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Prolog

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„Oh mein Gott, die Wehen kommen schon alle 5 Minuten, Paul. Wir müssen jetzt wirklich ins Krankenhaus fahren.“ Mein Mann sitzt völlig entspannt auf der Couch und sieht sich eine Auto-Tuning-Sendung im Fernsehen an, da wir ja heute Morgen schon in der Klinik waren. Naja, genau genommen war nur ich dort, denn Paul meinte, wenn die Wehen eingeleitet werden, wird das bestimmt eine Weile dauern, er käme dann später nach. Damit hatte er am Ende auch Recht behalten. Der kleine Ben machte einfach keine Anstalten, sich auf den Weg zu machen, und so hat man mich wieder nach Hause geschickt, bis es ernst wird.

Den ganzen Tag versuche ich nun schon, solange wie es geht, auszuhalten. Noch eben die Wäsche aufhängen. Schnell noch die Buchführung fertigmachen. So vergeht Stunde um Stunde, die Abstände der Wehen werden mittlerweile dramatisch kurz und die Schmerzen beinahe unerträglich. Als es nur noch 5 Minuten Abstand zwischen den Wehen sind, läuten bei mir alle Alarmglocken, und so kann ich Paul endlich überzeugen, uns nun auf den Weg in das große Abenteuer zu machen.

Er bewahrt trotz allem die Ruhe. Ich kenn´ Paul lange genug, um zu wissen, dass er in jeder Lebenslage immer zu einem kleinen Scherz aufgelegt ist. Trotzdem bin ich kurz verwirrt, als er beim Einsteigen ins Auto meint: „Auf dem Weg halten wir aber noch bei McDonalds an, wer weiß, wann ich das nächste Mal was zu essen bekomme!“ Wenn ich mit seinem Humor nicht so gut umgehen könnte, hätte mich das schon aus der Ruhe bringen können. Ich habe auch gar nicht viel Zeit, nachzudenken, da schon wieder die nächste Wehe im Anmarsch ist. „AAAAAH!“ – ich kann den Schmerzensschrei kaum unterdrücken. Aber ich versuche mich zu erinnern, was ich im Vorbereitungskurs gelernt habe: langsam und tief einatmen und entspannen.

Die Entspannung hält so lange an, bis Paul den Blinker setzt und an der völlig falschen Ausfahrt herausfahren will. Ich habe davon gehört, dass Väter wegen der Aufregung der bevorstehenden Geburt schon mal etwas durch den Wind sind, aber was soll ICH denn erst sagen? „Du bist … AAAAH … hier falsch, (vorsichtig einatmen) … die Ausfahrt zum Krankenhaus ist noch eine weiter“, versuche ich unter einer neuen Wehe mitzuteilen und halte mich verkrampft am Türgriff fest. Paul dreht verständnislos den Kopf zu mir und sieht mich kurz von der Seite an, als wolle er sagen: „Haben wir das nicht eben besprochen?“ Ich kann nicht glauben, dass er jetzt wirklich zu McDonalds fährt, bin aber nicht in der Lage, etwas zu sagen, weil mir zum einen die Luft, aber auch die Worte fehlen.

Er parkt in aller Seelenruhe ein, steigt aus und fragt, bevor er die Türe schließt, noch: „Soll ich dir was mitbringen?“ Wieder brauche ich einen Moment, um meine Worte wiederzufinden und bekomme nur ein verkrampftes „NEEEEIIIIN“ heraus. „OK“, sagt er, und verschwindet im Hamburger-Paradies.

Keine Ahnung, wie lange ich nun schon warte, aber ich sehe schon die Schlagzeile in der größten deutschen Tageszeitung: Baby hat auf McDonalds Parkplatz das Licht der Welt erblickt – Wir lieben es. Wahrscheinlich wird McDonalds für die kostenlose Werbung eine Patenschaft übernehmen und der kleine Ben darf lebenslang mit seinem Papa dort einmal in der Woche kostenlos so richtig zuschlagen. Oder vielleicht benennt man ja einen Burger nach ihm. Den SWEET BABY BACON. Der schnelle Burger für jede Lebenslage.

AAAAAH, ich könnte schreien. Ich glaube, ich tue es auch. Was mache ich hier eigentlich? Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnet Paul endlich die Türe und sieht sichtlich zufriedener aus. Gott sei Dank! Es geht IHM besser. „Kannst du jetzt mal Gas geben oder willst du, dass in der Geburtsurkunde von Ben steht: Geburtsort: A3 zwischen Köln und Bonn? Und willst DU mein Geburtshelfer sein?“ Paul versteht die Botschaft und macht sich – sichtlich weniger entspannt als vorher – mit Vollgas auf die Autobahn.

In einer Wehenpause wandern meine Gedanken in den Kreißsaal. Wenn ich es mir wünschen könnte, möchte ich unbedingt Mara als Hebamme haben. Leider kostet die Buchung einer Beleghebamme einen Aufschlag, also musste ich darauf verzichten. Da ich schon mal mit dem Universum liebäugele, habe ich mir einfach gewünscht, dass Mara am Tag meiner Entbindung zufällig Dienst hat. Die meisten Menschen halten einen für verrückt, wenn sie von der Bestellung beim Universum hören, daher rede ich eigentlich gar nicht darüber. Doch ich bin fest davon überzeugt, dass man seine Herzenswünsche an eine höhere Stelle – wie auch immer man sie nennen möchte – abschicken kann und darauf vertrauen soll, dass sie in Erfüllung gehen. Bei der Besichtigung des Kreißsaales habe ich nur beiläufig gefragt, wie hoch denn die Wahrscheinlichkeit sei, Mara anzutreffen. Die Antwort der amüsierten Kollegin war: „Das können Sie vergessen, sie hat nur 8 Tage im Monat Dienst.“ OK, zugegeben, eine Herausforderung, aber nicht unmöglich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir in der Klinik an. Vor Schmerzen zusammengekrümmt eile ich – nein, besser trifft es: eiere ich - zum Kreißsaal und meine erste Frage an Schwester Beate ist ungeduldig: „Ist Mara da?“ „Nein“, antwortet Beate. Hmm, schade, ich hatte so darauf vertraut, dass mir dieser Wunsch erfüllt wird. Und ich war mir so sicher. „Gleich beginnt das Fußball-Länderspiel. Schaffen wir das bis dahin?“ richtet Paul seine erste Frage an Schwester Beate. So langsam fehlt mir nun doch das Verständnis für seinen Humor und ich sehe ihn entgeistert an. Schwester Beate erwidert humorvoll – oder höre ich da einen süffisanten Unterton? –: „Nein, erste Halbzeit nicht, aber zweite Halbzeit könnte klappen!“ Paul ist glücklich. Sicher, weil jemand seinen Scherz gut fand.

Einen Augenblick später zwinkert Beate mir zu und sagt: „Aber Mara muss jeden Augenblick kommen, sie löst mich um 20.00 Uhr ab.“ JA! Jackpot! Mir fallen gar keine Worte ein, so sehr freue ich mich. Bis die nächste Wehe kommt. Das haben schon Millionen Frauen vor mir ausgehalten. Das halte ich auch aus! Ja, ich will ja, aber diese Schmerzen… Ob die auch jede Frau so schlimm hat? Bestimmt nicht!

Na gut, ich weiß schon, dass jede Frau diese Schmerzen durchstehen muss, aber verdammte Scheiße nochmal, wozu hat man denn Schmerzmittel erfunden? Ich will jetzt sofort was gegen die Schmerzen haben. In einem klaren Augenblick sage ich das auch schnell Schwester Beate: „Bitte geben Sie mir sofort eine PDA. SOFORT.“ Beate bleibt ganz ruhig. „Ich bereite schon mal alles vor.“ „Aber bitte schnell.“

Als ich das nächste Mal hochsehe, steht Mara lächelnd neben mir. „Na, da hat sich dein Wunsch ja doch erfüllt!“ Ich freue mich so sehr. Da wir aber wenig Zeit für Smalltalk haben, informiere ich sie schnell über den Stand der Dinge. Meine Stimme überschlägt sich förmlich, weil ich ahne, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt, bis mich die nächste Schmerzwelle überrollt. „Schwester Beate hat schon die PDA vorbereitet, die musst du mir SOFORT setzen.“ Aber Mara legt mir beruhigend die Hand auf den Arm. „Ich mache mir erst mal selbst ein Bild der Lage und dann sehen wir weiter, okay?“ Außerdem kann sie sich einen Kommentar an Paul – ach ja, wo ist der eigentlich? – nicht verkneifen. „Am meisten liebe ich die Väter, die mit der Zeitschrift in der Hand warten, bis alles vorbei ist!“ Er sitzt tatsächlich auf dem Stuhl neben der Türe und hat die Autobild in der Hand. Mir schießen gerade tausend Gedanken durch den Kopf.

Irgendwie schafft es Mara, dass ich etwas ruhiger werde, und nachdem sie mich untersucht hat, sagt sie mit warmer Stimme, immer noch ein Lächeln im Gesicht: „Ich mache dir einen anderen Vorschlag. Du presst jetzt zwei Mal, und dann ist dein Kind da.“

Und sie hat wirklich Recht. Noch ein paar Mal überrollt mich der Schmerz und wie in Trance spüre ich, wie sie keine fünf Minuten später ein warmes, weiches, quiekendes Bündel Mensch auf meine Brust legt. Ich bin überwältigt vor lauter Glück und schließe sanft das Tuch um den kleinen Körper, nehme vorsichtig die kleine Hand in meine, und schmiege meine Wange an das Köpfchen mit den flaumigen, dunklen Haaren. Der Duft dieses kleinen Menschenkindes ist einzigartig und so liege ich eine ganze Weile und genieße einfach nur den Augenblick, fest entschlossen, diesen kleinen Menschen für den Rest seines Lebens zu beschützen. Nicht ein einziger Moment in meinem Leben ist vergleichbar mit diesem einzigartigen Wunder. Das ist es, was meinem Leben das größte Glück und die größte Erfüllung gibt.

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