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NACHT OHNE FINSTERNIS

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Es war ein besonderer Eyecatcher, der mir – als frisch nach Wien Zugezogenem – in den 1980er-Jahren immer wieder auffiel: Die überdimensionalen Konturen des »Moulin Rouge« am Beginn der Kärntner Straße. Vor allem nachts stach die Leuchtreklame besonders ins Auge, thronte die rote Windmühle eindrucksvoll hoch über der Straße, strahlend und verlockend, und ein langgezogener Pfeil wies in jene Richtung, in der sich das berühmtberüchtigte Erotiketablissement befand. Seit den 1920er-Jahren trug das Nachtlokal in der Walfischgasse diesen klingenden, dem großen Pariser Vorbild nachempfundenen Namen – Inbegriff und Hotspot des Wiener Nachtlebens bis in die jüngere Zeit. Und so war es wohl auch kein Zufall, dass die bekannten »Geilomobil«-Fotos des späteren Bundeskanzlers Sebastian Kurz noch im Jahr 2010 genau vor dieser Location aufgenommen wurden.

Ein für die Kulturgeschichte Wiens hoch aufgeladener Ort also, dessen Fassadenwerbung wohl wert gewesen wäre, erhalten zu werden. Umso größer war sodann die Enttäuschung, dass diese eines Tages – es muss Mitte der 2000er-Jahre gewesen sein – verschwand. Unwiederbringlich, denn kein Museum hatte sich dafür interessiert, keine privaten Interessenten hatten sich gefunden. Heute undenkbar! Das Bewusstsein für die Erhaltenswürdigkeit von Leuchtreklamen und Stadtbeschriftungen hat sich nicht zuletzt dank so verdienstvoller Initiativen wie dem 2012 gegründeten Verein Stadtschrift oder dem Grafiker und Ghostletters-Vienna-Rechercheur Tom Koch nachhaltig gewandelt. Werbebuchstaben stehen mittlerweile hoch im Kurs, sind begehrte Sammlerstücke, im musealen Bereich genauso wie am privaten Kunstmarkt.

Gerade Wien hatte und hat hier so einiges zu bieten. Ein Blick zurück zu den Anfängen der Lichtwerbung im öffentlichen Raum verdeutlicht dies, in jene Zeit, als die immense Suggestivkraft der nächtlichen Stadtbeschriftung noch frisch und neu war.

»Alles glüht in Licht. Alles strahlt. Der Himmel mit seiner fernen Sternenpracht ist versunken. Aber die Straßen glitzern wie riesige Schaufenster eines Juweliers und locken mit farbigen Strahlen. Alles ruft, bittet, befiehlt.« Der österreichische Schriftsteller Gustav von Felsenberg staunte im Spätwinter 1935 beinahe ehrfurchtsvoll über die Wiener Nacht. Vor zwei Jahrzehnten war er zum letzten Mal in der Stadt gewesen und nun schienen ihm die neuen Lichteindrücke geradezu überwältigend – insbesondere in den Geschäftsstraßen, wo raffinierte Reklameanlagen und grell erleuchtete Schaufenster um die Aufmerksamkeit der Passanten buhlten.


Opernkreuzung, 1928

Mehr als 7.000 Lichtreklamen gab es im Jahr 1932 bereits in Wien, eine Zahl, die im Jahrzehnt zuvor rasant gestiegen war. Vor allem nachdem zu den punktförmig leuchtenden Glühlampen die Neonröhre hinzugekommen war, die kontinuierliche Lichtbänder in allen erdenklichen Formen und Farben ermöglichte.

Vom französischen Physiker und Geschäftsmann Georges Claude erfunden, waren die ersten Neonreklamen ab 1910 in Paris entstanden. In den 1920er-Jahren verbreiteten sie sich in den US-amerikanischen Metropolen, von New York über Los Angeles bis San Francisco. Absoluter Höhepunkt war die Präsentation auf der Weltausstellung in Chicago 1933/34: Von der Eingangsfront rieselten die Kaskaden eines 15 Meter hohen Wasserfalls herab, der mithilfe von grünen und blauen Neonröhren imitiert wurde. Springbrunnen, von unten mit Leuchtröhren erhellt, warfen bunte Wasserfontänen in die Luft.

Die Lichtstärke der Neonröhre war groß, ohne zu blenden. Die Linien, die sie durch die Nacht zog, verhielten sich zur Glühlichtreklame, so der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch, wie ein stromlinienförmiger Rennwagen zur ersten Benzinkutsche. Klar, modern und dynamisch, verkörperte die Neonröhre die Licht-Version der Stromlinie.

Euphorisch sprach man in Wien, wie auch in anderen Großstädten, vom »Zeitalter des Lichts«, das nun angebrochen sei, von der »Nacht ohne Finsternis« und einer »neuen Symphonie der nächtlichen Lichtstadt«. Endgültig schien die Nacht besiegt, hatte die Stadt sich ihrer bemächtigt und sie in ihre Dienste gestellt.

Ganz anders sahen dies konservative Kreise der Bevölkerung, insbesondere die Anhänger der seit der Jahrhundertwende in Deutschland und Österreich aktiven Heimatschutzbewegung. Sie empörten sich über die zunehmende Dominanz der kommerziellen »Lichtflut«, die das traditionelle Stadtbild verunstalte, und kritisierten die Unmengen an Lichtern, die die Augen überreizten und ein visuelles Chaos auf den Straßen erzeugten. Die natürliche Nacht, so befürchtete man, komme in der Stadt rein gar nicht mehr zur Geltung. Sozialpsychologisch gesehen schienen die zuckenden Lichtreklamen, wie der Feuilletonist Siegfried Kracauer diagnostizierte, wie »ein flammender Protest gegen die Dunkelheit unseres Daseins, ein Protest der Lebensgier«, mit dem man die existenzielle Leere und Müdigkeit des modernen Großstadtbewohners verdecke. All diese Kritik wurde letztlich von den wirtschaftlichen Argumenten zurückgedrängt, wenngleich die zunehmende Verwendung von Leuchtstoffröhren immerhin zu einer deutlichen Lichtberuhigung im Straßenbild führte.

Wie sah es nun um 1930 konkret in Wien aus? Unterschiedlichste Techniken der Lichtreklame waren verbreitet: zum einen jene großflächigen Wechselschriftreklamen, die auf dem Dach des Dianabades, auf dem Heinrichhof und dem Hapag-Haus am Opernring montiert waren. Aus bis zu 4.000 Glühlampen bestehend, fungierten sie als moderne »Lichtzeitungen«, die neben Reklame auch aktuelle Nachrichten verkündeten. Zum anderen spektakuläre, teils riesige Neonreklamen, insbesondere in den Hauptgeschäftsstraßen wie der Kärntner oder der Mariahilfer Straße. In Ersterer konnte man etwa den Namenszug des Kaufhauses Neumann bestaunen, mit seinen, wie es hieß, »ungewohnten Dimensionen«. In Zweiterer warb das Großkaufhaus Gerngross mit rot leuchtenden Neonröhren, eine Reklameanlage von fast 12 Metern Höhe und 7 Metern Breite. Etwas weiter stadtauswärts trat das Teppich- und Möbelhaus Schein mit sich vertikal über die ganze Fassade des Hauses erstreckenden Leuchtbändern in Erscheinung. Auch niederrangige Geschäftsstraßen erhielten beeindruckende Neonreklamen, wie die Währinger Straße, wo die Kathreiner Malzkaffee-Fabrik ein riesiges Ziffernblatt errichten ließ, das fünf Uhr zeigte und dazu den Slogan »Um diese Stunde trinke Kathreiner«, eine Lichtkonstruktion, die – so ein Fachmagazin – durch ihre »besonders wirkungsvollen, wechselnden Lichteffekte allgemeines Aufsehen erregte«. In der Meidlinger Hauptstraße konnte man in riesigen Lettern »ATA putzt alles!« lesen, in der Wiedner Hauptstraße propagierten die Städtischen Elektrizitätswerke mit einer überdimensionalen Lichtreklame »Strom für Alles im Haus«. Besonders große und fantasievolle Lichtinstallationen wurden nicht selten in den Rang von Wahrzeichen erhoben und in den Medien besprochen. Sie machten – darin waren sich viele einig – »Wien um eine Sehenswürdigkeit reicher«.

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