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AUSGEBEUTETE BEUTE

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Nachdem wir erschöpft in den Konzern an unsere Schreibtische zurückgekehrt waren, nahm dementsprechend der Papierkrieg zu, denn alle Details der erfolgreichen Rettungsaktion mussten für die Metaanalysen minutiös dokumentiert und ausgewertet werden. Hierfür wurde aus zeitökonomischen Gründen und zur Optimierung der Effektivität die elektronische Akte optimiert. Leider steckte ihre Technik noch in den Kinderschuhen. Sie konnten nur schrittweise und nach dem Käsekästchenprinzip von billig akquirierten Hilfskräften seitenweise eingescannt werden. Das Entziffern der Käsekästchen war sehr mühsam und zeitintensiv, denn jede Seite musste einzeln angeklickt werden und es war nicht möglich, zu scrollen oder gar elektronisch zu blättern. Das blieb Zukunftsmusik. Übersichten gab es nur im Miniaturformat, sodass Stecknadeln in Heuhaufen gesucht werden mussten. Meine Augen brannten, die Bindehaut trocknete aus und bereits am frühen Nachmittag flimmerten und tanzten mir die elektronischen Buchstaben auf der Nase herum. Sie führten ein Eigenleben. Was ich nicht auf den Schirm bekam, würde früher oder später eine wie auch immer geartete Kontrollinstanz auf den Screen rufen. Diese Furcht nagte an mir, die ich hilflos wie in einem Hamsterrad gegen die Schrumpfung der Gegenwart ankämpfte.

Zum Scannen flog Fade Leiharbeiter aus Übersee ein. Sie wurden wie Ware gehandelt, teilweise direkt durch wechselnde Überlasserfirmen oder über weitere Ombudsmänner. Er setzte sie auch für Putz- und Botendienste und für die Registratur ein, sowie für jedwede mögliche Anlerntätigkeit. So konnte die Konzernleitung die Konkurrenzfähigkeit erhöhen, indem sie flexibel Einstellungen und Kündigungen vornahm. Zahlreiche Anüs, Arbeitnehmerüberlassene, waren der deutschen Sprache zunächst gar nicht mächtig. Die Headhunter der Leihfirmen zwangen sie bereits in ihrem Heimatland, befristete Verträge zu unterzeichnen, ebenso wie die fristlose Kündigung, die den armen Geschöpfen also jederzeit bei Nicht-Funktionieren unter die Nase gerieben werden konnte. Jeden Tag mussten sie damit rechnen, dass es ihr letzter sein könnte in relativer Sicherheit an einem Ort, der für sie paradiesische Zustände zu versprechen schien, sollte die Integration gelingen. Eine Kündigung führte zur fristlosen Demission ins unspezifische Nichts, denn meist hatten sie nicht einmal das genügende Kleingeld für ein Rückreiseticket. Sie erhielten einen Spottlohn und zusätzlich Hartz IV zur Sicherung ihres Existenzminimums und waren in großen Wohncontainern auf dem Konzerngelände hinter dem Park der Selbstwirksamkeit für die Führungskräfte untergebracht. Boni gab es nur in Form des Lebenselixiers, das ihnen zwar reichlich zum Nulltarif zur Verfügung gestellt wurde, sie aber nicht weiter veräußern durften. Kopfjäger im Heimeinsatz zur Regenerierung ihrer Ressourcen nach längerer Akquise im Ausland hatten die Aufgabe übernommen, im Wohncontainer für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Für die Hygiene waren sie nicht zuständig.

Die erbärmlichen Bedingungen weckten mein Mitgefühl. Wie konnten wir diese bedauernswerten Mitarbeiter unterstützen? Kontakt war uns strengstens untersagt und nur heimlich und im Verborgenen möglich. Aber konnte Panthers allgegenwärtigen Argusaugen überhaupt etwas entgehen oder drückte er nur ein Auge zu, um jegliches Vergehen zu einem späteren Zeitpunkt noch härter sanktionieren zu können?

Besonders aufgefallen war mir Estrella aus Chile, die ein offenes, fröhliches Wesen hatte, trotz dieser finanziellen Engpässe, der harten Arbeitsbedingungen und der notdürftigen Unterbringung unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ich konnte mich mit ihr recht gut auf spanisch unterhalten und erfuhr die wesentlichen Details der unbarmherzigen Personalgewinnung, die nur der berechnende Panther gemeinsam mit seiner Herzdame Liliane ersonnen haben konnte.

Einmal fuhr ich Estrella am Morgen nach ihrer Nachtschicht „nach Hause“ in den Wohncontainer, da sie zu ausgelaugt war von der monotonen Arbeit und dem Transport der Aktenberge, um sich noch auf den Beinen zu halten. Sie zeigte mir die enge, doppelte Schlafkabine und die unhygienische schwimmende Kochnische, die sie mit zwanzig Mitarbeitern teilen musste und deren Ausgussrohr von einem Haarknäuel verstopft war, sodass sich auch hier Rinnsale auf dem Fußboden bildeten, nachdem das Auffangbecken übergelaufen war – allerdings nicht ganz so heftig wie in der essbaren Stadt. Auch gab es nichts Essbares hier, nur schmierige Reste lagen im Raum verteilt. Es herrschte ein muffiger, ekelerregender, dumpfer Geruch. Ich reichte Estrella mein Pausenbrot, das ich heute aus Zeitdruck nicht gegessen hatte. An meinem PC leuchtete bereits aus Überlastung wegen des Arbeitstaues die warnende rote Ampel, die mich zur Eile und zum Multitasking antrieb, um nicht nachsitzen zu müssen. (Nach zwei Tagen andauernden roten Signals programmierte sich automatisch die elektronische Zeitkarte zur Leistung von Überstunden retour. Dieser Kelch war gerade noch an mir vorbeigegangen.) Ein Aufpasser in Uniform mit Schlagknüppel im Gürtel musterte mich misstrauisch und zog ein grimmiges Gesicht.

„Gäste sind hier nicht gestattet“, herrschte er mich mürrisch an und blies sein Kaugummi zu einer großen Blase, die er provozierend vor meinen Augen platzen ließ. Mich fröstelte. Beschämt verabschiedete ich mich von Estrella und lud sie – nachdem die Luft wieder rein war – zum Wochenende in meinen Mondscheingarten ein, um sich von allen Strapazen erholen zu können.

Im Schatten des Burn-outs

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