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Kapitel 5: Boldbehausungen

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Der stämmige Pek schritt voran, der dünne Gak bildete die Nachhut. Patrick ging zwischen den beiden, den Plauderbalg umgehängt. Quakarotti lugte aus seiner Hemdtasche.

„Wohin gehen wir?”

„In unser Lager”, antwortete Pek.

Eine Zeitlang herrschte Schweigen, dann erkundigte sich Patrick: „Gehört ihr zu den Grenzwachen?”

Pek lachte rau. „Sehen wir aus wie Zwerge?”

Das gab Patrick zu denken. Nein, Zwerge waren kleiner und hatten Haare auf dem Kopf. Und die Bekleidung dieser Gesellen wirkte derber, als seien sie an ein Leben in der freien Natur gewöhnt.

„Wir sind Bolde”, sagte Pek und riss Patrick damit aus seinen Gedanken. „Wir haben mit Zwergen nichts zu tun. Und wir wollen auch gar nichts mit ihnen zu tun haben.”

„Zwerge sind unter unserem Niveau”, bemerkte Gak grinsend.

Patrick überlegte, dann meinte er: „Ich dachte, Zwergonien ist das Land der Zwerge.”

Pek schnaubte auf. „Das denken die Zwerge auch. Die haben keine Ahnung, wer noch alles in ihrem Land lebt. Sie möchten gern glauben, dass sie die Einzigen sind. Aber die anderen Völker sind immer noch da, sie haben sich nur zurückgezogen. Wir Bolde lassen die Zwerge in Ruhe und hoffen, dass sie uns in Ruhe lassen.”

Patrick dachte darüber nach, während sie über steinige Wege liefen. Es war nicht die Richtung, aus der er mit Nanobert aus dem Vulkangebiet gekommen war. Mehr und mehr säumten Graspflanzen den Weg, bald sprossen Sträucher, und nach einer Stunde sah sich Patrick von Büschen und Bäumen umgeben. Immer tiefer gerieten sie in dichten Wald. Als die Abenddämmerung hereinbrach, begann sich Patrick zu fragen, warum er diesen Fremden so bereitwillig in ihr Lager folgte. Schön, sie hatten ihn aus dem Sumpf gerettet, aber war das ein Grund, ihnen zu vertrauen? Wie konnte er sicher sein, ob sie nicht Übles mit ihm vorhatten? Wer sagte denn, dass es dieses Lager überhaupt gab! Vielleicht brachten sie ihn nur irgendwohin, wo sie in aller Ruhe mit ihm Sachen anstellen konnten wie neulich die menschenfressenden Saturn-Dämonen auf Kanal 16, wonach Patrick stundenlang nicht einschlafen konnte, weil er immerzu daran denken musste, wie diese Dämonen -

„Da ist unser Lager”, sagte Pek.

Patrick blinzelte und versuchte in die Wirklichkeit zurückzufinden. Vor ihm lag eine Lichtung, in deren Zentrum ein großes Feuer loderte. Mehrere kahlköpfige Gestalten hockten drum herum und rösteten an langen Spießen irgendwelche Nahrungsmittel. Kaum einer würdigte die Neuankömmlinge eines Blickes. Vereinzelte Bäume wuchsen hier; einige sahen aus, als hätte ihnen ein übermütiger Schneider großzügig geschnittene Gewänder angepasst. Vom Boden aufwärts schwangen sich Stoffbahnen und oben ragten die Baumkronen wie aus Kragen heraus.

„Habt ihr diese Bäume verhüllt?”

„Ja”, erwiderte Pek.

„Sollen das … sollen das Kunstwerke sein?”

„Nein. So wohnen wir. Komm, ich bringe dich zu unserem Anführer. Er hat sein Quartier dort, um die große Eiche.”

Patrick folgte Pek auf den knorrigen Baum zu, der die ausladendste Stoffumhüllung von allen besaß, mit einer Markise über dem Eingang. Durch Nähte und Ritzen drang flackerndes Licht.

Es sind Zelte, kam es Patrick in den Sinn. Sie bauen Zelte um Bäume herum!

„Warte hier.” Pek ließ Patrick stehen, schlug eine Stoffbahn beiseite und verschwand im Innern des Baumkleides. Gleich darauf drangen gedämpfte Stimmen heraus. Patrick bemühte sich, etwas zu verstehen, doch es war zu leise …

„He! Was machst du denn da?”

Patrick fuhr herum. Ein grobschlächtiger Bold ragte vor ihm auf.

„Äh, ich, äh …”

„Du lügst!”, donnerte der Bold. „Dafür kriegst du jetzt die Fresse poliert!”

Der Grobian hob eine beunruhigend große Faust. Patricks Kehle wurde trocken. Er sah die Faust über sich, die ihn gleich zerschmettern würde und duckte sich, umklammerte seinen Kopf mit den Händen.

Einige Sekunden lang wartete er auf den vernichtenden Hieb.

„Hör auf, Rok, der Kleine hat schon genug durchgemacht.”

Das war Gaks Stimme. Patrick wagte einen Seitenblick – tatsächlich, da stand der dünne Bold und lächelte.

„Lass mich in Ruhe meine Arbeit machen!” Rok holte noch höher mit seiner Faust aus, hob sie über seinen Kopf.

„Pass auf, dass dir deine eigene Pranke nicht auf den hohlen Schädel fällt! Das Echo wäre eine unzumutbare Lärmbelästigung.”

„Halt’s Maul, Gak! Ich hab’ deine dummen Sprüche satt!” Rok drehte sich zu Gak, der ein paar tänzelnde Seitwärtsschritte machte. Patrick gewann den Eindruck, dass Gak den Hünen ablenken wollte.

„Zeig doch mal, ob du dich auch an erwachsene Gegner rantraust!” Gak fand offensichtlich ein diebisches Vergnügen daran, Rok weiter zu reizen. Der grobschlächtige Bold schnaufte vor Wut und stapfte auf Gak zu. Ein kraftvoller Schlag mit seiner geballten Rechten – doch der Dünne war flink ausgewichen und Roks Faust krachte in einen Buchenstamm. Rindensplitter spritzten. Rok brüllte vor Schmerz auf.

Gak stand etwas abseits und schüttelte mit gespieltem Mitleid den Kopf. „Wieder etwas gelernt: Greife niemals einen Gegner an, der vor einem Baumstamm steht.”

„Maul halten! Hilf mir hier raus!”

Patrick erkannte, dass der wütende Bold mit seiner Faust im Baum feststeckte; sein Unterarm war tief ins Holz eingedrungen. Was für eine Kraft musste dieser Kerl haben!

„Später vielleicht”, sagte Gak. „Es tut dir sicherlich ganz gut, eine Weile über dein Fehlverhalten nachzudenken. Und wenn du damit fertig bist, dann über dein Leben, das Leben an sich, die Welt und das Weltall und den Sinn von alledem. Ich wünsche dir recht viel Freude und Erbauung.”

Damit wandte sich Gak ab, gesellte sich zu den Bolden am Lagerfeuer und ließ Patrick mit Rok allein.

Die Buche wirkte stark und fest. Eine grüne Schlingpflanze rankte sich um den Stamm, um Zweige, durch Astgabeln. Der feststeckende Bold tat Patrick fast leid. Rok atmete schwer und warf ihm böse Blicke zu.

„Ich bin nicht schuld daran”, sagte Patrick schließlich.

Rok knurrte. Es klang wie Löwengrollen.

„Du hast mich angegriffen. Das hast du nun davon.”

Rok knirschte mit den Zähnen. Es klang wie Mühlsteine.

„Warum wolltest du mich verprügeln?”

Rok schnaubte auf. Es klang wie eine Dampflokomotive. „Ist nun mal das Einzige, was ich kann”, stieß er hervor. „Ich bin ein Raufbold!” Er arbeitete verbissen daran, freizukommen, stemmte sich gegen den Stamm. Seine Knochen knackten.

Patrick näherte sich vorsichtig dem lahmgelegten Koloss. Dessen Wut und Unvorsicht hatten ihn in diese Lage gebracht. Und jetzt steckte Rok in diesem Baum fest wie Patrick vor kurzem im Sumpf.

Aber ihm hatte dort jemand herausgeholfen.

„Wie kann ich dir helfen?”, hörte Patrick sich fragen, noch ehe er die Folgen durchdacht hatte.

„Woher soll ich das wissen?” Roks Stimme klang schwächer. „Aber egal, was du tust, tu es schnell. Mein Arm wird langsam gefühllos.”

Patrick wusste nicht recht, wieso er sich verantwortlich fühlte für diesen groben Burschen, doch er hatte das unbestimmte Gefühl, dass er ihm helfen sollte.

Und auf einmal fiel ihm seine Schwester Jessika ein. „Wenn ich nicht weiter weiß, spreche ich mit den Bäumen”, hatte sie zu ihm gesagt. „Bäume wissen alles, weil sie so alt sind. Bäume sind die besten Lehrer, die man sich wünschen kann.”

Ohne genau zu wissen, was er da tat, begann Patrick zu dem Baum zu sprechen.

Und der Baum antwortete ihm.

Patrick war überrascht, denn das hatte er nicht erwartet. Doch nach einer Schrecksekunde setzte er den Dialog fort. Es war ein Gespräch ohne Worte, nur Gedanken wurden ausgetauscht.

Ich bin Patrick.

Ich bin Ervaliac.

Das verstehe ich nicht. Du bist ein Baum.

Ervaliac ist mein Name. Glaubst du, nur ihr Beweglichen besitzt Namen?

Schwingungen. Patrick spürte Schwingungen in seinem Gehirn, die von dem Wesen ausgesandt wurden, das ein Baum war und behauptete, den Namen Ervaliac zu tragen. Die Schwingungen waren fremdartig aber angenehm. Ein warmes Gefühl durchströmte Patrick, als er die Äußerungen der Buche empfing.

Du tust mir gut, gab er ihr zu verstehen.

Das freut mich.

Freude durchdrang auch Patrick; er fühlte sich selbst wie ein Baum im Wind, dessen Zweige sich genießerisch bogen, dessen Blätter vom Luftstrom gestreichelt wurden.

Was möchtest du von mir, Beweglicher?

Bitte gib den Arm frei, den du umklammert hältst.

Der Baum schwieg. Patrick lauschte dem Rauschen der Saftströme, die von den Wurzeln zu den Wipfeln emporstiegen.

Ich fühle mich verwundet, entgegnete schließlich der Baum. Das, was du einen Arm nennst, empfinde ich als einen Bolzen, der meine Haut durchdrang und mein Fleisch durchbohrt – ich versuche in Begriffen zu sprechen, die du verstehen kannst.

Danke.

Bitte.

Wie kann ich dir helfen, Ervaliac?

Es tut mir gut, wenn du meinen Namen sagst.

Wirst du tun, worum ich dich bitte?

Der Baum zögerte. Ich fürchte, es wird mir zusätzlichen Schmerz bereiten, wenn ich die Wunde weiter öffne. Dazu muss ich meine Fasern strecken, mein Holz dehnen und meine Borke spreizen. Wir Unbeweglichen tun solche Dinge nur ungern, wenn es sich in kurzen Zeitspannen abspielen muss.

Rok ächzte. „Was stehst du da untätig rum? Tu endlich was!” Der Blick, den Patrick von ihm auffing, hätte nicht finsterer sein können.

Ist das Wesen, dessen Faust in mir steckt, dein Freund?, erkundigte sich der Baum.

Das nicht. Er wollte mich verprügeln.

Und dennoch bittest du für ihn. Das beeindruckt mich. Du scheinst mir ein gutes, großzügiges Wesen zu sein, Beweglicher Patrick.

Patrick erschien das Lob unverdient. Ich bin nichts Besonderes, gab er Ervaliac zu verstehen – da bemerkte er, dass den Baum ein Zittern durchlief. Holz knarrte, Rinde knackte. Fasziniert beobachtete Patrick, wie der Baum Regungen vollführte, für die er normalerweise Jahrzehnte gebraucht hätte.

Und der Baum gab die umfangene Faust frei.

Rok wirkte verblüfft, doch gleich darauf riss er seinen Arm aus dem Baum heraus – so heftig, dass Rindensplitter in alle Richtungen spreißelten.

Patrick empfing ein Aufstöhnen des Baumes.

„Wenn ich dich das nächste Mal erwische, kommst du mir nicht so einfach davon!”

Der Raufbold spuckte aus, rieb sich den Arm und verzog sich in die Schatten des Waldes. Patrick sah ihm nachdenklich hinterher, froh, dass die Begegnung vorüber war.

Er hat sich nicht bei uns bedankt, sagte Ervaliac. Bekümmerung schwang als Unterton mit.

Nein, meinte Patrick, nach Dank klang es nicht gerade.

Sein Blick fiel auf das Loch, das in Ervaliacs Stamm klaffte.

Wird deine Wunde wieder heilen?

Sicher. Im Laufe der Zeit.

Wie lange wird es dauern?

Ich weiß es nicht. Viele jetzt noch unentsprossene Unbewegliche werden wohl heranwachsen und in voller Blüte stehen, bis es so weit ist. Aber ich vertraue auf Yakayala.

Ich wünsche dir alles Gute, Ervaliac.

Danke, Patrick.

„Du sollst jetzt reinkommen!”

Patrick fuhr zusammen. Die Stimme war in seinem Rücken ertönt und als er sich umwandte, sah er im Eingang des Eichenzelts einen Bold, den er noch nicht kannte. Glatzköpfig wie die bisherigen war er, aber schwarze Barthaare umsäumten seinen Mund und schmiegten sich am Kinn zu einer feinen Spitze zusammen.

Der Bold nickte Patrick zu und hielt ihm den Eingang auf.

Und zum ersten Mal in seinem Leben trat Patrick in ein boldisches Baumzelt.

Patrick und die Grubengnome

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