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5 Koordination als stete Suche
nach dem Gleichgewicht

Was Sie nachher mehr wissen

In diesem Kapitel erfahren Sie, welche Rolle die koordinativen Fähigkeiten im Kanon mit der individuellen Handlungskompetenz
spielen.

Die Suche nach harmonischen Bewegungen

Für die Regulation der Motorik, der harmonischen Bewegung, sind die koordinativen Fähigkeiten notwendig. Je nach Bewegung in unterschiedlicher Ausprägung. Die Koordination und die Kontrolle von Bewegungen oder der Haltung basieren auf einem ausgeklügelten Prozess im zentralen Nervensystem (siehe Kapitel 8) zur systematischen Steuerung der Muskelaktivität. Das Nerv-Muskel-System funktioniert mit Rückkopplungsschleifen, quasi zweigleisig. Auf dem einen Gleis erfolgen die Befehle an die Muskeln, eine bestimmte Bewegung auszuführen. Auf dem zweiten Gleis erfolgen permanente Rückmeldungen über Rezeptoren, welche dafür sorgen, dass die Muskelaktivität den inneren und äußeren Bedingungen angepasst wird. Die Grundlage für harmonische Bewegungen ist letztlich also ein feinkoordiniertes System von Informationen zwischen dem zentralen Nervensystem und der Muskulatur (siehe Kapitel 7), den Gelenken, Sehnen und Bändern.

Definition

Die koordinativen Fähigkeiten sind Fähigkeiten, die primär koordinativ, das heißt durch den Prozess der Bewegungssteuerung und –regelung, bestimmt werden. (J. Weineck 2010, S. 793) Sie befähigen den Sportler, Bewegungen in vorgesehener Weise (Stereotypen) auszuführen und Bewegungen durch Anpassung an eine unvorhergesehene Situation zu beherrschen.


Abhängigkeiten der koordinativen Fähigkeiten, eigene Darstellung.

Die fünf koordinativen Fähigkeiten

Um im Trainingsprozess eine differenzierte Schulung der koordinativen Fähigkeiten zu ermöglichen, muss dafür die Bewegung in ihrer gesamten Komplexität erkannt und wenn nötig in ihre Teilkomponenten zerlegt werden.

In der Trainingspraxis ist dem Training der koordinativen Fähigkeiten genügend Raum zu geben. Nur so lassen sich letztlich komplexe Bewegungen harmonisch ausführen. Es lohnt sich, die einzelnen Komponenten zielgerichtet zu entwickeln. Die wichtigsten koordinativen Fähigkeiten sind:

 Orientierung

 Differenzierung

 Gleichgewicht

 Reaktion

 Rhythmus

Nachfolgend sind diese Fähigkeiten einzeln beschrieben und ihre Bedeutung wird gewürdigt. Der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass manchmal die Umstellungs- und Kopplungsfähigkeit dazu gezählt werden. Diese beiden können aber auch integriert in den oben aufgeführten fünf Komponenten behandelt werden, da sich beide auf die Endform der Bewegung beziehen.

Orientierung in Raum und Zeit

Die Orientierungsfähigkeit ermöglicht es, sich in Raum und Zeit mit seinen Be­wegungen zu verändern oder anzupassen. Dabei steht in der Regel eine definierte „Spielbox“ im Zentrum. Solche „Spielboxen“ können beispielsweise das Fußballfeld, die Matte beim Ringen, die Geräte im Kunstturnen oder auch der Gegner oder Partner sein.

Die Orientierung kann in zwei Komponenten aufgeteilt werden: In die räumliche und zeitliche Orientierung. Die räumliche Orientierung, oft auch als peripheres Sehen bezeichnet, zeichnet beispielsweise einen Fußballspieler aus, welcher in der Lage ist, den Pass in den freien Raum zu spielen. Die zeitliche Orientierung, oft auch als Timing bezeichnet, ist die Fähigkeit, den Ball mit der optimalen Kraft zu spielen, damit er zeitgleich mit dem Mitspieler im freien Raum ankommt. Beide Qualitäten zusammen verdeutlichen, dass solche Spielertypen nicht wie Sand am Meer zu finden sind. David BECKHAM, Marco REUS, Lionel MESSI oder ein Zinedine ZIDANE sind typische Vertreter dieser Spezies.

Ein guter Spieler im Fußball unterscheidet sich dergestalt vom klassischen Mitläufer (die es unbedingt auch braucht!), räumliche und zeitliche Informationen so zu bündeln und zu antizipieren, dass als Resultat der geniale Pass entsteht.

Differenzierung für den optimalen Krafteinsatz

Die Differenzierung ermöglicht fein abgestimmte Bewegungen in höchster Bewegungsgenauigkeit und -ökonomie. Wenn wir bei den Beispielen aus dem Fußball bleiben, haben die oben erwähnten Spieler allesamt ein unglaubliches Ballgefühl. Sie wissen bei jedem Pass, wie viel Kraft sie in diesen geben müssen, damit er beim Empfänger ankommt. Eine Fähigkeit, welche nur wenigen Spielern eigen ist.

Gleichgewicht als wichtigste koordinative Fähigkeit

Das Gleichgewicht ist die Fähigkeit, seinen Körper in einem Zustand des Gleichgewichts zu halten oder bei Körperverlagerungen diesen Zustand wieder möglichst schnell zu erreichen. Im Sport kann deshalb auch von einem dynamischen Gleichgewicht gesprochen werden.

Die Gleichgewichtsfähigkeit kann und soll schon im frühen Alter geschult werden. Balancieren auf allen möglichen Objekten oder das Fahren mit einem Einrad sind Herausforderungen, welche Kinder schon sehr früh, im Vorschulalter oder im frühen Schulkindalter, erlernen und mit Freude ausüben. Vorausgesetzt, sie haben eine Trainerin oder einen Trainer, welcher über die nötigen Kompetenzen verfügt, dem Alter der Kinder entsprechend die richtigen methodischen Konzepte kennt und bei alledem viel Freude auslöst.

„Auf Basis einer differenzierten Orientierung ist Gleichgewichtsfähigkeit die wichtigste
aller koordinativer Fähigkeiten.“
in Anlehnung an A. Hotz

Reaktion heißt maximal schnelles Reagieren

Die Reaktion ist die Fähigkeit, schnell auf ein Signal hin eine motorische Aktion auszuführen. Dabei spielt es eine Rolle, die Aufgabe mit der am zweckmäßigsten Geschwindigkeit auszuführen. Wobei meistens das maximal schnelle Reagieren das Optimum darstellt. Ein klassisches Beispiel ist der Startschuss bei einem 100-Meter-Lauf in der Leichtathletik.

Die Reaktion ist aber nicht nur eindimensional wie beim Sprint. In vielen Sportarten ist es wichtig, schnell auf viele Impulse und Aktionen zu reagieren, in allen möglichen Richtungen. So ist beispielsweise beim Tennis ja nicht der Startschuss wie beim Sprint entscheidend, sondern das Antizipieren des gegnerischen Schlages. Je schneller ich adäquat reagiere, desto früher bin ich am richtigen Ort für die optimale Bewegungsantwort.

Die Reaktionsfähigkeit ist im Grundsatz eine eigenständige Komponente, spielt aber beim Thema Schnelligkeit (siehe Kapitel 14) generell eine herausragende Rolle.

Rhythmus heißt Bewegungen in vollendeter Harmonie umsetzen

Den Rhythmus kennen wir aus dem Tanzen bestens. Da haben wohl alle einschlägige Erfahrungen gemacht. Rhythmisieren heißt im Tanzen, einen von außen vorgegebenen Rhythmus der Musik zu erfassen und in Bewegungen höchster Harmonie umzusetzen. Rhythmus ist auch, eine Bewegungsaufgabe in der mir eigenen Bewegungsqualität auszuführen. Beispielsweise beim Aufschlag oder bei einem Vorhandschlag im Tennis. Hier finden wir den Rhythmus quasi in der immer gleichen Ausführung der Bewegung.

Das Beispiel Tanz verdeutlicht den engeren Rhythmus. Kommt die Tänzerin oder der Tänzer aus dem Rhythmus, wird eine hohe Bewertung des Turniergerichts ausbleiben.

Kommt eine Fußballmannschaft nicht auf Touren, findet sie ihren Spielrhythmus nicht oder verliert diesen, kann dies verschiedene Gründe haben. Einer dieser Gründe kann in der taktischen Meisterleistung der gegnerischen Mannschaft liegen, welche den Spielrhythmus mit angepassten taktischen Vorgaben gar nicht erst aufkommen lässt. Und interessanterweise sind die Mannschaften dann in der Regel nicht fähig, auf dem Platz eine entsprechende Antwort zu finden. Da kann der Trainer an der Seitenlinie noch so gestikulieren.

Methodische Aspekte für das Training

Rückmeldung (siehe Kapitel 1) ist eine der wichtigsten Aspekte beim Erlernen von Bewegungen. Die Rückmeldung einer Trainerin, eines Trainers oder einer Lehrperson ist enorm wichtig für die Entwicklung und basiert auf einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Lernenden auf der einen Seite und der Bewegung auf der anderen Seite. Es lassen sich einige Grundsätze ableiten unter dem Aspekt beobachten, beurteilen, beraten.

Beobachten orientiert sich am Kern der Bewegung

Die Trainerin oder der Trainer beobachten die Bewegungsausführung, vergleichen diese mit dem Idealbild. Sie orientieren sich dabei am Kern der Bewegung und machen einen Ist-Soll-Abgleich. Danach, und erst danach, beurteilen sie das Gesehene.

Beurteilen ist das Suchen nach der richtigen Frage

Beurteilen heißt, mit konkreten Fragen zu überlegen, warum die geforderte Bewegung nicht in der geforderten Bewegungsqualität ausgeführt werden kann. Folgende Fragen können dabei helfen:

 Stimmen Bewegungsausführung und Bewegungsstruktur überein?

 Handelt es sich bei einem Fehler um einen groben Fehler am Kern der Bewegung oder um einen Feinfehler in der Qualität der Ausführung?

 Ist es ein automatisierter Fehler oder eher ein Anfängerfehler?

 Hat der Übende eine korrekte Vorstellung vom Bewegungsablauf?

 Hat der Übende die nötige Bewegungserfahrung?

 Stimmt die Innensicht des Trainierenden mit der Außensicht überein?

 Müssen zuerst störende Einflüsse wie Angst oder Respekt vor der Bewegung überwunden werden?

Beraten heißt zuhören und beobachten

Beraten heißt zuerst einmal zuhören und beobachten. Es hilft niemandem, quasi vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Folgende Inputs können dabei helfen:

Wir versuchen, die sensomotorischen Empfindungen beschreiben zu lassen und finden heraus, was wahrgenommen wird.

Wir versuchen, den Trainierenden anzuleiten, den Unterschied zwischen Soll und Ist in seiner Bewegung heraus zu schälen.

 Wir betonen das Positive, den Lernfortschritt. Und sei er aktuell auch noch so klein.

 Wir beschränken uns darauf, nur lernrelevante Informationen zu geben.

 Wir arbeiten mit Bildern, Videos, CoachingEye oder anderen geeigneten Hilfsmitteln.

Konsequenzen für die Praxis

Seien Sie sich jederzeit bewusst, dass die koordinativen Fähigkeiten während 24 Stunden notwendig sind. Keine Bewegung, keine Haltung oder Position, welche nicht auf diese Fähigkeiten angewiesen sind. Es macht folglich Sinn, den koordinativen Fähigkeiten den nötigen Raum im Training zu geben. Je größer die Variablen und Variationen im Training, desto größer der Trainingserfolg.

Zum Schluss noch dies …

Die koordinativen Fähigkeiten sind der Schlüssel zur Bewegungsqualität. Rückmeldungen in das Nervensystem (siehe Kapitel 8) sorgen für die feine Abstufung und Dosierung der Muskelaktivität. Das austarierte System aller Informationen aus Muskulatur, Gelenken, Sehnen und Bändern ermöglicht letztlich den harmonischen Bewegungsablauf.

Die wichtigsten Punkte für die Praxis

 Ohne koordinative Fähigkeiten keine Bewegung.

 Rückmeldungen beim Bewegungslernen sind eminent wichtig.

 Koordinatives Training hat viel mit Körperwahrnehmung zu tun.

 Bewegungserfahrung als Voraussetzung der koordinativen Fähigkeiten.

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