Читать книгу Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak - Страница 10

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„Mut ist besser

als Erz, das weiß ich,

bei einem Kampf zwischen den Beherzten,

denn einen tapferen Mann

habe ich oft den Sieg erringen gesehen

mit einem stumpfen Schwert.“

Fáfnismál, Island, 9. Jahrhundert

Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben

„Verkriech dich in der Ecke,

weine mit deiner Geliebten!

Wenn du deinen Vater nicht ehrest,

bist du ein erbärmlicher Sklave;

dann erleidest du die Schmach

wie eine gejagte Ziege;

du wirst fallen

wie ein Schaf, das geschlachtet wird.“

Lied von Ingjald, Island 9. Jahrhundert

Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben

Weit draußen im Norden konnten sie das Eis sehen.

Es war nicht dasjenige Eis, das sie von den heimischen Ufern kannten. Keine vereinzelt umher treibende Schollen, die friedlich das Ufer bedeckten. Dies hier war weit entfernt davon. Kleine schwimmende Berge und kompakte Eisflächen bedeckten lauernd den Horizont.

Keiner auf dem kleinen Gelände hatte zuvor solche Eismassen gesehen, und aus gutem Grund wurde in jenen Tagen viel darüber gesprochen. Die Unsicherheit war genauso groß wie die zunehmende Kälte der Luft. Wenn das Eis im Meer derart viel sein konnte, wie würde dann erst der Winter werden? Diese brennende Frage schwirrte durch alle Köpfe der Menschen auf der kleinen Landzunge und daher ähnelten sie einem Ameisenhaufen, der mit einem Stock aufgescheucht wurde.

Die Verwirrung und Unruhe war durch Torvalds Andeutung, die alle vernommen hatten, nicht geringer geworden. Der Hausherr hatte nicht weiter ausgeführt, was er damit meinte, und daher war die Luft mit Vermutungen erfüllt. Die folgenden Tage vergingen betriebsam mit all den Tätigkeiten, wovon viele einen unglücklichen Ausgang nehmen sollten.

Der Hausbau wurde unaufhörlich von erregten Gesprächen über den fremdartigen Anblick des Eises in der Ferne unterbrochen. Und war es nicht das Eis, so war Erik der Gesprächsgegenstand. Jedes Mal musste Ulf alle zur Arbeit ermahnen. Er nötigte die Leute, mehr Treibholz von der Küste heranzuschaffen. Glücklicherweise gab es darunter schwere, feuchte Stämme. Ohne sie wäre ihre Zukunft noch zweifelhafter gewesen.

Keiner wagte es, das, was an Land wuchs, einen Baum zu nennen. Es waren kleine, verkrüppelte Gewächse, die sich kaum zum Verbrennen eigneten. Dennoch konnten sie sie gut gebrauchen. Denn sie hatten immer noch keine Möglichkeit entdeckt, Torf zu stechen.

Torvald war am Felsen gewesen und schwerfällig trottend zurückgekehrt. Wie er so die Steine an der Felswand träge hinunter watschelte, mit dem Blick genau auf jede Stelle gerichtet, auf die er seine Füße setzte, ähnelte er einem schläfrigen Bären, der zu früh aus seinem Winterbau vertrieben worden war.

Er strahlte großen Missmut aus.

Von den höchsten Punkten aus hatte er eine gute Aussicht auf das Land. Das meiste war braun und grau. Scharfkantig und verwittert. Unwegsam und sonderbar. Voll mit merkwürdig rötlichem Gestein. Und vor allem abweisend.

Auf den Felsen gab es jedoch grüne Flecken, die aber kaum mit Gras bewachsen waren. Die meisten Böschungen waren mit verschiedenen Moosen und Flechten überwuchert.

Und über allem erhob sich eine riesige Eiskappe.

Torvald und Ulf kannten sich mit Gletschern aus und wussten, dass sie selbst im Sommer sicher nicht vollständig verschwinden würden. Doch sie waren nicht mit unnatürlichen oder bösen Kräften bevölkert.

- Aber selbstverständlich lassen wir uns im Schatten bei einem von ihnen nieder.

Torvalds seufzender Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er dabei war, aufzugeben. Kurz darauf stupste Ulf seinen gedrungenen Hausherrn eifrig aufmunternd an.

- Die Gletscher werden uns kein Leid zufügen. Sie dehnen sich aus und strahlen eine große Kälte aus, aber sie stören nicht die Ruhe auf dem Hof.

Torvald schien sich damit zufriedenzugeben. Er richtete den Blick auf das Meer hinaus, wo ihm wieder der Anblick des treibenden Eises begegnete.

- Wir werden sehen, ob das Feuer des Rotbärtigen uns den Winter über beschützen kann. Es sieht nämlich so aus, als würden wir von allen Seiten vom Eis eingeschlossen. Und das Eis draußen auf dem Meer gefällt mir ebenfalls nicht. Es sieht sowohl tückisch als auch wild aus.

- Wir können nur darauf hoffen, dass Eriks Gesicht nicht mehr so zerschunden ist, wenn er von Schild-Bjarne zurückkehrt. Es ist wie eine beschwerliche Wanderung über einen Felsen, doch es wird sich in der Zeit zeigen, ob diese Murid bei Schild-Bjarne so kundig ist, wie er uns zu verstehen gab. Wir werden es sehen, wenn Erik heimkehrt.

Während er sprach, beugte er sich zu dem Hund und begann, ihn zu streicheln. Möglicherweise, um den anderen zu trösten und von dessen deprimierenden Worten abzulenken. Vielleicht aber auch, um sich selbst aufzumuntern. Er tätschelte mit seiner schlaffen Hand geistesabwesend die Flanke des großen Tieres, das sich nachlässig und zärtlich an sein Bein schmiegte. Torvald bemerkte nicht die Unruhe, die sich in Ulf eingeschlichen hatte.

Er hörte auf, den Hund zu streicheln, als vor ihnen am Rand des ansonsten friedvollen Bildes des ruhigen Wassers in der Bucht und des Treibeises in der Ferne ein kleines, braunes, verwittertes Fleckchen Erde auftauchte. Sie wandten sich beide dem Meer zu. Ulf hatte in Torvalds Blick gesehen, dass das eine oder andere eine eingehendere Betrachtung verlangte. Da Torvalds Sehkraft nicht mehr so ausgeprägt wie früher war, kniff er die Augen zusammen.

Es war kein Tier, das sie sahen. Das wusste er sogleich. Er stand ruhig da und spähte hinaus, während er den Hund wieder gedankenverloren streichelte. Alle konnten jetzt sehen, dass es ein Boot war, das die Landzunge in nordöstlicher Richtung umrundete. Es näherte sich in kleinen Zügen und voller Fahrt. Torvald richtete sich auf. In der Kühle drehte er sich zu Ulf um.

- Erwarten wir Besucher aus dem Norden?

Ulf antwortete ihm ein wenig nervös und verwirrt.

- Es ist Erik.

Nach einer kurzen Pause fuhr er noch etwas zögerlicher fort.

- Er kam von Schild-Bjarne zurück, als du auf dem Felsen warst. Ich erlaubte ihm, mit dem Beiboot hinaus zu rudern. Er wollte die andere Seite der Landspitze sehen und die sieben Klippen besuchen, die er ständig im Kopf hat. Er versprach, vor dem Morgengrauen zurückzukommen.

Torvald drehte sich ruckartig um.

- Du lässt den Burschen hinaus aufs Meer rudern, das keiner von uns kennt. Du hast doch gesehen, dass es mit Eis übersät ist, das weder du noch ich kennen. Du widersetzt dich meinem eindeutigen Befehl. Du hast dir einige Freiheiten herausgenommen, als ich unterwegs war, Ulf!

Der Wortschwall brach herein über Ulf, der nur allzu gut Torvalds Zorn kannte. Trotzdem nahm der Verwalter all seinen Mut zusammen und baute sich in voller Größe vor seinem Hausherrn auf. Als er sah, dass kein anderer in der Nähe war, streckte er mit gezwungener Ruhe seine Brust heraus und versuchte, sein Ansinnen durch das Gewand durchscheinen zu lassen.

- Du weißt genauso gut wie ich, dass der Junge ungestüm und rastlos ist. Du verlangst, dass ich ihn aufhalten soll, obwohl du selbst deine Mühe damit hast, genau das zu tun. Wenn du weiterhin Herr auf deinem eigenen Hof bist, wirst du ihn sicherlich aufhalten können. Und dann gerne auch für mich.

Die Worte trafen Torvald.

Sein Verwalter und Freund verletzte ihn damit, doch andererseits war Torvald an den rauen Ton des Mannes gewöhnt, mit dem er seit vielen Jahren verbunden war. Wären es nicht ausgerechnet diese vielen Jahre gewesen, wären ihm solch harte Worte teuer zu stehen gekommen. Sie hätten Ulf seine Gesundheit kosten können.

Ulf wusste dies besser als die meisten anderen. Er hatte in den vielen Jahren seines Lebens Torvald wütend und mit aufgestautem Groll erlebt. Nun sah er den Ärger in Torvald wüten, doch er wurde nicht jähzornig. Er ließ Ulfs Worte sacken und er sah allmählich ein, dass die Wahrheit wohl so aussah. Darüber hinaus hatte er ja selbst angedeutet, dass es eine traurige Tatsache war, dass sein Sohn schwer zu zähmen sei.

Wie ein brummender Bär trabte er zum Ufer hinunter, wo die zwei Ruder des kleinen Bootes nun eingezogen wurden, während es über die mit Tang bedeckten Steine hinwegglitt und mit einem reibenden Geräusch anlegte.

Eriks breites Lächeln erfüllte das Ufer.

- Es ist ein gewaltiger Ausblick, den wir entlang der Landspitze sehen konnten, Vater.

Das rote, geheilte Gesicht strotzte noch von den Anstrengungen des Ruderns und der glühenden Begeisterung. Bevor sein Vater etwas einwenden konnte, fuhr Erik eifrig fort.

- Du weißt doch, dass die mächtigen Klippen direkt draußen im Meer liegen. Sie sind wie Zähne aus dem Unterkiefer eines toten Riesen aufgereiht, und es sind sieben von ihnen. Das ist sicherlich ein gutes Omen. Auch Schild-Bjarne stimmt mit mir darin überein.

Torvald hörte ihm schweigend zu.

- Ich habe jedem verboten, ohne meine Begleitung die Landspitze zu umrunden. Was ich an Regeln aufstelle, gilt für alle. Und besonders für dich.

Noch bevor Erik merkte, was vor sich ging, traf die knochige Rückhand seines Vaters die immer noch lächelnde Wange mit einem kräftigen Schlag. Der war so wuchtig, dass er ins Gras fiel.

Er schnellte umgehend wieder hoch.

Noch bevor er wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stand, konnte man sehen, dass er wie von Sinnen war. Er war ein Tornado aus Händen und Bewegungen. Sein Vater wollte ihn mit einem erneuten ausholenden Schlag zu Boden werfen, aber Erik hatte sich bereits weggeduckt. Gerade als er mit den Füßen zur Seite sprang, um dem Schlag auszuweichen, sprang der Hund aus dem Gras auf. Er bellte und an seiner Kehle lief der Geifer herunter.

Alles auf der schmalen Wiese vorhandene Tageslicht sammelte sich im Schimmer der Klinge von Eriks Dolch, und ebenso überraschend wie der Lichtblitz stürzte er sich auf den rennenden Hund. Er rammte den Dolch in den Bauch des springenden Tiers und fügte ihm mit einem Ruck einen breiten Schnitt zu.

Mit seitlich herausquellenden Eingeweiden fiel das Tier jaulend auf der Wiese um, während Erik in der gleichen rollenden Bewegung an seinem Vater vorbeistürzte und auf den Füßen zu stehen kam. Mit nach vorne gestrecktem Hals, hervorstechenden Augen, gebeugten Knien und gespannten Zehen stand er seinem Vater gegenüber und wedelte mit dem Dolch.

Der grölende Hund im Gras ließ seinen Vater erstarren, während Erik Erregtheit verbreitete. Die Hinterläufe des Hundes wurden von abgehackten Krämpfen durchschüttelt, während das warme Blut glucksend auf das Gras strömte. Erik bemerkte das nicht. Er hatte nur Augen für die Hände seines Vaters. Was mit ihnen passieren würde, würde alles entscheiden.

Dann spürte er einen Lufthauch hinter seinem Ohr. Lautlos fiel er durch einen dröhnenden Schlag um, der seinen Nacken traf.

Einige Sekunden später schlug er die Augen wieder auf. Griff erneut nach dem Dolch, aber da war keiner. Der Gürtel war weg, ebenso sein Gewand. Er bemerkte seinen nackten Leib. Die weichen Felle und die Dunkelheit.

Er lag im Zelt, und er hatte verloren.

Ein Gesicht tauchte in der Dunkelheit auf. Als es sich seinem näherte, konnte er ahnen, dass es das dunkelhaarige Mädchen Groa war. Mit ihrer schlanken, warmen Hand drückte sie ihn auf die Felle zurück. Er wollte sich dem widersetzen, doch dann spürte seine Zunge all die losen Zähne und den metallischen Geschmack von Blut. Sein Hirn wurde vom schnellen Traben vieler Pferde durchschüttelt.

Folgsam und schmerzerfüllt sank er zurück.

Er war kaum in die Felle hinab gesunken, als eine Wand im Zelt zur Seite geschlagen wurde und sein Vater mit einer kleinen Fackel in der erhobenen Hand eintrat. Erik erkannte ihn kaum wieder, wusste aber instinktiv, dass er sich zu fürchten hatte. Es war offensichtlich, dass der dunkle Mann wieder in Besitz seiner Kräfte war, und die ersten Worte, die aus dem Bart herauskamen, ließen daran keinen Zweifel erkennen.

- Derjenige, der eine Waffe gegen seinen Vater erhebt, verrät sein eigenes Inneres. Seit alters her ist es eine bekannte Tatsache, dass einem solchen Mann am besten damit gedient ist, umgehend verurteilt zu werden, so dass er nicht ein Leben lang leiden und ein verkümmertes Dasein führen muss.

Es schauderte Erik. Liegend vernahm er die Verwünschung, verletzt und außerstande, seine eigene Furcht zu durchdringen. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte er seinem Vater all die heiteren Gedanken erläutern wollen, die er während der Bootsfahrt um die Landspitze herum gehabt hatte. Darüber, wie er in seinem Inneren über den Anblick, der sich ihm darbot, gejubelt hatte. Über das Land, das er dort entdeckt hatte. Er hätte seine Freude mit seinem Vater teilen wollen und sich daran ergötzt, sich in dessen Lob zu sonnen.

Nun stand der gedrungene, dunkle Mann im Schein des flackernden Lichts da und erklärte ihm, dass er sterben müsse. Hier und jetzt. Eriks Lippen wollten eine Art Fürbitte formen, doch er brachte keinen Laut heraus. Sein Schädel wurde von allerlei Lärm und Pein bedrängt.

Groa zog sich erschrocken in die Dunkelheit zurück. Sie war Sklavin und kannte ihren Platz, weil sie genau wusste, wann sie sich entfernen sollte. Sie wagte auch nicht, hinauf zu ihrem Herrn zu blicken.

Erik stützte sich mit seinem schmerzenden Oberkörper auf den Ellbogen, und ganz verwirrt darüber, was er mit seinen Händen tun sollte, ließ er sie hinauf zum Hals gleiten, wo sie begannen, die kleine, schwere Bronzefigur an der Kette hin und her zu drehen.

- Du fürchtest um deinen Hals und dein Leben, denn das ist ein- und dasselbe.

Sein Vater sprach mit erhobener Stimme, als wäre es eine große Versammlung, die Befehle erhalten sollte.

- Mörder meines Sohnes bin ich jedoch nicht. Doch wenn es mit uns soweit gekommen ist, dass du nicht mehr auf meine Befehle hörst, meine ich, dass es am besten ist, wenn wir nicht gemeinsam auf einer Landzunge leben. Sobald das Frühjahr anbricht, werde ich dich fortschicken.

Erik sank wie ein Sack feuchter Weizen auf die Felle hinab. Er hatte sich kaum hingelegt, als sich sein Vater umdrehte und das Zelt verließ. Mit ihm verschwanden das Feuer und das Licht, und er hinterließ eine hasserfüllte Leere. So schnell das flackernde Licht durch die Zeltwand verschwunden war, so schnell waren Groas Hände wieder in Eriks Nähe.

- Nimm mich mit, guter Erik, nimm mich mit dir. Weg von hier. Überall hin werde ich dir folgen und das Beste für dich tun. Lass mich mitkommen. Es wird schon gutgehen. Nicht wahr? Guter, kühner, roter Erik.

Ihre warmen Hände strichen durch sein Haar und über seine Stirn. Sie taten es mit größtmöglicher Behutsamkeit und Erfahrung. Zugleich sprach sie mit ihrer hastigen Zunge, die immer noch nicht richtig Norwegisch gelernt hatte.

Als sie redete, wurde die Wand des Zelts erneut aufgeklappt. Sie sahen einen dunklen Umriss. Keiner von ihnen atmete. Sie sahen, dass es ein Mann war. Im schummrigen Licht machten sie Torhal aus.

- Ist mein Freund Erik bereits tot oder nur schwer verwundet?

- Es heißt, dass ich kaum länger der Sohn meines Vaters bin. In dieser Hinsicht bin ich wohl tot.

- Ja, aber so wie ich die Welt kenne, ist man entweder tot oder nicht. Und du bist nur verletzt!

- Mein Vater findet, dass dieses Gelände zu klein ist, um uns beide zu beherbergen, daher bat er mich, meinen Platz hier zu räumen. Außerdem gab er mir zu verstehen, dass er mir dafür kein ausgesprochenes Gelingen wünscht.

- Wie schnell sollst du abziehen?

- Sobald es das Frühjahr zulässt.

- Ja, ja. So etwas in dieser Art konnte man ja erwarten. Aber, aber, aber, man hat dich nicht darum gebeten, dich in die Berge zu verziehen oder dich vollständig zu verkriechen. Das ist alles denkbar. Nicht wahr?

- Vielleicht. Er hat mich nicht darum gebeten, in die Berge zu ziehen, nein. Aber vielleicht ist es genau das, was ich tun sollte, Torhal. Ich sage dir: Ich habe die Landspitze im Norden umrundet und dort habe ich eine Wiese, einen Liegeplatz, eine Aue und Hänge gesehen, die weit bessere Möglichkeiten bieten als dieser Ort hier.

Erik machte beim Reden eine kurze Pause. Sein Kopf schmerzte noch immer, doch besser als irgendwelche liebevollen Streicheleinheiten war das träumerische Gerede, mit der er Torhals Gehör locken konnte. Mit trockenen Lippen fuhr er fort, seine Erlebnisse auszuschütten.

- Die Klippen sind ein gutes Omen. Sie stehen in einer Reihe von Sieben vor der Küste, und eben aus diesem Grund habe ich diesen Platz bereits Drangar genannt.

- Also dann war es bereits deine Absicht, dich dorthin zu begeben?

- Ich wollte meinem Vater die Neuigkeiten überbringen und ihn bitten, in der Bucht Land zu nehmen. Aber wie du gesehen hast, wurde aus diesem Vorschlag nichts. Nun kann ich wahrhaftig überlegen, das selbst zu tun. Du könntest ja mitkommen?

- Du vergisst, was freie Männer dürfen und was uns unfreien Sklaven befohlen wird.

Torhals Bemerkung kam zögerlich heraus. Sie war ohne Zurechtweisung und Bitterkeit, doch hing sie noch lange in der Luft.

- Du bist mein Freund, fast wie ein Blutsbruder. Wir sind zusammen aufgewachsen, und ich glaube nicht, dass mein Vater, so wütend er auch sein mag, sich selbst auferlegt, dass du hier an diesem Ort gegen meinen Willen bleibst.

- Deinem Vater fehlt es an helfenden Händen auf dem Hof. Mit deinem Vorhaben wäre sein Mangel noch größer.

- Aber es soll sein, wie ich es dir gesagt habe. Das ist es, was ich mir wünsche. Und das ist es, was ich versuchen werde. Und jetzt musst du mir sagen, ob es auch das ist, was du begehrst. Oder ob es das nicht ist.

- Selbst wenn ich nicht sehen kann, wie sich das anstellen ließe, wird es jederzeit mein Wunsch sein, dir zu folgen, Erik. So wird es wohl bis in alle Ewigkeit sein.

Während sie redeten, hatte Groa kniend neben Eriks Kopf gesessen und eine dickflüssige Tunke auf seinen Nacken geschmiert.

- Was tust du da, Weib?

- Sie wendet wohl ihre Zauberkünste an, die diese dunklen Frauen können. Du wirst sie nach und nach kennen lernen. Bist du nicht gerade von Schild-Bjarnes dunkler Murid zurückgekehrt, die dir dein Gesicht wieder so fein gerichtet hat?

Im Dunkeln konnte Erik Torhals Gesichtsausdruck nicht erkennen, doch er spürte indes deutlich die Wirkung der Tunke. Ein durchdringender, süßer Duft breitete sich in seinen Nasenlöchern aus, und er konnte spüren, wie die Luft im Handumdrehen klarer wurde. Bei dem Gedanken, wieder seinen Geruchssinn nutzen zu können, wurde ihm warm. Obendrein war die prickelnde Wirkung der Tunke auf der Haut nicht unbehaglich. Sie tat wohl, im Gegensatz zu dem klopfenden Schmerz, der seine Nackenmuskeln heimsuchte.

Erik erinnerte sich plötzlich an das Sausen hinter dem Ohr.

- Was geschah dort am Ufer?

Er schaute an Groa hoch, doch die Frage richtete sich an Torhal.

- Der Verwalter deines Vaters gebrauchte sein Schwert, doch es war dein Glück, dass er es in der Scheide beließ, als er zuschlug.

- Wenn ich mich recht entsinne, ist die Mannbuße doppelt, wenn der Schlag hinterrücks erfolgt.

Eriks tiefe Tonlage war zurückgekehrt, und sie führte eine lauernde Gefahr mit sich. Torhal ließ sich von diesem Klang oft beeindrucken, aber diesmal nicht. Er seufzte beruhigend und schaute Erik an.

- Verprügelter Stolz lässt sich wohl mit einem toten Hund aufwiegen.

- Du hast vielleicht Recht, Torhal. Mein Vater hat gewiss seinen besten Hund verloren. Aber möglicherweise denkt er darüber nach, ob er nicht mehr als das verloren hat. Meine Sorge ist, dass ich nie ganz herausfinden werde, was ich selbst verloren habe. Und ich bin sehr verwirrt darüber, dass mein Vater nicht im Geringsten Lust hatte, etwas über den Besuch bei Schild-Bjarne zu hören, obwohl ich alles mögliche Gute im Gepäck hatte. Das ist viel mehr wert als mein kuriertes Gesicht.

- Und was sollte das sein, das dein hochgeschätztes und erneuertes Äußeres aufzuwiegen vermag?

- Wenn du dich für meinen Freund hältst, dann sorgst du dafür, dass Ulf den Weg in das Zelt hier findet. Wenn das gelingt, wirst du erfahren, was ich mitgebracht habe.

- Wie üblich bist du selbstsicher, aber denk daran, wer dir in den Rücken gefallen ist. Und denk daran, was Ulf riskieren wird, wenn er es wieder versäumt, den Befehlen deines Vaters nachzukommen.

- Hat mein Vater Ulf befohlen, dass er nicht mit mir sprechen darf?

- Nein. Nein – das hat er wohl nicht. Nicht auf diese Weise.

Torhal war dabei, das Gesagte zu überdenken. Denn er wusste nicht genau, wie er sich verhalten sollte. Er spürte, dass an dem Vorschlag etwas verkehrt war, doch gleichzeitig konnte er in Eriks Tonfall hören, dass dieser seinen Willen durchsetzen wollte. Sie hatten zwischenzeitlich beide vergessen, dass Groa immer noch zusammengekauert im Halbdunkeln dasaß. Im gleichen Augenblick wussten sie, dass sie sie vergessen hatten. Und ihnen war bewusst, welches Wissen sie nun mit ihr teilten. Torhal ließ wie üblich Erik ausführen, was dies bedeutete und was sie damit anfangen sollten.

- Groa möchte nicht hier an diesem Ort bleiben. Daher wird sie ihre Stimme nicht darüber erheben, was im Zelt passiert ist. Nicht wahr, Groa?

Im Halbdunkel sahen sie ihre aufgerissenen Augen und das eifrige Kopfnicken.

- Du nimmst mich mit. Nicht wahr? Guter, kühner, roter Erik.

- Wir werden sehen. Denk dran, dass du Sklavin bist. Vorläufig hältst du deinen Mund. Und Torhal, du schaffst mir Ulf herbei.

Torhal wirkte kein bisschen überzeugt, als er den Rücken umdrehte und aus dem Zelt krabbelte. Kaum hatte das grelle Sonnenlicht ihn verschluckt, als Groas heilende Hände wieder bei Erik waren. Sie setzte die Behandlung seines Nackens fort, auf dem die Salbe immer noch prickelte. Ein vages Wohlbefinden breitete sich in ihm aus und er ließ sich hinabsinken, als würde er durch die Unterlage hindurchfallen. Groa bewegte ihre Hände in langsamen, kreisenden Bewegungen über seinen Körper. Dabei summte sie ein kurzes Lied vor sich hin, das er nicht kannte. Ihre Hände glitten den Brustkorb hinab, bis sie seinen Unterleib und seine Oberschenkel erreichten.

Erik war ganz bei ihrer zarten, summenden Stimme, doch nicht so weggetreten, als dass er nicht seine Augen hätte öffnen können. Er begegnete ihrem Lächeln, das winzigen Fältchen an der Nase hervortreten ließ. Ihr Lächeln war von Zufriedenheit erfüllt. Sie spürten beide das Ergebnis ihrer zarten Behandlung. Eine ihrer Hände lag auf seinem Glied, während die andere ruhig auf seinem Brustkasten lag. Sie drückte ihn nicht hinunter, beruhigte aber seinen erhöhten Pulsschlag. So lange, bis sich seine Lebenskraft in einem kurzen Atemzug auf die Felle ergoss und er trotz seines schmerzenden Nackens den Kopf zurückwarf.

Er lag einen Augenblick schnaufend da und erst allmählich kehrten seine fünf Sinne zurück. Jedoch bloß, um die große Erschöpfung in den nun erschlafften Oberschenkeln zu spüren. So lag er mit der allergrößten Ruhe da, als Groa sich über in beugte und ihn mit ihren breiten, weichen Lippen auf die Seite seiner kurierten Nase küsste.

- Guter, kühner, roter Erik.

Er stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete sie mit einem nachdenklichen Schmunzeln.

- Vielleicht nehme ich dich trotzdem mit. Es sieht ja so aus, dass du die kurzen, unschuldig gesummten Lieder kennst, die beim Singen eine große Wirkung entfachen. Man sagt, dass sie insbesondere bei denjenigen Frauen wirken, die das erste Mal gebären.

Gemeinsam gaben sie ein kleines, einvernehmliches Lachen von sich. Sie teilten ein Geheimnis, dessen deutlichsten Beweis Groa mit unbefangener Eile aus den Fellen entfernte. Sie war gerade damit fertig geworden, als der Vorhang des Zeltes zur Seite geschlagen wurde und sich eine breite Gestalt mit geschmeidigen, katzenartigen Bewegungen in das Zelt schwang. Es war Ulf.

- Hier hast du mich. Und du sollst wissen, dass ich immer noch bewaffnet bin.

Groa zog sich in die Dunkelheit zurück, von wo aus sie Torhal sehen konnte, wie er sich durch die Öffnung bückte. Ulf drehte sich irritiert und zornig um.

- Wenn du mit mir sprechen willst, brauchen wir doch keine Zuhörerschar.

Genau in diesem Moment wurden sie unterbrochen. Die vier im Zelt hörten alle das Geräusch von polternden Schritten, die auf das Zelt zukamen. Sie wussten, wer jetzt da draußen stand. Und es wurde für sie zur Gewissheit, als Torvald rief.

- Wer ist bei dir im Zelt Erik?

Erik brachte kein Wort heraus, bevor Groa in hastigen Bewegungen über ihn hüpfte und zum Ausgang sprang. Sie schlug die Zeltöffnung zur Seite und beugte sich in die Helligkeit zu ihrem Hausherrn hinaus.

- Ach, du bist es, du kleine Heilerin. Reibst dem Burschen mit was auch immer ein, was?

Torvald lachte, während Groa bekräftigte, dass Erik Behandlung benötigte, so zerschunden wie er sei. Sie erklärte, dass sie seinen Schlaf erleichtert habe und machte Anstalten, Eriks Zelt zu verlassen. Sie gingen zusammen weg, während die drei im Zelt wieder langsam zu atmen begannen.

- Nun glaubt er, dass ich allein bin. Und wir können eine Weile offen miteinander sprechen.

Erik war in seinem Glück gefangen und fuhr fort, ohne die Einwände der anderen abzuwarten.

- Ulf. Ich bin bei Schild-Bjarne gewesen, wie du weißt. Mein Gesicht und meine Nase wurden gerichtet, und ich bin damit zufrieden. Weit mehr bin ich jedoch mit Schild-Bjarnes Äußerungen zufrieden. Er teilte mir mit, was hier an diesem Ort offenbar keiner hören möchte: Es gibt ein großes freies Feld nördlich der sieben Klippen. Es ist frei und es ist unser, wenn wir ein Haus darauf stellen.

- So läuft das nicht, Erik. Du weißt genauso gut wie ich, dass dein Vater Thors Feuer zu diesem Ort gebracht hat, und dass die Hochsitzpfeiler uns diesen Platz gewiesen haben. Wir beide wissen sehr wohl, dass die Verehrung des Rotbärtigen durch deinen Vater alles andere übersteigt.

- Das stimmt. Du hast Recht, aber Schild-Bjarne ist ein ebenso großer Gefährte Thors. Denn es verhält sich so, dass sich Thor in einem Traum an Schild-Bjarne wandte und ihm erzählte, dass das Feuer über den Felsen zu der Wiese getragen werden sollte, die von den sieben Klippen umgeben ist, die ein Zeichen von Thor sind. Das Feuer muss erneut mitgenommen werden, und diesmal nach Norden.

Erik hatte über seine ereifernde Rede beinahe das Atmen vergessen. Mit strahlenden Augen suchte er in Ulfs Antlitz nach derselben Begeisterung, doch dort war vorwiegend nur Nachdenklichkeit und Sorge zu finden.

- Wenn Thor wirklich diese Absicht hat, verhält es sich ja ganz anders. Doch es ist ein großer Nachteil, dass Thor nicht in Torvalds Traum mit genau diesem Hinweis aufgetaucht ist.

Erik hatte vorausgesehen, dass Ulf die Sache auf diese Weise verstehen würde.

- Ich bin der Ansicht, dass sich Thor an Schild-Bjarne gewandt hat, um sich eines mächtigen Boten zu versichern. Außerdem könnte Thor, indem er durch Schild-Bjarne meinem Vater die frohe Kunde übermitteln lässt, Freundschaft zwischen den beiden entstehen lassen und für Frieden unter Nachbarn sorgen.

- Dies ist eine gute Nachricht. Thor hat in alles tiefe Einsicht.

Erik spürte, dass Ulf angebissen hatte.

- Ich wollte meinem Vater diese gute Neuigkeit überbringen, aber wie du weißt, kamen der Hund und das Schwert dazwischen. Ich wusste bereits während der Fahrt zwischen den beiden Orten, dass mein Vater in dieser Sache schwer zu überzeugen sein würde. Aber du, Ulf, kannst mit ihm über die Sache reden.

Erik atmete tief ein, bevor er einen erneuten Anlauf nahm.

- Wenn dir das gelingt, verzichte ich auf die Entschädigung, die ich, wie du weißt, verlangen könnte. Auf die eine oder andere Weise und mit der Kraft, die ich für notwendig erachte.

Nachdenklich und mit zusammengekniffenen Augen blickte Ulf Erik an.

- Du klingst wie ein Gode, der auf dem Thing mit Schicksalen und Versprechen handelt. Und der andere Menschen damit umgarnt und sie darin zappeln lässt, da die Aussicht gering ist, sich aus den Fäden zu befreien.

- Jetzt kapierst du´s, Ulf. Und du merkst auch, dass du dich im Garn verfangen hast. Daher rate ich dir, dass du dich schleunigst selbst auswickeln solltest, indem du mit meinem Vater darüber sprichst.

- Du verlangst viel, Erik. Du lockst mit noch mehr. Doch am schlimmsten ist es, dass deine wiederhergestellte, stolze Nase jede kleinste Regung aufspürt und du ohne Scham alles ausnutzt, was du bemerkst. Wärst du nicht so stolz, wäre das alles leichter für mich.

- Sicher wird es schwer, Ulf. Aber das Gelände nördlich der sieben Klippen wird dich dafür umso mehr entschädigen. Denk daran, wenn du gleich zu meinem Vater gehst. Ich merke doch an dir, dass du bereits deinen Entschluss getroffen hast.

- Ja, aber wenn es mir nicht gelingt, deine Gedanken zum Leben zu erwecken, werde ich selbst derjenige sein müssen, der über sich richtet. Denn das wird dein Vater gewiss nicht tun.

Mit diesen Worten verließ Ulf das Zelt. Seine Bewegungen waren immer noch wie die einer Katze und beide Zurückgebliebenen im Zelt wussten, dass sie richtig gehandelt hatten. Denn seine Anerkennung würde scharfe Klauen erfordern, die sowohl geschmeidig als auch listig sein müssten.

Erik und Torhal packten sich gegenseitig mit den Händen an die Köpfe. So saßen sie sich mit leuchtenden, heiteren und von Stolz erfüllten Gesichtern gegenüber, als Torhal zu singen begann:

Der wütende Hund,

so wild er auch war

vermochte nicht Erik

den Weg zu weisen,

hinfort vom Hof,

entfernt vom Vater.

Mit gewöhnlichem Garn

siegte Eriks Wille.

Verblüfft zog Erik seine Hände zurück und versuchte, eine Fassung zu erlangen, die zu seiner Verwunderung und Heiterkeit passen könnte.

- Bei allen guten Göttern und Thor, ich glaube, du hast einen Schluck von dem Skalden-Met genommen, Torhal. So lange deine Verse meinen Erfolg beflügeln, so lange darfst du singen – wenn wir allein sind. Erheb deine Stimme niemals vor anderen, denn du könntest jemanden verschrecken.

Sie verharrten in ihrem gegenseitigen Lächeln und teilten ein Geheimnis über sieben prächtige Klippen.

Erik der Rote - Schiff und Schwert

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