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Kapitel 3 Swan Valley II

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Scheiden tut schrecklich weh, auch wenn es nur ein Abschied auf Zeit und mit Wiedersehen sein sollte. Besonders die Zeit unmittelbar vor der Abreise rinnt geschwind abwärts, wie ein Gebirgsbach, vergeht mit jeder Stunde schneller. Angeschwollen von Versprechen, Schwüren, Wenn und Aber.


Zum Jahresende schloss ich die High-School in Perth endgültig ab. Erleichtert, erwachsen und voller Elan fühlte ich mich so manches Mal doch leer. Neuanfänge sind aufregend und anstrengend, anregend und wenig vorhersehbar.

Ab kommendem April würde ich in München sein und die Zeit bis zum Studienbeginn zunächst mit einem Praktikum, in einem kleinen Architekturbüro, überbrücken. Zum Wintersemester, also ab Oktober, sollte ich dann endlich meinen Studienplatz einnehmen. Somit lagen jetzt noch ganze drei freie Monate vor mir, also genügend Möglichkeit Unvergessliches zu begehen. Mit wem?


Der Jahreswechsel stand im Swan Valley für Sommerzeit, Weihnachten und Urlaub. Denn im Anschluss, zwischen Ende Januar und April, fand die Weinlese statt, eine intensive Zeit für unsere Familien.

Daniele und ich hatten vor, gemeinsam ein paar Tage mit dem Auto wegzufahren, die Korallenküste entlang bis Monkey Mia. Ich konnte es kaum abwarten, unser erster „offizieller“ Urlaub. Meinen Vater redete ich deswegen fast um den Verstand, sonst hätte er wohl kaum sein Einverständnis gegeben. Eine Budgetaufbesserung seinerseits gab es jedoch nicht, so klar konnte er dann schon wieder denken.

Ohne Vorausplanung, Hotel und Luxus, dafür aber mit Zelt, Schlafsack und ganz alleine die Zweisamkeit genießen.

Im letzten Moment, besser gesagt, im allerletzten Moment wurden wir jedoch gezwungen unsere Reisepläne zu opfern, aufgrund einer unaufschiebbaren, beruflich bedingten Reise seines Vaters. Danieles Anwesenheit war somit für seine Mutter wieder einmal wesentlich und vonnöten. Eine betrübliche Enttäuschung für mich, für uns, - ganz und gar unwillkommen!


Wenn Dinge unverhofft ins Schleudern geraten, verselbstständigt sich oft der Effekt und springt über. Auf keinen Fall wollte ich unser (geheimes) Vorhaben in Gefahr bringen.


„Daniele, was macht deine Einschreibung an der Uni in Florenz?“

„Ich habe noch keine Antwort erhalten.“

„Hast du denn einmal nachgefragt, ob deine Unterlagen angekommen sind?“

„Nein, hör mal, das ist jetzt wirklich übertrieben. Lass nur, ich erledige das schon. Mein Vater legt nächsten Monat wieder in Genua an und wird, wenn es sein muss, für mich nach Florenz fahren.“

„Ok, ok ich habe verstanden, du kümmerst dich bestens um alles. Weißt du, ich hatte meinen Cousin vor Ort, in München und der hat alles für mich geregelt. Deswegen …! Was machen wir heute?“

„Lust auf Meer?“

„Immer. Was meinst du, nehmen wir zur Abwechslung mal meine Geschwister mit?“

„Emma, du weißt doch, dass mich Lilly dann die ganze Zeit über in Beschlag nehmen will.“

„Wehr‘ dich doch …“

In der Tat war meine Schwester hartgesotten, konnte in Notfällen durchaus taub und blind sein, für vieles.

„Daniele, ich sage dir was, wir gehen alleine.“

„Hmh. Vielleicht ist es doch besser, wenn Tim und Lilly mitkommen.“


Die Leichtigkeit ging uns häufiger abhanden. Irgendwie schlich sich Zwang in die Luft und die musste man schließlich einatmen. Lieber hätte ich manchmal nur etwas mit meiner Familie und Freunden unternommen oder wäre einfach nur alleine zu Hause geblieben, für Daniele wenig nachvollziehbar. Zuweilen setzte ich mich aber über ihn hinweg, warum auch nicht. Eine gewisse Unruhe zog ein, Veränderungen bringen sie häufig gerne ungefragt mit.

Letztendlich verbrachten Daniele und ich eine schöne, wenn auch deutlich weniger harmonische Zeit miteinander, als ich mir vorgestellt hatte. Dies kam nun keiner Herabsetzung der Zuneigung gleich, sondern lag eher am lange ersehnten Schritt in die Unabhängigkeit, weg von Eltern, Familie, vom Gewohnten. Ein Schritt, welcher sich letztendlich doch von vielen, anderen Faktoren mehr als abhängig erweist.


Nach unzählig geglaubten Tagen nahte sie dann doch, die letzte Woche. Die Minuten liefen immer weiter vor und drehten sich nicht um. Der Abreisetag stand bevor.

Meine Mutter begleitete mich nach München und würde auch für knapp drei Wochen bleiben. Mein Vater fuhr uns zum Flughafen, von allen anderen hatte ich mich bereits verabschiedet. Die ganze Zeit über erzählte er Geschichten aus seiner Studentenzeit und freute sich mehr für mich, als ich selbst. Vielleicht konnte er ja doch weiter sehen, als ich?!


Die letzte Zeit war an- aus- und überfüllt gewesen, sodass mir der kommende Flug wie eine Niemandslandüberquerung vorkam. Anfangs war ich aufgewühlt, wurde das Gefühl nicht los, etwas vergessen und unerledigt gelassen zu haben.

„Emma, mach‘ dir keine Gedanken, es kommt, wie es kommt, jetzt kannst du sowieso nichts mehr ändern.“

Mütterlicher Fatalismus. Welch Trost! Ach, was soll’s. Jetzt war ich unterwegs und die Dinge gingen ihren Lauf. Ich beschloss, die Zeit mit meiner Mutter Carolin zu genießen.

Sie erzählte mir von ihrer Kindheit am Bodensee, ihren Eltern Paul und Lena, Onkel Max und natürlich von ihrem heiß geliebten Bruder Patrick. Eine stille Sehnsucht schien zu erwachen, in ihr und auch in mir. Vielleicht eine Basis für mehr Nähe zwischen uns. Das Swan Valley ließen wir für diese Zeit hinter uns und erlebten nur das, was kam, im Jetzt.


Wie jedes Jahr wollte Daniele mit seiner Familie nach Italien reisen. Im Anschluss gedachte er den September bei mir zu verbringen, um dann ab Oktober in Florenz sein Studium aufzunehmen. Die Aussichten waren toll, alles war geplant und konnte nur noch passieren.

So, - oder anders.

Das Schicksal hatte sich für … anders entschieden.


Schleichend begann es sich mitzuteilen, in Ereignissen.

Danieles Vater lag, nach einem Arbeitsunfall auf einem seiner Schiffe, transportunfähig in einem Krankenhaus in Perth. Daniele, seine Mutter und seine Schwester wechselten sich mit den Krankenbesuchen ab. Die Operation war gut verlaufen, aber die Rehabilitation würde eine noch unbestimmte Zeit in Anspruch nehmen. Es verstand sich von selbst, dass Daniele den von uns angedachten Weg verlassen musste. Er war sicher, dass es sich hierbei nur um einen Umweg handelte, also eine Verzögerung. Das alles tat mir sehr leid, nicht ausschließlich für mich, sondern für seine Familie.

Meine Mutter und Lilly boten ihre Hilfe an, was mich sehr stolz machte. Von diesem Stolz blieb mir zum Schluss nur ein dumpfer, schaler Geschmack. Mein Vater verbot mir zurückzukommen. Ausdrücklich. Somit konnte ich Daniele in dieser schwierigen Zeit keine Hilfe sein. Aber - vielleicht wäre alles sowie so gekommen, vielleicht.

Lilly nutzte meine Abwesenheit zu ihren Gunsten, füllte sie aus und über alle Maßen an. Erwies sich als uneigen und tauglich, gab großartige Demonstrationen ihres Talents, war greifbar und wurde wohl unentbehrlich. Ihr buhlerisches Verhalten schlug Wurzeln. So tief, dass Daniele mir indessen nicht einmal mehr selbst Auskunft zu geben gedachte. Und so übernahm es dann Lilly wohl für ihn und berichtete mir.


„Emma, Hallo. Störe ich? Tut mir leid, dass ich es dir am Telefon mitteilen muss.“

„Lilly? Ist es wegen Danieles Vater? Geht es ihm schlechter? Es ist doch hoffentlich nichts passiert, oder doch? Armer Daniele ...“

„Nein, nein. Er ist auf dem Weg der Genesung, er ist sogar schon wieder zu Hause. Es geht eher um Daniele.“

„Daniele? Was ist mit ihm? Sicher hätte er mich gebraucht, ist verstimmt, da ich nicht kommen konnte, aber …“

„Emma, warte, lass mich doch ausreden.“

„Also geht es ihm gut, er ist nicht böse auf mich?“

Warum fragte ich eigentlich meine Schwester? Wir hatten doch bisher kein vertrauliches Verhältnis. Und über Daniele sprach ich generell mit niemandem, bisher gab es auch nichts zu besprechen. Irgendwas ging hier gegen den Strich.

„Was willst du mir eigentlich sagen Lilly?“

„Wir haben uns verliebt!“

„... wie bitte?“

„Wir haben uns verliebt!“

„Das habe ich verstanden. Aber? … Wer wir?

„Daniele. Daniele und ich.“


Wer liebt, fühlt sich im Recht. Und sie gab mir deutlich zu spüren, wie sehr sie es auf ihrer Seite wusste.

Ich legte auf, ohne noch etwas zu sagen.

Mir war nur noch nach Weinen zumute, stundenlangem Weinen. Im Stehen, im Sitzen, im Liegen, beim Essen, beim aus dem Fenster starren, vor laufendem Fernseher, beim Zähneputzen, in den Schlaf hinein und aus dem Schlaf heraus.

Tief Verborgen

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