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SCHAUFENSTER FÜR ALLE

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125 Jahre lang zu bestehen ist in der schnelllebigen Handelsbranche keine Kleinigkeit. Auf solch ein Jubiläum kann ein Wiener Warenhaus verweisen, das bei seiner Eröffnung im Jahr 1895 als Bau der Superlative galt. Einzigartig für Wien, ja für ganz Europa. Vom Kaufmann Stefan Esders in der unteren Mariahilfer Straße errichtet, war es lange Zeit der Flagship-Store der Firma Leiner. An seine Stelle wird schon bald das KaDeWe Wien treten, erneut mit dem Anspruch, architektonische Maßstäbe von Weltformat zu setzen, denn der Entwurf stammt aus dem Büro des Star-Architekten Rem Koolhaas. Ein Standort mit einer durchaus bemerkenswerten Geschichte also.

Stefan Esders (1852–1920) stammte ursprünglich aus Belgien und hatte zuvor schon eine Kleiderfabrik in Brüssel gegründet, gemeinsam mit seinem Bruder Henri. Zahlreiche Filialen in Berlin, Paris, St. Petersburg und Rotterdam waren bereits entstanden, nun sollte in der aufstrebenden Weltmetropole Wien ein weiterer unternehmerischer Höhepunkt folgen. Esders erwarb das Eckgrundstück in der Mariahilfer Straße 18 und ließ nach Plänen des Wiener Architekten Friedrich Schachner ein für damalige Verhältnisse spektakuläres Großkaufhaus für Textilwaren errichten. Die Vorbilder dazu standen in Paris, wo sich mit legendären Etablissements wie Le Bon Marché, La Samaritaine oder Printemps bereits seit Längerem eine prominente Warenhauskultur etabliert hatte.

Der Architekt und die mit der Ausführung betrauten Baumeister Franz Kupka und Gustav Orglmeister realisierten einen kompakten, fünfgeschoßigen Monumentalbau mit Haupteingang an der Ecke. Im Inneren gruppierten sich die Räumlichkeiten um einen zentralen, mit Glas gedeckten Hof. Die einzelnen Geschoße waren durch eine repräsentative Treppenanlage verbunden, die aus edelsten Materialien bestand. Die Konstruktion des Gebäudes in Pfeilerbauweise war wegweisend, ebenso die gesamte Logistik. Die beiden untersten Geschoße – rund 12.000 Quadratmeter – dienten als Verkaufsräume, in den beiden Geschoßen darüber war die Kleiderfabrik untergebracht, im obersten Stockwerk befanden sich Wohnungen, darunter auch jene für die Familie des Eigentümers. Der Name des Warenhauses sprach für sich: »Zur großen Fabrik«.


Stefan Esders, um 1900

Die Eröffnung am 4. April 1895 war ein Festakt der Sonderklasse, sie bot ein geradezu »großstädtisches Bild voll Pracht und Glanz«, wie die »Neue Freie Presse« ehrfurchtsvoll vermerkte: »Es war ein höchst überraschender – ein wahrhaft blendender Anblick, der das massenhaft angesammelte Publicum in staunender Bewunderung gefesselt hielt. Alles war einig in dem Urtheile, daß es ein Geschäfts-Etablissement von ähnlicher Großartigkeit in Wien noch nicht gegeben habe. Sämmtliche colossalen Schaufenster im Parterre und Mezzanin – 39 an der Zahl – waren elektrisch illuminirt, und das goldige Licht der Glühlampen ergoß sich auf die hinter den riesigen Spiegelscheiben aufgehäufte Fülle der Artikel, die das neue Etablissement dem Publicum bietet.« Den ganzen Tag über, so die Zeitung weiter, drängten sich Tausende Passanten vor den Schaufenstern.

Neugier und Aufregung waren groß, präsentierte sich das Warenhaus doch gleich in mehrfacher Hinsicht als absolut innovativ. Schon der so verschwenderische Einsatz des elektrischen Lichts war einzigartig. Nur sporadisch hatte die Wiener Bevölkerung bisher Bekanntschaft mit der Qualität des neuen Lichts gemacht. Zwar gab es bereits 1882 am Graben eine erste Probebeleuchtung mit elektrischen Bogenlampen und im Jahr darauf im Prater eine große »Internationale Elektrische Ausstellung«, doch in den meisten Bereichen der Stadt dominierte nach wie vor das schummrige Licht der Gasflammen. Verkaufswaren, die in der Nacht mit elektrischem Licht inszeniert wurden, hatte man in diesem Ausmaß noch nicht gesehen.


Grundriss Erdgeschoß, 1895

Wesentlichen Anteil an dieser Faszination hatte die Anzahl und Größe der Schaufenster, die die untersten beiden Etagen einnahmen und, gemeinsam mit der Beleuchtung, zur Straße hin eine maximale Anziehungskraft erzeugten, auch das eine Novität. Erst 1880 hatte die Wiener Gemeindeverwaltung die Schaufensterbeleuchtung grundsätzlich für alle Bezirke der Stadt bewilligt. Mit der Bedingung, dass die jeweiligen Geschäftsinhaber beim Stadtbauamt um eine Konzession ansuchten und sich als »sittlich unbedenkliche Personen« erwiesen. Nach und nach erstrahlten die Schaufenster der Geschäfte seither auch abends. Die Waren erhielten eine neue Sichtbarkeit, gleichzeitig wurden die Auslagen immer größer und, so die Historikerin Susanne Breuss in ihrer lesenswerten Geschichte des Schaufensters, zu einem paradigmatischen Ort großstädtischer Konsumkultur. Eine Kultur des Sehens und Zeigens, des wirkungsvollen Inszenierens mit Glas und Licht etablierte sich. Auf architektonischer Seite führte dies zu einer zunehmenden Transparenz der Geschäftsfassaden und einer immer stärkeren Verschmelzung von Innen- und Außenraum.

Warenhäuser wie jene von Esders oder später auch Herzmansky (1897) und Gerngross (1904) waren diesbezüglich Pioniere und prägten damit das Bild der Mariahilfer Straße nachhaltig. Die Straße verlor ihren Vorstadtcharakter und avancierte zur wichtigsten Konsummeile der Stadt: Ein urbanes Aushängeschild und Symbol für Fortschritt und Modernität.

Der Wiener Schriftsteller und Journalist Paul Zifferer schilderte seinen Lesern diese eindrucksvolle Transformation am Vorabend zu Weihnachten 1910: »Jedem einzelnen, den jetzt sein Weg des Abends durch die Mariahilferstraße hinaufführt, widerfährt etwas ganz Erstaunliches und Wunderbares. Alles ringsum scheint verzaubert, altvertraute Plätze tragen ein neues, fremdes Gewand, und man schreitet wie durch lauter Prunkgemächer, deren Türen weit geöffnet stehen und deren Kronleuchter ihr Licht als strahlende Dusche über die festlich geputzte Menge ergießen.«

Stefan Esders, schon bald als »Kleiderkönig von Wien« bezeichnet, war in seinen Produktions- und Verkaufsstrategien ein Unternehmer neuen Formats. Enorm billige und erstmals auch genau ausgeschilderte Preise beeindruckten die Konkurrenz, das Angebot an Waren – man verkaufte zunächst ausschließlich Herren-, erst später auch Damenkonfektion – war für damalige Verhältnisse geradezu unglaublich. So lagerten allein 10.000 Hosen und 67.000 komplette Anzüge in dem Etablissement.

Insgesamt 120 Verkäufer standen für die Kunden bereit und erstmals kam auch eine neue Art der Warenpräsentation zum Einsatz: Lebensgroße Schaufensterpuppen, die »die modernsten Façons aller Kleidungsstücke in Schnitt und Form veranschaulichen«, galten als Sensation und zogen die Blicke der Kunden magisch auf sich.

Das Warenhaus Esders war ein in Wien bemerkenswerter »Early Adopter«, ein Unternehmen also, das – bedingt durch seine große Kundennähe – sehr früh modernste Technologien und neue Präsentationsformen ausprobierte. Ein Pionier des Fortschritts, wie später auch andere Warenhäuser oder Hotels, die hinsichtlich technologischer Ausstattung ebenfalls stets am Puls der Zeit zu sein hatten.

Der Erfolg sprach für sich. Und auch der Neid. Eine politische Debatte entbrannte, in der konservative Politiker Esders großkapitalistische Ausbeutung vorwarfen – allen voran die Christlichsozialen, die ihr kleinbürgerliches Klientel gefährdet sahen und dabei auch antisemitische Ressentiments schürten, die allerdings ins Leere gingen, da der Kaufhausbesitzer Katholik war.


Warenhaus Esders, um 1930

Bei seinen Angestellten schien Esders durchaus beliebt gewesen zu sein. Auch hier bahnbrechend, führte er ein System der Gewinnbeteiligung mittels Prämien ein, und zu seinem 60. Geburtstag stiftete er 100.000 Kronen für den Pensionsfonds seiner Belegschaft.

Der Ruf des Unternehmens ging bald weit über die Grenzen Wiens hinaus. Auch Alfred Wiener, Autor eines 1912 erschienenen Standardwerks zur Geschichte des Warenhauses, hebt das Konfektionshaus Esders im internationalen Vergleich lobend hervor.

Nach Stefan Esders Tod führte sein Sohn und danach sein Enkel die Firma weiter. Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu umfangreichen Beschädigungen und Plünderungen, 1964 schließlich kaufte die aus St. Pölten stammende Firma Leiner das Gebäude und nahm in der Folge umfangreiche Modernisierungen und Umbauten vor.

Danach präsentierte sich das Warenhaus als relativ nüchterner Bau, bei dem nur noch die großen Fensterscheiben in den unteren Geschoßen an die dort einst zelebrierte Schaulust erinnerten. »Vollgefressene Pupillen«, wie Joseph Roth so einnehmend formulierte, wurden durch sie keine mehr hervorgerufen. Im Inneren allerdings war noch bis vor Kurzem ein kleiner Teil der Treppenanlage original erhalten, eine reich gegliederte Eisenkonstruktion mit Geländer und filigranen Jugendstil-Verzierungen. Und dieser älteste Teil des Hauses vermochte zumindest noch ansatzweise den Glamour vergangener Tage wachzurufen. So bemerkte eine Verkäuferin spontan, dass es immer wieder ein erhabenes Gefühl sei, diese Stufen hinunterzuschreiten. Sie fühle sich stets wie ein Star. Welch schönes Kompliment für ein Gebäude am Vorabend seines Todes.

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