Читать книгу Perry Rhodan 118: Kampf gegen die Vazifar (Silberband) - Peter Terrid - Страница 7
4.
ОглавлениеDer schrille Alarm riss Mountvador aus tiefem Schlaf.
Mit einem Satz sprang der Galakto-Mediziner von der Liege. Er griff nach dem langen Gewand, das er am Abend zuvor achtlos abgelegt hatte. Mit einem einfachen Knoten des Gürtels verschloss er den mantelähnlichen Rock.
»Mitten in der Nacht.« Er seufzte. »Was haben die Dummköpfe wieder angestellt?«
Über Interkom rief er nach Ath-Vrilov. Sein engster Mitarbeiter meldete sich nicht.
Müde blickte er aus dem Fenster. Dumpfe Schreie hallten durch die Nacht, sie übertönten sogar den Alarm.
Mountvador runzelte die Stirn.
Endlich sprach der Interkom an. Ath-Vrilov blickte verwirrt drein. »Alarm wurde ausgelöst«, sagte er.
»Ich will wissen, warum.« Mountvador reagierte ungehalten.
»Ich glaube, die Bestien greifen an.«
»Ich glaube, ich glaube ...«, blaffte der Ara. »Kümmern Sie sich darum, Ath-Vrilov, und zwar plötzlich! Ich bin in fünf Minuten im Hauptlabor, dann will ich einen genauen Bericht haben.«
Er unterbrach die Verbindung und eilte aus dem Wohntrakt hinüber zur eigentlichen Forschungsstation. Der größte Teil der aus Stahllit bestehenden Doppelkuppel war transparent. In den wichtigsten Räumen wurde es hell.
Weit hinter der Station zuckten Blitze in den Nachthimmel. Aus der Richtung hallte auch das vielstimmige Gebrüll heran. Mountvador war sicher, dass die Entladungen von dem Energieschutzgitter stammten, das den kleinen Landeplatz von der Forschungsstation trennte.
Dort tobten die Bestien.
Der Einfachheit wegen nannte der Ara die Fauna des Planeten so. Als Fachmann für Galakto-Medizin und Spezialist für exobiologische Probleme hatte er in sechs Jahren auf Shourmager schon manche Überraschung mit der Tierwelt erlebt. Es gab wohl keine zweite Welt wie diese.
Dass die Tiere die Station direkt angriffen, war allerdings neu.
Mountvador betrat die Doppelkuppel. Ein mechanischer Lift trug ihn in die oberste Etage. Vom Hauptlabor aus bot sich die beste Übersicht über die nähere Umgebung.
Von seinen sechs Mitarbeitern, alle Aras, waren vier schon anwesend. Eine der Frauen und Ath-Vrilov fehlten.
»Stehen Sie nicht herum wie tiefgefrorene Salzsäulen!«, herrschte der Galakto-Mediziner seine Leute an. »Schalten Sie die Außenscheinwerfer und die Kameras ein! Ein Roboterkommando muss nach draußen und das Verhalten der Bestien beobachten.«
»Letzteres hat Ath-Vrilov schon veranlasst«, sagte Mesenanda, eine der Frauen. »Er ist sogar selbst mit zum Landeplatz gegangen. Hoffentlich passiert ihm nichts.«
»Was soll ihm schon passieren?« Mountvador reagierte besonders unwirsch. »Er kann auf sich aufpassen. Außerdem sind die Roboter bei ihm.«
Mesenanda, die sich selbst als Instinkt-Diagnostikerin bezeichnete, justierte die Optiksensoren. Mehrere Scheinwerfer erleuchteten den nur wenige hundert Meter entfernten Landeplatz. Drei kleine Raumschiffe standen dort.
Das kreisförmige Areal wurde von einem Energiegitter umschlossen, das bis etwa dreißig Meter Höhe wirksam war.
Ath-Vrilov und die Roboter befanden sich an der abgewandten Seite des Energiezauns. Außerhalb des Gatters herrschte ein wildes Getümmel, dort kletterten die unterschiedlichsten Tiere übereinander. Immer höher wuchs der Berg aus zuckenden Leibern.
»Sind die verrückt geworden?«, entfuhr es Mountvador.
»Mit normalem Instinktverhalten hat das jedenfalls nichts zu tun«, antwortete Mesenanda.
Der junge Gornim ließ sich von dem Schauspiel nicht sonderlich beeindrucken. »Jedenfalls eine völlig neue Reaktion dieser total verrückten Tierwelt«, sagte er.
»Diese Welt ist ein einziges biologisches Rätsel.« Mountvador redete zu sich selbst. »Aber ich werde dieses Geheimnis lüften.«
In dem fast schon zaunhohen Getümmel aus Tierleibern überwog der Typ der Großechsen, die eine Länge von zwei Metern erreichten. Kleinere Tierarten, vor allem wieselähnliche Geschöpfe, bildeten die Spitze der Traube.
»Sie werden die Oberkante des Energiezauns erreichen«, sagte Gornim.
Mountvador ließ sich eine Verbindung zu seinem Gehilfen schalten. »Wehren Sie die Bestien noch nicht ab, Ath. Die Roboter sollen alles aufzeichnen. Vielleicht bekommen wir endlich einen Hinweis auf die Entstehung dieser unmöglichen Fauna. Nur im äußersten Notfall Waffen einsetzen.«
»Immer war es eine unverkennbare Angriffswut der Tiere, die Aggressionen weckte«, stellte Mesenanda fest. »Oder auch Hunger. Jetzt erkenne ich Angst in ihrem Verhalten, und das ist wirklich neu.«
Kehlige Schreie übertönten mehr und mehr alle anderen Laute.
»Gurs!«, rief einer der Mitarbeiter. »Wenn diese Riesen kommen, wird es brenzlig. Was mag nur in sie gefahren sein?«
»Hier ist der Teufel los«, rief Ath-Vrilov. »Sie klettern in panischer Angst immer höher. Wenn die ersten Bestien über den Zaun stürzen, muss ich von hier weg sein.«
»Haben Sie die Gurs bemerkt?«
»Natürlich.« Erstaunlicherweise reagierte Ath-Vrilov ruhig auf die Frage. Schließlich gehörten die riesigen Panzerechsen zu den gefährlichsten Lebewesen von Shourmager überhaupt. Mit sechs Metern Höhe und rund sechzehn Metern vom Kopf bis zum Schwanzende waren sie zugleich die größten Tiere, die Mountvador und sein Forscherteam während ihrer sechsjährigen Arbeit auf Shourmager kennen gelernt hatten.
Gurs waren wie die Könige von Shourmager. Nur die gelegentlich auftretenden Rudel der Sprungfrösche konnten ihnen mit ihrer Körpersäure gefährlich werden.
»Die Panzerechsen halten sich im Hintergrund«, sagte Ath-Vrilov. »Ich habe drei Roboter nach draußen geschickt. Sie berichten, dass die Gurs andere Tiere im Halbkreis gegen den Energiezaun treiben. Sehr eigenartig.«
Mountvador schüttelte verwundert den Kopf. Seine Mitarbeiter blickten ihn fragend an.
»Ich muss hier weg!« Ath-Vrilov klang inzwischen aufgeregt. »Ich lasse die Roboter zurück. Ihre Bewaffnung ist zwar nur schwach, aber sie sollten sich gegen die Bestien behaupten können.«
Auf einem der Holoschirme war zu sehen, dass sich ein kleines Gleitfahrzeug aus der Gefahrenzone entfernte. Die Tiere hatte bereits die Oberkante der Energiesperre erreicht. Dutzende monsterartige Lebewesen stürzten auf die Innenfläche des Landeplatzes. Einige wanden sich brüllend unter Schmerzen, weil sie sich beim Sturz aus der Höhe schwer verletzt hatten. Andere griffen die Roboter an.
Die Maschinen waren zur Unterstützung der Forschungsarbeiten konstruiert worden. Ihre schwache Bewaffnung bestand nur aus Lähmstrahlern. Den mächtigen Gurs konnten sie damit wenig anhaben, die kleineren Tiere fielen jedoch reihenweise um.
»Gute Beute für die Laboruntersuchungen«, stellte Mountvador fest. »Es sind sogar einige Spezies dabei, die wir bislang noch gar nicht fangen konnten.«
Mesenanda warf ihrem Chef einen missbilligenden Blick zu. Die Erforschung des genetischen Rätsels von Shourmager war für den 92-jährigen Galakto-Mediziner und Exobiologen zur Lebensaufgabe geworden. Verbissen und zäh widmete er sich dem Projekt. Die Leidenschaft, mit der er sein Ziel verfolgte, ließ für ihn alles andere in den Hintergrund treten. Er suchte nach Antworten auf das Rätsel der Bestienwelt Shourmager. Die Natur hatte hier eine unglaubliche Vielfalt wilder Geschöpfte hervorgebracht, die offensichtlich nicht miteinander verwandt waren. Weder genetisch noch verhaltensmäßig waren Zuordnungen möglich, mit Ausnahme der Tatsache, dass alle Tiere von Shourmager wild, bösartig und ständig auf Raub aus waren.
Viele Lebewesen von Shourmager wiesen nicht einmal in den Zellkernen verankerte Gene auf. Ellidi-Ti, eine der Mitarbeiterinnen des Arateams, hatte den Begriff der Pseudonatur geprägt. Auch Mountvador glaubte mittlerweile daran, dass eine Manipulation vorlag. Worin diese bestand und warum sie vorgenommen worden war, das waren die Kernfragen des Rätsels.
Es gab Lebensformen wie das Wasserauge, die gar keinen Zellaufbau besaßen. Im Fall des Wasserauges gab eine Körperdrüse bestimmte Hormone ab, die das Wachstum beeinflussten. Wie diese biologische Unmöglichkeit aber funktionierte, war ungeklärt.
Auch hinsichtlich ihrer Fortpflanzung gab es bei den meisten Tieren auf Shourmager bestenfalls zufällige Ähnlichkeiten.
Mountvador schüttelte den Kopf, als Tiere in einer zweiten Welle über den Energiezaun sprangen. Im Hintergrund standen mehrere Gurs. Irgendwie war es den Panzerechsen gelungen, eine Vielzahl der anderen Tiere zusammenzutreiben.
Mountvador zuckte unvermittelt zusammen. Während die Roboter auf der Landefläche die wütenden Tiere abwehrten, überschlugen sich seine Gedanken.
Er lächelte grimmig. Was sich momentan schon erkennen ließ, war die zwangsläufige Folge einer eigenartigen Evolution.
Was die Gurs mit den anderen Tieren machten, war kein Instinktverhalten mehr. Das war etwas anderes, nämlich echte Intelligenz.
Der anfangs so ungleiche Kampf zwischen Mountvadors Robotern und den Tieren, die den Energiezaun überwunden hatten, veränderte sich schlagartig, als eine dritte Welle von Bestien die Sperre überwand. Die Gurs hatten die kleineren und schwächeren Tiere rücksichtslos gegen den Zaun und damit in die Höhe getrieben.
»Es sind einige der gefährlichen Sprungfrösche darunter.« Aufgeregt deutete Ath-Vrilov auf den Schirm.
Mountvador beobachtete unterdessen die Szene mit einem starken Fernglas. »Sie setzen die Roboter mit ihrem Säurestrahl matt.«
»Ich sehe es«, bestätigte der Chef des Forscherteams gelassen. »Einige der Biester attackieren sogar die Raumschiffe. Bersendar, was sind das für Schiffe?«
Der Angesprochene drehte sich seinem Chef zu. »Außer unserem Linienschiff liegt da ein kleiner Kugelraumer der GAVÖK. Er gehört zum Außenposten. Mit dem dritten ist gestern eine Jagdgruppe gelandet, dort müssten sogar noch Besatzungsmitglieder an Bord sein.«
Unter Außenposten verstanden die Aras die GAVÖK-Station auf Shourmager. Diese gehörte weder zu dem Wissenschaftlerteam noch zu den Jagdvereinen. Ein Blue namens Ooldiek führte dort das Kommando. Er wurde von allen nur »Zwitscher« genannt.
»Was ist mit den drei Robotern, die Sie nach draußen geschickt haben, Ath?«, fragte Mountvador weiter.
»Die Verbindung ist abgerissen. Als ich zurückflog, konnte ich beobachten, wie einer der Roboter von den Gurs zermalmt wurde.«
»Zwitscher muss alarmiert werden. Ebenso die Besatzung auf dem Schiff. Wir werden mit allen Mitteln gegen die Attacke der Bestien vorgehen.«
Auf dem Landefeld wüteten die Bestien weiter. Immer mehr der unterschiedlichsten Tiere drängten vor dem Energiezaun in die Höhe.
»Ich bekomme keinen Funkkontakt mit Zwitscher!«, meldete Bersendar.
Mountvador reagierte nicht darauf. Er beobachtete die riesigen Gurs, die sich nicht nur geschickt im Hintergrund hielten, sondern auch den Lichtkegeln der zahlreichen Scheinwerfer auswichen. Zu überlegt erschienen die Aktionen der Panzerechsen, als dass sie purer Zufall sein konnten.
Immer heftiger attackierten die Frösche eines der Raumschiffe. Ihre Körpersäure griff den Stahl bereits sichtbar an.
»Unmöglich, dass die Bordwache nichts davon mitbekommt«, schimpfte Ath-Vrilov.
»Es sind Springer«, kommentierte Ellidi-Ti. »Wahrscheinlich haben sie einen zur Brust genommen und schlafen tief. Jemand muss raus und sie wecken.«
Prohlo, die dritte Frau des Teams, und die Instinkt-Diagnostikerin Mesenanda flogen mit einem Gleiter in sicherer Höhe auf den Landeplatz zu.
Sprungfrösche überwanden mühelos Höhen bis zu acht Metern. Das kleine Walzenschiff, das sie angriffen, war zwar fünfzehn Meter hoch, das Hangarschott lag jedoch nur vier Meter über dem Boden.
Vergeblich versuchte Mesenanda, ungehindert in die Nähe des Schotts zu kommen. Erst als der Zufall ihr zu Hilfe kam, brachte sie den Gleiter ausreichend weit nach unten. Etliche Tiere, die den Sperrzaun gemeinsam überwunden hatten, griffen die Frösche an. Ein unüberschaubares Getümmel entbrannte.
Der Öffnungsmechanismus reagierte auf das Funksignal, aber da waren die ersten Bestien schon wieder heran.
Ein Wasserauge wurde in den offenen Gleiter geschleudert. Prohlo versuchte noch, in die Kontrollen einzugreifen und die Maschine wieder hochzuziehen, aber der Gleiter drehte sich nur zur Seite.
Mesenanda rettete sich mit einem Sprung in den kleinen Hangar. Die aufflammende Beleuchtung lenkte die angreifenden Bestien für einen Moment ab.
Ein halb bekleideter Mann mit zerzaustem Haar kam der Instinkt-Diagnostikerin entgegen. Mit beiden Händen hielt er einen schweren Desintegrator vor sich. Er feuerte. Zuerst auf eine Reihe aus dem Hintergrund angreifender Bestien und dann, vom Hangarrand aus, auf das Wasserauge.
Prohlo schaffte es, den Gleiter wieder in die Höhe zu ziehen, unerreichbar für die wütenden Tiere.
Das Hangarschott des Walzenraumers war noch im Öffnungsvorgang gestoppt worden und schloss sich schon wieder.
Unmittelbar darauf feuerte eines der kleinen Bordgeschütze des Walzenraumers. Der Spuk innerhalb des abgesperrten Landefelds war rasch beendet.
Vom Hauptlabor aus war deutlich zu sehen, dass die Gurs ihre Taktik änderten. Höchstens zwanzig Panzerechsen befanden sich außerhalb des abgeriegelten Bereichs. Sie zogen sich ein Stück weit zurück, doch unvermittelt stürmten sechs oder sieben von ihnen wieder vor, wobei sie sich fast parallel zu dem Energiezaun bewegten.
Voller Wucht prallten sie auf die tobenden Tiere, von denen etliche zu Tode gequetscht, die meisten aber von dem Energiezaun weggeschleudert wurden und davonstoben. Auch die Gurs verschwanden rasch in der Dunkelheit.
»Das war knapp.« Ath-Vrilov atmete hörbar auf. »Mesenanda und Prohlo sind jedenfalls in Sicherheit.«
»Das war nicht knapp«, stellte Mountvador fest. »Das war hochinteressant. Strengen Sie Ihren Kopf an und denken Sie endlich darüber nach, was Sie gesehen haben. Wir sind heute einen enormen Schritt weitergekommen.«
Der alte Exobiologe erntete verwunderte Blicke.
Als die beiden Frauen bald darauf ins Labor zurückkamen, hatten sich die erregten Gemüter schon beruhigt. Mountvador verlangte eine sofortige Analyse.
»Ich weiß, dass es spät in der Nacht ist und dass Sie alle nur wenig geschlafen haben«, sagte er. »Die Ereignisse haben jedoch absoluten Vorrang. Das müssen Sie einsehen.«
Er erntete nur stumme Blicke.
»Ich sehe schon, dass ich wieder allein denken muss«, begann er mit leichter Ironie. »Wie oft habe ich Ihnen erklärt, dass das Universum von einem Geist durchdrungen ist, der vom primitivsten Einzeller bis zum hochintelligenten Wesen alle beeinflusst. Alles strebt nach Transformation in einen höherwertigen Zustand, auch die Bestien von Shourmager.«
»Ich habe keinen Geist gespürt«, sagte Prohlo. »Nur einen Haufen wilder Tiere, die mich als Beute sahen.«
»Sie können gar nicht mitreden, Prohlo.« Mountvadors Stimme klang scharf. Für sein Team das Zeichen, dass er sich wieder engstirnig in seine Theorien stürzte. »Sie sind jung und tüchtig, aber Sie haben die wichtigsten Szenen verpasst. Haben Sie den Alarm nicht gehört?«
Er erwartete keine Antwort und erhielt auch keine. Die Forscher kannten ihren Chef zur Genüge.
»Ich werde Ihnen sagen, was wir erlebt haben: Es war ein Schritt in der Entwicklung der Bestien. Sie fangen an, ihr Instinktverhalten abzulegen und intelligent zu handeln. Eine andere Erklärung für die gezielten Aktionen gibt es nicht.«
Mountvador musterte die Instinkt-Diagnostikerin Mesenanda. Er erwartete ihren heftigen Widerspruch, und der kam prompt.
»Handelt ein Bulle intelligent, oder folgt er nur seinem Instinkt, wenn er zur Paarungszeit seine Nebenbuhler mit aller Kraft vertreibt?«, fragte die Frau.
»Das können Sie nicht miteinander vergleichen.« Mountvador brauste auf. »Wir haben eine gezielte Aktion erlebt. Die Gurs entwickeln Intelligenz. Sie haben die schwächeren Bestien zusammengetrieben und systematisch auf uns gehetzt. Als sie einsehen mussten, dass ihr Versuch zum Scheitern verurteilt war, weil die Springer eingriffen, waren sie sogar intelligent genug, den Angriff abzubrechen.«
»Ich verstehe immer intelligent«, protestierte Ath-Vrilov. »Wo soll diese Intelligenz so plötzlich herkommen?«
Anklagend verdrehte Mountvador die Augen. »Sie haben nichts verstanden, Ath. Die Evolution ist ein natürlicher Prozess. Die Gurs sind die stärksten Tiere des Planeten. Also spüren sie zuerst den Geist des Universums. Ihre Maßnahmen gegen uns sind dann absolut folgerichtig, denn wir sind die größte Bedrohung für ihre Umwelt.«
Mesenanda zuckte die Achseln. Dass sie keine Lust hatte, mit ihrem engstirnig veranlagten Chef zu diskutieren, war ihr deutlich anzusehen.
»Jedes Tier vertreibt aus reinem Instinkt andere Lebewesen aus seinem Bereich, wenn es diese nicht fressen kann.«
»Unsinn!« Mountvadors Hand wischte durch die Luft. »Purer Unsinn!«
»Selbst wenn an Ihren Überlegungen etwas Wahres sein sollte, sehe ich keinen Zusammenhang mit dem Hauptproblem«, wandte Gornim ein. »Wie konnten auf Shourmager derart unterschiedliche Lebensformen entstehen, die sich jeder genetischen Zuordnung widersetzen?«
Mountvador lachte hell. »Sie müssen zuerst das eine vom andern trennen und einzeln durchdenken, Gornim. Erst dann erfolgt die Verknüpfung der Erkenntnisse. Für Shourmager bedeutet das wachsende Intelligenz. Ihre Frage, wieso hier genetisch so verschiedenes Leben entstanden ist, kann ebenso einfach beantwortet werden.«
Er legte eine Kunstpause ein und erntete nur fragende Blicke.
»Ganz einfach.« Es bereitete Mountvador Vergnügen, seine Mitarbeiter zappeln zu lassen. Nur so konnte er, seiner Meinung nach, seine Theorien überzeugend anbringen.
»Die Bestien von Shourmager sind gar nicht hier entstanden.«
Sogar Bersendar, der sich fast ausschließlich um organisatorische Angelegenheiten kümmerte, blickte erstaunt auf. Mesenanda schaute auf Ath-Vrilov, und der blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
»Dafür gibt es weder einen Hinweis noch einen logischen oder verständlichen Grund«, sagte Mountvadors rechte Hand schließlich.
»Es ist die einzige akzeptable Erklärung«, dozierte Mountvador.
»Wenn Sie mich überzeugen wollen, müssen Sie das näher erklären.«
Mountvador war sichtlich froh, in Ath-Vrilov zumindest einen interessierten Zuhörer gefunden zu haben.
»Bis heute haben wir keine natürliche Erklärung für diese Tierwelt. Also muss in ferner Vergangenheit ein Ereignis stattgefunden haben, das die Ursache dieses genetischen Chaos ist. Zufall und intelligentes Einwirken müssen sich gepaart haben. Das Leben auf Shourmager kann nur von außen gekommen sein. Denken Sie an die Sage von der Lebensblase des Urolmith, die noch heute auf Aralon erzählt wird. Auch die Terraner kennen ein solches Ereignis; sie nennen es die Arche Noah. Bei den Blues heißt das Geschehen der Erste Magen des Rettenden Alles. Auch andere Völker besitzen Überlieferungen dieser Art. In allen Fällen handelt es sich um eine Art Körper, der alle denkbaren oder vorhandenen Lebensformen in minimaler Anzahl in sich aufnimmt und sie über eine schlechte und alles vernichtende Zeit hinwegrettet. Stellen Sie sich eine solche Arche vor, die vor Urzeiten auf Shourmager notlanden musste. Aus dem Sammelsurium von Lebewesen überlebten alle, die einen geeigneten Nährboden fanden. Das tropische Klima dieser Welt begünstigte die Tiere, die wir heute hier sehen.«
»Nur eine von vielen Theorien.« Ath-Vrilov schüttelte den Kopf. »Beweise sehe ich nicht. Es kann sich auch völlig anders abgespielt haben.«
»Natürlich«, sagte Mountvador. »Aber der Kern der Sache muss richtig sein. Für mich steht jedenfalls fest, dass diese Tierwelt nicht als Ergebnis einer unbeeinflussten Evolution entstanden sein kann.«
Bersendar gähnte.
»Ich bin müde«, murmelte Prohlo.
»Vielleicht ist tatsächlich etwas Wahres dran«, mutmaßte Ath-Vrilov. »Zwitscher erzählte mir kürzlich, dass er tief unter der Oberfläche Hohlräume mit größeren Metallansammlungen geortet hat. Wie ich ihn verstanden habe, soll das sogar im Bereich des Karrosgo-Tales sein.«
»Da sehe ich keinen Zusammenhang«, sagte Mountvador ablehnend. »Wir haben das Tal zur Genüge erforscht. Auf Spuren des Raumschiffs, das die Bestien nach Shourmager brachte, sind wir nicht gestoßen. Das ist auch schwer denkbar, denn die Zeitspanne seit diesem Ereignis muss viel zu groß sein. Die Natur bringt keine Intelligenz innerhalb weniger zehntausend Jahre hervor. Die Suche nach technischen Relikten wäre also vergeudete Zeit.«
Ath-Vrilov zuckte nur mit den Schultern.
Der Chef des Forscherteams erhob sich. »Genug geredet. Die toten Tiere müssen geborgen und untersucht werden. Gleiches gilt für die beschädigten Roboter. Was wichtig ist, wird jetzt erledigt, der Rest morgen früh.«
Der breite Fluss hatte keinen Namen. Die Männer und Frauen um den Exobiologen Mountvador nannten ihn einfach nur den Fluss. Er kam aus den Bergen, die das Karrosgo-Tal nahezu vollständig umschlossen. Zahlreiche Nebenflüsse ließen ihn rasch anschwellen.
Auch Beschnark nannte ihn nur den Fluss.
An beiden Ufern erstreckten sich Urwälder und Sumpfzonen. Alles wuchs und wucherte, starb und verfaulte, wenn stärkeres pflanzliches und tierisches Leben sich ausbreitete. Eine üppige, eigentlich unbeschreibliche Vielfalt an Lebensformen. Die Forscherteams würden wohl nie mit der Bestandsaufnahme fertig werden; es gab zu unterschiedliche und zu viele Lebensformen. Auch Beschnark hatte keine Vorstellung von der Zahl seiner Feinde. Er betrachtete alles und alle als Feinde, die Gurs seiner Drachenhorde ausgenommen.
Die Treibhausatmosphäre kühlte während der Nächte kaum ab. Das Leben kam in dieser Zeit ohnehin nie zur Ruhe.
Den Aras in der Forschungsstation machte das Klima nichts aus. Sie schützten sich mit ihren technischen Möglichkeiten.
Für Beschnark war die warme, feuchte Schwüle geradezu ein Labsal.
Wo der Fluss außerhalb des Tales seine erste große Windung machte, hatte er die Uferböschung tief ausgewaschen. Dichter Bewuchs zog sich von einem Hügel hinab zum Flussbett. Von Zeit zu Zeit stürzten Bäume oder Bodenschollen in die Tiefe. Der Eingang zu der großen Höhle in der Uferböschung blieb jedoch frei. Sobald sich wirklich zu viel Erdreich vor der Öffnung angesammelt hatte, jagte Beschnark seine Weibchen nach draußen. Sie waren zwar kleiner und plumper als die Jungmännchen, für die Räumarbeiten waren sie aber kräftig genug.
Beschnark war der Herr der Horde. Unnachgiebig bestimmte er, was zu geschehen hatte. Keines der rund vierzig Mitglieder seiner Familiengruppe wagte es, seine Aufforderungen zu überhören.
Beschnark lag im rückwärtigen Bereich der Eingangshöhle. Er war satt und ruhte sich aus. In den Nebenhöhlen rumorten die Weibchen, die sich um das Wohl der Eier kümmerten. Bald würde seine Drachenhorde um einige Junggurs reicher sein. Vielleicht besaß er dann die stärkste Gruppe in der Umgebung.
Der mächtige Gur döste vor sich hin. Eigenartige Bilder stiegen in ihm auf. Er blickte kurz hoch und richtete seine Augen in den dunklen Hintergrund der Höhle. Dort befand sich ein Eingang in den tiefen Boden. Nur einmal, als er noch sehr jung gewesen war, hatte er es gewagt, den Tunnel zu betreten. Beschwilil, damals der Führer der Gruppe, hatte ihn herausgeholt und fürchterlich bestraft. Noch heute trug Beschnark die Bissnarben dicht hinter dem kurzen Hals.
Aber durch solche Erlebnisse war er hart geworden. Das hatte genügt, um ihn zum Nachfolger Beschwilils werden zu lassen.
Die seltsamen Gegenstände, die Beschnark bei seinem damaligen Ausflug im Dämmerlicht der leuchtenden Sümpfe gesehen hatte, vergaß er nie.
Die Bilder verfolgten ihn sogar im Traum. Sie verwirrten ihn, aber sie weckten zugleich Wünsche und Sehnsüchte, die er nicht deuten konnte.
»Für sie zählt nur ihr Profit. Im Jagdklub ›Drachenblut‹ schert sich keiner um unser Verlangen. Dieser Überschwere Callon hat mich regelrecht hinausgeworfen. Wir sollen uns mit der Ameisenforschung befassen und seine Jagdtiere in Ruhe lassen. Das sei sein Revier.«
Mountvador runzelte die Stirn, als Bersendar ihm Bericht erstattete. »Primitive Wüstlinge«, sagte er abfällig. »Sie haben tatsächlich nichts anderes im Sinn, als aus der Sensationslust einer Handvoll Verrückter Geld zu machen. Von hohen wissenschaftlichen Zielen haben die nie etwas gehört. Ich werde heute noch einen persönlichen Appell an Callon und den Unither Karvist richten. Beide sollten eigentlich weich sein. Wenn die Informationen stimmen, haben sie heute wieder einmal zwei ihrer jagdlüsternen zahlenden Gäste verloren. Falls ich auch nicht weiterkomme, muss Zwitscher eine einstweilige Verfügung erlassen, bis das Gutachten da ist und die Jagd auf Gurs endgültig verbietet.«
Bersendar war nicht so überzeugt von den vorgesehenen Maßnahmen. »Wann rechnen Sie mit einer Antwort der GAVÖK-Fachleute?«, fragte er vorsichtig.
»Das darf nicht länger als drei oder vier Tage dauern«, antwortete Mountvador. Seine Stimme klang jedoch unsicher. »Momentan herrschen leider viel Unruhe und Aufregung in der Milchstraße. Wir müssen damit rechnen, dass eine Antwort auf unser Problem etwas länger dauert.«
»Und bis dahin?«
»Einfach nur zu warten wäre unerträglich. Ich werde morgen selbst die Jäger überwachen und sie von den Gurs fernhalten. Ihre Population ist ohnehin schon denkbar gering, rund siebenhundert Exemplare, die in vierzig Großfamilien leben.«
Bersendar blickte zur Seite, um seinem Vorgesetzten nicht zu zeigen, dass er dessen Zuversicht keineswegs teilte.
Nur Sekunden später schrillte der Alarm.
Ath-Vrilov stürmte in den Raum. »Die Gurs greifen an!«, rief er erregt. »Mindestens zwanzig Echsen nähern sich.«
»Aufzeichnung einschalten! Beobachtungsgleiter startklar machen!«, befahl Mountvador knapp.
Auf den Holoschirmen wurden die heranpreschenden Gurs aus mehreren Perspektiven sichtbar.
»Sie halten genau auf den Energiezaun zu«, stellte Ath-Vrilov fest. »Das gibt eine Katastrophe.«
»Gegen die Energiesperre können diese Riesen nichts ausrichten«, sagte Mountvador.
Die Gurs rasten frontal gegen den Energiezaun. Noch während die ersten Tiere zu Boden sanken, warfen sich die nachfolgenden heran. Es handelte sich ausschließlich um männliche Tiere, wie ihre Zackenkämme verrieten.
Mountvador stockte der Atem, als zwei der kräftigsten Panzerechsen aus dem Getümmel in die Höhe geschleudert wurden und den Zaun überwanden. Unglaublich geschmeidig landeten beide Kolosse auf ihren Füßen. Noch in der Luft hatten sie ihren Leibern die Drehung gegeben, die sie richtig aufkommen ließ.
Auf dem Landeplatz standen nur mehr zwei Raumschiffe. Der Walzenraumer der Jagdgruppe war mittlerweile abgeflogen.
Die beiden Echsen verharrten kurz, als müssten sie sich orientieren, dann bewegten sie sich auf das Schiff der Forschungsstation zu.
»Ath!«, rief Mountvador. »Unternehmen Sie etwas!«
Der Gehilfe stand wie versteinert da. Es wäre ohnehin zu spät gewesen. Die Panzerechsen rammten bereits mit ihren Schädeln gegen das kleine Raumschiff. Ihr Gebrüll musste ohrenbetäubend laut sein, selbst auf die Distanz war es erschreckend deutlich zu hören.
Bersendar alarmierte die Außenstation der GAVÖK. Diesmal kam der Kontakt mit Zwitscher sofort zustande.
»Wir haben die Gurs gesehen«, sagte der Blue. »Ich schicke ein Kampfschiff der Hauptbasis. Dem Spuk werden wir ein schnelles Ende bereiten.«
»Spuk?« Mountvador war überaus erregt. »Das sind intelligente Aktionen. Die nötigen Beweise. Wir müssen uns mit den Gurs verständigen. Auf keinen Fall dürfen Sie angreifen.«
Scheinbar abschätzend wiegte Zwitscher den Tellerkopf. »Wenn Sie es wünschen, setzen wir nur Lähmstrahler ein. Die Biester werden allerdings eine gehörige Portion brauchen.«
»Ja, ja, nur lähmen. Auf keinen Fall töten. Sie sind intelligent.«
Die Funkverbindung erlosch.
Auf dem Landeplatz rannten die Gurs erneut auf das kleine und entsprechend verletzliche Raumschiff zu. Ihre Aktion wurde von lautem Gebrüll der Tiere außerhalb der Energiesperre begleitet.
»Die anderen feuern sie an!«, rief Mountvador. »Auch das ist ein Zeichen der wachsenden Intelligenz.«
Der wuchtige Aufprall ließ diesmal mehrere Landebeine des Schiffes einknicken. Sofort setzten die Echsen nach.
Außerhalb des Sperrzauns gruppierten sich die übrigen Gurs für einen neuen Vorstoß gegen das energetische Hindernis. Aus mehreren hundert Metern Distanz nahmen sie brüllend Anlauf. Sieben kräftige Echsen waren diesmal in der vordersten Linie nebeneinander. Ihr Aufprall brachte den Zaun nahe an die Belastungsgrenze.
Als die nachfolgenden Tiere sich in das Gewühl warfen, gab es eine schwere energetische Entladung. Mehrere Gurs stürzten bewusstlos oder tot zu Boden, aber der Energiezaun brach zusammen, und gut ein Dutzend der mächtigen Tiere trampelte ungehindert weiter.
Es dauerte höchstens Minuten, bis die beiden kleinen Raumschiffe demoliert zur Seite kippten. Mit ihnen zu starten würde vorerst wohl unmöglich sein.
Die Gurs sammelten sich. Der Blick ihres Anführers richtete sich auf die Doppelkuppel von Mountvadors Forschungsstation.
Sie setzten sich in Bewegung.
Mountvador wich entsetzt von der Stahllitwand zurück. In dem Moment schwand seine Selbstsicherheit.
Erst in letzter Sekunde sank ein großes Diskusschiff der GAVÖK über der Station herab. Die Blues feuerten mehrere lähmende Salven ab und beendeten damit den Spuk.
Das Diskusschiff schwebte noch über dem Areal, als Zwitscher eintraf.
Mountvador bedankte sich bei dem Blue für die schnelle Unterstützung. »Sie werden sehen, Ooldiek, dass die Gurs freiwillig das Weite suchen, sobald sie wieder zu sich kommen«, sagte der erregte Ara zu dem Blue. »Diese Wesen handeln bereits sehr bewusst. Ihre noch geringe Intelligenz nimmt ständig zu. Sie lernen.«
Die Behauptung bewahrheitete sich schon bald danach. Als die Gurs erwachten, galten ihre Blicke erst dem Diskusraumschiff, dann liefen sie in gemächlichem Tempo davon.
»Das war knapp.« Ath-Vrilov stöhnte leise.
»Das war interessant«, berichtigte Mountvador. Er wandte sich an Zwitscher. »Sie konnten selbst sehen, wie überlegt diese angeblichen Tiere handeln. Wir müssen einen Weg finden, uns mit ihnen zu verständigen. Bis das gelingt, sollten Sie dafür sorgen, dass die Leute in den Jagdklubs nicht zu Mördern an intelligentem Leben werden.«
»Ich bin kein Experte für solche Fragen und nur für die Sicherheit auf Shourmager verantwortlich«, entgegnete Ooldiek ausweichend. »Sobald Sie die Sicherheit gefährdet sehen, melden Sie sich. Bis dahin oder bis die Expertenantwort zu Ihrem Bericht eintrifft, kann ich nichts unternehmen. Versuchen Sie selbst, mit Callon ein Stillhalteabkommen zu treffen.«
Der Blue ging. Mountvador blickte ihm unzufrieden hinterher.