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2 Forschungsstand

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Bei der Sichtung der Literatur zum Thema Spannung stellt man fest, dass verhältnismäßig wenig Material zu diesem Phänomen existiert. Im deutschsprachigen Raum findet man zu dem Phänomen ein paar ältere Positionen, die regelmäßig auftauchen. Zunächst ist die Beschreibung von Staiger zu nennen. Über Spannung schreibt er Folgendes:

Spannung wird von der Unselbstständigkeit der Teile ausgelöst. Kein einziger Teil ist sich selber oder dem Leser genug. Er bedarf Ergänzung. Der folgende Teil genügt wieder nicht, er wirft eine neue Frage auf oder fordert ein neues Supplement. Erst am Schluss steht nichts mehr aus und wird die Ungeduld befriedigt.1

Diese Charakterisierung ist widersprüchlich. Wenn jeder Teil unselbstständig ist (was durch die Relationalität des Ausdrucks Teil garantiert ist) und wenn Unselbstständigkeit zu Spannung führt, dann müsste auch der Schluss eines Textes zu Spannung führen, da auch der Schluss den Teil eines Textes darstellt (ebenso wie die vorhergehenden Teilen auch). Da die Spannung Staiger zufolge mit dem Schluss allerdings aufgehoben wird, kommt es zum Widerspruch, die Beschreibung ist zurückzuweisen.

Während Staiger versucht, Spannung auf der Grundlage der Unselbstständigkeit der Teile zu bestimmen, stehen bei Fógany und Fógany sowie Pfister die Unvollständigkeit literarischer Texte im Zentrum der Spannungskonzeption.

Bei Fógany und Fógany wird die Konstruktion von Spannung im Roman oder Drama beschrieben als das Aufwerfen von Fragen.

Es ist anzunehmen, dass die Spannung mit der Zahl der aufgeworfenen Probleme, d.h. der zu lösenden Fragen in Verbindung steht. Offensichtlich kann diese Verbindung nur positiv sein: Die Spannung wird größer, wenn die Zahl der Fragen wächst und verringert sich mit der Lösung der aufgeworfenen Fragen.2

Neben der Möglichkeit, Spannung als Fragen an den Text zu paraphrasieren, findet man mit der Position von Pfister einen ähnlichen Versuch, Spannung zu beschreiben. Er entwickelt seinen Begriff in erster Linie für das Drama. Sie entsteht Pfister zufolge durch eine partielle Informiertheit des Rezipienten. Dem Leser fehlt Wissen, der Rezeptionsprozess wird geleitet durch seinen Wunsch, dieses Defizit aufzuheben.3

Die Positionen von Fógany und Fógany sowie Pfister sind zu allgemein. Ihnen mangelt es einerseits an Präzision, da sie sich auf einer relativ unspezifischen Ebene mit dem Phänomen Spannung auseinandersetzen. Darüber hinaus erweisen sie sich aus einer modernen linguistischen Perspektive als so allgemein, dass sie an Trivialität grenzen. Denn bei der Rezeption eines jeden Textes gibt es mögliche Fragen, was dazu führt, dass der Rezipient bei jedem Text partiell informiert ist. Das liegt an der frame-theoretischen Annahme, dass beim Textverstehen Wissensrahmen und dazu gehörende Leerstellen geöffnet werden und dass Leerstellen als Fragen paraphrasiert werden können.4 (Mehr zu diesen Ansätzen findet sich in Abschnitt 3.1.) Wenn also jeder Text Fragen aufwirft und den Rezipienten nur partiell informiert, so müsste auch jeder Text Spannung erzeugen. Da dies nicht der Fall ist, erlauben es weder die Fragen, die ein Text aufwirft, noch die partielle Informiertheit Spannung zu konstituieren. Es bedarf präziserer Beschreibungsversuche.

Im deutschsprachigen Raum finden sich darüber hinaus nur vereinzelte Beiträge. Die große Mehrheit der wenigen überhaupt vorhandenen Beiträge zum Thema Spannung stammt aus dem englischsprachigen Raum.

Die Beiträge verteilen sich auf verschiedene Disziplinen und Teildisziplinen. So wird das Thema unter anderem in der rezeptionsorientierten Literaturwissenschaft, in der Filmwissenschaft, in der Psychologie und in der Philosophie behandelt. In keiner dieser Disziplinen kann man im Bereich der Spannung von einer etablierten Forschungsrichtung sprechen.

In den jeweiligen Disziplinen wird das Thema Spannung relativ autonom behandelt, Ergebnisse einzelner Forscher fließen in der Regel nicht in die Arbeiten anderer Wissenschaftler ein, wie bereits Junkerjürgen festgestellt hat.5

Das ist auch der Grund dafür, dass nicht alle Autoren die Haupttypen Suspense, Curiosity und Puzzles gleichermaßen in ihre Analysen miteinbeziehen, sondern dass sie sich auf einen einzelnen Typen in einem speziellen Medium konzentrieren. Überwiegend steht der filmische Suspense im Zentrum der Untersuchungen.

Insgesamt weist die Forschung daher in vielerlei Hinsicht eine hohe Heterogenität auf. Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen, dass der Rezipient beim Lesen eine aktive Rolle spielt. Die aktive Rolle des Rezipienten wird allerdings lediglich als solche benannt. Sein kognitiver Beitrag beim Aufbau der Spannung wird bis auf wenige Ausnahmen nicht thematisiert. Damit wird ein Thema vernachlässigt, dass in dieser Arbeit im Mittelpunkt steht.

Im Folgenden werden einige Beiträge vorgestellt. Zunächst werden textexterne Spannungstheorien kompakt skizziert. Im Anschluss werden die zentralen Ansätze zur Spannung vorgestellt, die präzisere Versuche darstellen, das Phänomen greifbar zu machen.

Spannung und Textverstehen

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