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Die Soldaten des Imperiums

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Justinians Heer im 6. Jahrhundert bestand aus Berufssoldaten, doch es entsprach in vielerlei Hinsicht nicht mehr dem römischen Heer etwa unter Caesar oder Augustus, als eine in Legionen aufgeteilten Infanterie, die aus römischen Bürgern bestand, von nicht-römischen Hilfstruppen unterstützt wurde. Die klassische Legion der frühen Kaiserzeit war ungefähr 5000 Soldaten stark, und sie war aufgeteilt in zehn Kohorten, die jeweils von einem Zenturio befehligt wurden. Ihr stand mehr oder weniger die gleiche Anzahl an Hilfssoldaten gegenüber, die keine römischen Bürger waren; diese waren in Infanterie-Kohorten und Kavallerie-alae (Flügel) aufgeteilt. Von der Zeit des Augustus an stieg die Zahl der Legionen immer weiter, bis während der Dynastie der Severer zu Beginn des 3. Jahrhunderts mit 33 Stück der Höchststand erreicht war. Somit standen rund 350 000 Römer unter Waffen, dazu eine ähnliche Anzahl an Hilfssoldaten.

Der allergrößte Teil der römischen Soldaten war an den Grenzen des Reiches stationiert: im Norden Britanniens, entlang Rhein und Donau, in Mesopotamien, Armenien und an der persischen Grenze; kleinere Kontingente patrouillierten in der Wüste Ägyptens und im übrigen Nordafrika bis ins heutige Marokko.

Für die großen Feldzüge wurden Kontingente aus allen Legionen, die sich in Reichweite befanden, zusammengezogen; gesamte Legionen – jede für sich eine kleine Expeditionsstreitmacht – wurden im Imperium nur selten von A nach B bewegt.1

Zu Justinians Zeit hatte sich das römische Heer unter dem Druck zweier aufeinanderfolgender Phasen militärischer Krisen so stark verändert, dass es mit dem Heer des 3. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein hatte. Wenn wir wissen wollen, wie Justinians Heer aussah, können wir die berühmte Notitia dignitatum zurate ziehen, die eine nahezu vollständige Auflistung der Schlachtordnung des römischen Heers in der Osthälfte des Reiches beinhaltet. Zwar stammt dieses Handbuch bereits aus den 390er-Jahren, doch juristische Dokumente aus dem 5. Jahrhundert, die sich mit militärischen Fragen befassen, und das eher episodische Bild des oströmischen Heers in Aktion, das uns narrative Quellen des frühen 6. Jahrhunderts vermitteln, machen deutlich, dass sich das Grundmuster militärischer Organisation in den dazwischenliegenden 130 Jahren nicht grundlegend verändert hatte. In Phasen mit schweren Gefechten konnte es passieren, dass einzelne Einheiten aufgerieben wurden, und neue Bedrohungen erforderten spezielle Bemühungen in Sachen Rekrutierung. Sechzehn oströmische Regimenter schwerer Infanterie, die in der Schlacht von Adrianopel im August 378 den Tod fanden, wurden nicht ersetzt, und die Hunnenkriege der 440er-Jahre bescherten große Verluste und beförderten umfassende Rekrutierungsbemühungen in Isaurien (im Süden Zentralanatoliens).2

Doch auch wenn einzelne Einheiten kamen und gingen – die allgemeine Form der militärischen Organisation blieb in Ostrom weitgehend die gleiche. Im ausgehenden 4. Jahrhundert war das alte Muster großer Legionärseinheiten, die in bestimmten Abständen entlang der wichtigen Außengrenzen des Reichs stationiert waren, einem viel komplexeren System militärischer Einheiten und Stellungen gewichen, das bis Mitte des 6. Jahrhunderts bestehen blieb. Es gab nun drei große oströmische Heeresgruppen: Den höchsten Status genossen die zentral stationierten Praesentalis-Armeen, die in zwei getrennten Korps organisiert waren, mit je einem kommandierenden Feldherrn (magister militum praesentalis); dann kamen drei regionale Feldarmeen (eine in Thrakien, eine in Illyrien, die dritte an der persischen Front, jeweils wieder mit einem eigenen magister militum) und schließlich eine ganze Reihe Grenzschutztruppen (limitanei), die in befestigten Posten an oder nahe der Reichsgrenzen stationiert waren. Letztere hatten den niedrigsten Status und waren in regionalen Gruppen organisiert, denen jeweils ein dux (»Anführer«) vorstand.

Die Anzahl und der Typus der militärischen Einheiten innerhalb jeder Heeresgruppe hatten sich ebenfalls verändert, auch wenn das Wort »Legion« im Titel vieler Einheiten überlebt hatte. Insbesondere bei den limitanei gab es einige Einheiten, die direkte Nachfahren uralter Formationen waren: Die Legio V Macedonica zum Beispiel war 43 v. Chr. von Julius Caesar eingerichtet worden und existierte im Ägypten des 7. Jahrhunderts n. Chr. immer noch. Doch von der Organisation her unterschied sie sich, wie alle spätrömischen Heeresverbände, stark von den früheren Legionen. Der Standardbegriff für eine solche Einheit war jetzt numerus (auf Latein) bzw. arithmos (auf Griechisch). Es gab keine Heereseinheiten mehr, die wie die alten Legionen 5000 Mann stark waren (in etwa wie eine heutige Brigade). Wir wissen es nicht genau, doch man darf davon ausgehen, dass selbst größere Infanterie-Formationen nicht mehr als 1000 bis 1500 Soldaten zählten (in etwa wie ein heutiges Regiment). Außerdem gab es sowohl bei den limitanei an den Grenzen als auch bei den regionalen Feldarmeen und den Praesentalis-Armeen viel mehr Kavallerieeinheiten als früher, doch diese waren noch kleiner und bestanden aus kaum 500 Mann.

Auch die alte Kluft zwischen Legionären mit römischem Bürgerrecht einerseits und Hilfstruppen, die keine Bürger waren, andererseits existierte in dieser Form nicht mehr. Stattdessen gab es nun drei verschiedene Hauptkategorien von Soldaten, die sich in Höhe des Soldes und Ausrüstung unterschieden. Die Praesentalis-Armeen und die regionalen Feldarmeen bestanden aus palatini (den ranghöchsten Soldaten) und comitatenses (mit dem zweithöchsten Status), die Grenztruppen aus limitanei und/oder ripenses.3 Die Statusunterschiede waren eng mit der militärischen Kapazität verbunden. Als eine Kavallerieeinheit, die in der Kyrenaika gegen Wüstenräuber vorging, den Status der Feldarmee (als comitatenses) verlor und zu limitanei herabgestuft wurde, verlor sie – sehr zum Verdruss von Synesios von Kyrene – das Anrecht auf zusätzliche Pferde und Vorräte, mit denen sie möglicherweise effektiver gegen die lästigen Wüstenräuber hätte vorgehen können. Auch von der Kürzung ihres Solds werden die Soldaten kaum begeistert gewesen sein. Dennoch sollte man nicht annehmen, dass die limitanei nichts ausrichten konnten. Früher sahen Historiker sie zumeist als Bauern, die sich nebenbei als Soldaten verdingten und zu kaum mehr in der Lage waren, als ein wenig an der Grenze zu patrouillieren und hier und da eine Zollkontrolle durchzuführen. Aber auch wenn sich ihre Einsatzbereitschaft und der Grad ihrer militärischen Ausbildung wahrscheinlich von Grenze zu Grenze erheblich unterschieden, waren zumindest die limitanei der Ost- und der Donaufront durchaus kampferprobt. Die Kriegsführung im Osten setzte hauptsächlich auf lange Belagerungen, und die Streitkräfte diverser großer römischer Festungen bestanden aus limitanei. Bei vielen Feldzügen waren sie in der Anfangsphase an den meisten Kämpfen beteiligt. Dasselbe galt für die Donaufront, wo es das gesamte 5. Jahrhundert über immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen kam. Und auch bei den ganz großen Feldzügen kamen neben den Feldarmeen manchmal auch Einheiten der limitanei zum Einsatz.4

Ein Großteil dieser Neuorganisation des Heeres lässt sich auf eine Zeit extremer militärischer und politischer Instabilität zurückführen, die man gemeinhin als »Reichskrise des 3. Jahrhunderts« bezeichnet. Der größte destabilisierende Faktor damals war der Aufstieg Persiens zur Supermacht unter einer neuen Dynastie: In den 220er-Jahren lösten die Sassaniden ihre Rivalen, die Arsakiden, ab und fanden neue Mittel und Wege, die gewaltigen Ressourcen des heutigen Iran und Irak unter ihre Kontrolle zu bringen, um die römischen Gebiete im Osten angreifen zu können. Dieser Vorgang wirkte sich extrem negativ auf die allgemeine strategische Stellung des Römischen Reiches aus. In einer großen Felsinschrift, den Res gestae divi Saporis, zählte der persische Großkönig Schapur I. (240/242–270/272) auf, was er alles vollbracht hatte:

Ich bin der Mazda verehrende göttliche Schapur, König der Könige, (…) aus dem Geschlecht der Götter, Sohn des Mazda verehrenden göttlichen Ardaschir, des Königs der Könige (…). Als ich zum Herrscher über die Länder eingesetzt wurde, versammelte der Caesar Gordian eine Armee aus Soldaten aus dem ganzen Römischen Reich (…) und marschierte (…) gegen uns. Ein großer Kampf zwischen beiden Parteien fand an den Grenzen von Assyrien bei Meschike statt. Der Caesar Gordian wurde getötet und die römische Armee vernichtet. Die Römer riefen Philipp zum Caesar aus. Und der Caesar Philipp kam und bat um Frieden, und er zahlte für ihr Leben 500 000 Denare und wurde uns tributpflichtig. Aber wieder log der Caesar, und er tat Armenien Unrecht. Wir marschierten gegen das Römische Reich und vernichteten eine römische Armee von 60 000 Mann in Barbalissos. Zuerst griffen wir das Land Syrien an und die Länder und Ebenen, die oberhalb davon lagen, und wir verwüsteten sie. Und [wir eroberten] auf dem Feldzug (…) 37 Städte mit den umliegenden Gebieten. Bei der dritten Auseinandersetzung (…) überfiel uns der Caesar Valerian. Er hatte eine Streitmacht von 70 000 Mann bei sich (…). Jenseits von Carrhae und Edessa fand eine große Schlacht zwischen uns und dem Caesar Valerian statt, und wir nahmen ihn wie auch alle anderen Befehlshaber der Armee mit eigenen Händen gefangen (…). Auf diesem Feldzug eroberten wir zudem (…) 36 Städte mit den umliegenden Gebieten.5

Das Römische Reich benötigte drei Politikergenerationen, um sich von dieser Abfolge katastrophaler, erniedrigender Niederlagen zu erholen und das Gleichgewicht an der Ostfront wiederherzustellen – und damit auch in seinen Strukturen wieder zu funktionieren.

Die unmittelbare Reaktion war, wie kaum anders zu erwarten, eine komplette Neuausrichtung des gesamten Militärapparats des Imperiums. Dies beinhaltete auch die Einrichtung neuer militärischer Einheiten. Die persischen Elitetruppen des 3. Jahrhunderts waren die sogenannten Kataphrakte: Diese schwer bewaffneten Lanzenreiter waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Armeen von Gordian, Philipp und Valerian so große Verluste erlitten. Als Reaktion darauf erhöhte Rom ganz beträchtlich die Zahl der Kavallerieeinheiten, die den Kommandanten zur Verfügung standen, und es entstand eine ganz neue Art von Kavalleristen: die clibanarii oder »Panzerreiter«, bei denen Pferd und Reiter von oben bis unten gepanzert waren. Clibanarii waren auch Ende des 4. Jahrhunderts noch Teil der Feldheere im Osten des Reiches.6

Vor allem aber wurde die traditionelle Infanterie des römischen Militärs enorm ausgebaut. Da wir nicht genau wissen, wie groß die neuen Heereseinheiten waren, können wir unmöglich berechnen, wie viele neue Soldaten rekrutiert wurden. Doch es gibt eine ganze Reihe konkreter Hinweise auf einen Ausbau der Infanterie, von der Größe der Kasernen bis hin zu vereinzelten konkreten Informationen, auf deren Grundlage niemand, der sich ernsthaft mit der spätrömischen Armee beschäftigt, annehmen kann, dass die Zahl der Soldaten im Römischen Reich im Jahrhundert nach 230 nicht mindestens um 50 Prozent gewachsen ist; vieles spricht dafür, dass sie sich sogar verdoppelte.

Es kann kein beredteres Zeugnis dafür geben, vor welches strategische Problem es Rom stellte, dass auf einmal Persien als rivalisierende Supermacht auf den Plan trat – oder besser: wieder auf den Plan trat (Schapur ließ seine riesige Inschrift ganz in der Nähe der Gräber der legendären achaimenidischen Könige Dareios und Xerxes platzieren). Mit dem größeren Heer konnte Rom die persische Bedrohung bis zur Wende des 4. Jahrhunderts weitgehend eindämmen. Im letzten Jahrzehnt des 3. Jahrhunderts errangen die Römer die ersten bedeutenden Siege über die Perser. In der Folgezeit war zwar mal die eine, mal die andere Seite kurzfristig im Vorteil, aber die Römer konnten dennoch verhindern, dass sich die überwältigenden Siege Schapurs I. im 3. Jahrhundert wiederholten.7

Die Auswirkungen des persischen Machtzuwachses und der konsequenten Expansion des römischen Militärs waren nicht nur auf dem Schlachtfeld zu spüren. Der Wiederaufstieg Persiens zur Supermacht gab den Ostgrenzen des Reichs eine ganz neue Bedeutung, und auf lange Sicht destabilisierten sich die bestehenden politischen Machtverhältnisse innerhalb des gesamten Imperiums. Als die Römer zu der Überzeugung gelangt waren, dass die Perser eine ständige Bedrohung darstellten, ließ es sich nicht mehr vermeiden, dass der Kaiser immer öfter vor Ort war und die Verteidigung der Ostgrenze überwachte, denn er kam nicht umhin, so enorme Ressourcen, wie sie ein Krieg an der Ostfront erforderte, persönlich zu kommandieren. Laut der Notitia dignitatum waren etwa 40 Prozent des gesamten römischen Heeres so positioniert, dass sie im Ernstfall persische Übergriffe abwehren konnten – und die Kontrolle über so viele Soldaten konnte der Kaiser unmöglich einem Untergebenen übertragen; zu groß war die Gefahr, dass dieser die Gelegenheit nutzte, um nach dem Thron zu greifen. Angesichts der enormen Größe des Imperiums, das sich von Schottland bis zum Irak erstreckte, und dem Schneckentempo, mit dem sich das Heer bewegte – im Durchschnitt konnte eine römische Armee 20 Kilometer pro Tag zurücklegen und musste alle drei bis vier Tage einen Ruhetag einlegen8 –, bedeutete dies aber in der Praxis, dass das Imperium für die Grenzen innerhalb Europas eine neue Lösung finden musste. Schließlich waren die Übergriffe der neuen, weitgehend von germanischen Stämmen dominierten Konföderationen an Rhein und Donau ein weiteres charakteristisches Merkmal der späten Kaiserzeit.9

Nach einer langen Phase des Experimentierens im 3. Jahrhundert, während der es immer wieder zu Usurpationen kam, wenn an einer allzu langen Leine geführte Feldherren nach dem Thron griffen, gab es eine Tendenz, die die gesamte römische Spätantike prägen sollte – zumindest solange das Westreich existierte: nämlich die, die politische Macht zwischen zwei oder mehr Kaisern aufzuteilen. Die politischen Auswirkungen der Umstrukturierung des Militärs können auch die relativ komplexe Struktur der Praesentalis-Armeen und der regionalen Feldarmeen erklären. Aufgrund der Tücken der Logistik mussten regionale Kommandanten stets über ausreichende Streitkräfte verfügen, um auf die »üblichen« Bedrohungsszenarien reagieren zu können. Wenn ein großer Feldzug geplant war, dauerte es in der Regel mindestens ein Jahr, bis genügend Nahrungsmittel und Tierfutter beschafft und die erforderlichen Truppen zusammengezogen waren. Wenn es an der Grenze akute Probleme gab, konnte natürlich niemand so lange warten.10 Doch da die Heerführer immer wieder nach der Macht griffen, mussten die Kaiser sicherstellen, dass jeder einzelne von ihnen nicht über so viele Truppen verfügte, dass er ihm gefährlich werden konnte.

Die Organisation der Feldarmeen des 4. bis 6. Jahrhunderts ist so etwas wie ein Kompromiss. Bestimmte elitäre Abteilungen des Heers wurden so verteilt, dass sie in der Lage waren, auf die neuen strategischen Herausforderungen der römischen Spätantike besonders schnell und effektiv zu reagieren, und um negative politische Konsequenzen zu verhindern, wurden die verschiedenen Heeresteile, sogar die Praesentalis-Armeen, sorgsam in kleinere Einheiten aufgeteilt; diese wurden von verschiedenen Kommandanten befehligt, bei denen man davon ausgehen konnte, dass sich ihr politischer Einfluss im Zweifelsfall gegenseitig aufheben würde.

Dieselbe Art Gleichgewicht zeigt sich auch bei einer anderen militärischen Neuerung, von der wir allerdings nicht genau wissen, wann sie eingeführt wurde: Die Rede ist von den magistri militum, den Oberbefehlshabern der Feldarmeen, die zur Zeit Justinians bereits ein charakteristisches Merkmal der oströmischen Armeen waren und im 6. Jahrhundert offenbar beträchtliche Streitkräfte befehligten. Die magistri militum rekrutierten persönlich ihre Offiziere und Soldaten (»Gardisten und Speerkämpfer«, wie Prokop sie nennt), die ihre Feldherren bis in die entlegensten Gegenden des Mittelmeerraums begleiteten. Belisars »Gardisten« dienten ihm im Osten, in Afrika und in Italien, und sogar als er zur Vorbereitung eines Italienfeldzugs auf den Balkan entsandt wurde, kamen seine Offiziere mit. Die übliche Bezeichnung für diese Offiziere ist bucellarii, und die Institution entstand eindeutig aus der spätrömischen Tendenz einflussreicher Militärs und Zivilisten, eine private bewaffnete Entourage zu unterhalten. Doch die bucellarii des römischen Militärs des 6. Jahrhunderts waren keine privaten Söldner. Sie wurden zumindest teilweise aus der Staatskasse bezahlt (reiche Feldherren wie Belisar finanzierten die Rekrutierung und Ausrüstung ihrer Gefolgsleute zum Teil aus eigener Tasche, genau wie etwa die wohlhabenden Kapitäne in Nelsons Marine), und sie schworen sowohl dem Kaiser als auch ihrem eigenen Feldherrn einen Treueeid. Dank staatlicher Finanzierung erhöhte sich nach und nach ihre Zahl – zu einem Zeitpunkt hatte Belisar 7000 bucellarii unter sich, obgleich 500 bis 1500 Mann üblicher gewesen sein dürften.

Man sollte die bucellarii weniger als erweitertes persönliches Gefolge verstehen denn als Elite-Angriffsformationen, deren permanente Bindung an einen erfolgreichen Feldherrn (erfolgreich zumindest in dem Sinne, dass er es bis zum magister militum gebracht hatte) bedeutete, dass sie eine bessere Ausbildung genossen und besser ausgestattet waren als andere Einheiten. Wir wissen zudem, dass die bucellarii im 6. Jahrhundert sowohl aus Bürgern des Imperiums als auch aus »Barbaren« rekrutiert wurden. Auch hier lässt sich beobachten, dass man versuchte, eine Balance zu finden zwischen einer erhöhten militärischen Effektivität und der Notwendigkeit, einzelne Feldherren daran zu hindern, politisch gefährlich zu werden.11

Auch wenn die Größe, die geografische Verteilung und die Kommandostruktur von Justinians Heer auf die militärischen Verwicklungen des 3. Jahrhunderts zurückzuführen sind, so haben die verschiedenen Formen der Heereseinheiten und die vorherrschenden taktischen Doktrinen ihren Ursprung doch in einer ganz anderen Krise: Ab Ende des 4. Jahrhunderts entstand dem Römischen Reich durch den starken Machtzuwachs der Hunnen in Ost- und Mitteleuropa eine beispiellose Bedrohung an den Grenzen an Rhein und Donau. Wie wir gesehen haben, fiel dieser zweiten strategischen Revolution am Ende offenbar das gesamte Weströmische Reich zum Opfer.12 Der Osten hingegen blieb relativ intakt, da es den Hunnen weder direkt noch indirekt gelang, dem Imperium die Kontrolle über jene Gebiete zu entreißen, aus denen es am meisten Einnahmen generierte: Ägypten, Naher Osten, Kleinasien. Nichtsdestoweniger war der Schock, den die Hunnen auch im Ostreich erzeugten, enorm. Insbesondere mit Attila sah sich das Imperium in den 440er-Jahren an der europäischen Front einem Gegner gegenüber, der ohne Weiteres in der Lage war, große befestigte Stützpunkte wie Singidunum und Sirmium effizient zu belagern und römische Feldarmeen im offenen Kampf zu besiegen. Im Jahr 447 schlug Attila zwei kaiserliche Armeen – erst die von Thrakien und dann auch noch die Praesentalis-Streitkräfte – und zerstörte eine ganze Reihe von Festungen auf dem Balkan.13

Insgesamt reagierte das Römische Reich auf die Bedrohung durch die Hunnen in militärischer Hinsicht genauso schwerfällig wie auf den Machtzuwachs Persiens im 3. Jahrhundert. Eine der ersten Maßnahmen bestand darin, selbst Gruppen hunnischer Söldner anzuheuern; an vielen römischen Feldzügen des ausgehenden 4. und des frühen 5. Jahrhunderts nahmen dann tatsächlich Hunnen teil.14 Daneben tat man ganz neue Quellen auf, um Soldaten zu rekrutieren, teilweise auch innerhalb des Reiches. So wurde die oströmische Armee in den 440er-Jahren durch zahlreiche Soldaten verstärkt, die in einer Gegend im Südwesten Kleinasiens ausgehoben wurden, die bis dahin eher als Heimat von Räubern und Banditen bekannt gewesen war: Isaurien im unwirtlichen Kilikien. Die rekrutierten Isaurer gelangten in Konstantinopel zunehmend auf prominente Posten – ein Umstand, der für die kaiserliche Politik von Ende der 460er- bis Mitte der 490er-Jahre wichtige Konsequenzen haben sollte (siehe Kapitel 3).15

Die Rekrutierung von Soldaten wurde auch unter Vertriebenen von der europäischen Peripherie des Imperiums energisch vorangetrieben, die um jeden Preis der hunnischen Fremdherrschaft entkommen wollten. Zum Beispiel siedelten die Römer zahlreiche Goten, die sich in den 420er-Jahren der Kontrolle der Hunnen hatten entziehen können, in Thrakien an. Deren eigene Streitmacht wiederum war bis in die 480er-Jahre hinein ein wichtiger Teil des militärischen Establishments des Ostreichs. Solche Gruppen nannte man foederati – »Verbündete« –, und dass sie im Römischen Reich Land besitzen durften, hatten sie innovativen gesetzlichen Bestimmungen aus der Zeit der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert zu verdanken. Unter anderem verpflichtete sich die betreffende Gruppe, dem kaiserlichen Heer langfristig militärische Einheiten bereitzustellen – und diese Verpflichtung wurde weitervererbt, ein wenig wie bei römischen Veteranen, von deren Söhnen man ebenfalls erwartete, dass sie sich beim Heer verpflichteten. Allerdings durften die foederati ihre bestehenden kommunalen und politischen Strukturen beibehalten und hatten im Militär ihre eigenen Anführer.16

Daneben setzte das oströmische Heer des 6. Jahrhunderts auch weiterhin auf den Einsatz von Söldnerkontingenten von außerhalb der Reichsgrenzen, die nur für bestimmte Feldzüge angeheuert wurden. Prokop nennt eine ganze Reihe solcher Kontingente, von germanischsprachigen Langobarden von der Mittleren Donau bis hin zu den turkischsprachigen Bulgaren vom Nordufer des Schwarzen Meers (die bei ihm Massageten heißen).17 Zusätzlich beschäftigte das Imperium selbst dann noch die auf römischem Gebiet siedelnden und größtenteils autonomen foederati, nachdem die thrakischen Goten 488 nach Italien gegangen waren. Insbesondere die Heruler spielten bei Justinians Feldzügen eine wichtige Rolle.

Die langfristig gesehen wichtigste militärische Reaktion auf die Vormachtstellung der Hunnen war jedoch taktischer Natur. Die Römer hatten die Hunnen als Reitervolk kennengelernt, das eine leistungsstärkere Version des Reflexbogens verwendete, wie er seit Langem eine charakteristische Waffe eurasischer Steppennomaden war. Diese Waffe verlieh den verschiedenen hunnischen Gruppen einen so großen militärischen Vorteil, dass sie in der Lage waren, eine Vielzahl von größtenteils germanischsprachigen Klienten Roms zu unterjochen, die zwar von Rom aus gesehen jenseits der verteidigten Reichsgrenze lebten, aber quasi unterworfen waren (unter anderem wiederum die Goten). Unter Attila entwickelte sich die Bedrohung durch die Hunnen zu einem äußerst komplexen militärischen Problem, da der legendäre hunnische Kriegsherr zusätzlich zu den Streitkräften seines hunnischen Kernreichs zahlreiche Kämpfer aus den unterworfenen Völkern rekrutierte. Und dazu gehörten weitere Steppennomaden wie die Alanen, aber auch Völker, die größtenteils Infanterietruppen stellten, wie die germanischen Goten, Gepiden, Sueben oder Skiren. Entsprechend groß war die Palette der Waffengattungen, die Attila zur Verfügung stand – sein Arsenal reichte von berittenen Bogenschützen über Infanterietrupps bis hin zu gepanzerten, mit Lanzen ausgerüsteten Stoßtrupps.

Wir können nicht mehr in allen Einzelheiten rekonstruieren, mit welchen teils experimentellen Maßnahmen die Römer auf die neuen Muster in der Kriegsführung reagierten, die in der Ära der Hunnen aufkamen, doch welchen Effekt diese Maßnahmen auf das römische Heer des 6. Jahrhunderts hatten, beweisen die Schlachtenberichte bei Prokop sowie diverse Militärhandbücher aus jener Zeit, allen voran das Strategikon des Maurikios. Wie man diesen Texten entnehmen kann, setzte das oströmische Heer im 6. Jahrhundert verstärkt auf die Kavallerie. Die Reitersoldaten wurden nun oft als vorderste Schlachtreihe eingesetzt und nicht mehr, wie es noch im 4. Jahrhundert üblich gewesen war, nur zum Schutz der Flanken. Zudem bestand die Reiterei aus zwei verschiedenen Elementen. Das war zum einen die leichte Kavallerie (kursures in der Terminologie des Strategikon), die mit Reflexbögen nach Art der Hunnen bewaffnet war; anhand archäologischer Überreste lassen sich die Endversteifungen aus Knochen für das römische Militär ab Anfang des 5. Jahrhunderts nachweisen (siehe Abb. 4); die kursures waren die Ersten, die den Feind angriffen, wobei sie zunächst ihre Projektilwaffen benutzten, um dem Feind erste Verluste zuzufügen und bestenfalls seine taktische Formation in Unordnung zu bringen. Falls dieser erste Angriff erfolgreich war, kam die schwerere Schockkavallerie, die defensores, ins Spiel, die wie ein Rammbock in die feindlichen Linien fuhr; diese defensores waren nicht nur mit Bögen, sondern auch mit Kavallerielanzen bewaffnet. Wenn die kursures in Schwierigkeiten gerieten, sicherte die schwere Kavallerie ihnen den Rückzug.18 Prokops Schlachtenberichte deuten darauf hin, dass die neuen Elitekavalleristen im 6. Jahrhundert eher bei den bucellarii der magistri militum zu finden waren, aber auch die reguläre Kavallerie der Feldarmee-Einheiten und sogar einige der foederati wurden intensiv in den neuen Kampfpraktiken ausgebildet.

Ich vermute zudem, dass die bucellarii der Oberbefehlshaber der Feldarmeen innerhalb des Militärs auch das wichtigste Element institutioneller Kontinuität darstellten, das es möglich machte, neue Waffen und die Taktiken, um diese Waffen mit bestmöglichem Effekt zu nutzen, zuerst zu entwickeln und die Erfahrungen dann über mehrere Generationen hinweg weiterzugeben. Dies ist zumindest zum Teil ein argumentum ex silentio. Im Römischen Reich der Spätantike gab es keine Offiziersschulen oder Militärakademien, an denen sich neue Doktrinen hätten entwickeln können, wie es für das heutige Militär der Fall ist. Die bucellarii, die neuen Elitetruppen des 6. Jahrhunderts, erhielten von allen römischen Soldaten den höchsten Sold, und sie bekamen die beste Ausrüstung, die die staatlichen »Fabriken« zu bieten hatten (ganz zu schweigen von den vielen Zusatzleistungen, die sie von ihren oft sehr wohlhavbenden Kommandanten erhielten). Allein wegen dieser Faktoren waren bei den bucellarii die besten Rekruten zu finden. Ihre Offizierskader brachten zudem wiederum viele neue Feldherren für die Feldarmeen hervor. Mindestens zwei Soldaten, die Justinian selbst in den Rang eines magister militum erhob und die Ende der 520er-Jahre das Kommando über wichtige Feldarmee-Formationen innehatten – neben Belisar, der in diesem Buch noch eine bedeutende Rolle spielen wird, auch ein Mann namens Sittas – hatten bei den bucellarii gedient, als der spätere Kaiser Anfang der 520er-Jahre noch den Rang eines magister militum praesentalis bekleidete; im Laufe von Justinians Regentschaft wurden dann wiederum mehrere Personen aus Belisars direktem Umfeld und einige seiner Unteroffiziere, die auf seinem ersten Afrikafeldzug dabei waren, zu magistri militum befördert.19 Die bucellarii waren nicht nur für sich genommen ein Schlüsselelement des neu organisierten oströmischen Heeres des 6. Jahrhunderts, sie besaßen auch militärisches Fachwissen, das sie über mehrere Generationen hinweg an ihre Nachfolger weitergaben.

Abb. 4 Hunnenbogen. Die Hunnen sorgten indirekt für eine veritable Revolution der Taktik und Ausrüstung des oströmischen Militärs – sie ebnete Justinians Eroberungen letztlich den Weg.

Zwar waren das auffallendste Merkmal dieser Umwälzungen beim Militär die neue Rolle und bessere Ausstattung der römischen Kavallerie, aber auch die Operationen der Infanterie blieben nicht unberührt. Die leichten und schweren Kavallerieeinheiten wurden dazu ausgebildet, auf dem Schlachtfeld mit der Infanterie zu interagieren, die größenmäßig nach wie vor das Schwergewicht in den römischen Feldarmeen bildete und deren Taktiken und Ausrüstung ebenfalls entsprechend angepasst worden waren. Die jüngste Interpretation legt nahe, dass die Defensivrüstung der Infanterie allein deshalb leichter gemacht wurde (ein Umstand, den der Kriegstheoretiker Vegetius Ende des 4. Jahrhunderts sehr beklagte), weil die Fußsoldaten in die Lage versetzt werden sollten, auf dem Schlachtfeld schnell und beweglich mit der weiterentwickelten Kavallerie zu kooperieren. Die Ausrüstung der Infanterie wurde zudem um Bögen und andere Projektilwaffen erweitert. So konnten die Fußtruppen vielfältigere Rollen übernehmen: Sie waren in der Lage, andere Truppenteile zu verstärken, konnten taktisch nachfassen, wenn die Kavallerie einen erfolgreichen Angriff gelandet hatte, und boten den Reitern Deckung, wenn sie zum Rückzug gezwungen waren.

Die Erfahrungen aus den Schlachten zur Zeit der Hunnen hatten die römischen Kommandanten gelehrt, dass es keinen Sinn ergab, die Infanterie in mehr oder weniger statischen Formationen marschieren zu lassen: Ein Angriff der hunnischen Bogenschützen konnte die dicht stehenden Infanteriereihen schnell ins Chaos stürzen, bevor sie überhaupt nah genug an den Feind herankam, um überhaupt etwas ausrichten zu können. Die Infanterie musste mobiler werden, um weniger anfällig für Projektilbeschuss und Kavallerieangriffe zu sein, und bis zur Zeit Justinians wurde sie entsprechend umorganisiert. Um sich vor feindlichen Bogenschützen zu schützen, operierte die Infanterie zu diesem Zeitpunkt sogar mit tragbaren Anti-Kavallerie-Barrikaden – munitiones, wie ein Autor des frühen 6. Jahrhunderts sie nennt.20

Zwei strategische Krisen hatten also die Streitkräfte geprägt, die Kaiser Justinian bei seiner Thronbesteigung im Jahr 527 zur Verfügung standen. Die herkömmlichen, schwerfälligen Infanterie-Legionen, die einst ein ganzes Weltreich erobert hatten, gehörten der Vergangenheit an. Zunächst waren sie aufgestockt worden, um der Bedrohung durch die neue persische Supermacht im 3. Jahrhundert zu begegnen, und dann waren sie taktisch ganz neu ausgerichtet worden, um auf die Übergriffe großer Kontingente von Steppennomaden zu reagieren, die Ende des 4. Jahrhunderts und im 5. Jahrhundert Ost- und Mitteleuropa heimgesucht hatten. Die Kriegsführung war in praktischer wie auch in ideologischer Hinsicht von so großer Bedeutung für das allgemeine Funktionieren des Römischen Reiches, dass sich dermaßen tief greifende Veränderungen des Militärapparats ganz unweigerlich ebenso tief greifend auf die inneren Strukturen des Imperiums auswirkten.

Die letzte Blüte Roms

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