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2.2.5 Wulff

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Eine konstruktivistische Zeichen- und Textdefinition.

Die Funktion von Text ist, den Textverarbeitungsprozess zu strukturieren und kontrollieren, und nicht so sehr, ein Thema oder eine Geschichte als ein wohlgeformtes, ganzheitliches Gebilde zu exponieren.52

Der deutsche Filmwissenschaftler Hans J. Wulff legt für die Analyse von Suspense die konstruktivistische Kernannahme zugrunde, das dem Rezipient eine aktive Rolle bei der Bedeutungskonstitution von narrativ-audiovisuellen Texten zukommt. Denken und Wahrnehmung vollziehen sich bei der Rezeption von audiovisuellen Texten demnach aktiv und mit dem Ziel, eine kohärente (Text-)Welt zu konstruieren (auch konstruktivistisches Rezeptionsmodell). Der audiovisuelle Text stellt Szenen, Situationen und Sequenzen bereit, die der Rezipient kognitionsgestützt verarbeitet. Diese nutzen den Kohärenz- und Ganzheitswunsch des Rezipienten gezielt aus.53

Um Suspense zu erzeugen, muss der Text dem Zuschauer Informationen bieten, aus denen dieser zukünftige Entwicklungen und die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens erschließen kann. Bei der Analyse von Suspense darf weder die textuelle noch die kognitive Seite vernachlässigt werden. Der Text gilt dieser Auffassung nach als ein instruktionales Gebilde.54

Die Spannungskonstruktion wird darum gefaßt als eine Sequenz von Textinformationen, die eine dazugehörige Sequenz von Verarbeitungsoperationen des Zuschauers erforderlich macht und diese steuert; diese beiden Komponenten bilden zusammen einen Untersuchungsgegenstand.55

Als typischen Fall beschreibt er, wie der Protagonist im Gebirge an einer Steilwand in einem Seil hängt und wie sein Seil über eine scharfe Bergkante reibt. Auf der Basis dieser Informationen bildet der Zuschauer die Hypothese, dass das Seil reißen könnte und dass die Figur in die Tiefe stürzt und stirbt.56

Die jeweiligen Erwartungen ergeben sich aus einzelnen Text-Informationen und verschiedenen Bereichen des Wissen:

Nun spielen schematisierte Wissensbestände […] eine zentrale Rolle, seien es nun stofflich orientierte Einheiten des Wissens (wie Gegenstands-Frames oder situationale Skripten) oder aber syntaktsiche Bauformen des Textes (wie z.B. Alternationsmontage) oder semantosyntaktische Prinzipien der Textbildung (wie sie in den verschiedenen Geschichtengrammatiken zu beschreiben versucht werden).57

Auf dieser Grundlage generiert der Rezipient Wulff zufolge Hypothesen, die sich auf der Mikro- und Makroebene ansiedeln und die auf beiden Ebenen Spannung erzeugen.58 Suspense entsteht nach Wulff durch possible and probable developments in the plot, which often cannot even be proven on the surface of the film.59

Neu einlaufende Informationen sollten nicht nur als Tatsache verarbeitet werden sondern auch als starting point von zukünftigen Entwicklungen hinsichtlich einer Geschichte, sozialen Situationen oder einer Folge von Ereignissen gesehen werden.60

Wulff betont – ähnlich wie Zillmann –, dass die antizipierten Entwicklungen keine beliebigen sein dürfen, der Zuschauer muss einen negativen Ausgang antizipieren. Deshalb sollten die textuellen Erzeugnisse die Aufmerksamkeit der Rezipienten in Richtung Probleme, Gefahren und Hindernisse manipulieren, die auf diese Weise mögliche Entwicklungen andeuten und diesen gleichzeitig Wahrscheinlichkeitsgrade suggestiv zuordnen. Der Text suggeriert lediglich ein Ensemble alternativer Möglichkeiten bzw. ein Feld möglicher Entwicklungen.61 Die negativen Aspekte müssen sich nicht konkretisieren.62

Textuelle Elemente, die dazu dienen, mögliche zukünftige Entwicklungen anzudeuten, bezeichnet Wulff Kataphora. Wulff unterscheidet darüber hinaus zwischen Textsegmenten, die das Problem präzisieren, und Textsegmenten, die den Problemraum in eine andere Richtung lenken. Letztendlich kann der Rezipient eine Reihe möglicher Entwicklungen mental konstruieren, die durch neu einlaufende Textsegmente erweitert werden können. Die Textwelt wird dabei nicht vollständig realisiert, die Textebene umfasst nur relevante Aspekte. Es gibt auf der Textebene eine Selektion.63

Auch der Rezeptionsprozess vollzieht sich selektiv. Nur problembezogenem wird Aufmerksamkeit geschenkt. Wulff spricht in diesem Zusammenhang auch von einer metarezeptiven Hypothese der Rezipienten.64

Spannung und Textverstehen

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