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ALS MAN LUFT IN FLASCHEN FÜLLTE

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»Die Sommerfrische ist zurück!« Euphorisch verkünden die Medien das Comeback einer Urlaubsform, die lange Zeit als überholt und verstaubt galt. Einschlägige Destinationen vom Semmering bis zum Salzkammergut werden als kulturell hoch aufgeladene Orte mit »Retro-Touch und Hipsterkomfort« gepriesen; investmentfreudige Privatinitiativen versuchen leer stehende Villen und Hotels wiederzubeleben. Das Label »Sommerfrische« scheint im heutigen Tourismus eindeutig wieder an Zugkraft zu gewinnen. Marketingtechnisch ist es ja ein überaus gelungener Begriff, mit der Kombination von zwei so positiv besetzten Ausdrücken wie Sommer und Frische. Sogar kleine Sommerfrische-Museen sind bereits entstanden, die die lokale Geschichte aufarbeiten, etwa in Schönberg am Kamp oder in Küb am Semmering. Und immer öfter hört und liest man von Freunden und Bekannten aus der Stadt: Ich bin auf Sommerfrische.

Doch was verbirgt sich hinter dem offenkundigen Boom? Liegt die erneute Zugkraft der Sommerfrische angesichts wiederkehrender Hitzewellen an ihrem Versprechen einer sinnlich anders erlebbaren Gegenwelt? Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie eng Sommerfrische und umfassender »Sinneswechsel« seit jeher konnotiert sind.

Es war Ende des 19. Jahrhunderts, als die Sommerfrische-Bewegung deutlich an gesellschaftlicher Breite gewann. Angehörige des aufsteigenden Großbürgertums, aber zunehmend auch die gehobene Mittelschicht wurden zu prominenten Trägern dieser Übersiedelung auf Zeit. Sie alle bekundeten damit ihre soziale Stellung: gesellschaftliche Distinktion durch Teilhabe an der Sommerfrische. Bürgerliche Familien konnten, mussten und wollten es sich leisten, vier Monate im Jahr mitsamt Familie und Dienstboten der Stadt zu entfliehen.

Die Großstädte wurden im Sommer merkbar leerer. Allein in Wien schätzte man um 1900 die Anzahl der Stadtflüchtigen in der »Saison« auf 100.000 bis 150.000 Personen. Eine »Urbanisierung« im weitesten Sinne hatte eingesetzt; eine Großstadt wie Wien mit ihren mittlerweile fast zwei Millionen Einwohnern reichte, so gesehen, viele Hunderte Kilometer weit ins Land hinein, hatte ihre Ausleger im Hochgebirge und an den Seen und verbreitete dort ihre Kultur und ihren Lebensstil.


Ansichtskarte, 1913

Ein zentraler, von vielen Städtern erwünschter Gegensatz war dabei das Eintauchen in eine andere Sinneswelt. Es war die Sehnsucht nach einer Erholung von der Vielzahl urbaner Impressionen, nach einer Wiederbelebung der abgestumpften Sinne und einer häufig empfundenen Überreizung auf allen Ebenen, visuell, olfaktorisch und besonders akustisch.

Die moderne Großstadt und die bürgerliche Gesellschaft, deren reibungsloses Funktionieren kontrollierten Abläufen, diszipliniertem Verhalten und strikten Affektregulierungen zu verdanken war, benötigte eine Projektionsfläche, einen Sehnsuchts- und Ruheort, wie ihn die Sommerfrische gleichsam auf utopische, fast schlaraffenlandähnliche Weise darstellte. Nicht zufällig kam damals etwa für das Salzkammergut der romantisch geprägte Begriff der »Seelenlandschaft« auf.

In der Sommerfrische konnte man zumindest temporär andere Sinneseindrücke genießen und die gesundheitsfördernde Wirkung einer Orts- und Zeitveränderung spüren. Schon die Reise dorthin war – mit jedem Kilometer, den man sich von der Stadt entfernte – erlebte Entspannung. Peter Altenberg brachte dies auf seiner Fahrt mit der Südbahn hinaus ins Gebirge so zum Ausdruck: »Meidling, Liesing, Guntramsdorf, Mödling, Baden, näher, näher, immer näher, die Luft immer frischer, gebirgiger, endlich Payerbach.« Stieg man aus dem Zug aus, war man eigentlich schon ein anderer.

Der Luftwechsel war stets einer der unmittelbarsten Eindrücke, der sich gleich nach der Ankunft offenbarte. »Luftkurort« oder gar – wie etwa im Fall des Semmering – »Höhenluftkurort« waren Attribute, die jeden Sommerfrischeort zusätzlich adelten. Geradezu euphorische Beschreibungen tauchten dann auch auf, vom hier herrschenden »würzigen Hauch der Bergwälder«, dem »harzduftenden Atem der Tannenforste« oder generell von Naturgerüchen, die »köstlich und heilkräftig« seien, eine auch für die Nase ideale Abwechslung zur stickigen Reichshaupt- und Residenzstadt Wien.

Die Sommerfrischeorte kehrten ihre atmosphärischen Vorzüge werbemäßig gebührend hervor. In Bad Ischl etwa waren die Häuser direkt am Fluss aufgrund des in der Luft liegenden Salzgeruchs bei den Gästen besonders beliebt. Die wohltuende, jodangereicherte Luft wurde sogar zum Exportprodukt und als »Ischler Luft« in Flaschen gefüllt und verschickt.

Vom Geruch der Gegend um Reichenau an der Rax wiederum schwärmte erneut Peter Altenberg. Seit Kindheitstagen hielt er sich regelmäßig am Thalhof auf, der dortige feuchtkühle Duft nach »Nadelwald und Bergwiese« war tief in ihn eingeschrieben. Aber auch in anderen Sommerfrischen registrierte der sensible Dichter markante Düfte, etwa in Bad Vöslau, wo er den Duft nach Tannenharz und Lindenblüten und die Millefleursgerüche der Hausgärten pries, oder an den Salzkammergut-Seen, wo Altenberg die Landungsstege der Dampfschiffe liebte, die rochen »wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande«.

Doch Vorsicht! Wie beim Thema Sommerfrische generell, sollten wir uns vor einer allzu großen retrospektiven Idyllisierung hüten. Realiter gab es durchaus so etwas wie Geruchskollisionen, wenn sich etwa am Semmering mit der steigenden Zahl an Zugfahrten Sommerfrischler über den Rauch und Ruß der Eisenbahn beschwerten. Ein ähnlich dramatisches olfaktorisches Aufeinanderprallen von Natur und Kultur registrierte dort auch der Journalist und Schriftsteller Franz Servaes, der sich auf seinen Waldspaziergängen über die Parfums der feinen Damen empörte, die »den herrlichen Wohlgeruch des Laubmeeres mit ihren künstlichen Düften unpassend durchräuchern«. Die Städter kämpften um die Ungetrübtheit ihrer Naturgeruchsidyllen.


Ansichtskarte, um 1900

Auch die akustischen Projektionen auf die Sommerfrische, auf den dort herrschenden Frieden für die Ohren, waren stark und mächtig und – erneut – nicht frei von Klischees. Der steigenden Zahl an »Strebern nach Ruhe« trugen die Sommerfrischeorte bereitwillig Rechnung. So bewarb sich der Semmering mit seiner »ernsten Ruhe des Hochgebirges« als das »wunderbare Stahlbad für den erschöpften Großstädter«. Der kleine Ort Prein an der Rax galt als ruhigster Ort in der Umgebung von Reichenau. In Zell am See lockte der Gebirgssee mit seiner »stillen Pracht«.

Die Stille – besser gesagt: die Geräusche der Natur, denn ganz still war es naturgemäß nie –, die so ganz anders anmutete als die täglich in der Stadt gehörte »Lärmsymphonie«, korrespondierte mit der Naturästhetik jener Zeit, die das Kleinräumige, Niedliche, Friedvolle und Milde bevorzugte. Die Berge umrahmten das harmonische Bild des ruhigen Verweilens auf Aussichtswarten, Ruhebänken, Veranden und Balkonen. Allesamt Plätze zum Hineinhorchen in die Stille. Die in der Sommerfrische zunehmend perfektionierte Inszenierung der Natur hatte somit eine zentrale akustische Komponente, die zur stillen Betrachtung der Umgebung anleitete, zur bewussten Wahrnehmung des Waldesrauschens, der tosenden Wasserfälle oder der Wellen, die leise ans Seeufer plätscherten.

Derartige Lautsphären schätzten insbesondere Schriftsteller und Musiker, die uns in ihren Werken und Korrespondenzen zahlreiche Belege für die vor Ort verspürte akustische Erholung überlieferten. Bekannt ist erneut Peter Altenberg, der von Gmunden am Traunsee als seiner »Ruhe-Idylle« schwärmte; Raoul Auernheimer, der sich in einem Brief an Arthur Schnitzler geradezu euphorisch über die »köstliche Luft und noch köstlichere Stille«, die am Semmering herrsche, äußerte, oder Anton Wildgans, der in Mönichkirchen am Wechsel ganz beglückt über sein »Mansardenzimmer, das über allem Lärm in wunderbarer Friedlichkeit thront«, war. Und Jakob Wassermann, seit 1904 in Altaussee auf Sommerfrische, hielt in seinen Tagebucheintragungen fest: »Die Städter haben eine närrische Vorliebe für das, was sie Ruhe nennen.«

Nun waren Künstler und Intellektuelle in ihrer auditiven Sensibilität und Durchlässigkeit gewiss Ausnahmeerscheinungen, jedenfalls aber waren die Ohren der Stadtbewohner in der Sommerfrische mit einem akustisch völlig anderen Ambiente als in der Stadt konfrontiert. Allerdings war von Ruhe bisweilen nicht viel zu bemerken. Die Geräusche der Landarbeit, vor allem der Tiere am Bauernhof, forderten so manche großstädtischen Ohren heraus. In einem launigen Artikel beschrieb der Feuilletonist Eduard Pötzl die ihn quälenden »Landplagen«: von der Grille, die pausenlos zirpt, dem Nachbarhund, dessen Geheul nicht enden will, bis hin zur lautstark muhenden Kuh und dem frühmorgens krähenden Hahn. Und er war nicht der Einzige, der sich darüber beschwerte.

So war es paradoxerweise oft genau umgekehrt: Stellte man – etwas vereinfacht – Stadt und Land im Sommer akustisch gegenüber, war eine deutliche Lärmumkehr zu erkennen. Die Sommerfrische erwies sich mit ihren vielen Gästen und den ungewohnten Lauten der Natur mitunter als unruhiger als die still und entleert zurückgelassene Großstadt. Zufrieden stellte ein Daheimgebliebener über Wien fest: »Aber eines Vortheiles genießen wir wenigstens in der sommerlich todten Stadt: Sie ist ruhiger geworden. Wo man sonst vom tausendstimmigen Straßenlärm halb taub wurde, ist es nun still und stumm.«


Karikatur, 1928

War der Erholungswert der Sommerfrische – wie vielfach bei heutigen Urlaubsreisen auch – also schon damals nur Fiktion? Die zahlreichen, oft satirisch untermalten Reportagen über nicht eingelöste Erwartungen legen diese Interpretation zumindest nahe. Kritiker wie Pötzl argumentierten ebenfalls in diese Richtung und meinten süffisant, dass sich die Sommerfrischen letztlich »von einem Wiener Kaffeehaus nur durch die schlechtere Bedienung und die höheren Preise unterscheiden«.

Das Ende dieser spezifischen touristischen Kultur kam in der Zwischenkriegs- und vor allem NS-Zeit, als die die Sommerfrische bis dahin tragenden jüdischen Gäste vertrieben und ermordet wurden. Die Fremdenverkehrsverbände am Weißensee in Kärnten beispielsweise beschlossen bereits um 1930 kollektiv, die Sommerfrischen an ihrem See »judenrein« zu halten.

Die Erneuerungsbestrebungen nach 1945 blieben zaghaft. Sobald man es sich wieder leisten konnte, stillte man seine Urlaubssehnsüchte in Italien und anderen fernen Destinationen. Die Sommerfrische geriet in den Ruf, altmodisch zu sein.

Erst in jüngster Zeit zeichnet sich eine Trendumkehr ab. Angesichts von Klimawandel und globalen Unsicherheiten bis hin zur Terrorangst erreicht der Urlaub innerhalb Österreichs sommerliche Rekordzahlen. Die nicht nur in Wien markant gestiegene Anzahl an »Hitzetagen« und »Tropennächten« wird diese Entwicklung hin zu einer modernen Art von Sommerfrische wohl weiter fördern.

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