Читать книгу Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak - Страница 6

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„Es war freudig, hinaus

in den Fjord zum Kampf zu fahren,

als Böen auf des Königs

Knorren die Segel aufblähten;

herrlich lief das Meerpferd,

durch aufgewühlte Wellen im kühlen Wind.

Die Schiffe ließen wir

aus der Meerenge stürmen.“

Skald Sigvat, Norwegen, 10. Jahrhundert

Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben

„Ich heiße Hariuha,

der Unheilvolle.

Ich gebe Geborgenheit

Thor Thor Thor“

Übersetzung der Runen auf einem Goldbrakteat

Dänemark, um 500

Plötzlich war da überall nur Gebrüll.

Ein verzerrtes Geschrei, das durch Mark und Bein ging. Mit Schaum peitschte es hervor. Erfüllte Segel und Sinne mit Grauen. Dröhnte so zornig, dass die Wogen zurückwichen.

- Festhalten …!

Hinüber über das weißgrüne Wasser. Das Gebrüll drang durch Gischt, Seile und Spante. Trotzig und wild durchschnitt es den Sturm.

- Erik! Festhalten! Du wirst getroffen!

Wieder erklang der Ruf im Wind wie ein Fluch, der auf einen nach dem anderen danieder fuhr. Ein Feigling. Und dann traf es Erik. Wie ein Ochse einen Rammbock trifft, so prallte das Geschrei an sein Genick, als er bäuchlings dalag. Er schaukelte hin und her. Seine bleichen, ausgestreckten Arme sahen aus wie gespaltenes Holz. Die Müdigkeit war größer als die Angst vor dem Geschrei. Sein Wille war gebrochen.

Er wagte es nicht, die Hände aufzustellen und sich abzustützen. Mit dem Gebrüll im Nacken sank er hinab in die Feuchtigkeit. Er ließ sein Gesicht in das nasse Leder und den feuchten Stoff sinken, vernahm den Geruch von durchnässtem Holz und eingefetteten Seilen. Holte Atem durch die salzige Kleidung und ließ wieder die Trugbilder von ihm Besitz ergreifen.

Ein Gewimmel aus schreienden Ungeheuern und zischenden Schlangen tauchte in ihm auf. Sonderbare Körper und vielköpfige Wesen mit bunten Schuppen. Einige hatten Füße, andere Flossen. Sie kamen von Wasser und von Land. Rasend mit ihren rauchenden Mäulern und den sie umgebenden gelblichen Giftwolken. Weitere kamen hinzu. Noch greller. Immer näher. Einem riesigen Drachen lief eine schleimige Spur den Vorderkopf hinunter. Seine Augenränder brannten und tränten.

Wieder erfüllte das Gebrüll alles.

In großtuerischer Weise peitschte es hitzig-ermahnend durch die Gerüche und Halluzinationen. Die Worte verstand er nicht, aber der bittere Hieb des Lautes erfüllte seinen gesamten Kopf mit einer fürchterlichen Ahnung.

Er öffnete die Augen und schaute ausdruckslos auf die Bordwand. Vor ihm entblößte eine wilde, rötliche Fratze seine Zähne. Mit einem makaberen, munteren Grinsen. Der geflochtene rote Bart schüttelte sich vor höhnischem Lachen. Die dichte, rotgoldene Mähne leuchtete im Wind auf.

Erik trat zurück. Der Hüne hatte einen stechenden Blick. Zugleich fragend und höhnisch. Bedrohlich nah war der mächtige Mannskopf. Erik stütze die Hände am Rand einer Schlafkiste ab und zog die Schultern hoch. Versuchte, sich vor der Fratze zurückzuziehen.

Dann wurde er getroffen. Ob es der Atem des Roten war oder eine seitliche Welle, wusste er nicht. Die Wucht des Schlags warf seinen Kopf hin und her. Der Geschmack von Blut mischte sich mit Rotz und Salzwasser.

Dann erschall es wieder. Das Gebrüll.

- Erik! Steh auf!

Durch Schaum, Wind und die brechenden Wellen hallte der Ruf zu ihm. Der Rotbärtige schrie. Mit offenem Mund glotze Erik direkt auf die Bordwand. Er triefte vor Kotze und Blut. Stierte dümmlich vor sich hin. Die rote Mähne und die stechenden Augen waren weg. Nur das Wasser lief an den blanken Brettern ab.

Er blickte auf, gerade als der Wind nachließ und das gewölbte Segel in sich zusammenfiel. Das riesige Tuch sank. Doch im nächsten Augenblick blähte es sich mit einer flatternden Wölbung auf und riss das Schiff herum. Als hätte es kein Gewicht. Wie von einer mächtigen Hand getrieben, brausten erneut Wellen herein.

- Festhalten, Junge! So halt dich doch fest!

Er drehte seinen Kopf. Es war das Rufen seines Vaters. Er hing achtern halb über dem Steuerruder und klammerte sich an zwei Tauenden. Das Steuerruder klemmte unter einer seiner Achselhöhlen, während er mit dem freien Arm die Seile straff zog. Die Wellen wälzten sich herein. Mehrere von ihnen überrollten den stämmigen Mann, der aufrecht achtern stand. Mal umspülten sie ihn vollkommen. Dann zwangen sie ihn halb in die Knie.

Erik kannte das Lachen, das nun aus dem dunklen Bart zu hören war. Sein Vater schob das Kinn vor und machte den Mund breit, so dass der Unterkiefer hervortrat. Dann legte er den Kopf etwas zurück und schrie ein trotzig-heißes Lachen direkt in den Sturm. Aber es war zu hören, dass er sich nicht daran ergötzte, sondern dadurch vielmehr seine eigene Unsterblichkeit beschwor. Hektisch und drohend.

Ein neuerliches Gebrüll unterbrach das Lachen.

- Erik! Wir verlieren alles! Komm jetzt, Junge!

Erik wirbelte in der mit Fell ausgelegten Schlafkiste umher. Versuchte vor sich zu greifen, rollte aber stattdessen über die schmale Kante hinaus. Ein zischender Schmerz durchzog seinen gesamten Körper, als der Rücken die Bodenstangen rammte. Er war in den Laderaum des Mittelschiffs gefallen und zwischen festgezurrten Gütern, Vorrat, Tonnen, Gerät und aufgescheuchten Tieren gelandet.

Dort standen die Pferde mit angelegten Ohren, zurückgezogenen Lippen und Schaum vor den Nüstern und wieherten, als seien sie verletzt. Die beiden Kühe traten schwerfällig auf die Taue und taumelten zwischenzeitlich gegen die Reling. Die Schafe tippelten fieberhaft auf ihren dünnen Läufen im Wasser. Und über allem quietschte, schleifte und knirschte das Tauwerk seinen schneidenden Klagegesang in den heulenden Wind hinauf.

Erik hörte nichts.

Sein Gewand war aufgerissen und seine bleiche Brust lag offen in der Luft und den hereinstürzenden Wellen. Sein einziger Schutz schien ein zartes Amulett aus glänzender Bronze zu sein. Klebrig-nass hing es an einer Kette vor seinem Schlüsselbein.

Hinterrücks wurde er von zwei starken Händen gepackt und wie ein gefüllter Sack hinüber zum Kielschwein gezogen. Er lehnte mit dem Rücken am Mast, als Torhal ein Seil um seine Brust band. Auf seiner Haut spürte er das nasse Tau und wollte sich erheben. Aber er konnte nicht.

Das Gebrüll war nun über ihnen beiden. Wie eine Peitsche.

- Entfern das Tau! Steh auf, Erik!

Torhal ließ die Arme fallen. Erik saß erschöpft am Kielschwein. Das Tau lag neben ihm und plätscherte halb im Wasser, das allmählich einen Großteil des Rumpfes bedeckt hatte. Alles war in Auflösung begriffen. Ein Morast an Gütern lag verstreut auf Boden und Bodenstangen. Tonnen und Tröge rollten zwischen anderem Hausrat hin und her. Streu und Kuhfladen trieben im Wasser auf einen umher rollenden Getreidesack zu. Eine schmachvolle Niederlage.

Es strömte auf Erik zu. Schwappte zurück. Sein an den Mast gelehnter, baumelnder Kopf folgte den Bewegungen. Es plätscherte gegen seine kraftlosen Hände, die erschlafft im Wasser hingen. Es durchdrang ihn. Und er wollte weinen. Es stieg in ihm hoch wie Erbrochenes. Er wollte weinen. Er wollte weinen.

Er lachte.

Er war entsetzt und verloren und er lachte. Hysterisches Gelächter und heißes Schluchzen durchschüttelten ihn. Er hielt beide Hände vor das Gesicht und grinste gierig in die Handflächen.

- Wir verlieren alles, lachte er. Wir werden zerschellen. Wir verlieren alles. Wir werden zerschellen.

Er ließ die Hände an seinem befleckten Gesicht hinabgleiten. Hielt sie vor den Mund. So als wollte er das Lachen in den Hals hineinstopfen. Er schaffte es nicht. Mit aufgerissenen, wilden Augen setzte er sein hysterisches Lachen fort.

Um die Wette mit dem pfeifenden Wind, dem gewaltigen Krach des Segels und dem entsetzlichen Heulen der vertäuten Tiere wälzte sich sein groteskes Grunzen durch seinen ganzen Körper und sein Blick traf erneut den Rotbärtigen. Die stechenden Augen prangten mitten in der roten Fratze durch die grünweiße Gischt. Der Riesenkopf schnaubte vor Hohn und Hochmut.

- Steh auf, Erik!

Das Brüllen war wieder über ihm. Wilder als zuvor. Beinah gehässig.

- Die Kuh muss angebunden werden, Erik! Wir verlieren sie sonst.

Erik stemmte seinen Rücken gegen den Mast. Mit dem Seil in der Hand sprang er plötzlich auf. Das Gewand war um seinen Oberarm gewickelt, seitlich baumelten nasse Stofffasern. Stoff und Seil wurden ineinander gewickelt. Er watete ermattet durch das Durcheinander. Seine erschöpften Augen bemerkten nicht die gewaltige Welle, die über die Bordwand hereinstürzte.

Torhal schrie.

- Ein Wal!

Oben am Steven hing er über Bord und zeigte hinaus auf das Meer. Hinter ihm knieten zwei Mädchen und hielten einander fest. In ihren weißen, gequälten Gesichtern stand ihnen der drohende Untergang der beladenen Knorr geschrieben. Sie klammerten sich an den Körper der jeweils anderen. Als ob sie sich gegenseitig versichern wollten, nicht allein zu sein, wenn der letzte abschließende Windstoß gleich alles kurz und klein schlüge.

In Richtung von Torhals Zeigefinger, weniger als zweihundert Meter vom Schiff entfernt, tauchte eine mächtige Schwanzflosse auf. Glänzend, dunkel und riesig. Zwischen den Wellen erhob sie sich im Wind und ragte in den Himmel. Einen Augenblick lang ruhig und unbeeindruckt, während der Sturm das Wasser über die glatte Haut spülte. Mit einem mächtigen Sog versank sie wieder in den Fluten.

Dieser Anblick ließ Torhal ungläubig mit offenem Mund zurück. Er hing immer noch am äußersten Ende mit beiden Händen an der Reling. Klammerte sich an die weiche Kante und versuchte, seine fünf Sinne beisammen zu halten.

Erik stand wie festgenagelt auf den Bohlen des Bodens.

Wie ein angespitzter Holzpflock rammte sich das Omen in seine Trugbilder. Ein Zeichen, das jedes der grellbunten Seeungeheuer in die Flucht schlug. Die schleimigen und fauchenden Schuppentiere sprangen von ihm ab wie Flöhe, die einen Sterbenden verlassen, und zum ersten Mal an diesem turbulenten Nachmittag gehorchten seine Glieder wieder seinem Willen. Glaubte er.

Eine riesige Welle durchschüttelte die Knorr erneut. Er fiel vornüber und stieß sich den Kopf am Boden. Ein starker Schmerz pflanzte sich in seinem Kopf fort, und schon merkte er, wie süßlich das Blut im Mund schmeckte und dass er nicht durch die Nase atmen konnte. Es dauerte nur einen Moment und dann achtete er nicht mehr darauf. Erneut stützte er sich auf und setzte sich in Bewegung.

Er torkelte über das Deck und hielt erst an, als er ausrutschte und vor dem Schafbock auf die Knie fiel. Der Bock stand festgebunden zuvorderst den übrigen Tieren und schützte die Lämmer wie ein Schild. Er war so angebunden, dass er sich nicht die Läufe brach. Als sich Erik vor dessen blökenden Kopf erhob, verdrehte das Tier seine Augen, bis fast nur das Weiße zu sehen war. Er legte beruhigend seine linke Hand auf das gehörnte Tier, schob es beiseite und drängte sich zu den Lämmern vor.

- Erik! Bind die Kuh fest! Wir verlieren sie!

Er vernahm das Gebrüll nicht. Aus seinem Gurt zog er einen Dolch hervor. Seine Hände waren sicher. Er spürte, wie gut der Schaft in der Hand lag, als er den Dolch umdrehte, um damit besser auf das Tier einstechen zu können. Er schlitzte die Kehle auf und das Lamm stieß ein heißes, röchelndes Blöken aus. Das Blut spritzte auf ihn und das Tier. Ein warmer, klebriger Strom lief an ihm hinab, als er das umstürzende Tier packte und dessen Seil durchtrennte.

Dann stand er an der Reling. Aus dem Maul des sterbenden Tieres hing die Zunge heraus. Die Augen waren aufgerissenen, wie in Verwunderung. Erik stemmte das Tier über seinen Kopf. Das Blut tropfte aus der Kehle auf Eriks Kopf und zerstob im Wind.

- Rotbart. Himmel – und – Meer – Thor. Nimm das Tier! Und gib uns Frieden!

Seine Kräfte reichten nicht aus. Er wollte das Tier über die Bordwand werfen, schaffte es aber nur, es an den Armen hinabgleiten und über die Reling in das Meer plumpsen zu lassen. Das Platschen war nicht zu hören, weil es sich im Lärm des Windes und der Wogen verlor. Das Tier war weg.

Erik sank in die Knie.

Das Rufen seines Vaters war erneut über ihm, aber er bemerkte es nicht. Ein wildes Fieber durchzog seinen ganzen vierzehnjährigen Körper. Er ließ den Dolch hinabgleiten. Knetete beide Hände und spannte die Muskeln der Oberarme an. Saß da und wiegte sich vor und zurück. Stetig die Hände knetend murmelte er Laute, von denen er selbst nicht glaubte, dass er sie kannte.

Gewaltige Halluzinationen bemächtigten sich seiner. Während er die Zähne bis zum äußersten Schmerzpunkt zusammenbiss, pochte das Blut vom Hals bis zu den Fingerkuppen. Er schüttelte seine nasse Mähne. Peitschend und wild.

Dann fiel er vornüber, hinein in sein eigenes Blut und seine Ohnmacht.

Erik der Rote - Schiff und Schwert

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