Читать книгу Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak - Страница 9

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„Sobald ihre Schiffe den Ankerplatz erreicht hatten,

ging jeder von ihnen an Land; sie hatten Brot, Fleisch, Zwiebeln, Milch

und Met dabei und gingen zu einem hohen, aufgerichteten

Holzpfeiler mit einem Gesicht, das aussah wie das

Gesicht eines Menschen.“

Ibn Fadlan, arabischer Gesandter,

Um 920

„Alle Tempel von Thor

und die Heiligtümer der Mächte

gab der kluge Mann

den Menschen zurück

bevor er – der Krieger Thors –

mit dem Schwert von dannen zog

über das Meer und das Land.

Die Götter geleiten diesen Mann.“

Skald Einar Skáleglam,

Die Sage von Jarl Hákon, 12. Jahrhundert

Das Licht blendete in seinen Augen und ließ ihn schwindelig werden. Die Hand seines Vaters lag auf seiner Schulter, jedoch ohne das vertraute Gewicht in der Pranke. Einzig Eriks Oberschenkelmuskeln schienen auf diese leichte Berührung zu reagieren. Sie zuckten kurz zusammen. Ihm war klar, was das bedeutete. Er hatte genau von diesem Augenblick fabuliert. Hatte schwindelnd ungeduldige Träume geträumt und viele Stäbe geschnitzt, während er vor sich hinmurmelte, wie alles weitergehen würde.

Nun passierte es.

Wie ein scheues Tier, das seinen Jäger entdeckt, riss er die Augen auf. Die kalte Luft vom Meer kühlte. Die kräftige Herbstsonne wärmte. Zwischen Vater und Sohn köchelte eine hitzige Spannung. Das war am deutlichsten in Eriks zerschundenem Gesicht zu sehen.

Er trippelte mit den Füßen leicht umher, um die Oberschenkel, Knie und Kiefermuskeln zu entspannen.

Ulf trat einen Schritt in den Kreis hervor. Offensichtlich wollte er etwas sagen. Und es war deutlich, dass er es nicht auf das Nachplappern abgesehen hatte. Er wollte Einwände hervorbringen. Doch ein kurzer, energischer Blick Torvalds ließ ihm bereits das erste Wort im Halse stecken bleiben.

Er verharrte, eingefroren in seiner Bewegung. Dann trafen ihn Torvalds Worte.

- Derjenige, der als verständig angesehen wird, soll seinen Grimm zügeln, wenn der Hausherr spricht.

Torvalds Worte fielen auf Ulf wie ein Fischnetz nieder, das einen Schwarm einschloss und sich zusammenzog. Mitten in der Bewegung fiel Ulfs Widerstand in sich zusammen.

- Hol die Pfeiler, Erik.

Die Worte seines Vaters waren ruhig, beinah überzeugend und von tiefer Vertrautheit erfüllt.

Erik löste sich aus der Berührung und lief mit ein paar erzwungen ruhigen Schritten in die Mitte des Kreises. Er öffnete den Mund, um etwas sagen zu wollen, gab aber auf. Er spürte in seinen Knien, dass nur irgendein Unsinn herausgekommen wäre. Dann ging er mit kraftvollen Schritten weiter durch den Kreis. Im Vorbeigehen konnte er einen Blick auf Torhals gebräuntes, gutmütiges Gesicht erhaschen, das ihm mit der über den hohen Wangen gespannten Haut entgegenstrahlte. In gespannter Erwartung. Erik musste all seine Kräfte aufwenden, um die Kontrolle über seine Füße zu behalten. Er konnte dem sowohl bewundernden als auch beklommenen Lächeln nichts entgegensetzen.

Er lief die Wiese direkt zum Meer hinunter und spürte kaum das kalte Wasser, das durch seine Schuhe und Kleidung drang. Die nassen Schuhbänder lösten sich von seinem Unterschenkel und ein Schuh war bereits über die Ferse gerutscht, als er über den ersten der bewachsenen, glitschigen Steine an der Wasserkante stieg.

Die Stangen lagen ein Stück voneinander entfernt. Sie hatten sich beide zwischen den Steinen verkeilt und schaukelten sanft im Takt der Brandung am Ufer. Erik beugte sich über die erste Stange und betrachtete sie. Sie hatte dieselbe Wirkung auf ihn wie ein Schatz auf einen Geizhals hat. Er kniete im kalten Wasser und begann, die Bänder zu lösen, die das in Fell gehüllte Bündel zusammenhielt. Behutsam und aufgeregt, als wäre es die Schlaufe an einem geheimnisumwitterten Kleid eines Mädchens. Mit eifrigen Fingern arbeitete er sich vor. Die strammen Lederriemen lösten sich und rutschten zur Seite. Er stellte sicher, dass sich die Stangen von den Riemen trennten.

Dies war die erste.

Er ließ sie an der Wasseroberfläche treiben, während er zur nächsten watete und die Umhüllung entfernte. Anschließend schob er sie zusammen, so dass sie nebeneinander lagen und er sie hochnehmen konnte.

Er hatte nie einen Gedanken an das Gewicht der Stangen verschwendet. Daher überraschte es ihn, dass ihr Gewicht ebenso schwer war wie ihre Bedeutung. Er konnte sie kaum aus dem Wasser heben. Schnaubend vor Anstrengung erhob er sich mit den langen Stangen in seinen Armen. Vorsichtig drehte er sich in Richtung Land und sah die kleine Menschenschar und die gedrungene Erscheinung seines Vaters an vorderster Stelle.

Benommen von Stolz und schwerfällig unter der Last, betrat er zögerlich den Strand. Und nun spürte er, wie das Blut in seiner gebrochenen Nase und seinen Schläfen pochte. Der Puls jagte wie ein Trommelwirbel durch seinen Körper.

Doch es ging.

Wie ein Fohlen, das sich zum ersten Mal zum Säugen erhebt, watschelte er ans Ufer. Sein Stolz schwappte in seine nassen Lederschuhe, die dazu bereit waren. Doch die glitschigen Steine am Strand mit ihrem grünbraunen Tang waren nicht so fügsam. Sie behielten sich bis zum Schluss das Recht der tückischen Hinterlist vor. So näherte sich Erik der wartenden Schar vollkommen ohne die beabsichtigte Erhabenheit.

Sein Vater befreite ihn von der Bürde. Er nahm die Stangen, die Erik beinah nicht loslassen wollte. Erhobenen Hauptes trat sein Vater auf die Menge zu. Erik lief mit einer Hand an den Stangen neben ihm, und so erreichten sie gemeinsam die Wiese.

Neben der Feuerstelle legte Torvald die Stöcke ins Gras und bat Ulf, einen Kübel mit Erde zu holen. Ulf trottete bereitwillig, beinah verwirrt, zum Schiff hinunter. Als er zurückkehrte, hatte er einen rot bemalten Kübel mitgebracht. Er hielt ihn vom Körper weg, als wollte er vermeiden, dass die rote Farbe auf ihn abfärbte.

Er stellte ihn zwischen Erik und dessen Vater ab, die jetzt beide neben den langen, verheißungsvollen Stangen hockten. Ulf verharrte einen kurzen Augenblick, zog sich aber dann rasch mit ein paar Schritten zurück, als Torvald ein murmelndes Brummen von sich gab. Das Geräusch von dem knienden Mann verwandelte sich in einen eintönig klagenden Laut, der einen an einen polternden Gesang erinnern konnte. Er begann, seinen mächtigen, schweren Körper ruhig hin und her zu bewegen, während er den Gesang fortsetzte und gleichzeitig anfing, rhythmisch auf das Holz zu klopfen. Das Trommeln versetzte ihn in weitere Bewegungen. Danach fuhr er mit der Hand zärtlich über das Fell bis zu den Enden der Stangen hinauf und ließ dabei seine Finger durch die weichen, feuchten Tierhaare gleiten.

Erik wusste nicht, was er mit seinen Händen tun sollte. Es war, als hätte sein Vater ihn mit all seinen angenehmen Träumereien in einen Raum gesperrt. Er hatte keine Ahnung, wie er mit einer Huldigung beginnen sollte, oder ob er überhaupt etwas unternehmen durfte.

Er versuchte, in das Brummen seines Vaters einzustimmen. Doch seine helle Stimme hob sich im stechenden Gegensatz davon ab, und da er nicht die Worte kannte, die ab und zu aus der Kehle des sich hin- und herbewegenden Mannes herauskamen, wirkte das Ganze ein wenig peinlich.

Eriks Hände griffen zaghaft nach den Stangen, während sich der Kopf seines Vaters ruhig zu ihm drehte. Ihm begegnete der zärtlichste Blick, den Erik seit langem sah. Der Vater schaute innig zum Sohn, der stumm und mit offenem Mund versuchte, sich selbst in jenem Blick wiederzufinden.

So saßen sie ganz kurz einander gegenüber. Der wippende Mann und der Jüngling mit offenem Mund. Dann legte Torvald seine Hand auf die Eriks und führte sie die Stangen entlang. Er spürte die Wärme im Holz. Fast brennend.

Erik betrachtete ihre Hände und fiel sogleich in den Gesang mit ein. Er bemühte sich, in den Rhythmus des Vaters einzustimmen und zugleich seinen Händen, die die Stangen entlangfuhren, zu folgen. Erik hatte längst damit aufgehört, die anderen um ihn herum wahrzunehmen, und nun achtete er auch nicht mehr auf seinen Vater. Er ließ sich von den Bewegungen, dem Gesang und der sanften Berührung treiben.

Kurz danach war er völlig weggetreten.

Vor ihm gab es nur noch diese mächtige Blume. Die mit feinen Härchen besetzte Knospe brach auf und entfaltete ihre Blütenblätter auf einladende Weise. Verlockende und berauschende Düfte strömten auf ihn zu, so dass er hingebungsvoll hin- und herschwankte. Er verspürte die allergrößte Lust, sich in sie hineinzustürzen und sich in den Düften und Farben zu tummeln. Er wippte mit seinem Kopf. Und er schüttelte sein rotes Haar. Er wollte in die Blume hinein. Hinein wollte er. Hinein. Hinein. Hinein.

Sein Vater legte eine Hand auf seinen Ellbogen. Immer noch seinen tiefen Gesang murmelnd, gab er Erik zu verstehen, dass er sich nun erheben solle.

Erik hielt in seinem Gesang inne. Die Blume entschwand aus seinem Kopf und er schaute fragend und abwartend auf seinen Vater, der jetzt eine lange Eisenstange in seine Hand legte. Erik packte das Eisen, als hing jetzt alles von ihm ab. Sein Vater kniete nun wieder über den Stangen.

Die Hochsitzpfeiler lagen ausgepackt und leuchtend im Tageslicht. Die schimmernden blauen und roten Farben strahlten ihnen entgegen und schwere Eisenringe stachen hervor. Im Morgenlicht lag das entblößte Antlitz des Rotbärtigen mit seinem geflochtenen Bart da. Die hervorstechenden, großen Augen starrten sie blendend, beschwörend und furchteinflößend an.

Aus seinem kleinen Lendenbeutel nahm Torvald einen kleinen, eckigen Feuerstein heraus. Er hielt ihn einen kurzen Augenblick zwischen seinen Händen, bevor er ihn vor den Mund hielt und küsste. Nach einem langen und innigen Seufzer stimmte er in einen noch intensiveren Gesang ein. Dann beugte er sich vornüber und legte eine Hand auf die Pfähle. Er rubbelte mit einem Stoffbüschel über die leuchtenden Farben und streckte mit der anderen Hand den Feuerstein zum Himmel. Mit einem wilden Brüllen schlug er mit einer Hand auf das Antlitz des Gottes.

Dessen Augen blitzten auf.

Erik sah Blitze vom Abbild des Rotbärtigen auf seinen Vater springen. Er klammerte sich an das Eisen und war im Begriff, um sich zu schlagen. Sowohl um sich als auch seinen Vater zu verteidigen. Aber auch, um seine Furcht zu bekämpfen.

Dann reckte sein Vater seine Hand erneut zum Himmel. Und er schleuderte sie mit großer Kraft und lautem Heulen nochmals auf das Antlitz von Thor hinab.

Die Hand seines Vaters traf. Ein Funke sprang aus einem Auge des Rotbärtigen auf die Hand seines Vaters. Mit einem erneuten Aufheulen – diesmal triumphierend – legte sich sein Vater über die Pfähle. Er atmete tief ein und stieß die Luft anschließend aus.

Seine Hand hatte das Feuer entfacht.

Aus dem Stoffbündel stachen kleine Flammen hervor, die Eriks Vater behutsam in seinen Händen hin und her bewegte, während er ihnen kleine Neckereien zuraunte. Dann hielt er das flammende Bündel vor Erik, der zögernd zusah.

Sein Vater legte das Knäuel in ein kleines Behältnis am Ende der Eisenstange und blies anschließend noch mal in die zarten Flammen. Das Feuer erfasste nun das gesamte Ende der Stange. Darauf nahm er Eriks Handgelenk und hob dessen Hand mit dem Eisen gen Himmel.

- Asgards Beschützer! Mit deinem Feuer weihen wir diese Stätte. Behüte uns gut!

Der Ausruf seines Vaters zum Himmel war rasend wie eine Drohung und es lag auch kein Bitten in ihm, als er fortfuhr.

- Rotbart! Dein Feuer möge dieses Gelände umsäumen. Beschütze es!

Noch bevor er das letzte Wort ausgesprochen hatte, ging er in Richtung Strand hinunter. Mit dem hoch erhobenen Feuereisen in der einen Hand und mit der anderen Eriks Handgelenk fest umschlossen.

Erik folgte ihm auf seinem Weg.

Zunächst trugen sie das Feuer zum Ufer hinunter. Anschließend in nördliche Richtung am Wasser entlang, bis sie die ersten Klippen erreichten. Dann bogen sie unterhalb des Felsens ab und liefen südwärts an der senkrechten Felswand entlang, bis sie einen Damm aus herabgestürzten Steinen erreichten, der sich von der Südseite der Wiese bis zum Fjord erstreckte.

Die Wanderung endete, als sie an jene Stelle zurückkamen, wo Erik das Land mit den Pfählen betreten hatte. Jetzt kehrten sie zur Feuerstelle, den Stangen und der wartenden Ansammlung von staunenden Gesichtern zurück, die ein Kreis um sie bildete.

Torvald ließ von Erik ab. Mit flinken Händen nahm er den Deckel des rotbemalten Kübels ab, den Ulf von Bord geholt hatte. Daraus entnahm er eine kleine Schale mit zerkleinertem Speckstein. Dann einen kleinen Lederschlauch mit einem aus Knochen geschnitztem Stöpsel. Er zog den Stöpsel einen Spaltbreit hinaus und schüttete ein dickflüssiges Öl in das Gefäß, woraufhin er das Feuereisen erhaben daran hielt.

Die bläulichen Flammen sprangen bereitwillig auf das Gefäß über.

Der Schein des Feuers überstrahlte den Sonnenschein, und der flackernde Widerschein zeichnete sich auf den vielen Gesichtern ab, die um den Feuerplatz standen.

Torvald ließ das kleine, brennende Gefäß zwischen die zwei Pfähle stellen. Er rammte die Eisenstange in die Erde und steckte anschließend beide Fäuste in den Kübel. Als seine Hände wieder auftauchten, waren sie voll von Erde. Er hielt einen großen Klumpen dunkle, feuchte Erde zwischen beiden Handflächen.

Während er wieder begann, seinen düsteren Gesang anzustimmen, zerrieb er die Erde zwischen seinen Fingern und ließ sie auf die Wiese fallen. Der dunkle Mutterboden fiel in kleinen Klumpen zwischen den Fellen und der Feuerstelle auf das Gras.

- Hier stellen wir das Haus auf. Hier sollen die Pfähle stehen. Hier werden wir auf vertrauter Erde ruhen. Hier wird sich der Rotbärtige aufhalten. Hier werden wir alle leben, wenn Erik fährt.

Erik der Rote - Schiff und Schwert

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