Читать книгу Lötzsch. Der lange Weg eines Jahrhunderttalents. - Philipp Köster - Страница 5
ОглавлениеVorwort
Am 25. Mai 2012 ist etwas Besonderes passiert. Die Deutsche Sporthilfe hat mich in die »Hall of Fame des deutschen Sports« aufgenommen, als einen von nur vier Radsportlern. Kurt Stöpel, der erste deutsche Etappensieger bei der Tour de France, der Sechstage-Spezialist Gustav Kilian, Albert Richter, der Sprintweltmeister auf der Bahn, und ich – Wolfgang Lötzsch aus Chemnitz.
Ich weiß, dass ich nicht die Erfolge errungen habe, die sonst Bedingung sind, um in den Kreis der größten deutschen Sportler aufgenommen zu werden. Umso mehr freut es mich, dass die Jury anerkannt hat, dass ich für meine Überzeugungen, für mein Beharren auf die Freiheit des Einzelnen, auf manch einen sportlichen Triumph verzichtet habe. Und dass ich, wenn ich entsprechend gefördert worden wäre, vieles mehr hätte erreichen können. Davon bin ich überzeugt und die Jury offenbar auch.
Dieses Buch erzählt meine Geschichte. Es ist die Geschichte eines jungen Menschen mit unbändiger Freude am Radfahren, mit Talent und Beharrlichkeit. Es ist aber auch eine Geschichte eines Staates, der freie Geister nicht erträgt und der diesen jungen Menschen vergeblich mit Gefängnis, Isolation und Bespitzelungen zu brechen versuchte.
Mancher glaubt, das Interesse der jungen Generation an der Geschichte der DDR lasse nach, das Leben im real existierenden Sozialismus sei inzwischen nur noch graue Vergangenheit. Ich erlebe das Gegenteil. Wenn ich zu Vorträgen an die Schulen komme und den Jugendlichen von meinem Leben als Radsportler in der DDR erzähle, dann ist es mucksmäuschenstill in den Schulbänken. Ich werde dann oft gefragt, was ich heute empfinde und ob ich heute wieder so handeln würde wie damals. Das ist eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Damals war ich mir nicht immer sicher, dass ich durchhalte. Heute bin ich stolz darauf, dass ich meinen Weg gegangen bin. Dass sie mich nicht kleingekriegt haben und dass ich anständig geblieben bin.
Es sind nicht nur die Schüler, die sich interessieren. Neulich wurden während der Chemnitzer Museumsnacht erstmals die Gebäude des alten Stasi-Gefängnisses gezeigt, in dem auch ich längere Zeit inhaftiert war. Um 18 Uhr, als die Tore geöffnet wurden, drängelten sich bereits mehrere hundert Menschen. Und die Schlange der Wartenden riss bis um zwei Uhr nachts nicht ab. Was uns zeigt, dass wir die Erinnerung lebendig halten müssen. Nur wenn wir die Geschichte verstehen, können wir verhindern, dass sie sich wiederholt.
Diejenigen, die mich damals bespitzelt und Berichte geschrieben haben, hat das Buch nicht dazu bewegt, das eigene Handeln von damals zu hinterfragen. Noch immer hat kein Einziger der über fünfzig Inoffiziellen Mitarbeiter das Gespräch mit mir gesucht, noch immer hat sich kein Einziger bei mir entschuldigt.
Früher hat mich das Schweigen der Täter beschäftigt. Heute gehe ich gelassen damit um. Weil sie ihr Ziel, mich kleinzukriegen, nicht erreicht haben. Um den Schlusssatz des Buches zu zitieren: Ich sitze aufrecht im Sattel.
Wolfgang Lötzsch
Chemnitz, im Juni 2012