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Vorwort zur zweiten Auflage

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Die Feststellung, die wie von Geisterstimme gesprochen am Anfang des Films Der Herr der Ringe. Die Gefährten (2001) aus dem Off ertönt: „Die Welt ist im Wandel“, ist weder neu noch zeitlich begrenzt: Schon das auf Ovid zurückgehende Sprichwort aus dem 16. Jahrhundert konstatierte in vergleichbarer Weise: „Tempora mutantur“, und fügte hinzu „nos et mutamur in illis“. Ob „wir“ uns wandeln, mag dahingestellt sein; in jedem Fall aber änderte und ändert sich im Laufe der Zeit das musikpädagogische Denken, dessen Darstellung dieses Buch gewidmet ist. Es ändert sich, weil sich nicht nur die Verhältnisse der Welt ändern, auf die es sich bezieht – und zwar insbesondere diejenigen Verhältnisse, die mit Kultur und insofern mit Musik zusammenhängen –, sondern auch die Wege, die zu deren Erschließung beschritten werden, sowie die Einsichten, auf denen diese beruhen, und die Positionen, die auf deren Basis vertreten werden.

Das gilt auch für meine eigenen Einsichten und Standpunkte, und so stehe ich heute nicht mehr uneingeschränkt schon zu dem ersten Satz, mit dem das Vorwort zur ersten Auflage begann: Die Behauptung, Musikpädagogik sei kein Ort, würde ich aus heutiger Sicht nur insofern aufrecht halten, als sie natürlich kein topographisch fasslicher Ort ist. Sie kann aber als eine spezifische Verknüpfung von Einsichten und von Strukturen aufgefasst werden, durch die ein Bereich des Denkens als imaginärer Raum des Zusammenhangs vorstellbar wird. Freilich ist dieser Zusammenhang schwer fasslich – darüber täuschen nach wie vor der bestimmte Artikel und der Singular hinweg –, sodass die un-differenzierte Rede von ‚der Musikpädagogik‘ geeignet ist, einen Mythos zu konstituieren (Schatt, 2008a). Nach wie vor gibt es ‚die eine‘ Musikpädagogik im substanziellen Sinne ebenso wenig wie ‚die eine‘ Musik – zu unterschiedlich sind die erkenntnis- bzw. wissenstheoretischen Grundlagen von der Hermeneutik über die Phänomenologie bis zur konstruktivistischen Kommunikations- und Bedeutungstheorie, zu unterschiedlich die Forschungsprinzipien von der qualitativen und quantitativen empirischen Forschung über die Diskursanalyse bis hin zur ‚Philosophy of musical education‘, zu unterschiedlich die zugrunde gelegten Legitimationsparadigmen von der Anthropologie über die Kulturtheorie bis hin zur Theorie ästhetischer Erfahrung, zu unterschiedlich die Intentionen wie Musikerziehung, Musik-Verstehen, musikalische Bildung und die Ermöglichung des Erwerbs musikalischer Kompetenzen.

All dies bildet allerdings ein Gewebe aus Denkbewegungen, das man mit dem Philosophen Gilles Deleuze und dem Psychoanalytiker Felix Guattari als „Rhizom“ beschreiben könnte (Deleuze & Guattari, 1992); darin bilden sich „in sich selbst vibrierende Intensitätszonen“ (ebd., S. 37), aus denen – wie „Plateaus“ – erkennbare Einsichten und Positionen an die Oberfläche des Wissens hervortreten. Das musikpädagogisch relevante „Rhizom“ selbst weist eine lediglich topologisch beschreibbare – nämlich in sich konsistente, aber in den Umrissen veränderliche – Einheit auf: es bildet einen Raum, in dem – bezogen auf Musikpädagogisches – Gedanken zusammentreten, die der Idee der Förderung des Menschen hinsichtlich seiner Befassung mit Musik gewidmet sind.

Dass diese Einheit in der pluralen Geltung der Vielfalt von einschlägigen Überzeugungen besteht, gehört zu den Einsichten, mit denen bereits die erste Auflage schloss. Seither haben sich zum nicht geringen Teil nicht nur die Einsichten geändert, sondern auch die theoretischen Grundlagen, auf denen sie beruhen. Neue Forschungswege sind erschlossen worden, neue Konzeptionen sind entstanden, es gibt neue Ansätze zur Wissenschaftstheorie, zum Selbstverständnis der Disziplin, neue Positionen bzw. Modifikationen oder Erweiterungen hinsichtlich bestehender Überlegungen, sodass eine gründliche Überarbeitung der Einführung in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht erforderlich schien.

Eigentlich war diese Überarbeitung längst überfällig. Die ersten Überlegungen zur ersten Auflage stammen immerhin von 2003, die Arbeit war Ende 2005 abgeschlossen und konnte gerade noch die neuesten und innovativen Überlegungen meines geschätzten Kollegen Stefan Orgass berücksichtigen. Zugleich erschien mir aber eine Neuauflage als überflüssig: Werner Jank hat die von ihm herausgegebene Musik-Didaktik immer wieder überarbeitet, Michael Dartsch hat Eine Einführung in die Musikpädagogik mit den Schwerpunkten Musik lernen – Musik unterrichten verfasst, Rudolf-Dieter Kraemers Musikpädagogik, die sich als eine Einführung in das Studium versteht, wurde mehrmals neu aufgelegt, Andreas Lehmann-Wermser hat ein Studienbuch über Musikdidaktische Konzeptionen herausgegeben, in dem auch deren theoretische Grundlagen erörtert werden, und unlängst haben sich zahlreiche Mitglieder der musikpädagogischen ‚community‘ zusammengetan, um in einem Handbuch Musikpädagogik deren wesentliche Züge herauszustellen.

Allerdings unterscheiden sich mehrere dieser Arbeiten von der hier vorliegenden, weil Letztere aus einem Guss und kein Sammelband ist; außerdem geht die Schrift einerseits über das weit hinaus, was in ihrem Titel – der allerdings dem Titel der Reihe, in der die erste Auflage erschien, geschuldet ist – verheißen wird, andererseits bleibt sie dahinter zurück: Sie ist nicht bloß eine „Einführung“, sondern darüber hinaus ein Aufriss theoriegeleiteten musikpädagogischen Denkens; sie befasst sich aber nur mit wissenschaftlich ausgerichteter Musikpädagogik – wobei ich ausdrücklich die Musikdidaktik einschließe –, nicht aber – allenfalls bisweilen am Rande – mit der praktisch auszuübenden oder ausgeübten, also mit Musikunterricht. Gleichwohl hat dieser Aufriss einführenden Charakter: Er soll angehenden Musikpädagog*innen Orientierung im Geflecht unterschiedlichster Formen, Arten und Wege musikpädagogischen Denkens, soll ihnen das einschlägige Mit- und Nachdenken ermöglichen.

Die Gliederung der ersten Auflage wurde beibehalten. Im ersten Kapitel wird gezeigt, mit welchen grundsätzlichen Anliegen und disziplinären Verflechtungen ein wissenschaftliches Nachdenken über Musikpädagogik sich zu befassen hat und welcher Strategien es sich dabei bedient. Im zweiten Kapitel werden – mit Lernen, Verstehen, Erziehung und Bildung in musikbezogener Perspektive – fünfzentrale Ideen zu der Frage, was durch eine pädagogisch geleitete Befassung mit Musik erreicht werden soll, entfaltet. Im dritten Kapitel werden in sieben Abschnitten musikpädagogische Leitbegriffe, die als Orientierung für die Konkretisierung dieser Grundideen fungierten, dargestellt; der Entfaltung dieser leitenden Vorstellungen in musikpädagogischen Konzepten und Konzeptionen ist das vierte Kapitel gewidmet. Im fünften, abschließenden Kapitel wird versucht, Anregungen für die Gegenwart und Perspektiven für die Zukunft zu geben.

Die erste Auflage war noch im generischen Maskulinum formuliert. Nun wurde die Sprache weitestgehend gendergerecht modifiziert. Freilich hätte dies an manchen Stellen zu einer unschönen Aufblähung des Satzbaus geführt, in wenigen anderen Fällen habe ich tatsächlich nur an Männer gedacht – zum Beispiel beim „Automechaniker“ und bei den „Lehrern“ A und B. Daher wurde dort aus Gründen der Praktikabilität bzw. der Authentizität die ursprüngliche Sprache beibehalten; es sei jedoch versichert, dass bei allen Aussagen prinzipiell immer alle denkbaren Genderkategorien gemeint sind.

Die Vorgänge, um die es insgesamt geht, sind komplex; um dem gerecht zu werden, bedarfes einer differenzierten Sprache. So entgegnete ich dem Vorwurf, den ein „Rezensent“ auf amazon dem Buch machte (ein Nutzer namens „Northern Warrior“), es sei „selbst ‚Anwaltsdeutsch‘ teilweise noch verständlicher“, dass Anwälte sich um der genauen und differenzierten Sachklärung willen einer Sprache bedienen, „die sich um Sorgfalt, Präzision und Gerechtigkeit der Sache gegenüber bemüht“. Nichts anderes habe ich auch hier versucht. Ich gebe zu, dass die Bemühung um die Sache in der Sprache Spuren hinterlässt -Spuren, die aufzunehmen allerdings auch den Leser*innen bisweilen ein wenig Mühe abverlangt.

Allerdings war ich glücklicherweise mit meinen Anstrengungen nicht allein. Eine aufmerksame kritische redaktionelle Sichtung, zudem zahlreiche wertvolle Anregungen und wichtige, weiterführende Hinweise habe ich Dr. Malte Sachsse zu verdanken, der insbesondere mit den jüngeren einschlägigen Veröffentlichungen in maßstabsetzender Weise vertraut ist. Annemarie Michel hat es auf sich genommen, Korrektur zu lesen; auch sie hat zusätzliche Anregungen beigesteuert – ich bin dafür sehr dankbar. Nicht zuletzt gilt mein Dank Herrn Dr. Jens Seeling von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die freundliche und umsichtige redaktionelle Betreuung der Neuauflage.

Es bleibt, der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass all diese Mühe sich gelohnt hat bzw. lohnen wird: dadurch, dass die Wege des musikpädagogischen Diskurses geklärt und für neue Impulse geöffnet wurden und werden, sodass Leser*innen daraus Anregungen und Gewinn für die eigene Positionierung ziehen können.

Einführung in die Musikpädagogik

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