Читать книгу Gerechtigkeit für einen Mörder - Peter Lovesey - Страница 10

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Es paßte zu Mountjoy, Diamond auf ein Schlachtfeld zu bestellen. Die Strategie der Begegnung hätte einem Feldmarschall zur Ehre gereicht. Doch wie jeder Offizier weiß, müssen Schlachtpläne jeweiligen Entwicklungen angepaßt werden.

Es war nicht etwa so, daß Diamond den Feind überlisten wollte. Er hatte keine eigene Strategie; er weigerte sich einfach nur, auf das Motorrad zu steigen.

Schließlich gewann er das Geplänkel, denn das Motorrad mußte zum Schweigen gebracht werden. Der Fahrer stellte den Motor ab und hob das Visier. Vier Jahre Albany hatten das Gesicht hager werden lassen, aber die Züge waren so, wie Diamond sie in Erinnerung hatte, eher slawisch als angelsächsisch, tiefliegende dunkelbraune Augen, hohe, breite Wangenknochen, entschlossener Mund und Kinnlade.

Diamond bedachte John Mountjoy mit einem gleichgültigen Nicken, wie er es Fremden schenkte, die im Pub neben ihm an der Theke standen. Er hatte Dutzende von Fragen, die er bei der richtigen Gelegenheit loswerden wollte. Doch jetzt war Mountjoy am Zuge: Er würde ihn gewähren lassen.

»Hier unterhalten wir uns nicht«, rief Mountjoy.

Indem er nichts erwiderte, schien Diamond zuzustimmen.

Mountjoy rief: »Nehmen Sie den Helm und steigen Sie auf das verdammte Motorrad.«

Diamond schüttelte den Kopf.

»Was haben Sie gesagt?« fragte Mountjoy.

»Nichts. Ich habe nichts gesagt. Es wäre einfacher, wenn Sie Ihren Helm abnehmen würden.«

»Was?«

»Ich sagte ... Ach, vergessen Sie’s.« Es war offensichtlich, daß Mountjoy kein Wort verstand.

Jetzt versuchte Mountjoy es mit Überredungskunst. »Es ist keine lange Fahrt.«

»Ich fahre nirgendwohin«, entgegnete Diamond, aber er sprach mit sich selbst.

»Sie wollen wohl Zeit schinden, bis das Sonderkommando hier ist, was?«

Diamond zuckte die Achseln und breitete die Hände aus.

»Eins sag ich Ihnen, Bulle, die Kleine könnt ihr vergessen, wenn ihr mich hochnehmt.«

Es hörte sich merkwürdig an, wie dieser gebildete Mann versuchte, den harten Burschen zu markieren. Die Jahre im Gefängnis hatten Mountjoy zäh gemacht, aber noch vor vier Jahren war er Leiter einer Sprachenschule gewesen, und das konnte er nicht verleugnen. Auch wenn er damals schon bösartig war, seine Gewalttätigkeit äußerte sich nur im privaten Umfeld, und seine Opfer waren ausschließlich Frauen. Er hatte sich nie auf irgendwelche Straßenprügeleien eingelassen.

Diamond gähnte aufreizend und blickte weg, als interessierte er sich nur für ein paar Büschel Wolle, die ein Schaf am Stacheldrahtzaun hinterlassen hatte.

Offenbar kam seine Botschaft an, denn nachdem Mountjoy den Blick forschend über die umliegenden Felder hatte schweifen lassen, klappte er den Ständer seines Motorrades herunter. Dann nahm er den Helm ab und legte ihn auf den Benzintank.

Sein dunkles Haar hatte im Gefängnis ein paar graue Strähnen bekommen. Er strich sich mit der freien Hand durchs Haar. »Dann reden wir eben hier.«

»Wie Sie wollen«, sagte Diamond, als hätte Mountjoy die Entscheidung allein getroffen.

Verständlicherweise hatte Mountjoy das Bedürfnis, seine Position zu behaupten. »Haben Sie gehört, was ich eben gesagt habe? Wenn ihr mich hochnehmt, ist die Kleine geliefert.«

»Es ist nicht mein Job, Sie hochzunehmen.«

»Was soll das heißen?«

Diamond hätte ihm beinahe gesagt, daß er nicht mehr bei der Polizei war. Er bremste sich. Womöglich bekam er nichts aus Mountjoy heraus, wenn er dessen Hoffnungen zunichte machte. »Sie sind nicht mein Problem«, sagte er. »Albany gehört zu Hampshire. Die Jungs von dort wollen Sie schnappen.«

Mountjoy sagte: »Falsch, Superintendent. Ich bin noch immer Ihr Problem. Sie haben mich 1990 wegen eines Mordes ins Gefängnis gebracht, den ich nicht begangen habe.«

»Nicht schon wieder die alte Leier!« sagte Diamond verächtlich, als hätte er nicht damit gerechnet. »Lassen Sie sich was Besseres einfallen, John.«

Mountjoys Wangen zuckte bedrohlich. »Ich sage Ihnen, Diamond. Ich habe Britt Strand nicht getötet. Ich bin kein Heiliger, aber ich habe nie jemanden getötet ... noch nicht.«

»Soll das eine Drohung sein?«

»Ich kriege kein Wiederaufnahmeverfahren. Was soll ich also machen, damit mir Gerechtigkeit widerfährt?«

»Krümmen Sie Samantha Tott auch nur ein Haar, sind Sie erledigt. Ist Ihnen das klar?«

Mountjoy antwortete nicht. Statt dessen sagte er: »Überlegen Sie doch mal. Ich bin aus Albany geflohen. Ich hätte Gott weiß wo untertauchen können, aber ich bin zurück nach Bath gekommen. Warum? Warum sollte ich ein derartiges Risiko auf mich nehmen, wenn ich schuldig bin?«

Das war in der Tat ein Punkt, über den Diamond schon die ganze Zeit nachgrübelte. »Ich weiß es nicht, aber ich gebe Ihnen einen kostenlosen Rat. Wenn Sie wirklich glauben, daß Sie etwas Beweiskräftiges in der Hand haben, täten Sie besser daran, sich an einen von den Fernsehsendern zu wenden, die dauernd vorführen, wie unfähig die Polizei ist. Oder wie bestechlich. Das sind die Leute, die es schaffen, daß Urteile aufgehoben werden.«

»Ich sage nicht, daß Sie bestochen wurden. Wenn ich das glauben würde, würde ich jetzt nicht mit Ihnen reden. Sie haben einen Fehler gemacht, einen tragischen Fehler, und den kann ich Ihnen nicht verzeihen, aber ich glaube, Sie waren trotz Ihres Fehlers ehrlich. Sie sind meine einzige Hoffnung. Ich muß Sie dazu bringen zuzugeben, daß Sie Mist gebaut haben.«

»Indem Sie mir drohen?«

»Habe ich Sie bedroht?«

»Samantha Tott wird bedroht.«

»Ihr passiert nichts, wenn Sie tun, was ich sage.«

»Wie Sie es auch formulieren, John, es ist eine Drohung.«

Mountjoy funkelte ihn an. »Haben Sie eine andere Idee, wie ich Gerechtigkeit bekomme?« Offenbar hatte er den Vorschlag mit dem Fernsehen abgetan oder gar nicht erst wahrgenommen. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wer die Strand ermordet hat. Das war Ihr Job.«

»Es gab keinen anderen Verdächtigen.«

»Ich weiß. Alles sprach gegen mich. Ich hatte ein Motiv. Sie wollte mich fertigmachen.«

»Helfen Sie mir noch mal mit den Einzelheiten«, bat Diamond. Hauptsache, er wurde lockerer und gesprächiger. »Ich hatte seitdem viele andere Fälle. Sie war freie Journalistin, nicht wahr?«

»Höflich ausgedrückt. Meine Güte, das werden Sie doch wohl noch wissen! Um ihre Story zu kriegen, hat sie sich in meinem Sprachinstitut angemeldet und sich als Studentin ausgegeben. Ein mieser Trick. Das hat wohl keiner bestritten.«

Diamond zuckte die Achseln. »Die Masche, die Sie abgezogen haben, war mieser als alles, was sie vorhatte.«

»Masche?«

»Ach, kommen Sie. Den ganzen Sommer hindurch junge Iraker für angebliche Englischkurse einzuschreiben, wo alle Welt wußte, daß Saddam kurz davor war, einen Krieg anzuzetteln.«

Er sagte gleichgültig: »Na und? Einige von denen wollten sich vor dem Militärdienst drücken. Einige waren richtige Studenten.«

»Einige hätten Spione sein können. Sie wissen doch genau, daß neunzig Prozent von denen sich nur bei Ihnen angemeldet haben, um eine Bescheinigung zu kriegen, daß sie Studenten waren. Für Sie waren die alle doch nur zahlende Kunden, ein profitables Geschäft.«

»Sie nennen es eine Masche, aber ich könnte Ihnen jede Menge Schulen nennen, wo das seit Jahren genauso läuft.« Mountjoy änderte seine Taktik. »Die schließen Verträge über Kurse mit fünfzehn Semesterwochenstunden ab, obwohl sie genau wissen, daß sie keinen von denen je wiedersehen. Und es sind nicht nur Studenten aus Ländern im Nahen Osten. An die fünfundsiebzig Länder stellen Visa nach Vorlage solcher Anmeldebescheinigungen aus. Ich will das nicht rechtfertigen. Ich sage bloß, daß ich nicht weiß, wieso Britt Strand es ausgerechnet auf mich abgesehen hatte.«

»Weil Sie in Bath waren, wo sie lebte«, sagte Diamond. »Und wegen des Zeitpunkts. Saddam ist im August in Kuwait einmarschiert. Britt Strand war eine clevere Journalistin. Sie hatte erkannt, daß der Golfkrieg sich anbahnte. Sie hätte die Enthüllungsstory über Ihre Schule als Riesenskandal an die Sensationspresse verkaufen können, eine Privatschule, die potentiellen Spionen als Tarnung dient.«

»Das hätte mich ruiniert. Hat es ja auch«, sagte Mountjoy. »Beim Prozeß ging es nicht nur um den Mord an Britt Strand, da wurde auch der Unsinn über die Spionschule breitgetreten.«

»Weiter«, sagte Diamond. »Erzählen Sie mir nur, Sie hätten keinen fairen Prozeß bekommen. Tatsache bleibt, daß Sie an dem Abend, an dem Britt Strand gestorben ist, bei ihr waren. Sie hat Sie die ganze Zeit genasführt, das schwedische Au-pair-Mädchen gespielt, obwohl sie seit Jahren hier im Land lebte und so gut Englisch sprach, daß sie als Journalistin arbeiten konnte. Sie hat Sie nach Strich und Faden getäuscht. Sie hat Informationen gesammelt. Sie ist an Ihre Akten rangekommen. Sie hatte Fotokopien von Anmeldeformularen und Geschäftsbriefen und Teilnehmer – und Anwesenheitslisten und Gott weiß was sonst noch alles. Sie war im Begriff, Ihren Ruf zu ruinieren. Ich kann mir kein stärkeres Mordmotiv vorstellen.«

»Aber ich habe sie nicht getötet.«

Diamond war zu keinem Zugeständnis bereit. »Wir beide wissen, daß Sie kein unbeschriebenes Blatt sind, was Gewalt gegen Frauen angeht. Ihre Exfreundin, Ihre Frau. Wenn irgendwas davon als Beweismittel zugelassen worden wäre ...«

»Sie haben es gewußt«, fiel ihm Mountjoy ins Wort. »Und deshalb waren Sie voreingenommen.«

»Ja, und ich hatte den Geschworenen noch etwas anderes voraus«, sagte Diamond. »Ich habe die Leiche gesehen. Ich habe gesehen, was Sie – oder, sagen wir, der Mörder – mit ihr angestellt hatten. Das war kein kaltblütiger Mord. Die Tat wurde in rasendem Zorn verübt. Britt Strand war auf das Übelste zugerichtet, John.«

Mountjoy starrte zum Himmel. Ein kleines Flugzeug flog über Bath, für ein Überwachungsflugzeug zu weit entfernt. Er richtete den Blick wieder auf Diamond. »Weigern Sie sich, den Fall noch einmal aufzurollen?«

»Wieso wollen Sie, daß ich das tue?« sagte Diamond. »Ich bin doch wohl der letzte, den Sie fragen sollten.«

Mountjoy blieb hartnäckig. »Nein. Sie haben den Fall bearbeitet. Sie haben die Akten. Aufzeichnungen der Vernehmungen. Listen mit Verdächtigen.«

»Welche Verdächtigen? Sie waren der einzige.«

»Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund«, sagte Mountjoy. »Sie haben nach keinem anderen gesucht.«

Diamond seufzte: »Wie lange haben die Geschworenen gebraucht, um ihr Urteil zu fällen? Zehn Minuten oder fünfzehn?«

Er schien es nicht gehört zu haben. »Wenn jemand den Mörder finden kann, dann Sie.«

»Sie verlangen also nicht nur, daß ich meine Meinung revidiere und Ihre Unschuld beweise – Sie erwarten, daß ich jemand anderem den Mord anhänge?«

»Das ist die einzige Möglichkeit, die Aufhebung des Urteils zu erreichen.«

Diamond mußte unwillkürlich lächeln über diese Dreistigkeit. »Sie sind der größte Optimist, der mir je untergekommen ist. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was ich davon hätte, wenn ich plötzlich nach Beweisen dafür suchen würde, daß ich mich 1990 geirrt habe?«

»Sie sind integer, sonst würde ich Sie nicht benutzen«, sagte Mountjoy.

Diamond registrierte die Wortwahl: »benutzen«, nicht »bitten«. Sie zeugte von einer enormen Arroganz. »Können Sie mir irgendwas liefern, irgendein neues Beweisstück, das mich von meiner Meinung von vor vier Jahren abbringen könnte?«

»Nein.«

Diamond breitete die Hände aus, als wäre die Sache damit erledigt.

»Sie müssen graben«, stieß Mountjoy leidenschaftlich hervor. »Wie hätte ich denn wohl irgendwas Neues herausfinden sollen, während ich in Albany saß? Irgend jemand hat die Frau umgebracht. Irgend jemand, der noch auf freiem Fuß ist und sich ins Fäustchen lacht. Ärgert Sie das nicht?« Als er keine Antwort bekam, fügte er hinzu: »Er muß sie gehaßt haben, es sei denn, er war absolut wahnsinnig. Sie hatte doch bestimmt Liebhaber, die sie abserviert hat, rivalisierende Kollegen, Leute, denen sie Aufträge vor der Nase weggeschnappt hat.«

»Das haben wir alles überprüft«, erwiderte Diamond.

»Ja, aber als Sie mich als Verdächtigen hatten, sind Sie diesen Dingen dann noch mit der gleichen Energie nachgegangen? Einen Teufel haben Sie getan.«

Für kurze Zeit war das einzige Geräusch das Plätschern von Wasser, das über Steine rieselte. Mountjoy hatte seine Behauptung mit nichts Wesentlichem untermauert. Das einzige, das für ihn sprach, war, daß er einen so großen Aufwand betrieben hatte, um dieses merkwürdige Treffen zu arrangieren, wo man von einem Ausbrecher auf der Flucht eigentlich erwartet hätte, daß er sich versteckt hielt.

Doch solange er die junge Frau als Geisel hatte, mußte man auf ihn eingehen. »Angenommen, ich nehme die Ermittlungen wieder auf, wie Sie verlangen, und stelle am Ende erneut fest, daß Sie der Mörder sind?«

»Dann sind Sie ungeeignet für Ihren Job«, sagte Mountjoy, in dessen Augen sich der graue Oktoberhimmel spiegelte.

»Wie lange glauben Sie, auf freiem Fuß bleiben zu können? Egal, was passiert, Sie können nicht erwarten, daß wir die Suche nach Ihnen vorläufig einstellen.«

»Ich kann durchhalten.«

Diamond hakte nach. »Mit der Frau als Geisel? Was Sie da machen – sie gegen ihren Willen festhalten – ist eine Straftat.«

»Erzählen Sie keinen Scheiß. Machen Sie sich an die Arbeit, Diamond. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, erwarte ich Ergebnisse. Mir brennt leicht die Sicherung durch.«

»Ich weiß. Wie soll ich Verbindung zu Ihnen aufnehmen?«

»Gar nicht. Ich melde mich bei Ihnen.« Er klappte den Ständer hoch, drehte das Motorrad um und schob es näher an Diamond heran. »Ich habe länger in Bath gelebt als Sie, mein Freund, ich kenne die Stadt wie meine Westentasche. Niemand wird die nette Kleine finden, bevor Sie nicht Ihren Auftrag erledigt haben.« Er bückte sich und hob den Ersatzhelm auf. »Legen Sie los.«

Er ließ den Motor an, setzte seinen Helm auf und brauste in Richtung Bath davon.

Gerechtigkeit für einen Mörder

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