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2. Grundlegendes zur Grundnorm

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Wir Menschen sind empfindsame Lebewesen. Die Formulierung »Jemand anderer soll mich füttern« ist keinesfalls perfekt, aber trägt genau dieser Empfindsamkeit Rechnung. Die eigentliche Empfindung wird dabei im Satz der Grundnorm durch eine künstliche Überhöhung vermieden abzubilden. Nur so kann annähernd eine friktionsfreie Darstellung und eine wissenschaftliche Untersuchung der Grundnorm gewährleistet werden.

Die Empfindung ist es, die der Grundnorm ihren Sinn verleiht. Die Grundnorm ist daher immer im Zusammenhang mit ihrer entsprechenden Empfindung (arg. was wird ›gefüttert‹, was wird konkret getan, insbesondere was wird dabei empfunden?) zu sehen. Ursprünglich müsste die Bildung von Grundnorm und Empfindung gleichzeitig stattgefunden haben, doch ist Erfahrung die Grundlage für eine dem jeweils entsprechende zeitliche Verschiebung der Grundnorm vor die Empfindung. Die Bildung der Grundnorm geht sohin ihrer zugehörigen Empfindung prinzipiell zeitlich voraus.

Die Grundnorm bildet einen rückbezüglichen Anspruch. Dabei könnte die Stellung des Anspruchs nach der Grundnorm grundsätzlich in der ersten, zweiten oder dritten Person sinnvoll sein: »Ich soll mich füttern«, »Du sollst mich füttern« beziehungsweise »Sie/er/es soll mich füttern.« In der vierten Person (arg. »Jemand ›anderer‹ soll mich füttern«) erscheint die Grundnorm nicht ohne Weiteres sinnvoll, weshalb diese Person für die abstrakte Umschreibung und didaktische Aufarbeitung der Grundnorm verwendet wird. In der fünften Person (arg. »Gott soll mich füttern«) jedoch erscheint die Grundnorm wiederum sinnvoll.

Es ist davon auszugehen, dass der Anspruch in der ersten Person (»Ich soll mich füttern«) entwicklungsgeschichtlich nicht vor der selbstständigen Herausbildung des menschlichen »Ich« entstehen kann. Vielmehr ist anzunehmen, dass das »Ich« erst durch die Erfahrung mit den übrigen Personen (vor allem zweite und dritte Personen) nach der Grundnorm allmählich zusammengesetzt wird. Auf welche Art und Weise dies schließlich geschieht, ist hauptsächlich Teil eines individuellen, persönlichen Erlebens und Empfindens des Verhältnisses eines Kleinkindes zu seinen ursprünglichen Bezugspersonen. Aus diesem Grund sind auch moralische Ansprüche, das heißt, Ansprüche an sich selbst, in hohem Maße von der Kindeserziehung abhängig.

Daher und insbesondere auch unter dem Aspekt der Versteinerungstheorie halte ich meine diesbezügliche Einsicht anlässlich der Formulierung der »Verfassung im subjektiven Sinn« für sehr wichtig, dass sich nämlich die Grundnorm an sich ausschließlich an andere Personen als an das Verfassungssubjekt selbst richtet. Zwar ist die Norm »Ich soll mich füttern« aus der Grundnorm ableitbar, doch entspricht sie nach meiner Auffassung bei gegebener Empfindung einem einfachen subjektiven Gesetz, nicht jedoch einem subjektiven Verfassungsgesetz. Auch darf insgesamt nicht übersehen werden, dass sich die Ich-Entwicklung, damit auch die Entwicklung dieses Anspruchs in der ersten Person, im weiteren Leben nach dem Kindesalter fortsetzt und weiterhin entsprechend positiver Erfahrungen bedarf.

Die Intensität der Grundnorm ist ebenfalls unterschiedlich. Je nach Stärke und/oder besonderer Art der korrespondierenden Empfindung kann die Erfüllung der Grundnorm von lediglich (bei Gelegenheit) gestattet (»Jemand anderer darf mich {gerne einmal} füttern«) bis hin zu (dringend) notwendig geboten (»Jemand anderer muss mich {sofort} füttern, sonst …«) variieren. Alle diese Bedeutungen werden durch das Zeitwort »Soll« umschrieben und abgedeckt. Dementsprechend sind auch die Folgen der Erfüllung und Nichterfüllung der Grundnorm, von Erfolg und Misserfolg, höchst unterschiedlich zu bewerten.

Die subjektive Verfassung und ihre Erörterung

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