Читать книгу Flow – Fotografieren als Glückserlebnis - Pia Parolin - Страница 10
1 EINLEITUNG
ОглавлениеWäre es nicht toll, deine Fotografie spürbar zu steigern? Tiefgründige, interessante Bilder zu machen, dich kreativer und produktiver zu fühlen, ohne Anstrengung dabei zu empfinden oder zu ermüden? Konkreter zu wissen, worauf du mit deiner Fotografie abzielst? Konzentriert Schritt für Schritt zielgerichtet weiterzugehen und dabei von Glücksgefühlen erfüllt zu sein? Was nach Quacksalberei klingt, ist mithilfe eines durch Forschung gut ergründeten mentalen Zustands möglich: Flow.
1–1 Das Foto einer chinesischen Touristin auf der Promenade des Anglais in Nizza, die sich gerade für ein Porträt ihrer Freundinnen in Pose bringt. Ich mag keine große Bildnachbearbeitung. Und so ist das Bild praktisch unbearbeitet direkt in meiner Kamera entstanden (17-mm-Objektiv, ISO 100, Blende 22, 1/5 s, in der Abenddämmerung im September 2017, mit niedriggestelltem Stativ und Kabelauslöser).
Im Laufe meiner eigenen Fotografie bin ich immer wieder an Stolpersteinen hängen geblieben. Nach den hübschen Pflanzen und malerischen südfranzösischen Türen wiederholte sich alles und ich langweilte mich. Was sollte ich außerdem mit meinen vielen tausend Fotos anstellen, die langsam, aber sicher meine Festplatten füllten? Wofür noch mehr produzieren? Wie konnte ich weiterkommen, wieder richtig Spaß dabei empfinden? Statt ein entspanntes Hobby darzustellen und tolle, inhaltlich wertvolle Fotos zu machen, hatte ich das Gefühl, dass ich mich im Kreis drehte und meine Kreativität gegen eine Wand lief. So kehrte ich oft enttäuscht oder gelangweilt von meinen Foto-Walks zurück.
Um Ideen zu finden, hörte ich Podcasts mit Gesprächen über Kreativität, Reisen und Fotoprojekte, besuchte die neuesten Ausstellungen und Fotoevents, setzte mich mit Themen wie persönliche Entwicklung und Zeitmanagement auseinander. Das war bereichernd, lehrreich, inspirierend. Im Dezember 2019 hörte ich zufällig einen Podcast mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zum mentalen Zustand des Flows. Da wurde ich hellhörig.
Den Flow-Zustand kannte ich zunächst nur von dem Gefühl, dass ich mich manchmal sehr gut konzentrieren kann und es einfach fließt. Beim Schreiben wissenschaftlicher Abhandlungen hat mir der Flow jahrelang wunderbare Dienste erwiesen, ohne dass ich ihn bewusst als besonderen mentalen Zustand wahrgenommen hätte.
Ich wurde neugierig und wollte mehr darüber erfahren. So las ich dutzende komplizierter Fachbeiträge von Psychologen, Neurologen und Produktivitätsforschern. Nebenbei bemerkte ich, dass meine besten Fotos und Ideen entstanden, wenn ich im Flow war. Ich blieb Flow-getrieben länger am Ball – oder am Fotoapparat – und konnte meine kreativen Ideen hemmungsloser umsetzen. Da ich ein unruhiger Geist bin, half mir der Flow, meine Leistung zu fokussieren und meine Kreativität insgesamt auf ein höheres Niveau zu heben.
Ich hatte wieder Spaß am Fotografieren, weil ich mir neue Ziele steckte. Mit der Inspiration aus dem Aufgenommenen und dem Wissen über die Funktionsweise des Flows merkte ich: Durch systematisches Suchen gelange ich zu neuen Ideen. Diese ständige Suche, in der alle Kreativen sich wahrscheinlich irgendwann wiederfinden, wird durch eine geduldige Zeit des Fleißes befördert. Die »Spaßbremse Fleiß« wird durch den Flow abgepuffert. Der Flow steigert nämlich deine Geduld um ein Vielfaches. Du trägst Gesehenes und Erfahrenes zusammen und entwickelst deine Gedanken und Inhalte weiter. Du spürst Lust, Ausdauer und Motivation für das Aufbauen neuer Ideen. Du fühlst dich beflügelt und setzt deine Suchergebnisse neu zusammen. Damit befeuerst du deine Kreativität, findest neue Themen und erkennst, wie du tiefgründigere Bilder machen kannst.
1–2 Wenn ich im Flow bin, spiele ich wie ein glückliches kleines Mädchen mit meiner Kamera. Ich nehme die unwahrscheinlichsten Positionen mitten unter den Menschen ein, um die beste Perspektive für mein Foto zu erzielen. Wie das aussieht, ist mir dann gleichgültig. Es hat auch noch nie geschadet: Die Leute lächeln höchstens etwas mitfühlend bis mitleidig, wenn sie mich so kleinkindhaft fröhlich sehen. So wie dieses Mädchen, das ich 2019 in Madagaskar fotografierte. Ich hatte auf einer Tagungsreise an einer recht touristischen Stelle gehalten, um Baobabs zu fotografieren. Die beiden Kinder gingen von Touristenauto zu Touristenauto. Sie bettelten nicht wirklich, hofften aber doch, dass eine Kleinigkeit für sie abfallen möge. Ich hielt mich wie meistens länger auf, spazierte um die wundervollen Bäume und ließ mir Zeit, die Natur und die Umgebung auf mich wirken zu lassen. Auch die Kinder nahmen meine Spiellaune mit der Kamera wahr. Statt sich in Bettelstellung zu begeben, hüpften sie ausgelassen umher. So beeinflussen meine Stimmung und der Flow auch meine Umgebung und das Foto, das dabei entsteht.
In diesem Buch wende ich meine eigenen Erfahrungen und die wissenschaftlichen Grundlagen, die ich in wochenlanger Recherche zusammengetragen habe, auf die Fotografie an. Ich erkläre mit wenigen wissenschaftlichen Begriffen die Hintergründe und baue eine Anleitung auf, wie du dich gezielt in den mentalen Zustand des Flows versetzen kannst. Ich benutze eigene Bilder, die zum Teil weit weg von Perfektion sind, um dir an meinen Beispielen zu zeigen, welche Fehler man selbst machen muss und wie du dich entwickeln kannst. Dabei hat mir die Corona-Krise einen Strich durch die Rechnung gemacht, da ich vorhatte, noch einige Bilder gezielt zu fotografieren. Die Ausgangssperre hat mich also gezwungen, auf mein Archiv zurückzugreifen. So haben die vielen angesammelten Bilder letztendlich nun doch einen Sinn.
Ich zeige auf, wie jeder Fotografierende für sich einen Weg finden kann, den Flow für bessere fotografische Leistung und mehr Spaß in der Kreativität anzuwenden. Viel Spaß beim glücklichen Fotografieren!