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2.2.4 Zillmann

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Positive und negative Ausgänge. Der US-amerikanische Psychologe Dolf Zillmann greift bei seiner Suspense-Definition auf mögliche zukünftige Entwicklungen der Geschichte zurück und untersucht diese innerhalb des Mediums Film. Dabei unterscheidet er zwischen solchen Ausgängen, die einen Anreiz darstellen, und solchen Ausgängen, die eine Bedrohung darstellen. Als Anreiz dient häufig eine soziales, finanzielles oder erotisches Gut. Die Bedrohung ergibt sich in der Regel dadurch, dass der Protagonist einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt ist, Leib und Leben sind bedroht. Als Beispiel nennt Zillmann eine Schiffskatastrophe oder die Besteigung eines Berges, in beiden Fällen befinden sich Figuren in lebensbedrohlichen Situation. Häufig sind Bedrohung und positiver Anreiz aneinander gekoppelt. Sollte die jeweilige Figur den negativen Ausgang abwenden können, so erhält sie gleichzeitig eine Belohnung.38

Suspense kommt ohne die positive Dimension aus. Um ein möglichst intensives Suspenseerlebnis zu bieten, müssen Geschichten nach Zillmann folgende Kriterien erfüllen:39

 Geschichten müssen mögliche negative Ausgänge suggerieren

 Gemochte Protagonisten (liked protagonists) oder eine substitute entity40 müssen betroffen sein von möglichen negativen Ausgängen, damit diese Ausgänge gefürchtet werden von den Rezipienten

 Die Wahrscheinlichkeit, dass negative Ausgänge eintreten, muss hoch sein aus der Perspektive des Rezipienten

Bei der Negativität von Ausgängen differenziert Zillmann zwischen verschiedenen Graden. So ist beispielsweise der mögliche Tod auf einem höheren Negativitätsniveau angesiedelt als der Verlust von Eigentum oder die soziale Isolation. Um das Suspenseerleben zu ermöglichen, müssen die antagonistischen Kräfte den gemochten Protagonisten glaubwürdig schädigen können. Die Gefahr kann an dritten Parteien demonstriert werden, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Suspense setzt nach Zillmann nicht voraus, dass Moral im Spiel, womit er sich explizit gegen Carroll richtet.41

Bei der Erzeugung von Suspense spielen die Angst und die Hoffnung von Rezipienten eine zentrale Rolle. Die negativen Konsequenzen für einen Protagonisten werden gekoppelt an die Angst, dass ein erhofftes Ereignis nicht eintreten und dass ein unerwünschtes Ereignis eintreten wird. Zugleich werden sie gekoppelt an die Hoffnung, dass ein bevorzugter Ausgang eintreten wird, dass ein unerwünschtes Ereignis für den Protagonisten nicht eintreten wird und dass negative Ereignisse für antagonistische Figuren eintreten werden. Beide sind als affektive Reaktionen eng aneinander gebunden, es handelt sich um zwei Seiten einer Medaille.42

Zillmann zufolge kann der Suspenseeffekt mit körperlichen Reaktionen einhergehen. Als mögliche Reaktionen nennt er Schweißausbrüche und Fingernägelkauen. Der Rezeption kann von Rastlosigkeit und Unruhe begleitet werden. Zum Teil lässt sich der Rezipient dazu hinreißen, zu applaudieren, wenn sich die Handlung zum Positiven für den Protagonisten auflöst.43

Dem Rezipienten weist Zillmann die Rolle eines Zeugen zu. Auf der Leinwand dargestellte Handlungen und Ereignisse wirken sich weder positiv noch negativ auf seinen Alltag aus. Auch umgekehrt besitzt er keinen Einfluss auf die Textwelt, die Entwicklungen im Film bleiben vom Rezipienten unberührt.44

Hoffen, Bangen und die Einstellung zum Helden. Hoffnung und Angst hängen stark mit der Einstellung des Rezipienten zum Protagonisten zusammen. Diese Relation zum Protagonisten beschreibt Zillmann als Empathie (ein identifikatorisches Verhältnis weist er zurück, weil die Figuren und Leser über verschiedene Wissensbestände verfügen und daher auch verschiedenen Emotionen ausgesetzt sein können).45

Diese affektiven Dispositionen basieren nach Zillmann auf soziopsychologischen Prozessen, die je nach der emotionalen Beziehung zu den Figuren variieren. Leidet eine gemochte Figur, so leidet auch der Rezipient. Freut sich diese Figur, so überträgt sich das positive Gefühl auf den Leser bzw. Zuschauer. Antipathie gegenüber einer Person führt zu einer entgegengesetzten emotionalen Reaktion. Die Freude des Antagonisten verursacht negative, sein Leiden positive Emotionen. Die Wahrnehmung von positivem und negativem Ausgang kehrt sich also um, wenn sich die Einstellung zu den Figuren umkehrt. So kann das gleiche Ereignis beim Zuschauer verschiedene Reaktionen hervorrufen – je nachdem, in welcher Relation er zu einzelnen Figuren steht.46

Mit der Relation ändert sich auch die Bewertung von negativen und positiven Ausgängen einzelner Figuren. Eine negative Konsequenz für einen Antagonisten wird vom Rezipienten als positiv empfunden. Eine negative Konsequenz, die den Protagonisten betrifft, wird als negativ eingestuft. Es gibt also negative Konsequenzen für Figuren, die je nach der Einstellung der Rezipienten als positiv und negativ eingeordnet wird.47

Suspense, Euphorie und Disphorie. Von der Relation zum Protagonisten und vom negativen Ausgang hängen Euphorie- und Disphorie-Reaktionen ab. Euphorie entsteht, wenn eine Gefahr für einen gemochten Protagonisten verringert oder abgewendet wurde. Sie steigt, je größer der Schaden für den Antagonisten und der Nutzen für den Protagonisten ist. Mit der Disphorie-Reaktion verhält es sich umgekehrt. Sie steigt zum Beispiel, wenn eine negative Konsequenz eintritt. In Geschichten nehmen mögliche negative Emotionen den Großteil der Zeit ein, bis am Ende eine positive Auflösung erfolgt. Das bedeutet, dass viele Episoden häufig mit Disphorie beladen sind, dass das finale Ende jedoch Euphorie erzeugt.48

Zugleich beeinflusst auch der Beitrag des Protagonisten zum Ausgang die Euphorie- und Disphorieintensität. Die Disphorie steigt, wenn der Protagonist die negativen Folgen selbst herbeiführt. Die Euphorie ist größer, je stärker der Protagonist zur Lösung des Problems bzw. zur Abwendung des negativen Ausgangs beigetragen hat. Handelt es sich um einen inaktiven Protagonisten, so steigt die Euphorie nur marginal.49

Daraus leitet Zillmann praktische Implikationen für den Anfang und das Ende von Geschichten ab: Zu Beginn einer Geschichte sollte der Protagonisten in ein positives Licht gerückt und der Antagonist negativ darstellt werden. Erst danach kann begonnen werden, den Protagonisten mit Gefahrensituationen zu konfrontieren. Die Auflösung verläuft optimal, wenn der Protagonist das Böse selbst (allein) besiegt und dafür belohnt wird.50

Die Gewichtung der Wahrscheinlichkeit negativer Ausgänge und der Einstellung gegenüber den Figuren. In einer experimentellen Studie haben Comisky und Bryant die Faktoren Relation zur Figur und die Wahrscheinlichkeit des negativen Ausgangs kombiniert und den Einfluss auf das Suspenseempfinden untersucht. Verschiedenen Gruppen ihres Experiments haben sie die gleiche Filmsequenz vorgespielt. Dabei wurde die jeweilige Vorstellung durch einen Kommentar des Erzählers eingeleitet, der von Gruppe zu Gruppe verschiedene Informationen über die Überlebenschancen des Helden enthielt und den Protagonisten entweder in einem neutralen, in einem positiven oder in einem sehr positiven Licht erscheinen ließ. Die Auswertung dieses Experiments ergab, dass die Wahrscheinlichkeit des Ausgangs den Hauptteil bei der Suspensebildung ausmacht. Je geringer die Chance des positiven Ausgangs, desto höher der Suspense. Die hohe positive Relation zum Protagonisten steigert die Spannung zwar, sie besitzt allerdings einen geringen Teil an der Spannungsbildung.51

Spannung und Textverstehen

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