Читать книгу Dann klappt's auch mit dem Nachbarn - Petra Nouns - Страница 8

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«Dolmetscher- und Übersetzungsdienst O’Conell, De Marco am Apparat.»

«Eulentalklinik, Vorzimmer Professor Eulental, guten Tag. Herr Professor hätte gerne Frau O’Conell gesprochen.»

«Worum geht es, bitte?»

«Privat.»

Renate wählte Anne an: «Herr Professor Eulental für dich ... privat!»

Renate De Marco, Annes Mitarbeiterin, sagte dies nicht schnippisch, sondern mit Bewunderung und unverkennbarem Berliner Dialekt. Renates Lieblingsfarbe war Rosa, sie las trotz ihres Kunstgeschichtsstudiums an der Dresdener Uni vorzugsweise Arztromane und träumte trotz dreiundzwanzig Jahren Sozialismus, einer gescheiterten Ehe mit einem schönen Kubaner und einem Jahr Kapitalismus immer noch vom Märchenprinzen.

Renate war gerade aus Havanna nach Köln gezogen, als sie sich vor einem Jahr auf die Anzeige beworben hatte, die Anne geschaltet hatte. Hätte Renate gewußt, daß die Mauer fallen würde, während sie in Havanna versuchte, die Scherben ihrer Ehe zusammenzufegen, so hätte sie sich den Umweg über Kuba in den Westen sparen können. Vermutlich hätte sie aber nichts davon abhalten können, der Liebe nach Kuba zu folgen.

Nach diesen einschlägigen Erfahrungen hatte sie nun Arbeit und Wohnung in Köln gesucht. Anne brauchte eine Mitarbeiterin für die täglichen Routineaufgaben.

Als Renate, Hochschulabsolventin mit brauchbaren PC-Kenntnissen und fließendem Spanisch – ein wirklich nützliches Nebenprodukt ihrer Ehe – sich bei ihr vorstellte, zögerte Anne zuerst, sie einzustellen. Sie befürchtete, diese einerseits überqualifizierte, andererseits büroungeübte Person würde schnell wieder abspringen, nicht zuletzt, weil sie ihr nur ein mittelmäßiges Gehalt bieten konnte.

Inzwischen waren die beiden zusammengewachsen. Nachdem Renate sich in alles eingearbeitet hatte, machte ihr der Job wirklich Spaß. Anne legte ihr nahe, die Dolmetscher- und Übersetzerprüfung für Spanisch abzulegen, was Renate auch auf Anhieb gelang und dem Büro so zuträglich war, daß Anne ihr Gehalt anheben konnte. Im Laufe der Zeit war eine Art Freundschaft entstanden, deren Natur Anne allerdings erst verstehen mußte. Renate spürte sehr schnell, wenn Anne private Sorgen hatte, auch wenn diese sich alle Mühe gab, persönliche Dinge zu Hause zu lassen.

Ärger mit den Kindern, eine verpatzte Klassenarbeit, Masern, Keuchhusten und ein gebrochener Arm gleichzeitig – es passierte so einiges im ersten Jahr der Zusammenarbeit. Renate wirbelte dann um so emsiger im Büro und ermöglichte Anne manche freie Stunde, die sie zur Lösung ihrer privaten Probleme brauchte.

Auch die Kinder mochten Renate und fanden sie «echt lieb».

Renate bewunderte Anne wegen ihrer Ausstrahlung, ihrer Energie, ihres Geschmacks, ihrer Kinder. Was konnte sie wissen von der alten Angst und der alten Scham und von Wochenenden wie dem vergangenen?

Zur Zeit, als David noch zu Anne gehörte, meinte Renate manchmal, ihre Chefin verkuppeln zu müssen, wenn distinguierte männliche Klienten um die Fünfzig die Dienste des Büros in Anspruch nahmen. Einer dieser eleganten, graumelierten Herren mit scheinbar unerschütterlichem Selbstbewußtsein wäre sicher geeignet gewesen, um Anne von David abzubringen. Er war ihrer nicht würdig, fand Renate. Dieser Schürzenjäger hatte sich sogar an sie herangemacht! Anne wußte nichts von dieser Nacht, und das war auch besser so. Renate verdrängte die Erinnerung daran, daß sie sich für ein paar Stunden eingebildet hatte, sie könne ihn Anne ausspannen.

Bei der Verdrängung hatte ihr zunächst der gelegentliche Flirt mit dem Kurierdienstboten geholfen, der ab und zu eilige Aufträge brachte, aussah wie Eros Ramazzotti und in ihrer Phantasie bestimmt nur stundenweise jobbte, um sein Medizinstudium zu finanzieren. Seit kurzem aber kam er nicht mehr in ihren Träumen vor, ein anderer hatte ihr, ohne sich seiner Schuld bewußt zu sein, das Herz geraubt.

Sie hatte ihn das erste Mal gesehen, als sie aus der Straßenbahn vor Annes Haus ausstieg. Er stieg ein, wich nach rechts aus, um ihr Platz zu machen, sie aber konnte ihren Ausweichreflex nach links nicht mehr stoppen, also stießen sie fast zusammen. Er wich wieder aus, diesmal nach links, das Spiel wiederholte sich, und beide lachten sich in die Augen, als sie endlich aneinander vorbeikamen.

Um Renate war es geschehen. So kurz der Moment auch gewesen war, dieser Blick hatte sie unwiderruflich getroffen. Es war der unglaubliche Blick aus einem blauen und einem braunen Auge.

Sie schwebte zu Annes Haus. Der Trubel, den Kinder und Haustiere dort veranstalteten, ließ keine weiteren Träumereien zu. Am Abend sah sie ihn dann doch noch einmal. Sie war gerade in die Bahn zur Rückfahrt eingestiegen, da sah sie ihn die Tür von Annes Nachbarhaus aufschließen. Er verschwand im beleuchteten Treppenhaus, und ihre Augen konnten noch verfolgen, daß er die Treppe mindestens bis zur dritten Etage hinaufstieg. Dann war das Haus aus ihrem Blickfeld verschwunden.

Mit pochendem Herzen fuhr sie weiter. An der nächsten Haltestelle wechselte sie den Bahnsteig und fuhr dieselbe Strecke zurück, um da wieder auszusteigen, wo ihr Herz wie ein Geigerzähler ausschlug.

Sie ging zu der Haustür, hinter der sie ihn hatte verschwinden sehen, und las die Namenschilder: Zwölf Klingeln – ein Apartmenthaus, der Größe nach zu urteilen. Renate folgerte: sechs Namen für die ersten zwei Etagen, sechs für die dritte und vierte, wo er wohnen mußte. Von den oberen sechs Namen fielen zwei weg, weil sie offenbar asiatisch waren. Blieben vier Namen: J. Kradowitz, Machild, R. Bode und M. Schmittler.

Sie notierte sich die vier Namen und nahm erneut ihren Heimweg auf. Lange noch grübelte sie vor dem Einschlafen, was sie anstellen könnte, um ihn zu treffen und ihn zu beeindrucken.

Fortan suchte sie jede Gelegenheit, Annes Kindern am Computer oder bei den Hausaufgaben zu helfen oder einfach Gesellschaft zu leisten, wenn Anne ihre Beziehung zu David pflegte, die nicht recht verbindlich werden wollte.

Sie wurde nie verbindlich. Nun war sie seit gut zwei Wochen ganz hin und Annes nächster Beziehungsversuch bereits am Telefon.

Renate frohlockte: Professor Eulental von der Eulentalklinik! Privat!

Das war wie Dallas und Schwarzwaldklinik auf einmal! Gut, daß Anne diesen Windhund David abgeschüttelt hat.

Renate stellte zu Anne durch.

«Hallo, Hans-Jochen! Wie geht’s dir?»

«Geht so, du weißt ja, viel Streß.»

«Warum soll’s dir bessergehen als anderen?»

«Meine Schöne, ich hab Sehnsucht nach dir! Können wir uns sehen?»

Er wollte es also noch mal versuchen. Vielleicht sollte sie ihm noch eine Chance geben. Sie erschrak vor ihrem eigenen Gedanken, wollte sich eine dumme Kuh schimpfen, aber da hörte sie sich schon sagen:

«Wie wär’s mit Freitag?»

«Wunderbar! Ich weiß zwar nicht, wie ich es bis dahin aushalten soll, aber ich verstehe schon. In der Woche bist du nie allein. Ich werde also warten und leiden. Freitag also, soll ich einfach bei dir vorbeikommen?»

«Einundzwanzig Uhr.»

«Ich freu mich, bis dann!»

Hätte Anne sich auf diesen Freitag nicht eingelassen, wäre ihr zwar eine Peinlichkeit erspart geblieben, aber sie hätte nie Hans-Jochens ganzes Geheimnis begriffen. Dieses teilten mit seiner Ehefrau vermutlich alle, die es je mit ihm versucht hatten.

Er bestürmte sie gleich an der Haustüre an diesem Freitag, rieb sich im Stehen an ihr und hatte große Mühe, anstandshalber doch ein Stündchen mit ihr zu plaudern, bevor er beim Fingern auf dem Sofa wieder seinen Stoßseufzer tat. Diesmal stand Anne sofort auf. Wieso hatte sie das nicht beim letzten Mal schon bemerkt? Jetzt erinnerte sie sich deutlich. Der Seufzer im Auto vor seinem Haus nach dem mexikanischen Abend! Klar, warum er ihren Blazer nicht aufknöpfen wollte. Und die Seufzer am Telefon! Sie hatte also richtig gehört. Er kam, wenn er seufzte – er seufzte, wenn er kam.

Sie ordnete ihre Haare, setzte sich in den Sessel und goß ihm und sich ein Glas Wein nach. Sie sah ihn an. «Können wir darüber sprechen?»

«Worüber möchtest du sprechen?»

Er bemühte sich um eine ganz feste Stimme.

«Über dein Problem, natürlich.»

«Ich hab kein Problem, aber du scheinst eines zu haben mit meiner Sinnlichkeit.»

Heute waren die Kinder wieder alle außer Haus, nicht aber der Hund. Er hatte die leidenschaftlichen Minuten von seinem Platz neben der Balkontür aus beobachtet, kam jetzt freudig angewedelt und schnüffelte aufdringlich an Hans-Jochen herum. Anne rief ihn nicht zurück. «Deine Sinnlichkeit ergießt sich, bevor ich sie spüren kann», stellte sie auf den Hund blickend fest und wunderte sich über ihren Mut.

«Weißt du», er hatte mit einer Hand seine rahmenlose Brille wieder aufgesetzt, mit der anderen versuchte er sich den Hund vom Leib zu halten, «es gehört schon eine gewisse Sensibilität dazu, phantasievollen Sex statt Hauruck zu machen. Diese Erfahrung wirst du vielleicht auch noch machen, wenn du es nur zuläßt.»

Hans-Jochens Stimme senkte sich und gewann ihre gewohnte Sicherheit zurück: «Du, Anne, ich kenne viele Frauen, die mögen gerade dieses zärtliche Spiel. Nicht jede hat es so eilig mit der Penetration.»

Das schlug dem Faß den Boden aus! Anne wollte sich gerade aufbäumen: Die Frauen will ich sehen! Deine Ehefrau gehört bestimmt nicht dazu! Und kannst du mir vielleicht verraten, wie du deine Kinder gezeugt hast?

Da funkte ihr die alte Scham dazwischen.

Sie sah mißbilligend an sich herunter. Ihre Bluse und ihr Rock spannten prall.

Üppig, schön und verführerisch hatte sie sich bis vor fünf Minuten gefühlt, jetzt kam sie sich vor wie eine männermordende Dampfwalze. Die Empörung verebbte.

Am nächsten Tag wußte sie nicht mehr, wie dieses verkorkste Gespräch zu seinem Ende gekommen war. Irgendwie waren sie wohl verblieben. Jedenfalls hatte er keine Scheu, sie noch einige Male anzurufen. Ihr fielen keine weiteren Verwendungsmöglichkeiten für diesen Noch-Ehemann ein. Daß der nichts taugte als Lebenspartner, war ihr seit dem mexikanischen Abend klar, als Liebhaber war er seit der Premiere durchgefallen, und für die Rolle eines guten Freundes hatte er sich mit dem Gespräch über Sinnlichkeit unwiderruflich disqualifiziert.

Sie verschaffte sich Genugtuung, indem sie weitere Verabredungen nicht zuließ, aber der Herr Professor kam wieder einmal davon, ohne sein Fett abzukriegen.

Dann klappt's auch mit dem Nachbarn

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