Читать книгу Baiern und Romanen - Albrecht Greule, Peter Wiesinger - Страница 16
1.5.5.2. War Bayern ein ursprüngliches „Boierland?“
ОглавлениеUnter dem Einfluss der mit Nachdruck vorgetragenen Thesen der Archäologen, die Baiern seien aus ansässigen Romanen der Raetia secunda hervorgegangen und auch ihr Name habe, wie Arno Rettner linguistisch allerdings unhaltbar meint, eine lateinische Grundlage, versucht nun Ludwig Rübekeil in seinem Beitrag „Der Name Boiovarii und seine typologische Nachbarschaft“ zum Sammelband von 2012 sich soweit wie möglich den Ansichten der Archäologen anzuschließen. Was er als germanistischer Sprachwissenschaftler freilich nicht aufgeben kann und unverändert beibehält, ist die lautgesetzlich unumstößliche germanische Etymologie des Baiernnamens. So setzt Rübekeil nun beim Bestimmungswort des Kompositums an und räumt ein, dass damit auch wie im Ausnahmefall der Chattuarii ein Einwohnername gemeint sein könnte. In diesem Sinn rechnet er nun gemeinsam mit den Archäologen damit, dass bei der Identitätsbildung der Baiern im ehemals provinzialrömischen Raum der Raetia secunda südlich der Donau als Bestimmungswort von Baioarii unmittelbar der Name der Boier herangezogen wurde. Als Grundlage dafür gelten ihm die Namen der Römerkastelle Boiodurum und Boitro in Passau sowie ein in Manching bei Ingolstadt überliefertes boios, das er als Personenname auffasst.
Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass der heutige nieder- und oberbayerische Raum der Raetia secunda jemals mit dem Namen der Boier verbunden war, wofür es auch keine unmittelbaren Zeugnisse gibt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die angezogenen Römerorte an der Peripherie sowohl des Römerreiches von Süden aus als auch vom Boierland Böhmen von Norden her lagen. Die Halbinsel von Passau, gebildet von Inn und Donau mit der von Norden in die Donau mündenden Ilz, war seit der Mitte des 5. Jhs. v.Chr. von Kelten besiedelt und ein Kreuzungspunkt der Handelswege in alle vier Himmelsrichtungen, die sich in römischer Zeit fortsetzten. Auf ihr lag ein keltisches Oppidum, dessen Name Ptolomaios um die Mitte des 2. Jhs. v.Chr. als Βοιόδουρον bezeugt und dessen Name dann die Römer nach dem Itinerarium Antonini als Boiodurum auf das von ihnen am Ende des 1. Jhs. n.Chr. auf dem rechten Innufer errichtete Kastell und einen sich anschließenden Vicus übertrugen und das bis ins 3. Jh. bestand, ehe es zerstört wurde.1 Während der Ort für die Kelten wohl ein Handelszentrum war und Brückenfunktion für den Warentransport hauptsächlich vom Süden in das Landesinnere in Böhmen im Norden hatte, diente das Kastell den Römern zur Bewachung und Sicherung der Limesstraße an der Donau gegen die Germanen. Die Notitia dignitatum überliefert dann für die 2. Hälfte des 3. Jhs. neben Batavis/Passau ein neuerrichtetes kleines Kastell Boiodoro stromaufwärts ebenfalls am rechten Innufer. Die Vita Severini von 511 nennt es dann Boi(o)-tro, und in seinen Mauern hatte Severin um 470 ein kleines Kloster errichtet. Sein Name lebt im Ortsnamen Beiderwies und im dort vorbei fließenden Beiderwiesbach weiter. Was das auf einem Scherben einer bauchigen Flasche aus dem keltischen Oppidum von Manching bei Ingolststadt des 1. Jhs. v.Chr. eingravierte boios betrifft, so ist es mehrdeutig und nicht, wie Rübekeil annimmt, als Personenname gesichert.2
Obwohl nicht bekannt ist, welche keltischen Stämme zur Zeit der römischen Eroberungen im Alpenvorland um die Zeitenwende westlich des Inns siedelten, während sich östlich des Inns das keltische Königreich Noricum befand, spricht nichts dafür, dass es die keltischen Boier gewesen wären. Hätte das heutige Nieder- und Oberbayern damals einen mit dem Namen der Boier verbundenen Gebietsnamen getragen oder wären dort die Boier beheimatet gewesen, so hätten ihn die Römer gewiss wie jenen des benachbarten Noricum übernommen, was jedoch nicht geschah. Auf die offenbar namenlose Gegend dehnten sie daher vom Bodensee her den Namen der Räter nach Nordosten bis zur Donau aus. Das keltische Boioduron/Passau war zweifellos ein unterhaltener südlicher Außenposten der Boier als Handelsort. Wenn seinen Namen die Römer fortsetzten, kann dies ebensowenig wie die Gravur von Manching als Beweis für ein einstiges „Boierland“ Bayern dienen.3 Während Rübekeils Erkenntnis, der germanische Baiernname gehört zu einer germanischen Namengruppe im germanisch/römischen Grenzland und bezeichnet germanische Wehrmänner, die das germanische Land vor Übergriffen der Römer schützen und verteidigen und die daher im germanischen Gebiet nördlich des Römerreiches und des Donaulimes beheimatet waren, weiterführt, geht Rübekeils Versuch, sich der Meinung der Archäologen anzuschließen, in die Irre.