Читать книгу Die Boulevard-Ratten - Philipp Probst - Страница 6
Оглавление24. Dezember
GUTSHOF IM STÄDELI, ENGELBURG BEI ST. GALLEN, SCHWEIZ
«Pass auf und komm nicht zu spät zurück, wir feiern um …»
«… um 18 Uhr, wie jedes Jahr, Mama!»
Myrta gab ihrer Mutter einen Kuss und schnappte sich eine Karotte von der Küchentheke.
«Mein Grosser bedankt sich für dein Weihnachtsgeschenk», sagte sie und verliess die Küche. «Also tschüss!», rief sie laut, wobei sie das Tschüss in die Länge zog und zweisilbig betonte: Tschü-üss. Dann trat sie in die Kälte hinaus.
Ihr «Grosser» hiess Mystery of the Night und war ein 23jähriger Rappe. Er stand angebunden vor dem Stall und blickte zu seiner Reiterin. Myrta gab ihm die Karotte, band ihn los und schwang sich auf den grossen Hannoveraner Wallach. Sie tätschelte seinen Hals.
«Los, Mysti, auf geht’s!»
Myrta hatte das Pferd zum zehnten Geburtstag von ihren Eltern geschenkt bekommen. An jenem Morgen war sie erst fürchterlich enttäuscht gewesen: Statt eines richtigen Geschenks hatten ihr die Eltern nur eine Karte überreicht. Auf der stand geschrieben: «Mysti für Myrta». Erst als sie hinaus zum damals noch jungen Mystery of the Night geführt worden war, war sie in Freudengeschrei ausgebrochen. Dass der Name des Pferdes zu ihrem passte, war ein glücklicher Zufall. Oder fast: Eigentlich hatte sich Myrtas Vater schon für ein anderes Pferd entschieden, als ihm ein Züchter aus dem Nachbarsort Mystery angeboten hatte. Er kostete zwar 3000 Franken mehr, aber das war ihm dieser glückliche Zufall wert gewesen.
Myrta liess Mysti eine Viertelstunde im Schritt laufen. Es ging leicht bergauf Richtung Andwiler Moos. Dann, auf einem langen geraden Feldweg, gab sie Mysti den Befehl, in Trab zu wechseln. Der Schnee unter den Hufen knirschte, die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen. Myrta war gut eingepackt, sie genoss die glasklare Luft, diese prickelnde Kälte in ihrem Gesicht. Der Rückenschutz, der sie im Sommer zum Schwitzen brachte, wärmte sie jetzt zusätzlich. Und unter dem Helm trug sie eine dünne Thermomütze. Am Ende des Weges liess Myrta ihr Pferd wieder in Schritt fallen. Mysti schnaubte. Aus seinen Nüstern stiegen kleine Wolken auf, die kurz in der Abendsonne herumwirbelten und sich dann auflösten.
Das sieht aus wie in einem Comic, dachte Myrta und lächelte.
Sie hatte als Kind Lucky-Luke-Hefte gelesen. Nicht wegen Lucky Luke, sondern wegen seines Pferdes Jolly Jumper. Und wegen Rantanplan, dem Hund. Die Hefte hatte sie heimlich lesen müssen. Martin, ein Junge aus dem Dorf, hatte ihr manchmal welche gegeben. Denn bei ihr zu Hause waren Comics tabu. Hatte irgendwas mit der Rudolf-Steiner-Schule zu tun, die sie besuchte. Aber was, wusste sie nicht. Und später interessierte es sie nicht mehr.
Sie schnallte den Helm ein bisschen enger, schloss die Jacke bis zum letzten Zacken des Reissverschlusses und nahm die Zügel fest in die Hand. «Na, Grosser, bereit für einen Galopp?»
Ab ging’s. Quer über ein Feld. Die Höhe und Konsistenz des Schnees waren genau richtig für einen tollen Ritt. Mystery of the Night legte ein ordentliches Tempo vor. «Yeah!», schrie Myrta. «Wie in alten Tagen: Myrta und Mysti in flottem Galopp.»
Das war ein bisschen übertrieben. Mysti war zwar für sein Alter wirklich fit, allerdings wurde er nach drei, vier Minuten merklich langsamer. Myrta liess ihren Liebling auslaufen, um dann in gemütlichen Schritt zu wechseln. Wieder blies er kleine Wolken aus, diesmal allerdings etwas grössere und schneller hintereinander.
Myrta war gerade sehr glücklich. Die Arbeit, der ewige Fast-Freund, das komplizierte Leben – alles war weit weg. Sie und ihr Pferd. Das war eine Verbindung, die durch nichts erschüttert werden konnte. Obwohl sie jahrelang in Köln gelebt hatte, jetzt in Zürich wohnte und meistens nur an den Wochenenden nach Hause zu ihren Eltern und zu Mystery nach Engelburg kam, hatte sich in dieser Beziehung nichts geändert. Noch immer spitzte Mystery of the Night seine Ohren und streckte seinen Hals aus der Box, wenn sie mit ihrem Auto vorfuhr. Und er war natürlich immer der Erste, der von ihr begrüsst, geküsst und umarmt wurde.
Die Sonne ging unter, es wurde kälter, Wind kam auf. Myrta genoss das Schaukeln auf ihrem Pferd, betrachtete die Weihnachtsbeleuchtung der Häuser, an denen sie vorbeiritt, und stellte fest, dass da und dort im Vergleich zum letzten Jahr ein paar Lämpchen dazu gekommen waren. In der Ferne waren unten die Stadt St. Gallen mit ihren vielen Lichtern und darüber in den Hügeln die Appenzeller Dörfer zu sehen. Auf den Strassen die Scheinwerfer der Autos. Alles Menschen, die unterwegs zu ihren Liebsten sind, dachte Myrta.
Zu ihren Liebsten?
Vielleicht. Sie war zwar bei ihren Eltern, bei ihrem Pferd, aber nicht bei ihrem Liebsten. Sie war noch nie an Heiligabend bei ihrem Liebsten gewesen.
Sie blickte auf die Uhr. Schon 17.30 Uhr! Höchste Zeit. Sonst bekäme Mama eine Krise. Ihre Schwester und ihr Bruder waren sicher schon da. Und das Filet im Teig im Ofen. «Los, Mister Mystery, heim zu Mama!»
Es war dunkel. Dank des Schnees aber trotzdem hell. Galopp. Der alte Hannoveraner gab Vollgas. Der Schnee wurde nach hinten weggeschleudert. Myrta sah den schwarzen linken Fuss von Mysti. Das war ein gutes Zeichen: Streckte Mysti die Vorderläufe so weit nach vorne, hatte er Spass und war motiviert. Nur der Fuss vorne links war schwarz, die drei anderen Füsse waren weiss. «Yeah!», schrie Myrta. Sie liess die Zügel fast los. Schloss die Augen. Blinzelte. Herrlich! Schloss sie wieder. Öffnete sie.
Das Pferd schnaubte. Plötzlich hatte Myrta das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie blickte um sich, konnte aber nichts erkennen. Also konzentrierte sie sich wieder auf ihren Ritt. Aber irgendwie war sie jetzt angespannt. Das übertrug sich sofort auf das Pferd. Der Galopp wurde holprig. Myrta parierte Mystery, er fiel zurück in Schritt. Doch ihre Anspannung blieb. Der Wald vor ihr war rabenschwarz. Der Weg nach Hause führte da hindurch – ausser, so überlegte Myrta, sie machte einen grossen Umweg. Ach was, sagte sie sich und steuerte auf das Dunkel zu.
Mysti klappte die Ohren nach hinten.
«Musst keine Angst haben, Mysti, da vorne ist nichts», sagte Myrta laut zu ihrem Pferd. Und vor allem zu sich selbst.
Doch es nützte nichts. Im Wald sah sie Gestalten. Augen, die sie anfunkelten. Kameralinsen, die auf sie gerichtet waren. Auch die Geräusche waren ihr plötzlich unheimlich. Bloss Äste im Wind, sagte sie sich.
Kurz bevor sie den Wald erreichte, gab sie Mystery das Zeichen zum Galopp. «Los, schnell hindurch.» Mysti schnaufte und schnaubte.
Myrta kniff die Augen zusammen und versuchte, nur auf das Getrampel ihres Pferdes zu hören. Als sie sie wieder öffnete, waren bereits der Waldrand und das Schneefeld dahinter zu erkennen. Sie schloss die Augen erneut. Öffnete sie wieder, und schon war das Feld hinter dem Wald ein gutes Stück näher gekommen.
Es knackte und krachte neben ihr, aber das war ihr jetzt egal.
«Wer reitet so spät durch Nacht und Wind …» kam ihr in den Sinn, das Gedicht vom unheimlichen Erlkönig, welches sie in der Schule auswendig gelernt hatte und nun vor sich hin murmelte. Ja, ja, die Waldorfschule. Gedichte gelernt, gemalt, musiziert, Eurythmie gemacht und wenig vom realen Leben begriffen. Ein Gedanke, der ihr jetzt aber gut tat, weil er sie ablenkte. Sie rezitierte laut: «Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind. Er hat den Knaben wohl in dem Arm …»
Endlich ritt sie aus dem Wald.
Doch dann sah sie in einiger Entfernung rechts vor sich einen Mann mit einer Kapuze, der eine Sense über der Schulter trug. «Wie irre ist das denn?», hauchte Myrta und schloss erneut die Augen: «Der Erlkönig? Der Sensenmann?»
«Los, Mysti, los!», rief sie und blinzelte.
Der Kerl war nun deutlich am Horizont zu erkennen. Ob es wirklich eine Sense war, die er trug? Vielleicht einen Besen? Im Winter? Eine Schneeschaufel wahrscheinlich. Einen Weihnachtsbaum?
Myrta kniff die Augen zusammen und zählte laut Mystis Galoppsprünge. «Eins, zwei, drei …» Das Pferd schnaubte heftig. «… vier, fünf …» Auf zehn riss sie die Augen auf: Der Mann war weg.
Einige Sekunden später zuckte das Pferd zusammen, die Ohren schnellten nach hinten, der Galopp endete jäh. Myrta flog über Mystis Hals, machte einen Salto und krachte kopfvoran durch den Schnee auf den Boden. Es wurde ihr schwarz vor Augen. Sie hörte dumpfes Getrampel, das aber schnell leiser wurde. Mysti galoppiert davon, dachte sie, hoffentlich passiert ihm nichts.
LABOBALE, ALLSCHWIL, BASELLAND
«Geh endlich nach Hause, Phil», sagte Mette Gudbrandsen und legte die Hand auf seine Schulter. «Du wirst es schaffen. Aber nicht mehr heute. Erstens ist heute Sonntag und zweitens Heiligabend.»
«Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ich sollte nach Hause gehen. Und ja, ich, das heisst wir werden es schaffen.»
«Nein, du. Ich habe dir nur den Weg geebnet und dich beraten. Aber jetzt ist Weihnachten. Deine Frau wartet sicher auf dich.»
«Mary ist es gewohnt, auf mich zu warten. Wir müssen es schaffen. Unser Chef bringt uns um, wenn wir nicht endlich das Schlussresultat liefern. Ich kann bald nicht mehr, jede Nacht nur zwei, drei Stunden Schlaf …»
«Eben. Geh endlich.»
«Okay. Und was wirst du tun?»
«Ich werde ebenfalls nach Hause gehen, mir eine Flasche Bordeaux gönnen und lange mit meiner Familie in Trondheim skypen.»
«Skypen?»
«Telefonieren übers Internet, mein Lieber. Alles, was nicht mit Wissenschaft zu tun hat, scheint dir relativ fremd …»
«Nein, nein, liebe Mette», unterbrach Phil Mertens und lächelte sie an. «Ich bin mittlerweile auf Facebook, Twitter, Xing, LinkedIn und, ähm …»
«Google plus. Alle sozialen Netzwerke, die ich dir eingerichtet habe.»
«Na ja. Mittlerweile bin ich ganz up-to-date und kenne sogar die komischen Internetkürzel und -zeichen. Und im Übrigen gehöre ich mit meinen fünfzig Jahren langsam zum alten Eisen.»
«Genau, alter Mann!», sagte Mette und lächelte Phil an: «Los, hau endlich ab!»
Phil Mertens fuhr den Computer hinunter, stand auf und zog seinen Barbour-Mantel und die Jack-Wolfskin-Fleecemütze an.
Er breitete seine Arme aus: «Komm her!»
Mette Gudbrandsen kam auf ihn zu, liess sich in die Arme nehmen, und da sie dank ihrer Stiefel mit etwa sechs Zentimeter hohen Absätzen gleich gross war wie Phil, berührten sich ihre Wangen.
«Merry Christmas», sagte Phil.
«Merry Christmas», sagte Mette. «God jul, wie es auf Norwegisch heisst. Og godt nytt år.»
«Happy New Year. Aber wir werden uns noch vor Neujahr sehen.»
«Meinst du?»
«Yeah. Wir müssen es noch in diesem Jahr schaffen. Du weisst, was wir der Geschäftsleitung garantiert haben.»
«Den Schlussbericht vor Weihnachten.»
«Die feiern sicher schon.» Phil Mertens gab Mette einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.
“God jul”, wiederholte Mette.
WALD BEI ENGELBURG, ST. GALLEN
Es war nur ein kurzer Moment, in dem Myrta das Bewusstsein verloren hatte. Jedenfalls konnte sie Mystis Galopp noch ganz, ganz leise hören. Vielleicht bildete sie sich das auch ein. Denn nachdem sie aufgestanden war und festgestellt hatte, dass sie den Sturz wohl heil überstanden hatte, glaubte sie, den Galopp noch immer zu hören.
«Toll», sagte sie leise vor sich hin, «meine Familie wird sich schlapp lachen, wenn Mysti ohne mich zur Weihnachtsfeier kommt.»
Sie wischte sich den Schnee aus dem Gesicht und klopfte die Kleider ab. Dann griff sie in die Innentasche ihrer Jacke, holte ihr iPhone heraus und wählte die Nummer ihrer Eltern.
«Hey!», rief jemand.
Myrta unterbrach den Rufaufbau und steckte das Handy in die Tasche zurück.
«Hey!»
«Ja! Ich bin hier!», schrie Myrta zurück. Schauderte aber plötzlich: Was, wenn das der Mann mit der Sense war?
«Sind Sie die Reiterin?», schrie der Jemand zurück. Es war die Stimme eines Mannes. Myrta antwortete nicht. Allmählich konnte sie in einiger Entfernung im Schnee einen dunklen Fleck ausmachen, der sich bewegte. Je näher dieser kam, desto deutlicher erkannte sie, dass es wohl zwei Flecken waren, und dann war auch schnell klar, dass der eine Fleck eine Person war und der andere ein Pferd. Wenig später schimmerte der weisse Punkt auf der Stirn des Pferdes durch die Nacht.
«Mysti!», rief Myrta, so laut sie konnte, und stapfte durch den Schnee auf ihr Pferd zu.
Mysti wurde an den Zügeln von einem Mann geführt, der eine grosse, dunkle Mütze mit Ohrenschutz aufhatte.
«Sind Sie verletzt?», fragte der Mann.
«Nein, alles klar. Danke, dass Sie mein Pferd eingefangen haben.» Myrta konnte sein Gesicht nicht erkennen, die Mütze verdeckte zu viel davon.
«Kein Problem. Mystery kennt mich ja.»
«Oh, Sie kennen mein …» Myrta hielt inne und starrte den Mann an. «Bist du das, Lucky?»
«Ja. Hallo Myrta, habe dich zuerst auch nicht erkannt!»
«Wow, ewig nicht gesehen! Lucky Luke …»
«Also, ehrlich gesagt, es nennt mich eigentlich niemand mehr so.»
«Oh sorry, klar, Martin natürlich!» Myrta war es ein bisschen peinlich. Aber Martin war wegen seiner Lucky-Luke-Hefte von allen Kindern immer Lucky Luke genannt, gar als Möchtegern-Lucky-Luke verspottet worden. Myrta wandte sich ihrem Pferd zu und kontrollierte, ob es sich verletzt hatte.
«Danke, Martin, nichts passiert!»
«Warum bist du denn gestürzt?»
«Nun, das war sehr seltsam, ich habe plötzlich …» Myrta stockte. Dass sie den Sensenmann gesehen hatte, hielt sie nun für völlig verrückt. «Keine Ahnung, wie es dazu kam», sagte sie schnell. Da Martin nicht weiterfragte oder sonst etwas sagte, entstand eine Pause. Sie konnte sich nicht erinnern, mit ihm je über was anderes als über Lucky Luke, Jolly Jumper und Rantan-plan gesprochen zu haben. Und auch nur ein paar wenige Sätze. Sie war sich jedoch sicher, dass Martin früher für sie geschwärmt hatte. Ebenso überzeugt war sie davon, dass er es gewesen war, der damals in die Holzwand von Mysterys Stall M+M+M und ein Herz geritzt hatte. Aber ausser als Comics-Lieferant war er für Myrta nie interessant gewesen, sie hatte ihn, den pummeligen Bauernbub, sonst kaum beachtet.
«Na, dann, Martin», sagte Myrta jetzt. «Ich muss los. Frohe Weihnachten. Und danke nochmals.»
«Ja, dir auch. Frohe Weihnachten.»
Myrta wollte sich in den Sattel schwingen, doch es wurde ihr schwindlig, und sie fiel erneut in den Schnee. Dabei spürte sie einen heftigen Schmerz im linken Knie. Sie schrie kurz auf. Da klingelte auch noch ihr Telefon.
«Martin, kannst du mal abnehmen? Ist sicher Mama. Beruhige sie einfach, ich mag nicht reden mit ihr. Das Handy ist in meiner linken Innentasche.»
Martin fischte vorsichtig das Handy heraus und sprach mit Myrtas Mutter, gehemmt, in einem holprigen Schweizer Hochdeutsch, denn die Tennemanns waren Deutsche, Frau Doktor und Herr Professor Tennemann. Martin kannte Myrtas Eltern gut, weil er seit Jahren zu Mystery schaute. Sie sagten Du zu ihm, er ihnen Sie.
Er versprach mehrmals, Myrta und Mysti nach Hause zu begleiten und, nein, ein Notarzt sei nicht nötig, ihrer Tochter gehe es so weit gut und dem Pferd auch.
«Danke, Luck… äh, Martin», sagte Myrta, nachdem er ihr das Telefon zurückgegeben hatte. «Also los, bring die dumme Tussi mit ihrem Pferd heim zu Mama.»
Myrta stand auf, spürte erneut den stechenden Schmerz im Knie und bat Martin, ihr zu helfen. Schliesslich legte sie ihren linken Arm um Martins Hals und humpelte neben ihm durch den Schnee heimwärts. Mystery trottete links von Martin.
Nach einigen Minuten fragte Myrta: «Wo feierst du Weihnachten? Mit der Familie? Mit deiner Frau, deinen Kindern?»
«Nein. Alleine. Meine Eltern sind bei meinem Bruder eingeladen.»
Myrta hätte nun einige Fragen nachschieben wollen, doch sie sagte sich, dass sie nicht als Journalistin hier war. Deshalb schwieg sie.
Das Knie tat wirklich weh. Myrta hielt sich mit ganzer Kraft an Martin fest. Obwohl sie und auch Martin in dicke Jacken eingepackt waren, glaubte Myrta, seine kräftigen Muskeln zu spüren. Erst war es ihr unangenehm, so nahe mit dem Typen zusammen zu sein, der früher als Pseudo-Lucky-Luke gehänselt worden war. Doch dann fand sie es plötzlich schön. Martin war ein Mann, ein richtiger Kerl. Gross und stark. Und gar nicht mehr dick und schwabbelig. Den Schmerz in ihrem Knie bemerkte sie kaum noch.
Dafür schlug ihr Herz umso heftiger.
«Feierst du mit uns Weihnachten?», fragte Myrta plötzlich.
Martin sagte nichts. Myrta spürte allerdings, wie sich Martins Muskeln spannten.
«Zum Dank, dass du mich und Mysti vor dem Sensenmann gerettet hast», sagte Myrta und liess dem Satz ein etwas gekünsteltes Lachen folgen.
«Hey, so schlimm war der Unfall nun auch wieder nicht.»
«Also kommst du?»
«Ich weiss nicht …»
«Schön», meinte Myrta. «Meine Familie wird sich freuen. Und ich mich auch.»