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EINLEITUNG

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»Nur auf den Wegen, die du täglich gehst,

begreifst du, wo du wirklich bist.«

(MONIKA HELD)

Sich mit wachen Sinnen durch eine Stadt zu bewegen und die Eindrücke sodann in schriftlicher Form festzuhalten, kann als ganz spezielle Form der Welt- und Selbstdeutung gesehen werden. In einem gewissen Sinn verbindet sich hierbei immer die Suche nach der Persönlichkeit der Stadt mit der Suche nach der eigenen Persönlichkeit. Es ist ein interaktives Lernen, Erfahren und Begegnen. Und trotz des genuin Fragmentarischen ist es stets aufs Neue spannend und ertragreich.

So ist auch der mittlerweile vierte Band meiner urbanistischen Erkundungen von Wien zu verstehen, der Feuilletons versammelt, die in den vergangenen fünf Jahren erschienen sind – einer Zeit, die an Umbrüchen und Turbulenzen wahrlich einiges zu bieten hatte. Inhaltlich geht es zunächst erneut um bislang wenig beachtete Facetten der Stadt. Oder, wie Joseph Roth formulierte, darum, in sachtem Ton »unerhörte Geschichten« zu erzählen: von Trinkbrunnen, Leuchttürmen, Telefonzellen und Pollern über Wiens erste Elektrobusse bis hin zu Garagen, Warenhäusern und Kinos. Auf vielfältige Weise bilden sich in diesen baulichen und technischen Einzelphänomenen die Megatrends unserer Zeit ab, allen voran die Digitalisierung und der Klimawandel. Beide haben Wien massiv zu prägen begonnen, sie durchdringen den urbanen Alltag auf immer nachhaltigere Weise. Besonders offenkundig wird dies in Fragen der Mobilität, denen im Buch gleich mehrere Beiträge gewidmet sind. Eingebettet in die Grunderfahrung, dass sich – wie ich selbst bemerke – die Beschleunigung und Komplexität des Großstadtverkehrs in den letzten Jahren deutlich erhöht hat, gehört dieser wohl zu den wichtigsten Faktoren der künftigen Stadtentwicklung.

Die anhaltende Verdichtung Wiens hat nicht zu übersehende ökologische und soziale Folgen, gleichzeitig wird der öffentliche Raum zunehmend technisiert. Wahrnehmungs- und Nutzungsformen ändern sich grundlegend, wie sich an teils heftigen Diskussionen über E-Scooter, die Praterstraße oder den Donaukanal zeigt. Die Genese von Nachhaltigkeitsdebatten wiederum spiegelt sich in der historischen Betrachtung des legendären Rinterzelts wider sowie in alten und neuen Visionen zum »Vertical Farming«.

Neben diesen thematischen Schwerpunkten soll auch an vergessene Persönlichkeiten aus dem Bereich der Journalistik erinnert werden, an Menschen, die uns bis heute faszinierende Einblicke in den städtischen Alltag ihrer Zeit ermöglichen. Zu den zeitlebens bekanntesten gehörte Ludwig Hirschfeld, Feuilletonist der »Neuen Freien Presse« und einer der klügsten und zugleich amüsantesten Vertreter seiner Zunft. Nicht minder bedeutend waren auch jene immer zahlreicher werdenden Frauen, die das Feuilleton für sich eroberten. Von der Pionierin Betty Paoli über Alice Schalek bis zu Ann Tizia Leitich und Hermine Cloeter. Allesamt Journalistinnen, die uns Hinweise auf die weibliche Sicht und Analyse des Wiener Stadtgeschehens geben.

Dass sich gerade das aktuelle Geschehen immer tiefer in die Stadtgeschichte einschreibt, verdeutlichen schließlich zwei Reportagen aus dem Jahr 2020, die den dramatischen Terroranschlag im jüdischen Viertel der Innenstadt sowie den Ausbruch und Verlauf der Corona-Pandemie behandeln. Beide Ereignisse gehören zweifellos zu den einprägsamsten der jüngeren Zeit. Ihre wirklichen Folgen, innerlich wie äußerlich, werden wir wahrscheinlich erst dann in ihrem vollen Umfang begreifen, wenn sich die Stadt wieder auf stabilem Terrain befindet und sämtliche isolierenden Beschränkungen wegfallen.

Der Titel des Buches, »Auf nach Wien«, ist auch paradigmatisch als Post-Corona-Parole zu verstehen, als Signal für den auch von mir ersehnten Aufbruch, als Freude auf das Wiedersehen mit einer »freien Stadt«, in der man ungestört seiner Neugier frönen und Menschen und Orten begegnen kann.

Die vorliegenden nicht ganz dreißig Essays erschienen von 2017 bis 2021 in den Feuilletonbeilagen der Wiener Tageszeitungen »Die Presse« und »Wiener Zeitung«, vereinzelt auch in der »Zeit« und in diversen Fachpublikationen. Sämtliche Beiträge wurden überarbeitet und aktualisiert.

Für die bewährte und neuen Themen stets aufgeschlossene Zusammenarbeit bedanke ich mich herzlich bei den Zeitungsredakteuren Wolfgang Freitag und Gerald Schmickl; ebenso beim Team des Czernin Verlags, namentlich Hannah Wustinger, Mirjam Riepl und Benedikt Föger, deren Engagement auch diesmal einen wohltuend-professionellen Rückhalt bildete. Freundschaftlicher Dank gilt zudem Wojciech Czaja, Urbanist und Architekturpublizist, der sich trotz vollen Terminkalenders zur Abfassung des Vorworts bereit erklärte. Vielleicht verbindet uns alle eine Einsicht und Haltung gegenüber Wien, die der Feuilletonist Raoul Auernheimer einmal so formulierte: »Es gibt wenige Städte, die mehr Glück erzeugen als sie verbrauchen – und Wien gehört zu diesen ganz wenigen.«

PETER PAYER

Wien und Küb, Sommer 2021

Auf nach Wien

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