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BURN-OUT-EPIDEMIE

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Vor einhundert Jahren gab es schon einmal eine allgemeine quälende Erschöpfung, die damals Neurasthenie genannt wurde. Das vegetative Nervensystem gerät ins Ungleichgewicht und man fährt zur Kur. Freud sexualisierte diese Störung und machte ein Übermaß an Masturbation dafür verantwortlich. Im Übrigen wurden Konkurrenzdruck und Industrialisierung ursächlich einbezogen. Heute, im Zeitalter der digitalen Revolution, heißt es Burn-out. Im Grunde genommen wiederholt sich alles auf einem (höheren?) Niveau. Der Hegelsche Weltgeist ist in Perfektion begriffen. Geprägt hat den Begriff „Burn-out“ der Psychoanalytiker Freudenberger, der das Phänomen an sich selbst nach exzessivem Arbeiten und Schlafmangel beobachtet hat. Es entwickelt sich schleichend, sozusagen durch die Hintertür, aber legt seitdem ganze Betriebe lahm, wie eine Virus-Epidemie. Die Mitarbeiter im Konzern halten nicht Schritt mit der Beschleunigung in der modernen Zeit, hecheln ihr im Hamsterrad gefangen hinterher. Es gibt den Zwang, sich beständig zu wandeln. Flüchtige Kontakte unter Fremden. Beständig ist nur die Unbeständigkeit, die orkanartige Beschleunigung der Zeit, die jedes Gefühl betäubt. Gesundung hat nur ein Ziel: Die leistungsstarke Rückkehr in das Hamsterrad, um Tempo zu gewinnen.

Auch ich fühlte diese quälende Schlaflosigkeit und grübelte mit Schrecken darüber, wie ich den nächsten Tag mit allen seinen Anforderungen übermüdet überstehen sollte, kam kaum noch zur Ruhe, fühlte mich verbittert, deprimiert und immer wieder todmüde und ausgelaugt. Ein schuldiges Subjekt, denn es gelang mir nicht, die elektronischen Aktenberge zu erklimmen und meine E-Mails zu lesen, geschweige denn zu beantworten. Ich versetzte in letzter Minute Freunde an Geburtstagen mit einer fadenscheinigen Entschuldigung, weil ich den Kalendereintrag einfach übersehen hatte. Ich wagte es vor Scham nicht, selbst anzurufen, sondern bat Felix, uns zu entschuldigen. Abends war ich häufig zu müde, um mit ihm auszugehen. Ich nickte auf dem Sofa ein und schleppte mich erst weit nach Mitternacht in unser Kämmerlein, wenn quälende Rückenschmerzen mich weckten. Felix getraute sich nicht, mich vorher aufzuwecken, da ich dann noch fertiger war. Manchmal war ich so erschöpft, dass er mich kurzerhand tragen musste.

So konnte das nicht weitergehen. Meine Arbeitsleistung ließ sichtbar nach. Wie durch ein Wunder waren der Stau in meinem PC und meine Reizbarkeit Mr. Y bisher entgangen. Offenbar und Gott sei Dank hatte er wichtigere Missionen zu erfüllen. Ein circulus vitiosus aus aktivierter Stressachse, Muskelverspannungen, Schlaflosigkeit und tiefster Erschöpfung, der in die Depression zu münden drohte. Die Zeit war plötzlich eingefroren. Es war wie eine temporäre Erstickung, ein plötzlich erzwungener Stillstand, lebende Mumifikation. Auch die Resonanz verstummte. Viele Kollegen, selbst die robuste Gesine und der ehemals lustige Chirurg Gert mit den Zwillingen, waren schon krankgeschrieben. Zurück blieb noch mehr Arbeit, die auf den Schultern derer lastete, die sich mühsam am Rande der Dekompensation dahinschleppten. Selbst aus dem Urlaub hagelte es Krankmeldungen, da die Körper die plötzliche Entlastung nicht tolerierten. Der Sympathicotonus schnurrte in sich zusammen wie ein Gummiband durch die plötzlich fehlende Anspannung, das Immunsystem lag darnieder und man war verschnupft oder erlitt Unfälle.

Wer nicht schnurrte, war Panther, denn dieses „Schwächeln“, wie er es nannte, behagte ihm gar nicht. Inzwischen hatte er mit dem Konzern zahlreiche Auszeichnungen errungen und war zum Geheimrat ernannt worden. Er blieb energiegeladen und dynamisch wie immer und erwartete unbedingt, dass die harten Maßstäbe, denen er sich selbst unterwarf, auch von seinen Mitarbeitern in Perfektion erfüllt wurden. Ein rigides Über-Ich sorgte für die Aufrechterhaltung des pathologischen Bedingungsgefüges, ein Perpetuum mobile.

Jeder, der länger als eine Woche arbeitsunfähig war, musste Blutproben abgeben. Die Chemiker arbeiteten fieberhaft an den diesbezüglichen Analysen, was zur Folge hatte, dass auch sie vom Burn-out erfasst wurden. Ein Bereitschaftsdienst musste eingerichtet werden. Panther tobte – in wachsender Ohnmacht. Selbst Biokoka half nicht weiter, im Gegenteil, dieses Lebenselixier schien ab einer gewissen Höchstdosis eine paradoxe Wirkung zu entfalten, die Lebensenergien zusätzlich zu dezimieren. Es hatte seine betäubende Wirkung eingebüßt und steigerte den stechenden Schmerz und die Übelkeit in meiner geplagten Magengrube. So schüttete ich es kurzentschlossen in den Ausguss, nicht ohne vorher den Computer herunterzufahren, um Mr. Y daran zu hindern, mich über Skype auszuspähen.

Was tun? Zunächst erkannte ich, dass ich an meinen Grenzen angelangt war und dringend soziale Unterstützung benötigte, wenn nicht die Wogen der Hilflosigkeit über mir zusammenbrechen sollten. Da ich über tiergestützte Therapien gelesen hatte und zudem den Missbrauchsskandal lösen sollte, bot es sich an, einen Suchtmittelspürhund zu meiner Unterstützung zu beantragen. Hunde wurden inzwischen auch zur Senkung des Cortisolspiegels als Vorlesehunde bei leseschwachen Kindern eingesetzt. So erhoffte ich mir eine Besänftigung meiner unter Strom stehenden Stressachse und die Lösung der an mich herangetragenen Aufgabe.

Im Schatten des Burn-outs

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