide? Das, was Andere hatten, war fast immer interessanter, als jenes, was man selbst besaß. So schien es nicht verwunderlich, dass sich die Jungs mehr für Mädels interessierten, als für ihresgleichen. Umgedreht war das meist nicht anders. Der Reiz des Neuen, manchmal der Kick des Verbotenen. Uralte Systeme und Dinge, welche immer wieder neu und stets funktionierten. Insgesamt betrachtet schmeckte das Eis köstlich und nicht so chemisch, wie man es leider mit zunehmender Häufigkeit vorfand. Die Sorten definierten sich eindeutig nicht nur über ihr Aussehen, sondern zugleich durch den Geschmack. Etwas, was keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein schien.

Dahingehend hatte er leider viel Negatives erlebt. Ein paar dieser Ereignisse, wollte er lieber wieder vergessen oder verdrängen. Jedenfalls würde er einige Lokalitäten nicht mehr aufsuchen. Was an den verschiedensten Faktoren liegen konnte. Da es nichts brachte, sich eingehender damit zu beschäftigen, behielt er die Missstände im Nachhinein betrachtet eher für sich. Wenn er eine Meinung zu etwas gefasst hatte, war es schwer, ihn wieder von anderem zu überzeugen. Darin glich er in gewisserweise seinen Ahnen, Eltern und Großeltern. An besagtem Abend hatte er nichts auszusetzen. Zwar lief nicht alles perfekt ab, aber doch zu seiner Zufriedenheit. „Glücklich“ - wäre eine passende Umschreibung. Was in ihm vorging, als er die Mädels beim Eisschlecken beobachtete, wusste er nicht. Es hatte einen erotischen Touch. Vergleiche mit eigenen Erfahrungen dieser Art, konnte er keine ziehen, denn diese gab es bislang nicht. Was die anderen Jungs da hinein interpretierten oder ob sie dies überhaupt taten, konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Was er zu wissen glaubte, bestand darin, dass es seinen Geschlechtsgenossen genauso gefiel, wie ihm selbst. Und seien es nur diese kurzen Momente eines unbeschwerten Lebens, welche es in vollen Zügen zu genießen galt. Nein, nicht in irgendwelchen Bahnwaggons, denn diese mochte er nie. Auch damals schon nicht. Selbst, wenn die Bahn in seinem Dasein eine gewisse Rolle spielen sollte, aber davon ahnte er in jenen Momenten nichts. Es manifestierte sich zunehmend, dass er mit seinen Äußerungen und Vorhersagen richtig lag. Zumindest hatte er eine über neunzig Prozent höhere Trefferquote als sämtliche Wetterberichte. Und das auf nahezu allen Gebieten. Was er selbst nicht als Kunst betrachtete. Aber er wusste sein Wissen meist leider nicht für sich zu nutzen oder einen Vorteil daraus zu erlangen. Wobei er dabei zu hart mit sich selbst ins Gericht ging.

Nein, an seinem momentanen Leben fand er kaum Kritikpunkte. Klar, das Eis hätte etwas weniger gezuckert sein dürfen, es wäre schön, ausreichend Geld zur Verfügung gehabt zu haben. Und seine Erregung mehr kontrollieren zu können, stellte er sich hilfreich vor. Aber sonst? Er war zufrieden mit sich, seinem Leben und der Welt. Wenigstens im Moment.

Ach Du meine Güte, was waren die Jungs drollig. Das gab es doch gar nicht, oder? Sie hatte so etwas noch nicht erlebt. Und es sendete wohlige Schauer der Verzückung durch ihren gesamten Körper. Es fiel ihr zunehmend schwerer, ihren Verstand zu gebrauchen. Und dass, obwohl sie an jenem Abend keinen Alkohol getrunken oder Dinge mit ähnlicher Wirkung konsumiert hatte. Sollte dies an den wenigen Tropfen Bier liegen, welche sie von seinen Lippen geleckt hatte? Nein, völlig ausgeschlossen. Nun machten die sein Versprechen von letzter Nacht wahr, die Mädels zum Eis einzuladen. An seine Worte konnte sie sich kaum noch erinnern. Aber sie bekam eine Gänsehaut, welche nicht der Kühle der Nacht geschuldet war. Sie fühlte sich beschwipst, ohne es zu sein. All ihre Systeme zeigten Überlastung an, zu viele neue Eindrücke. Doch es mutete nicht gefährlich oder unangenehm an. Eher im Gegenteil. Es galt diesen Zustand genaustens zu beobachten und zu analysieren. Nein, verdammt, genau das eben nicht! Wichtig war, alles zu genießen und maximal auszukosten. Punkt. Keine weiteren wirren Gedanken an Konsequenzen und Ähnliches. Ohne Michaela in ihrer unmittelbaren Nähe fühlte sie sich verletzlicher und nicht komplett, denn mit ihr verband sie eine innigere Freundschaft, als mit den anderen beiden Mädchen, doch die paar Minuten, konnte sie verschmerzen. Außerdem füllte er diese Lücke aus. Mehr als nur ein Ersatz, eher eine Ergänzung. Ein Bonus. Als Michaela mit dem Typen und dem Eis zurückgekehrt war, fühlte sie sich eine Spur wohler. Kaum, dass das Eis verteilt war, galt es dieses zu verzehren. Es sei denn, man stand mehr auf eine süße Soße, als auf eine abkühlende Erfrischung. Ihr war Eis in seiner eigentlichen Form lieber. Sie aß und genoss es, wie immer. Doch ihr entgingen die Blicke der Jungs nicht. Warum glotzten diese die Mädels so komisch an? Moment mal, sabberten die sogar mit offenstehenden Mündern? Sie konnte es nicht fassen. Aber die Herren schienen sich schnell wieder zu beruhigen.

Bald widmeten sich die Jungs dem Eisgenuss und guckten nicht mehr so blöd. Vielleicht kühlte das sogar die erhitzten Gemüter, denn manche von ihnen fanden wieder zur Sprache zurück. Andere schaufelten zu gierig und litten unter Gehirnfrost. Den Jungs mundete das Eis, es kühlte sie ab und den Mädels zu zusehen, erwärmte sie wieder. Ein Teufelskreis. Doch eine vorübergehende Trennung von den Mädchen stand ihnen bald bevor. Das durfte nicht sein. Auch die Mädels, mit welchen sie sich über dieses grausige Thema unterhielten, konnten das nicht tolerieren. Viele von ihnen sollten spätestens um Mitternacht wieder zuhause sein. Oder sogar noch früher. Und falls das nicht so sein würde, wäre riesiger Ärger vorprogrammiert. Grausame elterliche Sanktionen würden folgen. Beide miteinander verwobene Optionen gefielen keiner der involvierten Personen. Eine andere Lösung musste her. Brauchbare Ideen brachte niemand hervor. Man einigte sich darauf, auf altbewährte und abgedroschene Mittel zurückzugreifen. Erwartungen an ein Funktionieren hegte man nicht. Es blieb angesichts allgemeiner Ideenlosigkeit kaum eine andere Möglichkeit.

Ach, bei den Jungs und bei Michaela sah das Alles einfacher aus. Die Neunzehnjährige wohnte zwar bei ihren Eltern, aber sie war volljährig und ziemlich selbstständig, somit frei von vielen Regularien, welche ihre Freundinnen einschränkten. Doch vor kurzer Zeit unterlag sie diesen selbst. Sie erinnerte sich daran, aber nicht gerne. Und sie war froh, etwas mehr Freiheit zu genießen. Ihren Eltern fiel es schwer, loszulassen, der Prozess ging schleppend vonstatten, doch allmählich und langsam gewöhnten sie sich daran. Fritz brachte ein paar Lebensjährchen mehr mit, seine genaue Wohn- und Familiensituation war den meisten Anwesenden überwiegend unbekannt. Viele Verbindungen zu oder mit ihm bestanden nicht. Die wenigen existierenden Gemeinsamkeiten wogen schwer. Hugo hatte die Volljährigkeit erst seit ein paar Tagen erreicht. Nicht mal eine Woche vor Waves siebzehntem Geburtstag, war er achtzehn geworden. Völlig frei von Verboten, Geboten und Bestimmungen fand er sich nicht. Zumindest verstieß er mit seinem Ausgehen an jenem Abend massiv gegen den Willen seiner Eltern. Louis und Tom hatte man den Ausgang strengstens untersagt. Tom hatte sich davongeschlichen. Dies geschah von seinen Erziehungsberechtigten unbemerkt. Selbst wenn sie hofften, dass er alleine vorm heimischen Fernseher hocken blieb, konnten sie dies nicht ernsthaft erwarten. Da sie einen Ultra-Kurztrip planten und antraten, konnte sie akut nicht viel unternehmen. Sie würden nicht mitbekommen, ob und wann er zurückkehren würde. Wichtiger erschien ihm, dass sie nicht erfahren und ahnen würden, was während ihrer Abwesenheit geschah. Er wusste selbst nicht, was das sein konnte und würde. Doch er wollte sich keinesfalls schon wieder so früh von diesem zauberhaften Wesen trennen. Somit votierte er für eine Umsetzung des Plans und sämtlicher Versuche, welche ihm mehr Zeit mit ihr verschaffen konnten. Louis hatte sich unerlaubterweise verdrückt. Er hoffte, seine Familie würde von seinem Fehlen nichts bemerken und ihn stattdessen schlafend im Bett wähnen. Ob es auffallen würde, dass er in dieser Nacht gar nicht oder erst später schnarchte? Darüber und über seine Rückkehr, hatte er nicht nachgedacht. Dafür fehlte ihm jeglicher Plan. Er genoss den Abend mit den Mädels und Jungs.

Die Eltern der Burschen zu verärgern, schien eine schlechte Idee, aber kaum abwendbar. Die Erzeuger der Mädchen zu verstimmen, erschien eine andere Sache. Es stand viel auf dem Spiel. Oh, wie gerne hätte er gewusst, was gedanklich in ihrem Kopf vorging. Sogar etwas Geld würde er dafür investiert haben. Mehr als fünf Deutsche Mark konnte er sich nicht leisten. In ihrer Gegenwart fühlte er sich königlich und reich beschenkt. Die Realität sah ein wenig anders aus. Ohne eigenes Einkommen und Taschengeld, galt er nicht direkt als arm. Denn mit Nahrung, Kleidung, einem Dach über dem Kopf und weiteren Dingen, wurde er mittels seiner Eltern versorgt. Zwar trug er selten Markenklamotten, doch das stellte für ihn kaum ein Problem dar. Er litt an vielen Sachen keinen Mangel. Vielleicht fehlte es ihm an gemeinsamer Zeit mit seinen Eltern, deren Interesse, Zuwendung, Förderung und Nähe. Eher an sozialer und mentaler Unterstützung, als an materieller. Was nicht minder schlimm war. Für einen kleinen Auszug aus Waves Gedanken, hätte er ohne zu zögern tausende D-Mark ausgegeben, wenn dies denn funktionieren würde. Aber weder für einen Pfennig, noch eine Million DM erschien ein Zugang möglich. Klar, falls er nachgefragt haben würde, hätte sie ihm ein wenig über ihre Gedanken- und Gefühlswelt verraten. Doch dies traute er sich nicht. No way. Die Schüchternheit hielt ihn fest umklammert. Klar, einen Kumpel zu fragen, was diesen beschäftigte, wäre kein Problem gewesen. Aber das war nicht das Gleiche und nicht von Belang. Bei einem Mädchen, für welches er sich ernsthaft erwärmte, lag der Fall anders. Hier wäre es entscheidender, sich etwas getraut zu haben. Doch das tat er nicht. Darin hatte er keinerlei Übung. Während alles mit seinen Freunden vertraut schien. Was diese dachten, allgemein und speziell über ihn, war ihm relativ Latte. Na ja, total egal nicht. Denn gemeinsam, waren sie alle unterwegs. Doch sie … das war eine andere Sache. Nein, kein Ding, sondern ein faszinierendes Lebewesen. Sie nach ihren Gedanken zu fragen und eine Antwort erhalten oder ihre Gefühlswelt zu kennen, ohne sich danach erkundigen zu müssen, waren grundverschiedene Dinge. Mit in ihm zirkulierendem Alkohol, schien der Umgang mit ihr weniger schwer. Er konnte und wollte sich nicht stets unter Strom setzen, wenn er sie traf. Welchen Eindruck hätte sie von ihm bekommen sollen? Das warf kein positives Licht auf ihn. Was andere Leute über seine Person dachten und sprachen, schien ihm nicht wichtig. Auf Waves Meinung legte er von Beginn an enormen Wert. Vielleicht zu viel, denn es fühlte sich im Umgang mit ihr etwas krampfig an. Anschauen konnte er sie problemlos. Das tat er liebend gerne. Oft vergaß er darüber die ganze Welt um sich herum. Was nicht unproblematisch war, denn schon eine kleine Unachtsamkeit im Straßenverkehr konnte einen das Leben kosten. Manchmal schaffte er es nicht, den Blick von ihr zu lösen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihr bewusst war, welche Wirkung sie ausübte. Dass sie ihn mit Leben flutete und es ihm gleichzeitig entzog. Denn er hatte nicht mehr die volle Kontrolle über sich selbst. Er gewann alles und doch besaß er nichts. Gefühle ließen sich nicht besitzen und kaum steuern. So in der Art verhielt es sich mit diversen Lebewesen. Im Interpretieren von Mimik und Gestik war er, schon aufgrund seines geringen Alters, nicht sonderlich geübt. Auch hätte ihm dies, bei seiner Nervosität, nichts genutzt. Alles Wissen und Können schien bei ihrem Anblick plötzlich gelöscht. Es grenzte an ein Wunder, dass er nicht sabbernd und reglos da stand. Er fand sich selbst erstaunt darüber, dass dies niemals passierte.

Was sie fühlte, wusste sie nicht recht, doch sie wollte auf jeden Fall mehr erfahren. Über ihn und was er dachte, musste sie unbedingt alles wissen. Direkt fragen mochte sie ihn nicht. Lieber achtete sie auf seine Reaktionen und den Umgang der Leute unter- und miteinander. Es verriet einiges über ihn, wie er mit seinen Freunden interagierte, aber auch wie er sich gegenüber ihren Freundinnen verhielt. Das Wichtigste erschien ihr, der Umgang mit ihr selbst zu sein. Leider konnte sie diesen nicht von außen beobachten und reflektieren. Sehr war sie darauf bedacht, keinen Fehler zu machen. Ihm gegenüber waren ihr schon ein paar Peinlichkeiten unterlaufen. Sie bildete sich ein, sämtliche Fettnäpfchen mit tödlicher Präzision und ordentlich Anlauf zu treffen. Sie hoffte inständig, dass er diese Verfehlungen vergessen haben möge. Ihre Freundinnen fanden ihn nett, aber sie sahen nichts Besonderes in ihm. Und sie mochten seine Freunde. Doch waren „nett“ und „mögen“ nicht die kleinen Schwestern von …. ? - nein! So war das sicher nicht gemeint. Dass er etwas mehr auf sich genommen und riskiert hatte, um sie kennenzulernen, wollten sie nicht anerkennen. Dabei lag es auf der Hand, dass sie sich ohne ihr und vor allem sein Handeln überhaupt nicht kennengelernt hätten. Was das Potenzial zu heftigen Diskussionen barg, wenn ihr nach Gesprächen gewesen wäre. Danach stand ihr nicht Sinn. So äußerte sie zwar ihre Meinung, verteidigte sie aber nicht gegen die haltlosen Argumente der anderen Mädchen. Egal, sie wollte mehr erfahren. Über Tom und seine Beweggründe, wer er war und was ihn antrieb. Warum er sich nicht an ihren Patzern, ihrem fetten Hintern oder ihren Pickeln störte. Wieso er zu allen diesen Dingen kein einziges Wort verlor. Wie konnte es ihr gelingen, ihn etwas mehr aus der Reserve zu locken, ohne dabei selbst zu weit vorzupreschen? Zu viele Fragen, welche in ihrem Kopf kreisten. Antworten würde die Zeit liefern. Doch Geduld gehörte nicht zu ihren Stärken. Sie sprühte vor Energie und am Liebsten hätte sie dieser bei Bewegungen zu Musik freien Lauf gelassen. Warum fand sich bloß kein Junge, welcher diese Leidenschaft mit ihr teilte? Oder gab es so etwas nicht? Puh, noch mehr Fragen, die stetig Power und Druck aufbauten. Ein blöder Kreislauf. Dieses Potenzial machte sich massiv als Hitze bemerkbar. Eine Abkühlung in jeglicher Form wäre ihr willkommen gewesen. Und sie sah, dass es ihm ähnlich ging. Er schwitzte offensichtlich. Nicht so schlimm, dass es ihren Ekel erregt hätte. Im Gegenteil, einen leicht schimmernden Schweißfilm auf seiner Haut, fand sie sogar sexy. Mehr Gedanken machte sie sich um ihre eigene Transpiration. Würde das ihn abstoßen, wenn es ihr Hintern, der verschmierte Lippenstift, eine Laufmasche und ihr plumpes Verhalten schon nicht taten? Würde er sich von solchen Äußerlichkeiten stören lassen, hätte er sie gar nicht verdient. So ein Mistkerl! Basta! Aber Moment mal, bisher hatte er sich zu nichts von alledem geäußert und er hatte sich im Bezug auf den Umgang mit ihr, Mühe gegeben. Er wirkte mysteriös auf sie, im positiven Sinne. Im Gegensatz zu diesem geheimnisvollen Teil um ihn, spürte sie eine große Vertrautheit. Diese Diskrepanz erzeugte einen exorbitanten Reiz. Eine unerklärliche Faszination, Neugier und Anziehungskraft. Sie konnte nicht von sich aus die Initiative übernehmen. So etwas taten Mädchen nicht. Es entsprach nicht den vorgegebenen Rollen. Doch wer entwarf solche Regeln? Andererseits wollte sie sich nicht zur Schlampe abstempeln lassen. Wenn er nicht die Führung übernahm, würde nichts weiter passieren. Schade.

Wie viel Ablehnung hatte er schon erfahren, wie groß war die Masse der Neins, welche er hatte hinnehmen und schlucken müssen? In direkt ausgesprochener und geschriebener, wie auch in indirekter, durch Schweigen ausgeführter Form. Oder gar durch körperliche Handlungen. Er wollte einiges erreichen, aber kein zu hohes Risiko eingehen. Schon gar nicht, durfte er sie verlieren, ohne ihr näher gekommen zu sein. Ihr Verhalten wirkte zurückhaltend und dezent auf ihn, abwartend. Das passte präzise zu ihm. Wenn zwei Leute sich introvertiert zeigten, konnte es schwierig werden, mehr daraus zu machen. Das war ihm schmerzlich bewusst. Doch er wollte unbedingt, dass es etwas wurde. Also würde er handeln müssen, egal wie schwer ihm das gegebenenfalls fiel. Seinen Körper hatte er mit der Verdauung von Bier und Eis ausreichend beschäftigt. In seinem Kopf befand sich nur sie. Ein herrlicher, wie zugleich unertragbarer, Zustand. Wie hatte sie das gemacht? War Magie im Spiel? Hatte sie ihn verhext? Was war sie? Ein Engel, ein Dämon oder ein höheres Wesen? Eine gelungene und edle Mischung, ein Hybrid? Zunächst ein, in jeder Hinsicht, äußerst attraktives Mädchen. Ohne jeglichen erkennbaren Makel. Nichts hätte sein Interesse jemals mehr erwecken können, als sie es augenblicklich tat. Alles an ihr war für ihn neu, interessant und spannend. Na ja, einiges nicht so völlig und total neu. Mädchen hatte er schon gesehen und flüchtig berührt. Auf die Weise, wie er es durch sie erfuhr, war für ihn neu. Er fühlte sich versucht, sie bloß anzustarren und weiter nichts zu tun. Das wäre nicht unbedingt ein Fehler, würde ihn aber leider kein Stück voranbringen. Dies durfte nicht passieren. Keinesfalls. Gut, dass er im Prinzip mit seinen Freunden darüber reden konnte. Die befanden sich in einer ähnlichen Situation. Schlecht, dass er für solche Gespräche nicht die Zeit gefunden hatte. Diese komplette Szenerie hatte sie alle überrollt, wie eine riesige Welle. Und die riss sie weiterhin mit sich fort. Eine Naturgewalt. Unaufhaltsam, gigantisch, überwältigend, nicht steuerbar und in diesem speziellen Fall, extrem willkommen. Wobei er gerne die Kontrolle behielt. Ausnahmen bildeten der Schlaf und der Alkoholgenuss. Bei beidem war es ratsam, nicht zu übertreiben. Aber es tat bisweilen wohl, sich treiben zu lassen. Ohne jeglichen Steuerimpuls. Frei jedweder Richtung und ziellos. Purer Genuss und Entspannung. Keinerlei Verpflichtungen oder dringend zu erledigende Aufgaben. Simples Ein- und Ausatmen. Für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit. Aber doch von entscheidender Tragweite.

Wie übel das werden konnte, falls es nicht mehr natürlich gegeben, selbsttätig und automatisch erfolgte, wurde meist erst klar, wenn man sich in einer solchen Lage befand. So etwas wünschte man niemandem, selbst dem ärgsten Feind nicht. Leuten, welche sich mies und doof benahmen, verfluchte man manchmal damit, dass sie ein Blitz beim Absetzen von Fäkalien treffen möge. Kein feiner Wunsch, aber aus Toms Sicht bei weitem nicht so übel und qualvoll, wie jemandem Atemnot zu verpassen.

Mutig stellte er sich der wellenförmigen, wohlgeformten Urgewalt. Zu allem bereit. Nur offenkundig anzeigen, tat er dies nicht. Genau damit hatte diese ein Problem, welches im weiteren Zeitverlauf eher massiver wurde, als dass es sich löste. Er befand sich mit allem, was er tat oder eben nicht, völlig auf dem richtigen Weg. Ihr wurde langsam klar, dass sie ihn auf jeden Fall, bei Sämtlichem was er tat, würde unterstützen müssen. Das fand sie nicht entspannend und einfach, aber sie würde es tun. Weil sie etwas spürte, was sie nicht genau definieren konnte. Noch war sie sich nicht sicher, ob es sich dabei um ein positives Gefühl handelte. Doch ihr dämmerte, was sie tun musste, um es herauszufinden. Sie vermutete, dass ihre Eltern sie gewarnt hätten, jenem Feeling nachzugeben. Und ihre Freundinnen würden ihren Erzeugern zustimmen. Solche Einigkeit herrschte zwischen den Generationen selten. Was wussten andere Leute, über diesen speziellen Fall!? Eben! Wenig bis gar nichts. Es gab Sachverhalte, bei denen man besser auf externe Ratgeber hörte. Doch manchmal machte es mehr Sinn, diese zu ignorieren. Außerdem gehörte es unabdingbar zum Leben, eigene Erfahrungen zu sammeln. Natürlich hätte sie sich nicht ohne Fallschirm aus einem Flugzeug gestürzt, wenn er dies von ihr verlangte. Doch zu vielen, vermeintlich etwas harmloseren, Taten war sie gerne bereit. Irgendeinen Blödsinn würde er nicht von ihr fordern. Großes Vertrauen schenkte sie ihm schon jetzt. Und sie fühlte, dass sich jene Investition auszahlen würde.

Der Eisgenuss hatte sie ein wenig abgekühlt. Nicht sehr, aber etwas. Ein cooles Auftreten wäre beim nächsten Schritt entscheidend. Denn es ging darum, dass die Mädels aus einer Telefonzelle heraus, mittels gemeinsam zusammengesuchten Kleingeld, nacheinander ihre Eltern anrufen und überzeugen mussten, dass sie alle bei Michaela übernachten durften. Eine plumpe Lüge, aber notwendig, um mehr Ärger zu vermeiden. Die Älteste hatte die geringsten Probleme mit dem Gespräch. Ihren Eltern machte es nichts aus, ein paar Übernachtungsgäste zu haben. Und sie kannten die Mädchen, welche nicht zum ersten Mal dort übernachteten. Doch es ergab Sinn, Michaelas Erzeuger einzuweihen, denn die Erzählungen der Mädels mussten ebenso zusammenpassen, wie die Storys der Jungs, nur wenige Stunden zuvor. Es konnte durchaus sein, dass sich die Eltern, welche sich untereinander kannten, gegenseitig kontaktierten. Wenn dann irgendetwas unstimmig erschien, wäre ein Auffliegen der Geschichte offensichtlich. Die Mädels fühlten sich mit der Ausstattung des gelben Häuschens und mit der Lüge nicht wohl. Warum sollte es ihnen besser gehen, als den Herren zuvor? Die Mädchen legten sich bei den Gesprächen mit ihren Erzeugern ordentlich ins Zeug. Es ging darum, an diesem Abend gemeinsam etwas mehr Spaß zu haben und die Gesellschaft der Jungen zu genießen, ohne dafür großen Ärger zu bekommen.

Es schien klar, dass es dennoch Zoff geben würde. Denn selbst wenn ihre Eltern, ihnen die Lüge abgekauft hätten, waren sie nicht begeistert, erst so spät von den Mädels in Kenntnis gesetzt zu werden. Ob sie von ihren Kindern die Wahrheit hörten oder nicht, konnte den Eltern nicht immer klar sein. Doch das Gegenteil, konnten sie ihnen schlecht beweisen, solange die Mädels nicht übertrieben, sich nicht widersprachen und sich an einige Dinge hielten. Sicher waren sie nicht unbedingt begeistert und einverstanden, von und mit dem Verhalten ihrer Töchter. Doch im Großen und Ganzen, waren ihre Nachkommen fast erwachsen. Selbst, wenn sie das kaum glauben konnten und sich nicht eingestehen wollten. Denn es handelte sich um ihre Kleinen, welche es stets zu schützen galt. Daran würde sich nie etwas ändern. Hierin lag ein winziger Vorteil für die Mädchen, sie waren äußerst zuverlässige und brave Kinder. Ihre Eltern konnten diesen Prinzessinnen kaum eine Bitte abschlagen, wenn diese entsprechend flehten und bettelten. Sie schafften es nicht, ihnen lange böse zu sein. Es wäre möglich gewesen, aus der Disco heraus zu telefonieren. Doch dort war es laut und kostete zudem wesentlich mehr. Auch hätte man es schwieriger empfunden, die Erzeuger mit diesen Geräuschen im Hintergrund zu überzeugen. Leicht fiel es keinem der Girls. Und nicht alle Eltern schienen überzeugt oder einverstanden. Doch die Mädchen schafften es, die Gespräche zu beenden.

Wave - (Hello)

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