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3.1 Wissensrahmen

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Kognitionsbezogene Theorien zum Wissen wurden in verschiedenen, zum Teil relativ autonomen Wissenschaftsdisziplinen entwickelt und in Abhängigkeit von der jeweiligen Forschungsunternehmung und den damit verbundenen Erkenntnisinteressen unterschiedlich akzentuiert – letztendlich mit konvergierender Evidenz, was sich niederschlägt in einer zunehmenden wechselseitigen Rezeption und in einer verstärkten gegenseitigen Beeinflussung. Marvin Lee Minsky – Frame-Pionier, Mathematiker und Informatiker – stellt eine allgemeine Theorie auf und verweist auf eine Vielzahl unterschiedlicher Phänomene, die sein Ansatz explanatorisch bewältigen kann und die hauptsächlich auf der Ebene der visuellen und sprachlichen Verarbeitung liegen. Der Linguist Fillmore bezieht sich überwiegend auf die Wort- und Satzebene, erkennt allerdings ein globales Anwendungspotential. Forscher wie der US-Psychologe Rumelhart richten ihre wissenschaftlichen Aktivitäten auf umfangreichere Texte wie zum Beispiel Geschichten. So erwachsen aus einer kognitionszentrierten Perspektive Erklärungsmöglichkeiten für eine Vielzahl unterschiedlicher Phänomene. Sie erweist sich als global anwendbar und besticht durch ihre unifizierende Kraft.

Trotz terminologischer und theoretischer Unterschiede zwischen den Ansätzen weisen die Theorien starke strukturelle und funktionale Parallelen auf, worauf bereits Rumelhart in seinem Artikel „Schemata: The Building Blocks of Cognition“ hinweist.2 Das ist wahrscheinlich auch ein Grund dafür, warum Fillmore Begriffe wie Schema, Frame etc. in einem seiner zentralen und mehrfach veröffentlichten Aufsätze „Frame Semantics“ gleichsetzt.3

Terminologische Inhomogenitäten. In der Literatur zur Untersuchung von Wissen finden sich eine Reihe konkurrierender Begriffe, die erhebliche Schnittmengen aufweisen und deshalb kaum auseinanderzuhalten sind. Die Begriffe variieren nicht nur von Autor zu Autor, sondern zum Teil auch innerhalb des Œuvres eines Autors. So bezeichnen Sanford und Garrod das Wissen als scenarios ,4 Minsky spricht von frames.5 Bei Fillmore werden verschiedene Theorieversionen begleitet von verschiedenen terminologischen Präferenzen. In seinen theoretischen Vorarbeiten spricht Fillmore (1971) von Kasusrahmen,6 Fillmore (1975) von scene,7 Fillmore (1977a) von scenes,8 Fillmore (1977b) von schemata, 9 Fillmore (2006) wieder von frames.10 So soll ohne die folgenden Begriffe bereits andeutungsweise beschrieben zu haben, zunächst darauf hingewiesen werden, dass konkurrierende technische Ausdrücke alle Ebenen der Beschreibung durchdringen. Der Dichotomie von Slot und Filler stehen Alternativen gegenüber wie attributes und values bei Barsalou, terminals und instances bzw. assignments bei Minsky, Rumelhart spricht von variables und values.11

Als Kriterien für terminologische Entscheidungen dienen in dieser Arbeit die semantische Durchsichtigkeit und die Etabliertheit eines Begriffs. Die transparenteste und eingängigste Alternative zu Frame, Schema etc. bietet der Ausdruck Wissensrahmen, den Busse gebraucht. Er vermeidet die Ebenenmischung der grammatischen Oberflächenstruktur mit der Tiefendimension und beugt so terminologisch bedingten Missverständnissen vor, die möglicherweise mit Begriffen wie Kasusrahmen einhergehen.12 Slot und Filler werden in dieser Arbeit als Leerstellen und Füllwerte aufgenommen, wie es sich in der deutschsprachigen Diskussion etabliert hat (zum Beispiel bei Ziem (2008)). Hinsichtlich der übrigen Begriffe werden terminologische Entscheidungen an der jeweiligen Stelle getroffen, die den oben genannten Kriterien entsprechen.

Wissensrahmen. Denkt man an einen Kindergeburtstag, so gelangt man zu einer Ansammlung epistemischer Elemente. Es gibt eine bestimmte Kleiderordnung, jeder Gast bringt ein Geschenk mit, es gibt ein Unterhaltungsprogramm mit einer Reihe von Aktivitäten, die zum Beispiel Topfschlagen mit einschließen. Ein Kindergeburtstag findet tagsüber statt und umfasst einen längeren zeitlichen Abschnitt. Deshalb kommen eher ein Samstag oder ein Sonntag für diese Art von Veranstaltung in Frage als ein Wochentag, dessen Struktur und Organisation durch den Schulalltag maßgeblich geprägt ist.13 Bei diesem abgerufenen Komplex handelt es sich um einen Wissensrahmen, der in prototypischer Weise Wissenselemente im Gedächtnis organisiert und der das Potential besitzt, eine Vielzahl möglicher Entitäten mental repräsentieren zu können.14

Rahmen, Leerstellen und Prototypikalität: Wissensrahmen verfügen über Leerstellen.15 Diese sind standardmäßig mit ihnen verbunden und lassen sich durch Fragen paraphrasieren, die situationsabhängig mit Füllwerten besetzt werden können.16 Wissensrahmen vergleicht Minsky mit einem Skelett und mit einem Bewerbungsbogen. Beide geben eine grobe Struktur vor und müssen mit konkretem Material gefüllt werden. Ein Wissensrahmen ist a sort of skeleton, somewhat like an application form with many blanks or slots to be filled.17 Je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine bestimmte Leerstelle gemeinsam auftritt mit einem Wissensrahmen, desto höher ist der Grad der Prototypikalität einer Leerstelle. Barsalou spricht auch von Attributsystematizität und verdeutlicht es an dem Konzept VOGEL. Der Rezipient würde demnach Leerstellen für die Größe, die Farbe und den Schnabel konstruieren.18 Ähnlich sollte es sich mit dem Rahmen zu WEIN verhalten, prototypische Leerstellen könnten den Jahrgang, die Herkunft, die geschmackliche Richtung etc. betreffen. Mögliche Füllwerte wären zum Beispiel 1982, BORDEAUX, TROCKEN.

Rahmenlose Informationen und informationslose Rahmen: Rahmenlose Informationen streben danach, in einen Rahmen eingebettet zu werden. So werden sie zu anderen Wissenselementen in Bezug gesetzt und stellen keine atomaren Einheiten dar. Informationslose Rahmen (d.h. Rahmen mit Leerstellen) streben nach Sättigung.19 In seiner einfachsten Form wird der Drang zur Auffüllung leerer Endpunkte als eine Art Unwohlgefühl oder Hunger erscheinen.20 Leerstellen können auf zweierlei Weise durch Füllwerte gesättigt werden. Einerseits kann dies in einem Top-Down-Prozess geschehen durch typischerweise zum Wissensrahmen gehörende Elemente. Man spricht auch von Standardwerten (englisch default values, default assignments).21

’Default assumptions fill our frames to represent what’s typical‘. As soon as you hear a word like ’person‘, ’frog‘, or ’chair,‘ you assume the details of some ’typical‘ sort of person, frog, or chair. You do this not only with language, but with vision, too.22

Zum Bereich der wissensbasierten Instantiierungen gehören auch Default-Annahmen mit antizipatorischem Charakter. (In Kapitel 4 werden diejenigen Inferenzen, Elaborationen und Erwartungen vorgestellt, die bei der Textrezeption systematisch auftreten.) Diese aus epistemischen Agglomerationen generierten Erwartungen richten sich zeitlich auf zwei Dimensionen. Einerseits auf zukünftige Ereignisse bzw. zukünftig wahrnehmbare Daten. Sieht oder liest jemand zum Beispiel, dass sich eine Person eine Fahrkarte kauft, so generiert er die Hypothese, dass die Person mit einem Zug fahren wird.23 Auf der anderen Seite richten sich Erwartungen auf Daten, die zwar zum Zeitpunkt der Hypothesenherstellung gegeben sind, die allerdings in diesem Augenblick nicht wahrgenommen werden bzw. nicht wahrnehmbar sind. Sieht eine Person zum Beispiel eine Lampe, so elaboriert sie die Tatsache, dass diese Lichtquelle über einen Knopf verfügt, der dem An- und Ausschalten dient.24 In Anlehnung an diese Beschreibung lassen sich auch Erwartungsbrüche formulieren, die auftreten, sobald die Daten mit den wissensinduzierten Hypothesen nicht übereinstimmen.25

Die aus dem prototypischen Wissen generierten Standardwerte können also einen hypothetischen Status besitzen.26 Ein Standardwert wird aufrechterhalten, wenn dieser mit dem perzeptuellen Input übereinstimmt oder wenn kein sensorisches Datum dem Standardwert widerspricht. Sollten sich nicht kompatible Füllwerte ergeben aus dem sensorischen oder aus dem textuellen Input (die zweite Möglichkeit der Sättigung), so sind diese auf Bottom-Up-Prozessen basierenden Füllwerte privilegiert gegenüber wissensgestützten und verdrängen die prototypische Instantiierung.27

Indem kognitionsbasierte Theorien verschiedener Disziplinen die Prototypikalität in ihren Ansätzen integrieren, übernehmen sie zentrale Gedanken der Prototypentheorie, wie sie von Rosch beschrieben werden. So hebt Barsalou explizit hervor, dass es sich bei einem Wissensrahmen und den damit verbundenen Elementen nicht um eine Konjunktion unverzichtbarer Bestandteile handelt. Vielmehr handelt es sich um Elemente, die nicht alle gleichermaßen realisiert sein müssen. Das führt dazu, dass wissensbasierte Instantiierungen durch perzeptuelle Stimuli korrigiert werden können. (Siehe dazu Absatz 4.) Durch die Adaption des Prototypenbegriffs wird zugleich die Annahme der kulturabhängigen bzw. relativen Intersubjektivität als tragende Säule in den Theoriekomplex installiert, die Barsalou daran erläutert, dass eher Menschen aus Ländern Katalysatoren (smog device) in ihrem Wissen über Fahrzeuge aufnehmen sollten, in denen diese üblich sind.28 Diese stillschweigend vorausgesetzte Annahme der Intersubjektivität schimmert auch in Minsky’s Frame-Theorie als einem Common-Sense-Ansatz durch, er beschreibt seinen Ansatz auch als eine Theorie des everyday bzw. ordinary thinking.29 Darüber hinaus erlaubt es der Prototypikalitätsgedanke, das Verhältnis zwischen Rahmen und den Elementen auf einer Prototypikalitätsskala abzubilden. Bei einer Zugfahrt würde der Kauf eines Tickets oder das Einsteigen in das Fahrzeug zu den zentralen Elementen zählen. Als optionales und eher periphereres Rahmenelement käme zum Beispiel der Erwerb einer Zeitung am Bahnhofskiosk in Frage.30 Die zentralen Elemente eines Rahmens nennt Barsalou strukturelle Invarianten.31

Rahmenwahl, Rahmenverwerfung und der sensorische Input. Ebenso wie wissensbasierte Instantiierungen von Leerstellen durch sensorischen Input korrigiert werden können, muss sich die Wahl eines Rahmens an der Realität messen lassen. Das Auftreten einer Anomalie kann sich als ein Indiz dafür entpuppen, dass der gesamte Rahmen unpassend gewählt ist bzw. dass der Wissensrahmen sich für die Integration der sensorischen oder textuellen Daten als inadäquat erweist. Das kann zum Beispiel zu einer von Minsky beschriebenen Spezialfallanpassung führen. Die Daten werden dabei von einem spezielleren Rahmen akkommodiert, der eine geringfügig abweichende Konfiguration der Informationen erlaubt. Eine solche Spezialfallanpassung veranschaulicht Minsky am STUHL-Rahmen. Dieser kann in einen SPIELZEUGSTUHL-Rahmen überführt werden, wenn eine Anomalie auftritt wie zum Beispiel eine Abweichung von der prototypischen Größe. Sollte sich ein Stuhl als wesentlich kleiner erweisen, so kann der STUHL-Rahmen mit einem SPIELZEUG-Rahmen korreliert werden, was zur Konstruktion eines SPIELZEUGSTUHL-Rahmens führt. Sollte keine Möglichkeit der Anpassung gefunden werden, so kann der vollständige Rahmen verworfen werden oder es können neue Rahmen konstruiert werden, bei denen Bestandteile bereits vorhandener Rahmen rekrutiert und in einem amalgamierten Wissenskomplex zusammengeführt werden. Bei inadäquater Rahmenwahl bieten sich dem kognitiven System also verschiedene Möglichkeiten zu reagieren, die die Kompatibilität zwischen Rahmen und sensorischen Daten anstreben.32

Füllwertkompabilität, Selektion, Füllwertrestriktionen bzw. kontext-sensitive oder bedingte Prototypikalität (auch variable constraints).33 Elemente eines Wissensrahmens müssen miteinander kompatibel sein. Um dies zu gewährleisten, gibt es bestimmte Selektionsbestimmungen für Füllwerte, die dazu führen, dass sich epistemische Einheiten rahmenintern beeinflussen.34 In einem SCHREIBEN-Wissensrahmen würden prototypischerweise PAPIER als Material und STIFT als Instrument ergänzt werden. Würde sich allerdings eines der beiden Elemente aufgrund des sensorischen oder textuellen Inputs ändern, so würde es zu einer alternativen Sättigung der jeweils anderen Leerstelle führen. Setzt man zum Beispiel TAFEL als Material ein, so würde KREIDE als Instrument instantiiert werden und umgekehrt, der Füllwert einer Leerstelle beeinflusst also den Füllwert einer anderen.35 Barsalou beschreibt diese rahmeninterne Beeinflussung am Beispiel von Transportmitteln. Mit steigender Geschwindigkeit erhöht sich der Preis. Zwischen Geschwindigkeit und Kosten besteht also eine rahmeninterne Beeinflussung.36

Statische und dynamische Rahmen. In der Literatur wird zwischen statischen und dynamischen Rahmen unterschieden. Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass keine zeitliche Dimension involviert ist, während dynamische Rahmen ohne diesen zeitlichen Aspekt auskommen.37 Ein Beispiel für einen statischen Rahmen ist ZIMMER mit seinen prototypischen Elementen WAND, FENSTER, DECKE, BODEN, MÖBEL. Bei statischen Rahmen spielt die zeitliche Dimension keine Rolle. Daneben gibt es dynamisch strukturierte Wissensrahmen. Sie repräsentieren Handlungs- und Ereignisfolgen und werden Scripts genannt. Das klassische Beispiel ist das RESTAURANT-Skript, das sich aus der Perspektive des Gastes in verschiedene zeitlich und kausal aufeinander folgende Handlungen gliedert wie EINTRETEN, TISCH WÄHLEN, PLATZ NEHMEN, KARTE LESEN etc., die zum Teil in weitere Teilhandlungen zerlegt werden können. Dabei sind häufig auch Objekte, d.h. statische Elemente involviert wie TISCH, KARTE, SERVIETTEN. Prototypische Abläufe können in der Regel aus verschiedenen Perspektiven beschrieben werden. Neben dem Gast können zum Beispiel der Koch, der Kellner oder der Besitzer ins Zentrum der Handlungsfolge rücken. Dadurch können sich alternative Handlungsabläufe ergeben, die mit diesen zum Rahmen gehörenden Rollen verbunden sind.38 Zusätzlich gibt es verschiedene Spezialfälle wie den Besuch in einer Cafeteria oder in einem Imbiss, die eine Variation sowohl des zugrunde liegenden Ablaufs als auch der involvierten statischen Elemente darstellen.39

Universelle Anwendbarkeit. Dass sich Wissensrahmen zur Beschreibung statischer und dynamischer Entitäten anbieten, hebt ihr universelles Beschreibungspotential hervor. Deutlich wird dies auch durch die Aufzählungen verschiedener Autoren. Rumelhart nennt Objekte, Situationen, Ereignisfolgen, Aktionen und Aktionsfolgen.40 Van Dijk nennt daneben Personen, Rollen, Handlungen, Konventionen, Normen.41 Minsky beschreibt zusätzlich sprachbezogene Rahmen, die unter anderem grammatische Aspekte und den Aufbau von Geschichten einschließen.42

I use the word scene in a maximally general sense, including not only visual scenes but also familiar kinds of interpersonal transactions, standard scenarios defined by the culture, institutional structures, enactive experiences, body image, and, in general, any, kind of coherent segment of human beliefs, actions, experiences or imagings.43

Abstraktionsgrade von Schemata. Rumelhart und Ortony unterscheiden zwischen spezialisierten und generellen Schemata. Erstere unterstützen das effiziente Zuordnen von Variablen in kurzer Zeit. Generalisierte Wissensrahmen eignen sich dazu, eine große Anzahl verschiedener Datenpotentiale zu subsummieren und zu verarbeiten. Demnach könnte das Wissen ein allgemeines Konzept für WERFEN beinhalten, dass eine Spezialisierung erfährt, sobald man es auf ein Dartspiel anwendet. Dort wird WERFEN hinsichtlich der Wurftechnik spezifiziert,44 die anders ausfällt als zum Beispiel beim Diskus- oder Waschmaschinenwerfen. Der Abstraktionsgrad ergibt sich relativ zu anderen Konzepten, sodass ein Konzept im einen Fall als abstrakter gilt und im anderen Fall als spezieller. WERFEN zum Beispiel wäre ein Spezialschema von BEWEGUNG.

Weitere Beispiele für abstrakte Konzepte sind die thematischen Rollen, die unter anderem fest etablierte umfassen wie Agentiv, Instrumental, Lokativ etc.45 Sie werden nicht als idiosyncratic verstanden, es handelt sich um Rollen, die in einer großen Anzahl von Situationen zum Tragen kommen.46 In der Regel werden sie in verbzentrierten Ansätzen untersucht im Zusammenhang mit syntaktischen Strukturen. Der Kognitionslinguist Evans beschreibt diese Rollen als Leerstellen auf Satzebene.47 Neben intrasententialen Ansätzen greifen auch Studien zu transphrastischen Zusammenhängen auf diese Leerstellen zurück und zeigen, wie sie Satzgrenzen überschreitend gefüllt werden können (siehe zum Beispiel die indirekten Anaphern von Schwarz in Absatz 4.2.2). Von semantischen Rollen grenzt Evans participiant roles ab, die spezifischer sind und die auch mit Verben verbunden sind. Im RESTAURANT-Wissensrahmen wären dies zum Beispiel die Konzepte KELLNER, GAST, ESSEN etc. Thematische Rollen besitzen einen allgemeineren Status als diese Wissenselemente.48

Zum allgemeinsten und abstraktesten Wissen gehören auch Metaannahmen über kausale Zusammenhänge auf Ereignis- und Handlungsebene. Darunter könnten Wissensbestände fallen, die besagen, dass Handlungen Ziele verfolgen, dass alles eine Ursache hat, dass die Welt konstant bleibt und weitere logische, zeitliche etc. Zusammenhänge. (Welche Rolle dieses Wissen bei der Textrezeption spielt, wird in Absatz 4.2.2 bis 4.2.4, in Unterabschnitt 4.3.2, in Kapitel 5 und in Teil III deutlich.)

Quellen des Wissens und Expertise. Schemata ergeben sich aus Erfahrung. Aus einer Vielzahl an Situationen leiten sich abstraktere Einheiten ab, die auf als rekurrent erkannten Elementen und Mustern basieren.49 Ziem unterscheidet dabei zwischen der Verfestigung von Leerstellen und der Verfestigung von Füllwerten (neben Füllwerten spricht er auch von Prädikaten). Ersteres tritt dann ein, wenn eine Leerstelle häufig mit unterschiedlichen Füllwerten gesättigt wird. Ein Füllwert verfestigt sich, wenn er häufig die gleiche Leerstelle füllt. Auf diese Weise bilden sich Standardwerte heraus.50 Bei der Akquirierung von Wissen können neben der direkten sensorischen Wahrnehmung auch diskursive Übermittlungsformen eine Rolle spielen.51 Das gilt für nicht direkt erfahrenes physikalisches oder biologisches Wissen, wie zum Beispiel die evolutionäre Entwicklungen innerhalb der Jahrtausende umfassenden Menschheitsgeschichte etc.

Es lassen sich unterschiedliche Grade an Expertise bestimmen, wenn Schemata verschiedener Personen verglichen werden. Wissensstrukturen verschiedener Menschen variieren hinsichtlich des Grades ihrer Differenziertheit, ihrer Komplexität, hinsichtlich der Menge der mit einem Rahmen verbundenen Wissenselemente, dem Grad ihrer Vernetzung und ihrer Strukturierung.52

Das mentale Modell als Resultat der Einordnung sensorischen Inputs. Sobald ein mit dem sensorischen Input kompatibler Rahmen vorhanden ist, verschmilzt der bis dahin ungefüllte Rahmen mit den Daten zu einem mentalen Modell. Dabei werden Leerstellen gesättigt mit Daten, die sich einerseits ergeben aus dem Input der Wissensrahmen und andererseits aus dem Input empirischen und textuellen Datenmaterials53 – inklusive des vorangegangenen diskursiv aufgebauten mentalen Modells.54 (Wie das mentale Modell bei der Textrezeption konstruiert wird, beschreibt Kapitel 5, hier handelt es sich noch um eine modalitätsunabhängige Beschreibungsebene.) Standardannahmen führen dazu, dass ein mentales Modell informationsreicher ist als der sensorische Input. Rückblickend kann häufig nicht mehr rekonstruiert werden, welche Bestandteile sensorisch und/oder textuell gestützt sind und welche kognitiv elaboriert sind.55 Das erfolgreich konstruierte mentale Modell entspricht strukturell dem Weltausschnitt, den es repräsentiert.56

Bei der Konstruktion eines mentalen Modells kommt die entlastende und repräsentationskonstituierende Funktion der Wissensrahmen und Wissenselemente zum Tragen, die es ermöglicht, auf der Grundlage einer endlichen Menge an Wissensrahmen eine Vielzahl mentaler Modelle zu konstruieren.57 Aus einem einzelnen RESTAURANT-Skript lassen sich demnach konkrete mentale Modelle für jeden einzelnen Restaurantbesuch konstruieren.58 Der Unterschied zu Wissensrahmen ist also, dass mentale Modelle konkrete Anwendungsfälle von Wissensrahmen darstellen, was nicht bedeutet, dass alle Leerstellen mit spezifischen Füllwerten der Situation bestückt sein müssen.59 Mentale Modelle müssen auch nicht den prototypischen Strukturen entsprechen, da sie datengeleitet eine Variation darstellen können.

Spannung und Textverstehen

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