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1.5.5.3. Die Baiern in neuer historischer Sicht
ОглавлениеAuffallend reserviert verhalten sich die Mittelalterhistoriker gegenüber den neuen Ansichten zur Identitätsbildung der Baiern. So nennt der Erlanger Frühmittelalterforscher Guido M. Berndt in seiner Besprechung des Sammelbandes „Die Anfänge Bayerns“ von Fehr/Heitmeier bloß die Themen der einzelnen Beiträge, wenn er hinsichtlich der Romanentheorie der Archäologen zur Herkunft der Baiern auch gewisse Auffassungsunterschiede zwischen ihren Vertretern Arno Rettner, Hubert Fehr und Jürgen Haberstroh erkennen möchte.1 Ausführlich befasst sich zwar der Wiener Mittelalterhistoriker Herwig Wolfram in seinem Rezensionsaufsatz „Die Anfänge Bayerns im Zwielicht“ mit einzelnen Beiträgen, geht aber mit keinem Wort weder auf die Romanentheorie der Archäologen noch auf die noch vorzustellende Norikertheorie der Historikerin Irmtraut Heitmeier ein. Dass für Wolfram aber der Name der Baiern mit den Boiern und Böhmen zu tun hat, wird deutlich an der mit brieflicher Unterstützung von Wolfgang Haubrichs (Saarbrücken) und Hermann Reichert (Wien) ausführlich dargelegten Analyse der Slawenbezeichnung Beovinidi in der „Historia Langobardorum Codicis Gothani“. Diese entstand 807/10 in Oberitalien im Zusammenhang mit dem Frankenkönig Pippin von Italien, nachdem dieser 806/07 die Mauren von Korsika vertrieben und zuvor 798 an einem verwüstenden Feldzug gegen die böhmischen Slawen teilgenommen hatte. In den gegen 860 abgeschlossenen sogenannten „Annales Xantenses“, die Gerward, der ehemalige Pfalzbibliothekar Ludwigs des Frommen in den Jahren 814-30, anlegte, werden sie Beuwinitha geschrieben. Dieses ist niederfränkisch und entspricht der Herkunft Gerwards vom Niederrhein oder aus Friesland, wo germ. ai zu ē monophthongiert und der stimmhafte Spirant germ. đ als th beibehalten wird. Das aber bestätigt das Erstglied des Baiernnamens germ. *Baiowarjōz, der in Verbindung mit den Beovinidi auf Böhmen bezogen werden kann und somit als Klammerform *Baio[haima]warjōz zu verstehen ist, so dass der Name der Baiern „ursprünglich tatsächlich ‚Leute aus Böhmen’ bedeutet“.2 Wenn die Schreibung Beovinidi auch im Codex Gothanus auftritt, so ist zu bedenken, dass er dem fränkischen Umkreis König Pippins angehört und in diesem Namen wohl auch dort fränkisches ē für germ. ai galt.3 Damit hält Wolfram an der von der Sprachwissenschaft vorgetragenen Erklärung des Baiernnamens fest und erteilt somit indirekt sowohl der Romanentheorie als auch der Norikertheorie eine Absage. Wenn ich recht sehe, haben die verschiedenen Beiträge von Arno Rettner und Hubert Fehr zur Herkunft der Baiern auch sonst bei Historikern kein Echo ausgelöst. Dafür beschreitet nun Irmtraut Heitmeier in ihrem umfänglichen Beitrag zum Sammelband „Die spätantiken Wurzeln der bairischen Noricum-Tradition“ als „Überlegungen zur Genese des Herzogtums“ völlig neue, kühne Wege.
Heitmeier betont, dass man hinsichtlich der Entstehung des Herzogtums und der Herkunft der Baiern immer nur aus gegenwärtiger Sicht Bayern und damit bezüglich der Frühzeit bloß die westliche Raetia secunda im Blick habe, jedoch das zugehörige, östlich gelegene Noricum ausblendet. Es gibt aber vom Frühmittelalter bis ins 12. Jh. eine Tradition, die Bayern mit Noricum in Zusammenhang bringt. Ihr geht Heitmeier nach, um daraus neue Einblicke sowohl in die Frage nach der Herkunft der Baiern als auch der Entstehung des Herzogtums zu gewinnen.
Schon um 790 erzählt Paulus Diaconus in seiner „Langobardengeschichte“ nach einer Quelle aus der Zeit um 600, dass der Langobardenkönig Authari nach heimlicher Brautschau „von den Grenzen der Noriker“ (de Noricorum finibus) nach Italien zurückgekehrt sei, und erklärt deren Gebiet folgendermaßen (III, 30):
Noricorum siquidem provincia, quam Baiovariorum populus inhabitat, habet ab oriente Pannoniam, ab occidente Suaviam, a meridie Italiam, ab aquilonis vero parte Danuvii fluenta
Die Provinz der Noriker freilich, die das Volk der Baiovaren bewohnt, grenzt im Osten an Pannonien, im Westen an Suavien, im Süden an Italien, im Norden aber an einen Teil des Donauflusses.
An jüngeren derartigen Gleichsetzungen von Baiern mit Noricum sei die gleichlautende Promulgation zweier Freisinger Traditionen von 825 und 846 genannt, die mit den Worten beginnt (Tr. Freis., Nr. 521, 678):
Notum cunctis fidelibus in Noricana provincia …
Bekannt gemacht sei allen Getreuen in der norischen Provinz …
Beide Traditionen betreffen Besitzübertragungen im Umkreis von Mainburg rund 25 km nördlich von Freising und somit mitten im Herzen Bayerns bzw. in der einstigen Raetia secunda.
Solche westliche Ausweitungen der Territorialbezeichnung Noricum überraschen, wenn man bedenkt, dass seit der mittleren römischen Kaiserzeit der Inn nicht nur die Provinzgrenze der Raetia secunda und von Noricum bildete, sondern zugleich auch Zollgrenze zwischen dem westlichen Gallischen und dem östlichen Illyrischen Zollbezirk war. Obwohl die Reichsteilung von 395 in eine Westhälfte mit Rom und eine Osthälfte mit Konstantinopel/Byzanz zeitweise aufgehoben wurde, wirkte die westliche Zuweisung der Raetia secunda zu Italien und die östliche von Noricum und Pannonien zu Konstantinopel/Byzanz dennoch nach. Sie kam 476 nach der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus August(ul)us insofern zum Tragen, als der oströmische Kaiser Zenon I. (476–491) sich nicht nur als Kaiser des Gesamtreiches betrachtete, sondern besonderes Interesse haben musste, an der Westflanke seines unmittelbar östlichen Herrschaftsbereiches in Noricum nach dem Zusammenbruch der weströmischen Herrschaft durch ständige Germaneneinfälle und dann durch den Abzug der romanischen Bevölkerung nach Italien wieder Ordnung und militärische Absicherung herzustellen. Wenn man bedenkt, dass sich die an der Reichsgrenze auftretenden Germanengruppen mit dem Grundwort -warjōz / -varii ‚Wehrmänner, Schützer, Verteidiger‘, nämlich ihres eigenen Grenzgebietes, bezeichnen und sich im Baiernnamen Baiowarjōz / Baiovarii das Erstglied auf Böhmen bezieht, dann lässt sich folgender Schluss ziehen.
Unter Berücksichtigung des militärischen Aspektes dieser Bezeichnung kann man annehmen, dass solche germanischen Verbände zur Verteidigung eines Gebietes eingesetzt wurden. Dabei mussten die germanischen Soldaten weder in das römische Heer eingegliedert werden, noch als Föderaten Aufnahme finden, sondern diese Gruppen übten in einem vertraglich festgelegten Gebiet selbst Befehlsgewalt aus, so dass sie faktisch im Besitz des Territoriums waren. Im Fall von Ufernoricum wäre vorstellbar, dass ein Teilverband der aus Böhmen abziehenden Elbgermanen, die später im Osten unter dem Namen der Langobarden in Mähren und dem östlichen Niederösterreich und dann in Pannonien reüssierten, sich nach Südwesten orientierte, die Donau überschritt und vom oströmischen Kaiser auf dem Reichsboden von Ufernoricum unter Vertrag genommen wurde, um diesen byzantinischen Grenzraum abzusichern. Damit aber war Ufernoricum fest in germanischer Hand und haftete der Name Baiowarjōz / Baiovarii somit auf dem Gebiet östlich des Inns, das heute das voralpine Ober-und Niederösterreich ausmacht. Als nach dem Tod der Gotin Amalasvintha 535 die Langobarden in Pannonien mit Byzanz im Osten und den expansiven fränkischen Merowingern im Westen politisch zusammenwirkten, behielten die Baiern in Ufernoricum die Oberhand, und der von den Franken eingesetzte neue Herzog „Garibald muss es gewesen sein, dem es gelang, die Gebiete westlich und östlich des Inns im Sinne des späteren bairischen Herzogtums zu verbinden“.4 Damit aber kam es, was Heitmeier nicht mehr weiter verfolgt, sichtlich auch zur Ausweitung des germanischen Baiernnamens vom stärkeren östlichen Gebietsteil auf den schwächeren westlichen, so dass mit der Raetia secunda ein bairisches Gesamtgebiet als neues Herzogtum entstand. Dabei wurde in Fortsetzung der antiken Namentradition das westliche Gebiet teilweise auch mit dem östlichen lateinischen Namen Noricum bezeichnet.5
Dieser zweifellos spekulative kombinierende Gedankenbau wird wahrscheinlich bei positivistisch ausgerichteten, vorwiegend mit überlieferten Fakten arbeitenden Historikern wenig Anklang finden. Trotzdem lässt sich eine solch mögliche östliche Herkunft der Baiern aus Ufernoricum, die man als Norikertheorie bezeichnen kann, mit namenkundlichen Argumenten stützen, die Heitmeier jedoch nicht in Betracht zieht. Sie betrifft Niederösterreich und damit das östliche Gebiet von Ufernoricum östlich der Enns, während Oberösterreich westlich dieses Flusses und der Salzburger Flachgau allgemein als altbairisches Land gelten.
Im niederösterreichischen Alpenvorland zwischen dem Wienerwald im Osten als alter Grenze von Noricum und Pannonien und der Enns im Westen, die sich um 700 als Grenze der westlichen deutschen Baiern gegenüber den im Osten auf Grund der Herkunft der Ortsnamen dominierenden Slawen herausgebildet hat, gibt es sowohl Gewässernamen antik-romanischer Herkunft, deren Integrierung ins Bair.-Ahd. mit den frühen, bis längstens 650 wirksamen älteren Akten der Zweiten Lautverschiebung erfolgt ist, was bei den integrierten Gewässer- und Ortsnamen slawischer Herkunft gänzlich fehlt, als auch solche Gewässernamen, deren Lauterscheinungen ebenfalls ohne slawische Vermittlung unmittelbar ins Bair.-Ahd. übernommen und weiterentwickelt worden sind. Ohne dass dies hier näher ausgeführt werden kann, handelt es sich bei der ersten Gruppe um die folgenden antik-romanischen Gewässernamen6:
Erlauf, rechter Nebenfluss der Donau bei Pöchlarn
D: 'ɒlɒf
U: antik Arlape, classis Arlapensis, fälschlich Arelate; 832, 853 Erlafa/Erlaffa, 979 Erlaffa.
E: Die antike Benennung Arlapa ist ein Kompositum mit dem im deutschen Süden seltenen Grundwort idg. *apā ‚Wasser‘ und als Bestimmungswort einer Ableitung von idg. *er-/or- (uridg. *h3er-)7 ‚in Bewegung setzen‘ in gr. ὄρνυμι ‚antreiben, losstürzen‘ als l-Ableitung *or-lo/-lā (uridg. *h3r-lo, fem. *h3r-lā) ‚losstürzend‘, so dass der GewN „losstürzendes Wasser“ bedeutet. Wie es zu bair.-ahd. Ërlaffa mit bair.-ahd. ë kam, ist bisher nicht überzeugend geklärt worden, hängt jedenfalls nicht mit bair.-ahd. erila ‚Erle‘ mit Primärumlauts-e zusammen.8
Zehnbach, sehr kleines rechtes Seitenbächlein und Ort südlich von Pöggstall am Oberlauf der Erlauf
D: 'dsenֽbǭx
U: 1363, 1367, 1375 Zenpach
E: Bair.-ahd. *Zennepah wird zurückgeführt auf lat./rom. *Tania, wohl idg.-vspr. *Tanā zu idg. *tā-/tǝ- (uridg. *teh2-, Präsens *t--h2- ‚benetze, tauche etwas ein‘).9
Loich, rechter Seitenbach am Oberlauf der Pielach und Ort
D: lōįx
U: 1307, 1317 Levch; 1380, 1419, 1432 Leuch.
E: Ursprünglich wohl der keltische Name der dann slaw. benannten Pielach (831 Belaa, 811 Bielaha, 1072 Pielaha, 1130 Piela; slaw. Běla ‚die Weiße‘) als lat./rom. *Leuca, kelt. *Leukā (vgl. gr. λευκός ‚weiß‘).
Zur zweiten Gruppe gehören:
Url, großer linker Nebenfluss der Ybbs bei Amstetten und kleiner rechter bei Waidhofen
D: 'ūɒ-l
U: 863 Hurulam; 903, 906 Urulam; 984, 10. JhII, 1094-1100 Urula
E: Bair.-ahd. Urula aus lat./rom. *Urla wird einerseits auf Grund des gekrümmten Laufes erklärt als idg.-vspr. *Urlā (vgl. osk. uruvú ‚Krümmung, Biegung‘, lat. urvum ‚gekrümmte Pflugschar‘) und andererseits gestellt zu uridg. *h2er- ‚feucht sein‘ jeweils mit -l-Erweiterung. Integriert als bair.-ahd. Urula mit anlautendem U- und Stützvokal -u-, was bei slaw. Vermittlung *Wurula aus slaw. *Vъr(ъ)la und heute *Wurl ergeben hätte.
Traisen, rechter Nebenfluss der Donau bei Traismauer
D: drǭɒsn
U: antik Tragisam(um); 828 Dreisma, 895 Treismae, 10. JhII Traisma.
E: Kelt. *Tragisamā mit kelt. trag- zu uridg. dhre/gh- ‚schleppen, ziehen‘ (vgl. gall. vertragus ‚schnellfüßiger Hund‘) als s-Stamm *trages- und Superlativsuffix *-is-ṃmā im Sinne von „sehr schnell fließender Fluss“ mit rom. Kontraktion von -agi- zu -ai-, das bei slaw. Vermittlung durch -a- substituiert worden wäre und heute *Trasen ergeben würde.
Ferner kann hier trotz seiner nicht eindeutigen Integrierung der Bergname Kollmitzberg angeschlossen werden:
? Kollmitzberg, von Westen her weithin sichtbarer Berg rechts an der Donau bei Amstetten, der sich rund 200 m über die Ebene erhebt.
D: 'khōįmɒs ֽ bęɒg
U: 1135 Chalmunze, 1151 Chalmŏnze
E: Lat./rom. *Calamontia, wohl idg.-vspr. *Kalamontā mit idg. *kel-/kol- (uridg. *kelH-) ‚aufragen, hochragen‘ und *m-t-/mnio- ‚Berg, Gebirge‘ im Sinne von „hoch aufragender Berg“, was dem Erscheinungsbild entspricht. Wenn die Lautfolge -tia bereits assibiliert war, so erfolgte bei früher spätgerm. Übernahme Substituierung von [tsa] durch [ta] und dann frühe Zweite Lautverschiebung zu -z-. Im Zweitglied wurde -o- vor -nt- zu -u- gehoben und dann in der 2. Hälfte des 8. Jhs. zu [ü] umgelautet und anlautendes K- zu Ch- lautverschoben.
Was mögliche frühe bair.-ahd. Siedlungsnamen betrifft,10 gelten die -ing- und die -heim-Namen als die ältesten, auch stark verbreiteten Bildungstypen. Während sich die -heim-Namen, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, auf den oberösterreichischen Raum beschränken, sind die -ing-Namen im niederösterreichischen Alpenvorland bis um Wien im Osten stark verbreitet. Werden die -ing-Namen als „Pioniernamen“ betrachtet, indem von den darin genannten Personen angenommen wird, dass sie mit ihren Leuten den Grund und Boden in Besitz nahmen, so werden die -heim-Namen als jünger angesehen, indem sie bereits den Ansitz und damit eine gewisse Beheimatung im Neuland ausdrücken.
Unter diesen Aspekten stellte sich in der Forschung um 1980 die Frage, wie die divergenten Ansichten einer bairischen Besiedlung Niederösterreichs seitens der Geschichtswissenschaft, der Archäologie und der Sprachwissenschaft in Einklang gebracht werden können. Vor allem die Archäologie rechnete wegen einer bairischen Fundleere im 6. und 7. Jh. mit einer sukzessiven bairischen Besiedlung erst ab 976, als die Markgrafschaft Österreich der Babenberger errichtet worden war. Dem aber widersprachen die Ergebnisse der Sprachwissenschaft mit der Integrierung der Gewässernamen mit den ältesten Akten der Lautverschiebung bis spätestens gegen 650 und weiterer Integrierungen, auch von Gewässer- und Ortsnamen slawischer Herkunft in der 2. Hälfte des 8. Jhs. und im 9. Jh. So wurde ein Kompromiss dahingehend gefunden, dass schon spätestens seit dem 7. Jh. frühe bairische Verkehrskontakte in den Osten bestanden, zumal die Ennsgrenze gegen die Slavia sich erst um 700 ausbildete, was nicht nur frühe, sondern auch spätere Integrierungen von Gewässernamen ermöglichte, zumal Gewässer mit ihrem festen Verlauf Orientierungshilfen in der Landschaft boten und dies besonders im 7. Jh. bei geringer Besiedlung. Eine breite bairische Besiedlung setzte erst ab 976 ein, die im rund letzten Dreivierteljahrhundert der ahd. Zeit die damals noch aktiven zahlreichen -ing-Namen als Ausdruck der Inbesitznahme des neuen Territoriums im allerdings von Slawen bewohnten Land mit sich brachte. Die damals ebenfalls noch aktiven -heim-Namen fanden aber unter solchen Gegebenheiten keinen rechten Platz. Erst im 11. Jh. folgten dann als Ausbausiedlung die vielen -dorf-Namen.
Gegenüber diesen Auffassungen lassen sich jedoch anhand ihres Lautstandes 3 -ing-Namen im westlichen Niederösterreich wegen ihres, durch das -i- des Suffixes ausgelösten Primärumlautes von a zu e näher datieren. Sie müssen bereits vor der 2. Hälfte des 8. Jhs. entstanden sein, denn in dieser Zeit war der Primärumlaut wirksam. Es handelt sich um folgende Orte:
Empfing, Dorf, Gem. Stephanshart, PB Amstetten
D: 'empfiŋ
U: 1260-86 Emphinge, 1368 Empfing, 1411 Empfing in Steffensharter pharr
E: Mit dem bair.-ahd. PN Ampho
L: Wiesinger (1985), S. 355; Ernst (1989), S. 143; Schuster I (1989), S. 581.
Sölling, Dorf, Gem. Purgstall a. d. Erlauf, PB Scheibbs
D: 'söliŋ
U: 1108-16 predium … Selingin dictum, 1375 Sêling, 1392 Soling, 1402 Sling
E: Mit bair.-ahd. PN Salo11
L: Wiesinger (1985), S. 355; Ernst (1989), S. 180; Schuster III (1994), S. 2911.
Hösing, Weiler, Gem. Hürm, PB Melk
D: 'hēsiŋ
U: 1319 Hesyng in Chulber pharr, 1425 Hossing; 1430, 1455 Hesing
E: Mit dem bair.-ahd. PN Haso
L: Wiesinger (1985), S. 355; Ernst (1989), S. 156; Schuster II (1990), S. 308.12
Da in Niederösterreich Baiern aus dem Westen vorgedrungen sind, besteht bei Orten mit -ing-Namen auch die Möglichkeit der Namenübertragung aus dem Altsiedelland. Das wäre hier nur möglich bei Empfing als Dorf bei Traunstein, Oberbayern (1178-82 Otto filius Ottonis de Amphingen, 12. JhII Otto de Emphingen)13 sowie bei Sölling als Dorf in Büchlberg nördlich Passau, und als Einzelhof bei Waldkirchen, Lkr. Freyung-Grafenau, Niederbayern (1308 Vlreich von Selling, 1310 Jacob der Amman von Selling),14 Selling als Weiler von Cham, Oberpfalz (ca. 1180 Hiltebrandus de Sellingen, 12. JhII Hilprandi de Sellingen, 1393 zu Selling), Sölling als Zerstreute Häuser bei Steinerkirchen a. d. Traun, PB Wels-Land, Oberösterreich (1299 Selling, 1467 Seelling) und bei Sölling als Weiler von Oberlebing bei Allerheiligen i. Mühlkreis, PB Perg, Oberösterreich (13. JhE datz Seling; 1421, 1512, 1559 Selling). Da aber das niederösterreichische Sölling unmittelbar an der Erlauf gegenüber von Zehnbach und Empfing vor dem Kollmitzberg liegt, ist angesichts von deren früher bair.-ahd. Integrierung autochthone Entstehung und Benennung dieser beiden Orte sehr wahrscheinlich. Hösing, das keine Entsprechung im Altsiedelland hat, liegt westlich der Pielach, die ursprünglich Loich hieß, und damit ebenfalls in der Nähe eines früh aufgegriffenen Flussnamens. Somit legen diese drei Orte nahe, dass es spätestens vor der Mitte des 8. Jhs. in Niederösterreich neben zahlreichen slawischen Siedlungen zumindest vereinzelt auch bairisch-deutsche Niederlassungen gab und nicht nur Gewässernamen frühe bairische Zeugnisse darstellen.
Die Annahme von Irmtraut Heitmeier, die Identitätsbildung der Baiern sei im ausgehenden 5. Jh. als militärische Schutztruppe unter oströmisch-byzantinischer Oberhoheit in Noricum von einer elbgermanischen, von den südostwärts ziehenden Langobarden sich abspaltenden Gruppe ausgegangen, kann also aus der Sicht der Namenkunde anhand der Gegebenheiten in Niederösterreich Unterstützung erfahren. Umgekehrt könnte mit Hilfe einer solchen von den Langobarden abzweigenden elbgermanischen Gruppe die frühe Integrierung lautverschobener antiker und einiger anderer Gewässernamen erklärt werden, denn auch bei den Langobarden gibt es die älteren Akte der Zweiten Lautverschiebung, die bei germ. t seit ihrem Auftreten in Italien am ausgeprägtesten vorhanden ist.15 Einer solchen neuen Auffassung von der Ethnogenese der Baiern schließt sich jedoch nicht die weitere Geschichtswissenschaft (Herwig Wolfram) und auch nicht die Archäologie an. Letztere kann weiterhin keinerlei langobardisch geprägte Funde im niederösterreichischen Donauraum westlich des Wienerwaldes, von Einzelstücken bei St. Pölten und Krems abgesehen, feststellen. Solche treten vielmehr zahlreich im Osten nördlich der Donau im Weinviertel und Marchfeld und südlich des Flusses im Umkreis der Leitha und im nördlichen Burgenland auf, wo sich ja die Langobarden um 500 niedergelassen hatten, ehe sie nach Pannonien weiterzogen.16