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GENERALVERSAMMLUNG MIT PANTHER

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Pünktlich um 9 Uhr 30 schlug Yolanthe, die elegante Chefsekretärin, leicht wankend auf hochhackigen, schwarzen Lackschuhen den gewohnten Gong. „Biing“ hallte es sekundenlang durch die grauen, trostlosen Flure und mahnte uns zur Versammlung im Saal Alpha. Auch dieser Saal zeichnete sich durch eine beklemmende Atmosphäre aus, nur elektrisch durch Halogenleuchten notdürftig illuminiert, fensterlos. Auf dem Rednerpodium thronte nicht der Chef der Illuminati, sondern der Geschäftsführer, ebenfalls ein Perfektibilist, der sich die Verbesserung und Vervollkommnung des Betriebes zum Ziel gesetzt hatte. „Panther nannten wir ihn, weil er – einmal in Rage versetzt – brüllen konnte wie ein flammenspeiendes Wappentier. Eigentlich hieß er Herr Dr. Pantwitz. Er konnte dem Gegner sowohl heimlich auflauern, als auch sich der Anschleichjagd bedienen, um ihm so nahe wie möglich zu kommen. Die reflektierende Schicht seiner grünlich schimmernden Netzhaut spiegelte uns das fahle, künstliche Licht zurück. Der Vorhang seiner Pupille schob sich nur manchmal auf und ein Bild berührte sein Herz, aber meist erstarb es schnell in all dieser emotionalen Leere. Niemanden ließ er in seine Seele blicken. Er verharrte regungslos, für uns ein Monument von Stärke, Gerissenheit, aber auch kriegerischem Mut – und doch ein bisschen gefangen wie hinter Gitterstäben inmitten gesellschaftlicher und selbst auferlegter Zwänge.

Wir verteilten uns im Halbkreis, ehrfürchtig und gespannt. Zur Rechten die Juristen, die Elite des Hauses, deren Kopf Panther bildete, links das Fußvolk, die Mediziner, mittig die Ingenieure und Chemiker. Es war mucksmäuschenstill, ein beklommenes Schweigen, das nichts Gutes zu verheißen schien. Ich versuchte, hinter der barock proportionierten, durchsetzungsstarken Kollegin Mopsie dezent in Deckung zu gehen.

Panther hob seine in relaxtem Zustand sonore Stimme: „Guten Morgen. Ich begrüße Sie zu unserer heutigen außerordentlichen Generalversammlung.“ Die Mediziner würdigte er nur kurz mit einem prüfenden, abschätzenden Blick, der mich erschaudern ließ. „Wie Sie aus unserem letzten Rundbrief erfahren haben, ist wichtige Vorarbeit auf der Führrungsebene bereits am letzten Wochenende in einer sehr errgiebigen Sondersitzung geleistet worden, in welcher innovative Führrungsstrategien auf den Prrüfstand gestellt und zielführend adaptiert worden sind“. Wie um seiner Rede Nachdruck zu verleihen, rrollte er das „r“, sodass es zunächst gräulich, fast grollend klang, bis dieser Grauschleier wich und bei dem Wort „Führung“ einem selbstzufriedenen Schnurren glich. Ein stolzes, kaltes Lächeln huschte über sein sonst so bewegloses Gesicht.

Alsbald berichtete er ausführlich über die jüngste wirtschaftliche Strategie des Konzerns, seine Konsolidierungspläne für die gespannte Marktsituation und die jüngsten Absatzeinbrüche bei der Vermarktung unseres innovativen Fitnessdrinks „Biokoka“. Neue Forschungsinitiativen der Mediziner und Chemiker gemeinsam seien erforderlich, um den Geschmack noch unwiderstehlicher zu gestalten und vor allem, das Versprechen maximaler Leistungsfähigkeit und bio-psycho-physischer Resilienz bei sozial- und umweltbedingten unvorteilhaften Genexpressionen nach dem Genuss einzulösen. Die Ingenieure schließlich sollten dringlich alle technischen Geräte für die Produktion des Lebenselixiers einer eingehenden Prüfung und Rationalisierung unterziehen. Eine noch wirksamere Werbekampagne müsse ins Leben gerufen werden, da Kunden offensichtlich auf preisgünstigere, wenn natürlich auch weniger effektive Konkurrenzpräparate ausgewichen wären.

„Neptun“, schloss er mit Nachdruck, „nun bitte eine Analyse der Sicherheitsvorkehrungen während des Bombenalarmes.“

Neptun fuhr zusammen und war sichtlich schlecht vorbereitet. „Äh“, setzte er zögerlich an, nach den passenden Worten ringend. „Zunächst: Die Alarmierung und Evakuation aller Beteiligten klappte ja reibungslos.

„Fehlermeldung“, meldete sich ein älterer, hagerer Jurist unter den grauen Eminenzen mit schriller, aufgeregter Stimme zu Wort und bekam einen Flush, sodass er Sekunden lang aussah wie eine überreife Tomate, die zu platzen drohte, ehe er sich wieder mausgrau entfärbte. „Ich habe Pina beobachtet, wie sie die mittige Glastür zwischen den Drehtüren aufstieß, nachdem sich trotz der Notfallsituation bereits Mitarbeitertrauben aufgereiht hatten.“

„Hört, hört“, ging ein Raunen durch die Menge, und „Unerhört“, schrie Panther erbost. „Die Drehtüren sind in Notfällen bei sofortiger Dispensation strengstens untersagt!“ Sein strenger Blick schweifte erneut sorgsam prüfend in die Runde. Es gab kein Entrinnen.

„Pina!“

Leider hatte er mich hinter der barocken Kollegin entdeckt, die sich nun müde in ihrem Stuhl zurücklehnte und so den Blick auf mich freigab. Ich drehte mich etwas seitlich, um mich weniger zu exponieren, nichts Günstiges ahnend.

„Pina!“, wiederholte Panther mit Nachdruck und einer Nuance Ironie, indem er plötzlich den zuvor aufgebrachten Tonfall wechselte. „Das war Spitze. Ich erwarte von Ihnen, das Sie von nun an alle Qualitätsmanagementmaßnahmen für die Werbekampagne in Ihre zarte Hand nehmen, damit sich auch bei den Kunden und Kundinnen in Zukunft Tür und Tor öffnen.“

Alle Augen richteten sich fragend auf mich. Da mir die von meinem Mandelkern signalisierte Flucht aus diesem düsteren Innenraum unmöglich war, blieb nur die sekundenlange Erstarrung als Relikt eines Totstellreflexes.

Nach wiedergewonnenem Erwachsenenmodus antwortete ich gehorsam und fast unterwürfig mit „Ja, Herr Dr. Pantwitz“.

Durch dieses Intermezzo hatte Neptun merklich an Zeit und Sicherheit gewonnen. Die meist freundliche, attraktive, brünette Juniorchefin Edeltännchen, kürzlich frisch gekürt, schob ihm rasch den jüngsten Notfallplan unter, den er mit monotoner Stimme rezitierte, bis Panther barsch unterbrach.

„Papperlapapp, alles irrelevant!“ Und: „Fahren Sie bitte fort, Edeltännchen“. Diese ließ sich nicht lange bitten. Nicht umsonst hatte sie das strenge Assessment bestanden, während ich im Stressinterview von einer ebenfalls anwesenden, mehr farblosen als grauen Eminenz namens Fade aufgrund mangelnder affektiver Schwingungsfähigkeit aussortiert worden war. (Unmöglich hatte ich affektiv differenziert auf diesen Langweiler reagieren können.) Edeltännchen war Ökonomin und schwang optimal mit allen Alphatieren. Selbst Panther zeigte sich beeindruckt von ihrem Know-how, ihrer Wortgewandtheit und ihrem frischen Auftreten. Nur initial zitterte sie bei ihrer PowerPoint-Präsentation etwas vor Anstrengung, fing sich aber zunehmend.

„Macht PowerPoint nicht dumm?“, zischelte Trixi mir zu, eine hoch aufgeschossene, staksige Kollegin, die trotz guten Appetits magersüchtig wirkte und stets auf Krawall gebürstet war. Insgeheim vermutete ich bei ihr eine Schilddrüsenüberfunktion und beschloss, sie bei der nächsten Gelegenheit dezent an eine diesbezügliche Laborkontrolle zu erinnern. Panther jedoch war durch Edeltännchens Vortrag sichtlich besänftigt und erinnerte mich an eine große, satte Katze, die sich nach dem Verzehr eines besonderen Leckerbissens zufrieden die Lefzen leckte.

Aber es gab noch einen weiteren kleineren Zwischenfall. Unter „Sand im Getriebe“ meldete sich die energische Betriebsärztin Gesine mit ihrem strengen, grau melierten Knoten am Hinterkopf zu Wort. Sie hatte herausgefunden, dass zur Personalgewinnung inzwischen eine Zulage gewährt wurde.

„Ich erwarte von Ihnen eine Anpassung unserer Gehälter und zwar nach Alter und Erfahrung gestaffelt.“

Der Haarknoten vibrierte aufgrund ihrer Anspannung. Nun, sie hatte die satte Raubkatze unmittelbar nach ihrer Siesta erwischt. So nahm Panther diese Forderung ruhig, scheinbar gelassen zur Kenntnis.

„Wir werden sehen“, äußerte er fast verbindlich und forderte mit bewährter, hoheitsvoller Handgestik die Mannschaft auf, sich wieder dem laufenden Tagesgeschäft zu widmen. Die Mediziner zogen gehorsam die Köpfe ein. Als ich verstohlen hinter mich blickte, entdeckte ich nur noch die stumme Masse der Arbeitnehmerüberlassenen, auch „Anüs“ genannt, in sackförmigen, wahlweise beigefarbenen oder grauen Kitteln, die uns an Resignation bei Weitem übertraf.

Im Schatten des Burn-outs

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