Читать книгу Auf nach Wien - Peter Payer - Страница 18
TAUSEND LAMPEN FÜR FRANZ JOSEPH
ОглавлениеAnstehende Wahlen machen es einmal mehr deutlich: Politische Botschaften in der Masse zu verbreiten ist heute einfacher denn je. Ein Klick genügt und die elektronischen Medien bringen die gewünschten Informationen in vieltausendfacher Weise direkt zum Empfänger. Nur selten ist uns bewusst, wie schwer es früher war, wirklich große Reichweite zu erzielen. Ein Medium spielte dabei seit jeher eine zentrale Rolle: das Licht. Klug eingesetzt und im richtigen Kontext angewandt, entfaltet es eine Suggestivkraft von enormer massenpsychologischer Wirkung.
Denn Dunkelheit, so wussten bereits die Herrschenden früher Zeiten, ist die ideale Kulisse für Propaganda. Visuelle Ablenkung gibt es keine, und die Aufmerksamkeit kann mithilfe des Lichts genau gelenkt werden. Sichtkontakt garantiert! Im Folgenden eine Erinnerung an die durchaus opulenten Anfänge urbaner Lichtpolitik in Wien.
Spektakuläre Lichtevents prägten bereits das ausgehende 19. Jahrhundert. Die gründerzeitliche Stadt entwickelte sich rasant zur Riesenmetropole, elektrische Beleuchtung löste allmählich das Gaslicht ab – und das habsburgische Kaiserhaus inszenierte sich effektvoll vor Massenpublikum: Erstmals im großen Stil im Zuge der Vermählung von Kronprinz Rudolf mit Prinzessin Stephanie im Mai 1881. Die Wiener Gasgesellschaft hatte dazu einen riesigen Triumphbogen am Kärntner Ring errichten lassen, eine aufsehenerregende Lichtinstallation, die sogleich Zehntausende Besucher anlockte.
Absolute Höhepunkte stellten sodann jene drei Stadt-Illuminationen dar, die für Kaiser Franz Joseph – nunmehr bereits mit elektrisch erzeugtem Licht – abgehalten wurden: im Jahr 1900 anlässlich seines 70. Geburtstages sowie in den Jahren 1898 und 1908 zu Ehren seines 50. bzw. 60. Regierungsjubiläums. Jedes Mal fand ein glorioser Triumphzug statt; entlang der Strecke wurden zahlreiche Gebäude mit aufwändigen Lichteffekten, der Kaiserkrone und dem Wahlspruch seiner Majestät »Viribus Unitis« versehen.
Volkstheater mit Fesselballon zum 70. Geburtstag von Kaiser Franz Joseph, 1900
Über die nächtliche Kaiserhuldigung des Jahres 1900 hieß es beispielsweise in der Zeitschrift »Wiener Bilder«, dass sie alle bisherigen Veranstaltungen dieser Art bei Weitem übertroffen habe. Gegenüber dem Burgtor war ein beleuchteter Obelisk aufgestellt worden, in der Innenstadt erstrahlte die Fassade des renommierten Geschäftshauses Haas & Söhne – und dann die absoluten Highlights: »Unter den Illuminationsobjecten ragte das Wiener Rathaus, das einem Märchenpalaste glich, in erster Reihe hervor; tausende von Glühlampen erglänzten auf dem Gebäude, das traumhaft schön aus dem dunklen Hintergrunde hervorleuchtete. Ueber dem Maria Theresia-Denkmale schwebte ein mächtiger Fesselballon, an dessen Gondel in weithin leuchtender Schrift die Zahl 70 hing, und von vier Seiten warfen gigantische Reflectoren ihr magisch weißes Licht auf das Wahrzeichen Wiens, den Stefansthurm. In prächtigen Farben erglänzte der Hochstrahlbrunnen auf dem Schwarzenbergplatze, dessen Gebäude in herrlichster Illumination erstrahlten. Recht originell war das Palais des Erzherzogs Eugen mit dem aus elektrischen Glühlichtern gebildeten Kreuze des deutschen Ritterordens geziert, und das Gebäude der Bodencredit-Anstalt in der Teinfaltstraße war gleichfalls ungemein effectvoll decorirt. Von den an der Donau gelegenen Schuckert-Werken aus wurden die derzeit in dem Strome ankernde Donauflottille sowie der Kahlenberg und Leopoldsberg mit riesigen Scheinwerfern beleuchtet.«
Es war die lichtmäßige Inbesitznahme der ganzen Stadt, die Massen an Besuchern anzog und eine regelrechte Lichteuphorie auslöste. Unmittelbar danach wurden bereits die ersten Erinnerungsbilder propagandistisch verbreitet und Ansichtskarten mit Nachtmotiven zum Verkauf angeboten. Die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien hatte sich – wie nie zuvor – als strahlende Metropole des Lichts positioniert.
»Kein Fest mehr ohne Lichtfreude.« Dieses Motto sollte dann auch bei politischen Veranstaltungen der Zwischenkriegszeit zur Selbstverständlichkeit werden. Schon die Feier zur Eröffnung des für die Wiener Stromversorgung wichtigen Kraftwerks in Opponitz am 1. Jänner 1925 wurde von einer aufwändigen Lichtinszenierung begleitet. Diese verstand sich als politisches Statement für die wachsende Kraft der Sozialdemokratie und die Potenz einer Stadt, die eben erst zu einem eigenen Bundesland erhoben worden war. Im Zentrum des Spektakels stand die politische Machtzentrale, das Rathaus, welches an diesem Abend gleich zweimal (zwischen 17 und 18 Uhr sowie zwischen 20 und 21 Uhr) im Lichterglanz erstrahlte. Schon am Nachmittag setzte, so die »Neue Freie Presse«, eine »Völkerwanderung« Richtung Rathausplatz ein, ehe die eigentliche Lichtshow begann: »Da zerreißt der Lichtkegel eines auf dem Rathausplatze aufgestellten Scheinwerfers die Finsternis, taucht die Turmspitze und den eisernen Rathausmann in silberweißes Licht. Gleich darauf flammen auf dem Turm blendendweiße Lampen auf, das Dach strahlt in einem Lichtermeer, mit feurigen Zungen greift das Licht nach immer neuen Loggien und Pfeilern des gotischen Palastes, sie aus dem Dunkel reißend. Und jetzt ist die ganze Fassade des Rathauses mit allen Türmchen, Arkaden und dem reichgegliederten Zierrat von Lichtern übersät, die wie Edelsteine funkeln. Auch von den beiden Ecktürmchen des Rathauses senden zwei Schweinwerfer Lichtbrücken zur Turmspitze hinauf, und der Himmel strahlt im Widerschein des funkelnden Palastes.«
Die politisch der Stadtregierung nahestehende »Arbeiter-Zeitung« berichtete noch euphorischer und sprach von »Lichtzauber« und »Märchenpracht« und einem »Feenschloß«, das »zauberhaft und unwirklich wie ein Traumgebilde« schien. 3.000 Lampen waren aufgeboten worden, um das Rathaus derart schillernd zu inszenieren. Eigens hergestellte Werbefotos dokumentierten das neue Selbstbewusstsein des »Roten Wien«. Deutlich geht aus solchen Schilderungen der Reiz des Neuen und noch nie Gesehenen hervor. Erstmals waren Effekte in dieser Größenordnung technisch möglich und wirkten auf viele wohl deshalb geradezu überwältigend.
Drei Jahre später, im November 1928, konnte die Wiener Bevölkerung ein noch aufwändigeres Lichtereignis bestaunen. Bei den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Gründung der Republik Deutsch-Österreich erstrahlten der Stephansdom, das Rathaus und das Parlament in festlicher Beleuchtung. Gleichberechtigt wurde das religiöse Zentrum neben die beiden wichtigsten demokratischen Institutionen gestellt, womit man jene Eckpfeiler markierte, auf denen das politische System ideologisch ruhte. Mehrere Großscheinwerfer sowie Tausende Glühlampen ließen die Lichtinszenierung zum emotionalen Höhepunkt des Jubiläumsaktes werden. Erneut wurde das Ereignis auf unzähligen Festkarten abgebildet, wodurch es, neben der Enthüllung des Republikdenkmals auf der Ringstraße, zum bekanntesten Erinnerungsbild an diesen Gedenktag wurde.
Wie zuvor schon für den Kaiser, war die Nacht auch für die Massenparteien zur begehrten Bühne geworden. Wobei die den Modernisierungsbestrebungen aufgeschlossenere Sozialdemokratie rasch neue Techniken übernahm. So verwendete sie schon im Wahlkampf in den 1920er-Jahren Leuchtreklamen, die in großen Lettern verkündeten: »Wir bauen weiter und wählen sozialdemokratisch«. Und auch der sozialdemokratische Kandidat des Bundespräsidentschaftswahlkampfes 1931 wurde nachts völlig neu, als überdimensionales, aus unzähligen Lichtpunkten zusammengesetztes Porträt präsentiert, mit der darunterstehenden Aufforderung: »Wählet am 18. Okt. Dr. Karl Renner«. Die elektrifizierte Großstadt der Moderne hatte ihre adäquate Lichtpolitik gefunden.
Umgekehrt nutzten auch die Christlichsoziale Partei bzw. die Vaterländische Front die Möglichkeiten zur nächtlichen Selbstdarstellung. Als man im September 1933 den »Deutschen Katholikentag« beging, ein politisches und mediales Großereignis, bei dem Engelbert Dollfuß seine berühmte Rede am Trabrennplatz hielt, erstrahlte der Stephansdom als festlich beleuchteter Mittelpunkt der Stadt. Ein Jahr später, nach der Ermordung von Dollfuß, war der Trabrennplatz selbst Schauplatz einer gewaltigen Lichtmanifestation: Zum Gedenken an den Kanzler wurde ein Riesenfeuerwerk entzündet und sein Porträt mitsamt Kruckenkreuz und der Parole »JA ES WILL« in die Nacht gezeichnet. Die Bevölkerung selbst wurde aufgefordert, Kerzen in die Fenster zu stellen und in den Bergen Höhenfeuer zu entzünden.
Festbeleuchtung des Rathauses, 1928
Im Unterschied zur Sozialdemokratie setzte das konservative Lager in seinen Lichtinszenierungen weit mehr auf die Magie des offenen Feuers als auf High-Tech-Performance. Dies zeigte sich besonders deutlich bei der Einweihung des »Österreichischen Heldendenkmals« im September 1934, der ersten großen Selbstdarstellung des austrofaschistischen Ständestaates. Die im Äußeren Burgtor errichtete Gedenkstätte zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkriegs wurde mit einem sorgfältig inszenierten Lichtfest eröffnet: Zu beiden Seiten des Denkmals brannten »ewige Feuer«, die Fassade der Neuen Burg erstrahlte in Festbeleuchtung, die angrenzenden Reiterstandbilder von Erzherzog Karl und Prinz Eugen wurden im Lauf des Abends gleich zweimal mit bengalischen Feuern illuminiert.
Einweihung des Österreichischen Heldendenkmals am Heldenplatz, 1934
Auch die im Jahr 1938 an die Macht gekommene nationalsozialistische Stadtregierung setzte massiv auf die propagandistische Kraft des Lichts. Zwar gab es in Wien keine Großinszenierungen wie in Berlin oder Nürnberg, wo Tausende Scheinwerfer zum Einsatz kamen und gewaltige »Lichtdome« in den Himmel projiziert wurden, ausgeklügelte Lichtdramaturgien fehlten aber keineswegs. Vor allem die Volksabstimmung am 10. April, die bis dahin wohl größte Propagandaschlacht in Österreich, später auch der 1. Mai sowie Hitlers Geburtstag boten Anlass für spezielle Nachtfeiern. Gebäude wurden mit Lichtbändern, zum Teil auch mit überdimensionalen Hakenkreuzen und Bannern geschmückt, die die Parole »Ein Volk. Ein Reich. Ein Führer« in die Nacht schrien. Und man verteilte Bildpostkarten, die das Hakenkreuz in Form einer aufgehenden Sonne vor bekannten Wiener Sehenswürdigkeiten zeigten, die damit in »neuem Licht« erstrahlten. Die politische Instrumentalisierung des Lichts erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt.
Realiter sollte die Stadt jedoch eher finsterer denn heller werden. Denn mit Fortdauer des Krieges und den zunehmenden Luftangriffen der Alliierten wurden strenge Verdunkelungsmaßnahmen angeordnet. Auf der Straße kamen kleine Petroleumlampen anstelle der bisherigen Beleuchtungskörper zum Einsatz, und immer öfter konnte man auf Plakaten die Warnung lesen: »Der Feind sieht dein Licht!«
Parlament, nationalsozialistische Propagandakarte, 1938
Aufmerksamkeit mithilfe des Lichts zu erzeugen war zu einer tödlichen Gefahr geworden. Der Krieg hatte die gewohnten Wahrnehmungsmuster ins Gegenteil pervertiert. Es galt umzulernen. Erst in der Nachkriegszeit durfte man sich wieder öffentlich an der Kraft des Lichts erfreuen.