Читать книгу Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak - Страница 8

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„Oft fühle ich

den Verlust der Verwandten,

ohne Schutz im Rücken

ist der Bruderlose.

Daran denke ich,

wenn Streit entsteht;

ein Mann hat das Nachsehen.“

Egil Skallagrimsson

Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben

„Ich reiste durch viele fremde Länder

auf der weiten Welt, Gutes und Böses

widerfuhr mir dort, weit weg von meinem Stamm

und meiner Familie, diente ich weit entfernt.

Daher kann ich singen und berichten

für die Zuhörer in der Methalle,

wie mir Männer von prächtigem Geschlecht halfen.“

Widsith, England

Im 5. Jahrhundert niedergeschrieben

Sie waren auf einem der trostlosesten von allen winzigen Grasflecken angekommen. In Eriks Ohren klang es wie geflüsterte, gefährliche Falschheit, als sein Vater diese Grasbüschel als Wiese bezeichnete. Das wenige Vieh und die Schafe, die sie mitgebracht hatten, gingen von Bord und bevölkerten den kleinen Platz. Zumindest gab es festen Boden und Gras. Und zum ersten Mal seit langem lag die kleine Besatzung in warmen Fellen. Ruhend in Torvalds langem, müden Schatten.

Wenn Erik daran zurückdachte, wie beschwerlich die Reise zu diesem Platz gewesen war, erfüllte ihn Missmut und Unbehagen. Die Knorr seines Vaters war hier einfach nicht willkommen. Sie waren in diesem kargen Land von Fjord zu Fjord gesegelt. Die Witterung war streng. Sie reichte weit in die Hänge hinein. An Land begegneten ihnen die Menschen nicht gastfreundlich, so wie das Meer bei ihrer Abfahrt. Die Gerüchte über all die Möglichkeiten einer Ansiedlung erwiesen sich als weit entfernt von dem, was sie antrafen. Überall, wo das kleine Knorrschiff aus Rogaland hinkam, zeigten die Berge und die Menschen ihnen die kalte Schulter und verwiesen sie wieder auf das Meer.

Nachdem viele Tage vergangen waren und sich der Winter näherte, breitete sich Unruhe an Bord aus. Bei jedem neuen Fjord und jeder erneuten Zurückweisung wurde Torvald Asvaldsson noch etwas krummer, wie er so über der Ruderpinne hing. Seine Worte hatten ihn beinah vollständig verlassen.

Der ehemals so kräftige norwegische Großbauer aus Jæren glitt allmählich in seinen Misserfolg ab. Er erteilte nun immer weniger Befehle und kümmerte sich immer weniger um Mensch und Tier. Nach dem schweren Sturm zwischen Hjaltland und den Färöer-Inseln hatte er alle, die sich rührten, tyrannisiert. Alle hatten seine Zunge gefürchtet und hastig jedwede Anweisung ausgeführt. Das leicht beschädigte Schiff hatte bereits nach einem Tag mit ruhigem Herbstwetter wieder seine stolze Erscheinung zurückerhalten. Torvald hatte seinen Platz achtern eingenommen. Mit dem Arm am Steuerruder und dem Hund, der sitzend die weiße Blesse seiner Brust hervorstreckte, strahlte er ein machtvolles Bild aus. Mit Ulf hatte er Gespräche über das Meer und die Stellung der Sonne und des Leitsterns geführt, und sie hatten ihre Beobachtungen gedeutet und die guten Aussichten für die Fahrt berechnet.

Gemeinsam hatten sie beim Anblick der ersten Lummen und Gryllteisten gejohlt. Sie hatten mit der Aussicht, bald auf Land zu stoßen und festen Grund unter die Sohlen zu bekommen, ein langes Horn mit Bier geleert. Nun lag der Hund achtern mit der Schnauze zwischen seinen Pfoten und wirkte, als habe er alle Prügel eines Lebens auf einmal bekommen. Unter den Menschen wurde geflüstert, dass die Färöer-Inseln das letzte Land gewesen wäre, das sie gesehen hätten, hätte nicht Erik dem Rotbärtigen das Lamm geopfert.

Das schwere Unwetter südöstlich von Island war eine erste Warnung gewesen. Es hatte drei heulende Tage lang gedauert und das Schiff beinah zur Auflösung gebracht. Es waren ausschließlich die immer noch herrschende Beklommenheit über die Begegnung mit dem mächtigen Walfisch dicht an der Schiffsseite und das Opfer, das Erik anschließend gebracht hatte, die den restlichen Mut zusammenhielten.

Es wurde aber auch gemunkelt, dass das Glück auf Torvald Asvaldssons Seite stand. Und darüber, wie es dazu kommen konnte. Alle wussten von seinem Streit auf dem Thing in Rogaland, jedoch konnte keiner sagen, was ihn im Grunde ausgelöst hatte oder worum sich das Ganze drehte. Nichts war darüber ans Tageslicht gedrungen.

Allen war klar, dass Ulf Bescheid wusste, doch keiner hoffte darauf, dass er dazu etwas sagen würde. Zu sehr war er mit Torvald eins. Und während auf diese Weise der Abstand zwischen den Worten an Bord immer größer wurde, so vergrößerte sich auch der Abstand zwischen den einzelnen Gehöften an Land immer mehr.

Das erste Fleckchen Land, das sie von Island sahen, ließ sie mit unbehaglichem Gefühl zurück. Es war ein zerklüftetes und verwittertes Land. Völlig ohne die grünen Berghänge aus Jæren. Versprengte Ansammlungen verkrüppelter Bäume wurden überall von sandigen und steinigen Flächen unterbrochen, hinter denen sich feindselige Berge erhoben. Und dahinter lag noch eine riesige Eiskappe, die sich bis zur Wasserkante erstreckte.

Sie hatten bereits einige Plätze im Land aufgesucht. Viele ließen sie mit großen Augen und wortkarg zurück. Sie sprachen über Trolle in dieser Landschaft. Darüber, dass das Land mit dem Erbrochenen mächtiger Riesen übersät sei. Gerne hätten sie dies mit dem Meer eingetauscht, wo sich die Feindseligkeit bereits gezeigt hatte. Ulf hatte die Verzweifelten zur Besinnung ermahnt und sie daran erinnert, dass viele gute Männer mit ihren Familien und ihrem gesamten Hausrat von Norwegen nach Island gereist waren, um sich dort niederzulassen.

- Wir müssen annehmen, dass Island zu etwas nütze ist. Nun gilt es, andere Norweger zu finden!

Die ersten Tage ließen sich die Leute überreden, aber nachdem sie dem Ersten dieser Norweger begegnet waren, verschwand das Vertrauen in Ulf. Sie mochten kaum glauben, dass man von Norwegern sprechen konnte. Deren Sprache ähnelte nicht dem schönen Dialekt aus Rogaland, das alle schon seit langem vermissten. Jene Norweger in Island redeten eine Sprache, die beinah wie ein blubbernder, viel zu dünner Brei klang. Aber am schlimmsten war es, dass keiner von ihnen im Sinn hatte, ihnen Obdach zu gewähren oder einen Siedlungsplatz anzubieten. Zugleich wuchs mit diesem Erlebnis ihr Widerwille und Misstrauen gegenüber dem Gedanken, dass man tatsächlich von ruhmreichen und achtbaren norwegischen Männern und ihren Familien sprechen könnte.

Gleichzeitig war es den meisten an Bord klar, dass Torvalds offensichtlicher Mangel an Kraft und Inbrunst ihrer Aufforderung, sie zu beherbergen, nicht förderlich war. Die Leute hier hatten genug mit sich selbst zu tun. Ganz zu schweigen davon, eine Schiffsladung hungriger Mägen durchzufüttern und sich ihren ausgemergelten Blicken den Winter über auszusetzen. Schon der Anblick des über das Steuerruder gebeugten dunklen Mannes und von Eriks zerschundenem, blutigem Gesicht vertrieb jedwedes Wohlwollen. Und so geschah es, dass das Glück Torvald Asvaldsson verließ – weshalb wohl?

Ab und zu hatte Erik den Eindruck, dass die Menschen an Land mehr wussten, als diejenigen auf dem Schiff. Auf jeden Fall mehr, als er selbst erfuhr. Zugleich war es so, dass Torhal und Erik im Gegensatz zu Torvald bei jedem neuen Fjord, in den sie einfuhren, aufgeschlossen und neugierig dreinblickten. Sie hatten die Hoffnung noch nicht über Bord geworfen. Mit den übrigen auf dem Boot teilten sie zwar die skeptischen Mienen, weigerten sich aber, sich der Mutlosigkeit hinzugeben.

Die sonderbaren Vorzeichen, über die sich beide vor der Abfahrt ausgetauscht hatten, waren zu einem gewissen Grad noch wirksam. Der Fischfang war während der gesamten Fahrt bei beiden von Glück begleitet. Eriks Fähigkeiten als Bogenschütze waren tüchtig geschult gewesen, und als Torhal einen Seehund erlegte, fielen sie einander in die Arme. Selbst die Tage am Ruder vergingen mit einem Überschuss an Neckereien. Und die Nächte wechselten fortwährend zwischen Schlaf und ihren flüsternden Gesprächen über die vielen Möglichkeiten im neuen Land. Sie waren sich einig darin: Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie all das sehen konnten.

Torhal beklagte sich jedoch ab und zu über den wachsenden Abstand zwischen Erik und Torvald. Er meinte, dies sei ein Anzeichen für kommende schlechte Zeiten, wenn sich Vater und Sohn zankten. Erik antwortete auf diese Art Aussage nur selten. Er ließ ihn reden und hielt sich mit Bemerkungen zurück. Er wusste, was feststand. Ab dem Zeitpunkt, da sie denjenigen Punkt umrundet hatten, den die Norweger in Island Reykjanes nannten, hatte er wieder Hoffnung geschöpft.

In jenen Tagen hatte Erik Ulf zum Hafen begleitet. Erik hatte einen Sack Mehl und einige Eier gehandelt und als Ulf und er zum Boot zurückgekehrt waren, wurde dieser gute Tausch gewürdigt. Die meisten an Bord waren überrascht darüber, dass die Isländer mit einem großen Burschen feilschen wollten, der im Gesicht dermaßen zerschunden war.

Sein Vater hatte versucht, eine anerkennende Miene zu machen, die jedoch rasch vom Missmut verdrängt wurde. Stumm nahm er Eriks Glück hin. Zum großen Unbehagen sowohl von Ulf als auch von Erik.

Inzwischen waren die Tage so kurz und kalt geworden, dass die gesamte Besatzung vermutete, sie müsste den Winter ohne eine richtige Bleibe verbringen. Ulf hatte aufgezählt, dass die Tage in Island eine andere Länge hätten als in Rogaland, da Island weiter nördlich im Meer läge. Doch nur ganz wenige vertrauten auf seine Ausführungen. Die meisten nahmen es als Versuch, Torvalds mangelndes Glück bei der Suche nach einem Winterquartier zu entschuldigen.

Zu jener Zeit fuhren sie in den Breiðafjord hinein. Es zeigte sich, dass sie bei jener Stelle einliefen, wo sich Torolf, genannt Mostrarbart, Land genommen hatte, nachdem er Norwegen und seinen Hof auf der Insel Mostar in Rogaland verlassen hatte. Die Leute im Breiðafjord sprachen sogar das heimische Norwegisch, dass es ein Vergnügen war. Aber die Neuigkeiten, die sie Torvald Asvaldsson brachten, waren ebenso niederschmetternd wie alle anderen, die er letztens erhalten hatte:

Es gab kein Land für Neuankömmlinge.

Der Bauer auf dem Hof war ein Nachkomme von Torolf Mostrarbart und er wurde als Gode bezeichnet, obwohl er kein Gode eines Thingplatzes war. Er war ihnen gegenüber nicht sehr mitteilsam. Wenn er den Mund öffnete, sah man die wenigen, übrig gebliebenen blauschwarzen Zähne.

- Wenn ihr mich betrachtet, seht ihr einen der größten Opferpriester der Gegend.

Seine Frau hielt sich im Hintergrund auf während der wenigen Tage, in der die Knorr an der Anlegestelle lag. Seine Söhne hingegen pflegten eifrig Umgang mit der Schiffsbesatzung. Zwei der Burschen waren nur ein wenig älter als Erik. Der eine von ihnen, Arngrim, hatte ebenso hübsches rotes Haar wie Erik. Trotz seines jungen Alters war er bereits ein breitschultriger Mann. Ganz im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder Värmund, der mickrig aussah.

Die Jungen luden Erik zum Ringkampf ein, doch mit Verweis auf sein zerschundenes Gesicht hatte Erik abgelehnt. Insbesondere Arngrim war darüber enttäuscht.

Der Bauer Torgrim war ein ältlicher Mann, der aber mit seinen wenigen blauschwarzen Zähnen immer noch imstande war zu sagen, was gesagt werden musste. Er sprach mit dem Gewicht einer großen, ehrbaren Familie, als er eine Niederlassung der Leute aus Rogaland in seiner Nähe unmissverständlich zurückwies.

- Der Breiðafjord ist voll. Ebenso der Hvammsfjord.

So lautete seine Aussage und bei ihr blieb er. Wärme und Essen könnten sie einige Tage erhalten, doch damit hätte seine Gastfreundschaft ihre Grenze erreicht. Als jene Verhandlung beendet war, endete jedoch noch nicht die Neugier, Neues aus der norwegischen Heimat zu hören.

Torvald und Ulf konnten über die Streitigkeiten berichten, die wegen der gierigen Gunhild in Norwegen wüteten. Sie beabsichtige, ihre Söhne als Könige über alle Landesteile einzusetzen. Einer ihrer Söhne, Harald Graufell, habe die besten Chancen, da er am ältesten und stärksten sei. Doch alles werde von der Mutter gesteuert.

Erik hatte betont, dass viele in Norwegen jetzt auf einen der Jarle aus Lade im Norden vertrauten, nämlich auf Håkon Sigurdsson, dem Sohn des mächtigen Jarls aus Lade, Sigurd.

Die Frage, warum Torvald Norwegen verlassen hatte, wurde auch gestellt, doch die Antwort war äußerst ausweichend gewesen, wie schon bei anderen Gelegenheiten. Dabei war in Torvalds Tonfall zu spüren, dass er diesen Norwegern keineswegs freundlich gesonnen war.

Er schloss seine Ausführungen mit einigen Bemerkungen darüber, dass es offensichtlich schwer sei, eine feste Bleibe zu finden und anscheinend Siedlungsplätze eine große Mangelware seien, trotz der vielen, die Norwegens Küsten verlassen hätten.

- Thor wird es uns letztendlich weisen. Der Rotbärtige hat meine Familie niemals im Stich gelassen.

Alle hatten seinen Ausführungen zustimmend zugehört. Die Neuigkeiten aus Norwegen bedrückten alle, zugleich beruhigte sie aber der Hinweis, dass sich der Gast mit seinem Schicksal abgefunden hatte, selbst wenn es seinen Steven in eine harte Unsicherheit lenken würde. Nun sollte sogar der Besuch in diesem Land in einer Niederlage enden. Doch für Torvald beinhaltete dies auch eine gewisse Art von Sieg.

Anscheinend hatte diese Begegnung Torvald neuen Mut verliehen. In den Stuben hallte es wider, dass Torvald und Erik von Axt-Torers Geschlecht abstammten. Jener Axt-Torer, der sich gegen die Königsmacht in Norwegen erhoben hatte und der der Bruder von Nadodd war, der unter den ersten war, die ihren Fuß auf isländischen Boden setzten. Torvald war hier endlich mit jener Ehre behandelt worden, die seiner Herkunft entsprach.

Dies konnte man ihm noch eine gewisse Zeit danach ansehen.

Die Knorr war nach einigen Tagen Aufenthalt quer durch den Breiðafjord gesegelt. Nach Anweisung der Leute vom Hof war Torvald an zahllosen kleinen Inseln vorbeigesegelt und hatte ohne größere Verzögerungen den Hof Reykjaholt erreicht. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass es vielleicht eine Möglichkeit für ihr Winterquartier gäbe. Doch erhielt er mit dem Hinweis auch zugleich Warnungen vor der gefährlichen Reise, die vor ihm und seinem Schiff läge.

Man warnte ihn davor, dass Eis auf dem Weg in das Nordmeer sei und der einzig mögliche Siedlungsplatz, soweit man dies in Reykjaholt einschätzen könne, sei oben an den nördlichen Stränden zu finden. Sie sollten nach Schild-Bjarne in der gleichnamigen Bucht Ausschau halten, doch wenn sie in diese Gegend kämen, müssten sie mit einem Kampf ihrer Knorr gegen Wind, Eis und ihren Mut rechnen. Zudem müsse Torvald wissen, dass Schild-Bjarne aufbrausend und eigensinnig sein könne. Er lasse einen ohne weiteres Gastfreundschaft zuteilwerden, verstecke aber auch unermessliche Kostbarkeiten und scharfe Klingen. All sein Hab und Gut habe er Gerüchten zufolge im Ausland erworben. Mit diesem dicken Bündel an Warnungen verabschiedete sich der Bauer auf Reykjaholt von ihnen und wünschte ihnen eine gute Reise. Zwei Knechte vom Hof gingen mit an Bord, um die Fahrt zu begleiten und beim Manövrieren behilflich zu sein.

Torvald segelte nun nach Westen, vorbei an der Mündung des Hvammsfjords und hinaus aus den Breiðafjord, vorbei an all den kleinen Inseln. Unterwegs hatten die beiden Knechte ehrfürchtig auf eine unscheinbare Insel gedeutet, die sie Flatey nannten. Sie erklärten, dass just von dort große Entdeckungen der Schifffahrt in die unbekannten Gewässer der Welt gestartet seien, da die Leute auf der Insel die Geheimnisse des Leitsterns kannten.

Bei dieser Bemerkung zog Erik seine braunroten Brauen nach oben. Er registrierte Torhals Blick und versicherte ihm mit einem kurzen Nicken, dass dieses Fleckchen von einer Insel es wert sei, sich seiner zu erinnern.

Die beiden Knechte aus Reykjaholt lenkten sie danach gen Norden. Einige Tage lang segelten sie an zahlreichen Fjorden vorbei, die sich in eine alles andere als einladende Landschaft schnitten. Die Knorr wurde um Landspitzen und Fjordmündungen herum manövriert. Die Burschen von dem Hof zählten die Namen der Fahrgewässer und Berge auf. Dies alles wurde von Torhal und Ulf sorgfältig einem Platz in ihrem Gedächtnis anvertraut.

Den Namen Ísafjord merkten sie sich besonders gut. Die Knechte berichteten von den riesigen Eismassen, die niemals schmolzen. Zudem erklärten sie, dass es ein Nachkomme von Ulf Krake war, der drinnen am Fjord Land genommen hatte. Nach Krakes Sohn, Gunnbjørn, waren die sonderbaren Klippen weit draußen im Westen im Eismeer benannt. Seine Söhne wohnten jetzt auf dem Hof.

Die Kerle wiesen anschließend das Schiff an, nordwärts zu fahren. Außerhalb des Ísafjords mussten sie ihren Kurs östlich fortsetzen und dabei eine schroffe Landzunge mit Eiskappen umrunden. In den östlich gelegenen Fjorden auf der anderen Seite könne es möglich sein, grünes Land zu finden.

Torvald erkundigte sich nach den Eismassen, auf die sie draußen im Sund gestoßen waren. Er kannte ähnliches aus dem Sognefjord in Norwegen nördlich von Jæren. Er wollte indes alles über den Zusammenhang von Eis und den Möglichkeiten an Land wissen. Außerdem war er damit beschäftigt, ob in diesen großen Klumpen Eis natürliche oder unnatürliche Kräfte hausten. Soweit die Kerle wussten, war da nichts Unnatürliches an ihnen, schließlich gab es viele dieser Gletscher in Island. Es verhielt sich nur so, dass die Witterung in diesen nördlichen Winkeln derart beschaffen war, dass das Eis von einem Jahr zum nächsten liegen blieb.

Diese Bemerkung löste an Bord der leidgeprüften Knorr wahrlich keine Jubelschreie aus. Ulf meinte jedoch zu wissen, dass die Eisberge in Norwegen ein Vorwärtskommen nicht behinderten. Dies beruhigte die Besatzung ein wenig. In einem Versuch, diesen schwachen Trost zu verstärken, erzählte einer der Kerle aus Reykjaholt nun weiter von den Nordstränden.

- Schild-Bjarne hat ebenfalls diese Fahrt um die Nehrung gemacht. Dem Geschwätz aus Breiðafjord zufolge segelte er mit einem mächtigen und schildbestückten Schiff. Nun wohnt er ja an diesem Fjord, dem er seinen eigenen Namen gab. Er ist aber ein solch mächtiger Mann, dass er sogar einem breiteren und mit Gras gesäumten Fjord weiter im Süden seinen Namen gab.

Dies ließ den anderen Burschen fortfahren.

- Und außerdem war er friedlos, als er hier ins Land kam.

Durch alle auf dem Schiff lief ein Schauer, der so kalt wie ein Gletscher an Land war. Nur Ulf schauderte es nicht, doch im Gegenzug fiel ihm wie einem Tölpel der Unterkiefer auf die Brust.

Torvald setzte umgehend zur Widerrede an.

- Ja, der Frieden sitzt locker in Norwegen. Und da ist es nur recht, wenn dieser Schild-Bjarne mit seinen guten Klingen das Geblüt kennt, das sich in seinem Gras herumtreibt. Das haben die meisten, die nicht Anhänger des Königs sind, erlebt.

Erik trat zwei Schritte auf seinen Vater zu und wandte sich an die Knechte. Er hatte einen stechenden und wilden Blick. Noch war er jung, doch er sah furchteinflößend aus. Augenblicklich erfasste die Spannung jedwede Faser der Menschen an Bord, und selbst seinem Freund und Gefolgsmann Torhal drehte sich der Magen um, als sich Erik an die einfach gekleideten Knechte richtete:

- Zieht ruhig zu Fuß heim nach Reykjaholt und berichtet über dem lauwarmen Brei sitzend, dass hier Torvald Asvaldsson und sein Sohn aus Axt-Torers Geschlecht nach Norden segeln. Und dass sie auch diesmal nicht vor jemandem zurückweichen – sei es vor dem König oder einem Wikinger mit verzierten Schilden an seinem Schiff.

Dabei blieb es. Torvald brummelte etwas in seinen breiten Bart, was aber keiner hörte. Mit der flachen Hand schubste er Erik vom Platz am Steuerruder hinunter. Nicht in zorniger Weise, sondern vielmehr, als würde er seinem Hund in einem abwesenden Moment einen Klaps versetzen.

Kurze Zeit später fesselte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Die Erzählungen über das Eis im Nordmeer waren nicht untertrieben. Die See war zwar schiffbar, aber nicht viel mehr. Dennoch kamen sie voran, beinah aus Trotz. Und als sie dann noch einige Tage weiter segelten und mehrere Landspitzen und Klippen umschifft hatten, kamen sie endlich zu Bjarne.

Es zeigte sich, dass er ganz anders als sein Ruf war. Ganz gewiss war er jedoch einer der größten Menschen, die Erik in seinem Leben gesehen hatte. Bjarne hatte helles Haar, einen roten Bart und Hände wie Ruderblätter und er besaß noch alle Zähne. Er lachte gerne und hatte für die Leute im Breiðafjord und ihren bäuerlichen Übereifer nur ein höhnisches Grinsen übrig.

- Ja, dort unten beobachtet jeder den anderen. So, als säßen sie im Scheißhaus.

Schild-Bjarne setzte ein breites Grinsen auf. Um ihn herum standen seine Knechte, die von ihrer Statur und ihrem Aussehen ganz anders waren als diejenigen, die Erik auf den Höfen im Breiðafjord gesehen hatte. Trotz ihrer Größe wirkten sie weniger von der Gegenwart des Großbauers eingeschüchtert. Sie standen ebenbürtig um ihn herum. Doch konnte jeder sehen, dass keiner von ihnen daran zweifelte, wer das Wort führte. Und Erik bemerkte, dass sie alle ihre Waffen sichtbar trugen.

- Torvald Asvaldsson, kennst du meinen guten Freund Thor, der mich in vielem berät und an der Seite der Ehrbaren steht?

Es war Schild-Bjarne, der sich unerwartet und direkt an ihn wandte. Torvald antwortete zustimmend und mit hörbarer Zufriedenheit, die ihre Übereinstimmung unterstrich.

- Er ist ein ebenso guter Freund von mir.

- Das klingt nach einem guten Anfang. Daher lasst mich sagen: In diesen Gegenden brauchen wir die Vorsehung und Einsicht des Rotbärtigen. Sollte es deine Absicht sein, dich hier niederzulassen, so vertraue auf ihn. Sonst wird es dir weniger gut ergehen.

- Dies ist meine Absicht, Bjarne.

Schild-Bjarne riet ihnen dann, dass sie nach ein paar Tagesreisen die etwas südlich vom Fjord gelegenen Inseln und dessen kleinen Hof umfahren sollten. Draußen im Meer sollten sie die Stöcke mit Thors Antlitz ins Wasser werfen und ihnen dorthin folgen, wo sie angeschwemmt würden. Auf diese Weise werde Torvald zu dem besten Platz für seinen Hof geführt.

- Aber beratschlage dich mit deinem Freund Thor, damit die Stöcke nicht unten am Húnaflóifjord angetrieben werden. Ich kann dir nämlich sagen, dass dort teilweise Leute leben, die es daheim im Breiðafjord nicht schafften. Und diese Sorte Mensch ist am schlimmsten.

- Wir lassen uns von Thor guten Rat geben, antwortete Torvald.

- Wenn du eine Feuerstelle auf deinem Grundstück hast, werde ich dir einen Besuch abstatten und diejenigen Ratschläge geben, die man im Gewandärmel haben sollte. Und übrigens. Du solltest zusehen, dass das Gesicht deines Sohnes in Ordnung kommt. Es schickt sich nicht für ein ehrbares Geschlecht, dass der Nachkomme mit blauen Flecken und zerschundenem Gesicht herumläuft.

Er lachte wieder, lauthals und gutmütig.

- Solltest du keine heilkundigen Frauen mitgebracht haben, so kannst du einen Knecht zu mir schicken. Gewiss wird meine kleine dunkle Murid seine blauen Flecken gerne einschmieren und sein Gesicht in Ordnung bringen.

Seine Miene und Haltung deuteten an, dass die Plauderei beendet war. Er war bereit, Torvald und die ganze Ladung von Freien und Sklaven beim Essen zu treffen.

Einige Tage später ließ Torvald seinen Versprechungen Taten folgen. Er war fröhlich gestimmt, als die Knorr aus Schild-Bjarnes Bucht auslief und den Kiel südwärts steuerte. Hinaus auf das Meer, vorbei am Bjarnefjord. Dort warf er Axt-Torers altehrwürdige Hochsitzstangen ins Meer und folgte aufmerksam ihrem Tänzeln und Schaukeln in den Schaumkronen, während sie immer weiter in südliche Richtung trieben – in den Húnaflóifjord.

Die Stangen umrundeten schließlich eine beeindruckende Landspitze, wo sich erhaben aufgereihte Klippen scharfkantig in das Meer erstreckten. Hoch, schlank, dunkel und spitz. Die blanken Felsen zeichneten sich scharf am Abendhimmel ab. Die größte Klippenspitze befand sich landeinwärts und die kleinste lag draußen am Ufer.

Der Anblick machte Erik schwindelig und er seufzte mehrmals.

- Torhal, Torhal. Schau. Sieben Klippen. In einer Reihe. Wahrlich ein gutes Zeichen.

Die Stangen trieben weiter in südliche Richtung. Auf- und niederschaukelnd steuerten sie zwischen Inseln und verwitterten Felsen direkt auf einen schmalen Strand zu, der vor einer kleinen Wiese lag. Dort ließ Torvald das Schiff an Land ziehen. Eine kleine, dreieckige grasbedeckte Landspitze. Es war ein solch verstecktes Kap, dass kein anderer Mensch Anspruch darauf erheben könnte, so wie es dort mit dem steilen Felsen hinter sich und dem offenen Meer im Osten lag. Der Platz war derart eng, dass nicht einmal alle Zelte aufgestellt werden konnten, wenn auf dem halb verdorrten Gras auch noch die Tiere Platz finden sollten.

Es war an der kleinsten und tristesten der vielen Landspitzen der Nordstrände, wo sie an Land gegangen waren. Torvald hatte beschlossen, dass alle Leute, Sklaven und Tiere vom Schiff sich hier niederlassen und leben sollten. Und mit dieser ernüchternden Aussicht begaben sie sich alle zur Ruhe in dieser Nacht. Es war auch just dort, wo sich am nächsten Morgen alle um Torvalds mächtigen, schweren Körper versammelten.

Er hatte sich auf einen Stein gesetzt und saß nun vornübergebeugt an den letzten Resten des Lagerfeuers. In seinen mächtigen, groben Händen spielte er mit einigen Kieseln, die er von einer Hand zur anderen rollte. Dabei schaute er abwesend zum Strand hinunter, wo die Hochsitzpfeiler halb an Land, halb im Wasser lagen. Es lag eine merkwürdige Mischung aus friedvoller Erhabenheit und nervöser Anspannung auf dem Anblick der kompletten Schiffsbesatzung, die sich unmerklich dem zusammengesunkenen Körper am Feuer zu nähern begann. Selbst ihre Körper schienen davon erfasst zu sein. In ihren Gesichtern war nicht abzulesen, ob sie auf dem Weg zu einem Abschied oder zu einer Verurteilung waren.

Ruhig erhob sich Torvald und betrachtete die kleine Schar. Er trat auf Erik zu, der immer noch mit dem Löffel in der Hand dastand. Er schaute seinen Sohn an, und als der Vater die Hand auf die Schulter seines Sohnes legte und redete, entstand in diesem Augenblick eine besondere Erwartung.

- Erik hat seinen Wert gezeigt, und nun holt er die Hochsitzpfeiler. Gemeinsam werden wir das Feuer herumtragen.

Erik der Rote - Schiff und Schwert

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